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Automatisierte Therapiesysteme
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Der neunte Band der Lehrbuchreihe Biomedizinische Technik behandelt umfassend das Themengebiet der ingenieurwissenschaftlichen und klinischen Entwicklung sensorgesteuerter und automatisch geregelter Therapiesysteme, wie z. B. aktiven Implantate oder Transplantate zur Wiederherstellung physiologischer Organfunktionen.
Der Fokus liegt dabei im interdisziplinären Entwurf extra- und intrakorporaler technischer Systeme, die mit physiologischen Funktionssystemen des Körpers, insbesondere des Herzens, des Kreislaufs, der Atmungsorgane, der Nieren, der Leber, der Bauchspeicheldrüse und der Motorik interagieren, kooperieren oder zum Teil diese sogar ersetzen.
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Information
1 Automatisierte Therapiesysteme: Methoden und Zielsetzungen
1.1 Automatisierungstechnik
1.2 Automatisierte Therapiesysteme
1.3 Automatisierungstechnisches Ziel: Funktionswiederherstellung und Organersatz
1.4 Analogie Prozessführungssystem/Patient-Arzt-Maschine-System
Zusammenfassung: Automatisierte Therapiesysteme unterstützen oder ersetzen physiologische Funktionssysteme oder Organe des menschlichen Körpers. In der Regel kommt es dabei zu einer Kooperation von technischen und physiologischen (Teil-)Systemen. Daher erfordern Entwurf und Entwicklung derartiger Systeme interdisziplinäre Kenntnisse der Automatisierungstechnik, der Physiologie und der Pathophysiologie. In diesem Kapitel werden einführend die grundlegenden Begriffe Automatisierungstechnik und automatisierte Therapiesysteme, deren Methoden und Zielsetzungen, sowie die Analogie von Patient-Arzt-Maschine-Systemen mit technischen Prozessführungssystemen erläutert.
Abstract: Automated therapy systems support or substitute physiological systems or organs of the human body. Usually, they rely on a cooperation of technical and physiological (sub)systems; thus design and development of such systems require interdisciplinary knowledge of automation engineering, physiology, and pathophysiology. This chapter presents an introduction to the basic terms automation engineering and automated therapy systems, to their methods and goals, as well as to the analogy of patient–doctor–machine–systems with technically guided processes.
dp n="38" folio="2" ? 1.1 Automatisierungstechnik
Die Methoden und Werkzeuge der Automatisierungstechnik ermöglichen, beliebige Prozesse in ihrem selbsttätigen Ablauf so zu gestalten, dass auch bei vorliegenden internen und externen Störungen vorgegebene Ziele erreicht werden.
Die ▶ Automatisierungstechnik ist eine Ingenieurwissenschaft, die sich mit selbsttätig arbeitenden Maschinen und Anlagen befasst. Zielsetzung ist, Prozesse in ihrem selbsttätigen Ablauf ggf. auf mehreren Ebenen so zu gestalten und zu beeinflussen, dass auch bei vorliegenden internen und externen Störungen vorgegebene Ziele erreicht werden. Der gerätetechnischen Umsetzung geht in der Regel eine mathematische Systemanalyse und -synthese voraus.
Mit der oben beschriebenen allgemeinen Zielsetzung hat sich die Automatisierungstechnik trotz mancher emotionaler Vorbehalte in allen Lebensbereichen etabliert. Die heutigen Fahrzeug- und Verkehrssysteme, die Produktions-, Logistik- und Verfahrenstechnik sowie die Kommunikations- und Datentechnik sind ohne automatisierungstechnische Assistenz nicht mehr denkbar. Die Einflussnahme auf die Prozesse kann auf mehreren hierarchisch gegliederten Ebenen (s. ▶ Abb. 1.1) erfolgen. Die für Entwurf und Ausführung des Gesamtsystems Verantwortlichen sollten auf jeder Stufe entscheiden können, welcher Grad an Automatisierung realisiert werden soll und in welchem Ausmaß sie sich Entscheidungs- und Einwirkungsmöglichkeiten vorbehalten wollen und müssen.

Abb. 1.1: Beispiel eines hierarchischen Automatisierungskonzeptes.
Das theoretische Fundament jeder Automatisierung bildet insbesondere die System- und Regelungstheorie, deren Grundlagen, Definitionen und Methoden in ▶ Kap. 2 (mit zahlreichen Weiterentwicklungen und Randgebieten) zusammenfassend dargestellt werden. Sie ermöglicht es, Systeme und Prozesse unabhängig von ihrer physikalischen Erscheinungsform abstrakt mathematisch darzustellen und zu analysieren und sie mit adäquaten Zusatzkomponenten wie Sensoren, Prozessoren, Aktoren so zu einem automatischen Gesamtsystem zusammenzufügen, dass das Erreichen der definierten Ziele garantiert werden kann.
Natürlich beschäftigt sich die moderne Regelungstechnik längst nicht mehr vornehmlich mit einfachen Steuerungen und Regelungen (genaue Definition und Differenzierung s. ▶Kap. 2), sondern weitgehend mit hierarchischen Automatisierungskonzepten und -systemen. Sie hat sich damit zu einer umfassenden Automatisierungstechnik entwickelt. ▶ Abb. 1.1 zeigt schematisch eine typische technische Mehrebenenautomatisierung mit Steuerungen und Regelungen auf der unteren Ebene, übergeordneten Optimierungen und weiteren Steuerebenen: z. B. Überwachung, Planung/Programmierung, Qualitätskontrolle, Zielvorgabe und -anpassung.
Auch die Informationsverarbeitung des menschlichen Körpers ist durch solche komplexe hierarchische Strukturen gekennzeichnet. Die Prinzipien der Steuerung und Regelung sind eigentlich gar keine technischen Erfindungen, sind sie doch in den natürlichen Abläufen der Biologie, Ökologie und Physiologie, der Ökonomie und Soziologie seit jeher präsent. Allerdings ermöglichte erst die moderne System- und Regelungstheorie die Analyse auch dieser nichttechnischen Systeme und damit einen Einblick in ihre Funktionsweise.
1.2 Automatisierte Therapiesysteme
Selbstverständlich hat auch die Automatisierung Einzug in die Medizintechnik gehalten. Das betrifft zunächst die rein technische Ausstattung, beginnend bei einfachen automatischen Steuerungen für Messgeräte der physiologischen Funktionsanalyse und der klinischen Diagnostik bis hin zu vollautomatischen Analyse- und Auswertesystemen der Klinischen Chemie sowie vielfältigen Werkzeugen, Instrumenten und Geräten der Therapie. Die klassische medizinische Laborautomatisierung ist dadurch gekennzeichnet, dass in der Regel kein direkter Kontakt und Informationsaustausch mit dem Patienten und dem Arzt während der Analyse stattfindet. Die dort zum Einsatz kommenden Systeme sind im Allgemeinen während des Prozessablaufs weder interaktiv noch kooperativ.
Ein ▶ Kooperatives System ist ein technisches System, das den Menschen (Operator, Fahrzeug-oder Prozessführer, Patienten, Arzt usw.) im Rahmen eines beidseitig gerichteten Informationsaustausches unterstützt.
Ein ▶ Autonomes System ist ein technisches System, das völlig unabhängig und selbstständig den Menschen oder Teilfunktionen von ihm ersetzt.
Ausbildungs-, Trainings-, Assistenz- und Interventionssysteme (vgl. insbesondere ▶ Band 8), die in der medizinischen Ausbildung, zum Erlernen oder zum Training neuer Behandlungsmethoden sowie für die Planung und Durchführung therapeutischer Intervention eingesetzt werden, stehen in direkter Wechselwirkung mit dem Patienten und/oder dem medizinischen Personal. Diese Systeme sind in dem Sinne interaktiv, dass Information und Energie zwischen Mensch und System ausgetauscht werden, wobei der Vorgang durch den Menschen bestimmt wird. Sie sind insoweit auch kooperative Systeme, da sie den Menschen bei der Durchführung seiner Absichten unterstützen. Das gilt vor allem für die direkt im Operationsbereich eingesetzten Assistenz- und Robotiksysteme, die den Arzt nicht bevormunden und schon gar nicht ersetzen sollen, die ihn aber bei chirurgischen, namentlich auch minimalinvasiven Eingriffen interaktiv unterstützen können.
▶ Automatisierte Trainings- und Therapiesysteme sind besonders anspruchsvoll in der Analyse und Synthese, da sie physiologische Funktionssysteme unterstützen oder im Extremfall ersetzen. Es kommt in der Regel zu einer Kooperation von technischen und physiologischen (Teil-)Systemen.
Der Entwurf und die Entwicklung automatisierter Trainings- und Therapiesysteme erfordern eine besonders enge Zusammenarbeit von Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Klinikern sowie weit überlappende Kenntnisse in den beteiligten Disziplinen. Es sind aktive Systeme, die mit den verbleibenden Körperfunktionen kooperieren und für unterschiedlich lange Intervalle, auch autonom, d. h. ohne Eingriff des Arztes oder des Patienten, den Gesamtprozess steuern und optimieren. Die Beschreibung der wichtigsten dieser Systeme ist Gegenstand des vorliegenden Bandes (▶ Band 9) der Lehrbuchreihe „Biomedizinische Technik“.
1.3 Automatisierungstechnisches Ziel: Funktionswiederherstellung und Organersatz
An Systeme zur Funktionswiederherstellung und zum Organersatz sind erhöhte Anforderungen an Sicherheit und Zuverlässigkeit zu stellen, da sie oft lebenswichtige Funktionen erhalten oder ersetzen. Dabei ist die Zielsetzung des Entwurfs dieser Systeme nicht mehr ausschließlich Lebenserhaltung, sondern darüber hinausgehend die möglichst weitgehende Wiederherstellung der ursprünglichen physiologischen Funktion und damit einer normalen Lebensqualität. Den gegenwärtigen Ansätzen gemeinsam ist das Ziel, Produkte zu erzeugen, die eine optimale Kooperation in einem „hybriden“ (d. h. physiologischen und technischen) Gesamtsystem gewährleisten.
Das entspricht der Mehrschrittstrategie der klassischen Regelungstechnik:
- – Analyse des funktionellen und dynamischen Verhaltens des vorgegebenen Teilsystems
- – Entwurf geeigneter Steuer- und/oder Regelsysteme
- – Synthese und Optimierung der Kooperation des Gesamtsystems.
Auf diese Art und Weise gelingt es, Steuerungen, Regelungen und Automatisierungen für praktisch alle technischen und eben auch nichttechnischen Prozesse, unabhängig von ihrer physikalischen Erscheinungsform, zu realisieren. Es sind der Systemansatz und insbesondere die dynamische Systemanalyse als Denk- und Arbeitsmethodik, die es ermöglichen, sich auf sehr unterschiedlichen Feldern, so auch in der Medizintechnik, mit vergleichbarem Erfolg zu bewähren. Hierbei kommt dem in der System-und Regelungstechnik Ausgebildeten die inhärente Bereitschaft zugute, so tief wie möglich in die dynamischen Interaktionen der vorgegebenen Systeme einzudringen, um letztlich in Abstimmung mit den kooperierenden Ärzten auch Verantwortung für das biologisch-technische Hybridsystem zu übernehmen. Das ist ein essenzieller Unterschied zu vielen anderen Bereichen der Medizintechnik, in denen es darum geht, dem Arzt ein neues Offline-Werkzeug oder -Hilfsmittel zu übergeben, mit der Zielsetzung, deren Verwendbarkeit und Nützlichkeit a posteriori zu überprüfen und es ggf. in sein Instrumentarium einzuordnen. Die Zielsetzung, weitgehend autonome, selbstoptimierende, mit den Körpersystemen kooperierende Systeme zu entwickeln, die – sei es als aktive Implantate oder extrakorporale Systeme – durch den verantwortlichen Arzt in adäquaten Abständen zu überwachen und zu adaptieren sind, geht im Kern wesentlich darüber hinaus: Es wird eben nicht nur ein „Gerät“ entwickelt, sondern ein medizinisches Problem, eine ärztliche Aufgabe, die Wiederherstellung einer Körperfunktion wird gemeinsam mit den Ärzten unter Einsatz ingenieurwissensc...
Table of contents
- Biomedizinische Technik
- Titel
- Impressum
- Vorwort zur Lehrbuchreihe Biomedizinische Technik
- Vorwort zu Band 9 der Lehrbuchreihe Biomedizinische Technik – Automatisierte Therapiesysteme
- Inhaltsverzeichnis
- Hinweise zur Benutzung
- Verzeichnis der Abkürzungen
- Verzeichnis der Formelzeichen und Symbole
- Verzeichnis der Indizes
- 1 Automatisierte Therapiesysteme: Methoden und Zielsetzungen
- 2 Grundlagen der System- und Regelungstechnik
- 3 Regelkreise des menschlichen Körpers
- 4 Elektrotherapie des Herzens mittels Herzschrittmacher
- 5 Elektrotherapie des Herzens mittels Defibrillatoren
- 6 Kreislaufunterstützungssysteme und Künstliches Herz
- 7 Beatmungstechnik
- 8 Narkosetechnik
- 9 Herz-Lungen-Maschine und extrakorporale Membranoxygenierung
- 10 Dialysetechnik
- 11 Temporäre Leberunterstützung
- 12 Artifizielles Pankreas
- 13 Funktionelle Elektrostimulation nach Querschnittlähmung und Schlaganfall
- 14 Verfahren in der neurologischen Bewegungstherapie
- Schlusswort
- Autorenverzeichnis
- Bandspezifisches Glossar
- Sachwortverzeichnis