Paulus
eBook - ePub

Paulus

Leben und Denken

  1. 730 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Paulus

Leben und Denken

About this book

Diese zweite, umfangreich ĂŒberarbeitete und erweiterte Auflage entfaltet das Denken des Paulus vor dem Hintergrund seines Lebens unter Aufnahme der neueren wissenssoziologischen, geschichtstheoretischen und religionsgeschichtlichen Diskussion. Der erste Teil behandelt das Leben und die Briefe, im zweiten Teil folgt eine thematisch strukturierte Darstellung der zentralen Themen des paulinischen Denkens, das so in seiner historischen Genese wie in seiner SystemqualitĂ€t erfasst wird. Drei Aspekte werden dabei in der Neuauflage ausgebaut und gestĂ€rkt: 1) Die Frage nach dem Ort des Paulus in der Religions- und Philosophiegeschichte seiner Zeit. 2) Die Einbindung des Paulus in die Konfliktgeschichte des frĂŒhen Christentums. 3) Paulus als theologischer Denker, der den Vergleich mit den Philosophen seiner Zeit nicht scheuen muss. Ziel ist es, ein differenziertes Bild des paulinischen Wirkens und Denkens zu entwerfen, das sowohl seine religionsgeschichtlichen und innerchristlichen Kontexte ernst nimmt als auch die FĂ€higkeit des Paulus berĂŒcksichtigt, neue religiöse Welten zu entwerfen und sie ggf. auch weiter zu entwickeln. Die paulinische Theologie ist weitaus kreativer und komplexer, als sie oft mit der einseitigen Fixierung auf einen jĂŒdischen Hintergrund und/oder die Rechtfertigungs- bzw. Versöhnungslehre dargestellt wird.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Paulus by Udo Schnelle in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Theology & Religion & Biblical Commentary. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.

Information

Publisher
De Gruyter
Year
2014
Print ISBN
9783110301571
eBook ISBN
9783110371819

1 Prolog: Paulus als Herausforderung

1.1 AnnÀherung

Paulus war eine Reiseexistenz. Wie kein anderer vor oder nach ihm verband er unterschiedliche Kontinente, Kulturen und Religionen und schuf etwas bleibend Neues: das Christentum als Weltreligion1. Als erster wirklich grenzĂŒberschreitender Christ entwarf und lebte Paulus im Horizont der Parusie des Kyrios das neue Sein in Christus (ጐΜ ΧρÎčÏƒÏ„áż·). Dies ist das Band, das ihn mit den Christen aller Zeiten verbindet. Einzutauchen in seine Gedankenwelt bedeutet deshalb auch immer, dem eigenen Glauben auf der Spur zu sein. „Welcher Missionar, Prediger und Seelsorger kann sich ihm vergleichen, sowohl was die GrĂ¶ĂŸe der vollendeten Aufgabe als was die heilige Energie in ihrer AusfĂŒhrung betrifft!“2
Eine solche Persönlichkeit konnte nicht unumstritten bleiben. Schon in neutestamentlicher Zeit hatte man Probleme mit seinen subtilen GedankengĂ€ngen (vgl. 2Petr 3,15f). WĂ€hrend Paulus im Verlauf der Kirchengeschichte fĂŒr die einen zum Garanten ihrer Theologie (Augustin, M. Luther, K. Barth) und zur Kraftquelle theologischer und kirchlicher NeuaufbrĂŒche wurde, sahen andere im Völkerapostel nur einen Epigonen, der Jesu ursprĂŒngliche Lehre von Gott in Theologie auflöste und damit verfĂ€lschte. H. J. Schoeps findet es denkwĂŒrdig, „daß die christliche Kirche sich von einem den vĂ€terlichen Glaubensvorstellungen weithin entfremdeten Assimilationsjuden der hellenistischen Diaspora hat ein völliges Zerrbild vom jĂŒdischen Gesetz ĂŒberreichen lassen“.3 J. Klausner konstatiert: „Paulus fehlt bei all seiner BemĂŒhung um AutoritĂ€t und bei seiner Art, jeden zu mißachten und zu hassen, der nicht sein besonderes Evangelium oder seine ErmĂ€chtigung als Apostel anerkennt, eben das, was man die wahre geistige SouverĂ€nitĂ€t nennt.“4

1.2 Geschichtstheoretische Überlegungen

Wie soll man sich der vielschichtigen Persönlichkeit des Apostels Paulus nĂ€hern? Ist es ĂŒberhaupt möglich, das Leben und Denken des Paulus hinreichend zu erfassen? Wie muss eine Darstellung des Lebens und Denkens des Paulus aufgebaut sein? Um diese Fragen zu beantworten, sind hermeneutische und methodologische Überlegungen auf zwei Ebenen erforderlich: 1) Unter welchen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen vollzieht sich Geschichtsschreibung5? 2) Welche besonderen Probleme zeigen sich bei Paulus?

Das Entstehen von Geschichte

Im Zentrum der neueren geschichtstheoretischen Diskussion steht die Frage, wie sich historische Nachrichten und ihre Einordnung in den gegenwĂ€rtigen Verstehenszusammenhang des Historikers/Exegeten zueinander verhalten6. Das klassische Ideal des Historismus, nur zu „zeigen, wie es eigentlich gewesen“7 ist, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als ideologisches Postulat8. Die Gegenwart verliert mit ihrem Übergang in die Vergangenheit unwiderruflich ihren RealitĂ€tscharakter. Schon deshalb ist es nicht möglich, das Vergangene ungebrochen gegenwĂ€rtig zu machen. Der Zeitabstand bedeutet AbstĂ€ndigkeit in jeder Hinsicht, er verwehrt historisches Erkennen im Sinne einer umfassenden Wiederherstellung dessen, was geschehen ist9. Vielmehr kann man nur seine eigene Auffassung von der Vergangenheit in der Gegenwart kundtun. Vergangenheit begegnet uns ausschließlich im Modus der Gegenwart, hier wiederum in interpretierter und selektierter Form10. Relevant von der Vergangenheit ist nur das, was nicht mehr Vergangenheit ist, sondern in die gegenwĂ€rtige Weltgestaltung und Weltdeutung einfließt11. Die eigentliche Zeitstufe des Historikers/Exegeten ist immer die Gegenwart 12, in die er unentrinnbar verwoben ist und deren kulturelle Standards das Verstehen des gegenwĂ€rtig Vergangenen entscheidend prĂ€gen. Die Sozialisation des Historikers/Exegeten, seine Traditionen, seine politischen und religiösen Werteinstellungen prĂ€gen notwendig das, was er in der Gegenwart ĂŒber die Vergangenheit sagt13. Zudem sind auch die Verstehensbedingungen selbst, speziell die Vernunft und der jeweilige Kontext, einem Wandlungsprozess unterworfen, insofern die jeweilige geistesgeschichtliche Epoche und die sich notwendigerweise stĂ€ndig wandelnden erkenntnisleitenden Absichten das historische Erkennen bestimmen14. Jede wissenschaftliche Disziplin fĂŒhrt apriorische Axiome mit sich, die historisch entstanden sind. Die Einsicht in die Geschichtlichkeit des Erkenntnissubjektes fordert eine Reflexion ĂŒber seine Rolle im Erkenntnisprozess, denn das Subjekt steht nicht ĂŒber der Geschichte, sondern ist ganz und gar in sie verwickelt. Deshalb ist ‚ObjektivitĂ€t‘ als Gegenbegriff zu ‚SubjektivitĂ€t‘ völlig ungeeignet, um historisches Verstehen zu beschreiben15. Dieser Begriff dient vielmehr als literarische Strategie nur dazu, die eigene Position als positiv und wertneutral zu deklarieren, um so andere Auffassungen als subjektiv und ideologisch zu diskreditieren16. Das Erkenntnisobjekt kann nicht vom erkennenden Subjekt getrennt werden, denn das Erkennen verĂ€ndert immer auch das Objekt. Das im Erkenntnisvorgang gewonnene Bewusstsein von RealitĂ€t und die vergangene RealitĂ€t verhalten sich nicht wie Original und Abdruck17. Deshalb sollte nicht von ‚ObjektivitĂ€t‘, sondern von ‚Angemessenheit‘ oder ‚PlausibilitĂ€t‘ historischer Argumente gesprochen werden18. Schließlich sind jene Nachrichten, die als historische ‚Fakten‘ in jede historische Argumentation einfließen, in der Regel auch schon Deutungen vergangenen Geschehens. Nicht das wirklich vollzogene Geschehen ‚an sich‘ ist uns zugĂ€nglich, sondern nur die je nach Standort der Interpreten verschiedenen Deutungen vergangener Ereignisse. Jeder Wirklichkeitszugang des Menschen hat prinzipiell deutenden Charakter19, er ist nicht einfach Wirklichkeitsabbildung, sondern Interpretationsleistung des erkennenden Subjekts, das seine eigene Lebensgeschichte immer mit- und einbringt. Deshalb ist Deuten unausweichlich ein subjektiver, aber nicht subjektivistischer, willkĂŒrlicher Vorgang, sondern immer an allgemeine RealitĂ€tsvorgaben, an Kommunizierbarkeit (Logik, Sprache, Kritik) und die kulturellen Standards einer Gesellschaft gebunden. Das Leben muss in seinen mannigfaltigen BezĂŒgen gedeutet werden. Die gesamte Wirklichkeit des Menschen ist ein Auslegungsgeschehen, ein Interpretieren und ein Verstehen der Wirklichkeit. Daraus folgt: Geschichte wird nicht rekonstruiert, sondern unausweichlich und notwendigerweise konstruiert. Das verbreitete Bewusstsein, die Dinge nur ‚nachzuzeichnen‘ oder zu ‚re-konstruieren‘ suggeriert eine Kenntnis des UrsprĂŒnglichen, die es in der vorausgesetzten Art und Weise nicht gibt. Geschichte ist auch nicht identisch mit Vergangenheit, vielmehr immer nur eine gegenwĂ€rtige Stellungnahme, wie man Vergangenes sehen könnte. Deshalb gibt es keine ‚Fakten‘ im ‚objektiven‘ Sinn, sondern innerhalb historischer Konstruktionen bauen Deutungen auf Deutungen auf20. Es gilt: „es wird Geschichte, aber es ist nicht Geschichte.“21
Zu diesen erkenntnistheoretischen Einsichten kommen sprachphilosophische Überlegungen. Geschichte ist immer sprachlich gestaltete Vermittlung; Geschichte existiert nur, insofern sie zur Sprache gebracht wird. Historische Nachrichten werden erst durch die semantisch organisierte Konstruktion des Historikers/Exegeten zu Geschichte. Dabei fungiert die Sprache nicht nur zur Bezeichnung des Gedachten und dadurch zur Wirklichkeit Erhobenen, sondern die Sprache bestimmt und prĂ€gt jene Wahrnehmungen, die zu Geschichte organisiert werden22. Es gibt fĂŒr Menschen keinen Weg von der Sprache zu einer unabhĂ€ngigen außersprachlichen Wirklichkeit, denn Wirklichkeit ist fĂŒr uns allein in und durch Sprache prĂ€sent23. Geschichte ist somit nur als sprachlich vermittelte und gestaltete Erinnerung zugĂ€nglich. Sprache wiederum ist kulturell bedingt und unterliegt einem stĂ€ndigen gesellschaftlichen Wandel24, so dass es nicht verwundert, wenn historische Ereignisse zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kultur- und Wertekreisen abweichend konstruiert und bewertet werden. Die Sprache ist weitaus mehr als bloße Abbildung der Wirklichkeit, denn sie reguliert und prĂ€gt den Zugang zur Wirklichkeit und damit auch unser Bild von ihr. Zugleich ist Sprache aber auch nicht die Wirklichkeit, denn sie bildet sich wie im Verlauf der Menschheitsgeschichte insgesamt bei jedem Menschen im Rahmen seiner biologischen und kulturgeschichtlichen Entwicklung erst heraus und wird von diesem Prozess entscheidend und jeweils unterschiedlich beeinflusst25. Die stĂ€ndige VerĂ€nderung der Sprache ist ohne die sie bedingenden verschiedenen sozialen Kontexte nicht erklĂ€rbar26, d. h., der Zusammenhang von Zeichen und Bezeichnetem muss beibehalten werden, wenn man die RealitĂ€t nicht aufgeben will.

Geschichte als Sinnbildung

Geschichte ist somit immer ein selektives System, mit dem die Interpretierenden nicht einfach Vergangenes, sondern vor allem ihre eigene Welt ordnen und deuten. Sprachliche Konstruktion von Geschichte vollzieht sich deshalb stets auch als ein sinnstiftender Vorgang, der sowohl dem Vergangenen als auch dem GegenwĂ€rtigen Sinn, d.h. Deutungskraft zur Orientierung innerhalb der LebenszusammenhĂ€nge verleihen soll27. Historische Interpretation heißt, einen kohĂ€renten Sinnzusammenhang zu schaffen28; erst durch die Herstellung historischer ErzĂ€hlzusammenhĂ€nge werden die Fakten das, was sie fĂŒr uns sind29. Dabei mĂŒssen historische Nachrichten in der Gegenwart erschlossen und zur Sprache gebracht werden, so dass sich in der Darstellung/ErzĂ€hlung von Geschichte notwendigerweise ‚Fakten‘ und ‚Fiktion‘30, Vorgegebenes und schriftstellerisch-fiktive Arbeit miteinander verbinden31. Indem historische Nachrichten kombiniert, historische Leerstellen ausgefĂŒllt werden mĂŒssen, fließen Nachrichten aus der Vergangenheit und ihre Interpretation in der Gegenwart zu etwas Neuem zusammen32. Durch die Interpretation wird dem Geschehen eine neue Struktur eingezogen, die es zuvor nicht hatte33. Es gibt nur potentielle Fakten, denn es bedarf der Erfahrung und der Deutung, um das Sinnpotential eines Geschehens zu erfassen34. Fakten muss eine Bedeutung beigemessen werden und die Struktur dieses Interpretationsprozesses konstituiert das VerstĂ€ndnis der Fakten35. Erst das fiktionale Element eröffnet einen Zugang zur Vergangenheit, denn es ermöglicht die unumgĂ€ngliche Neuschreibung der vorausgesetzten Ereignisse. Die figurative Ebene ist fĂŒr die historische Arbeit unerlĂ€sslich, denn sie entfaltet den prĂ€figurierenden Plan der Interpretation, der die gegenwĂ€rtige Auffassung von der Vergangenheit bestimmt. GrundsĂ€tzlich gilt: Geschichte entsteht erst, nachdem das ihr zugrundeliegende Geschehen erfolgt ist und in den Status gegenwartsrelevanter Vergangenheit erhoben wurde, so dass notwendigerweise Geschichte nicht denselben RealitĂ€tsanspruch erheben kann wie die ihr zugrundeliegenden Ereignisse36. Deshalb kann auch ein Entwurf der Geschichte des Lebens und Denkens des Apostels Paulus immer nur ein AnnĂ€herungsakt an das vergangene Geschehen sein, der sich seiner geschichtstheoretischen Voraussetzungen, seines konstruktiven Charakters und der Probleme seiner DurchfĂŒhrung bewusst sein muss.

Sinn- und Geschichtsbildung bei Paulus

Welche besonderen Probleme der Geschichtsschreibung ...

Table of contents

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Prolog: Paulus als Herausforderung
  6. I. Hauptteil: Der Lebens- und Denkweg
  7. II. Hauptteil: Grundstrukturen paulinischen Denkens
  8. Literaturverzeichnis
  9. Autorenregister
  10. Stellenregister (in Auswahl)