Kapitel 1
WIE ALLES BEGANN
Wie so oft ist der Zufall entscheidend für einen Wendepunkt im Leben – eine schwere Krankheit zwang mich, mit der Arbeit in unserer Spedition aufzuhören. Tag und Nacht habe ich gearbeitet, um mit dem Unternehmen am Ball zu bleiben, jahrelang, keinen Tag Freizeit, kein Wochenende. Bereits ein Jahr zuvor war ich nach einer Operation – einer von 10.000, bei der es zu Komplikationen kommt – fünf Tage lang blind. Aber ich hatte Glück und bekam am sechsten Tag mein Augenlicht zurück. Jetzt stand ich an dem Punkt, an dem ich weder sprechen noch laufen konnte. Meine ganze Motorik funktionierte nicht wirklich.
Mehr und mehr reifte in mir der Entschluss, mein altes Leben hinter mir zu lassen und das zu tun, wovon ich schon immer geträumt hatte: ein Leben mit den Tieren. Am besten mitten in der Natur auf einer kleinen Farm. Gut, eine kleine Farm war nicht realisierbar und ist es bis heute nicht. Aber wer weiß, vielleicht würden dann auch meine schönen Träume davon enden. Nachdem es mir etwas besser ging, beschloss ich, von dem bisschen Ersparten zwei Jahre Urlaub zu machen und nur mit den Tieren und der Kamera das Leben zurückzuholen. Von da an hatte ich die Kamera überall dabei. Ich versuchte, meine fotografischen Ideen umzusetzen – zunächst mit eher mäßigem Erfolg. Insbesondere von Shootings von actionreichen Bewegungsbildern kam ich meist nass geschwitzt und völlig frustriert zurück. Die richtige Ernüchterung kam am Computer, denn die Bildbearbeitung war ebenfalls mäßig.
Meine ersten Bilder waren eine Katastrophe, aber aufgeben kam nicht infrage – dafür hatte ich zu viele Ideen und zu viel Spaß. Außerdem ging es mir gesundheitlich von Tag zu Tag besser. Ich nahm an zwei Tierfotografie-Workshops teil, schlich weiter mit der Kamera durch die Wälder und über die Wiesen und knipste, was das Zeug hielt. Die Nächte verbrachte ich am Computer, analysierte meine Bilder und lernte nach und nach den Umgang mit Adobe Photoshop. Ich probierte einfach viel aus. Tiere faszinieren mich bereits seit meiner Kindheit. Jedes Tier, das ich verletzt irgendwo aufgelesen hatte, päppelte ich zu Hause wieder auf – egal um welche Tierart es sich handelte. Hunde begleiten mich mein ganzes Leben lang, meine sonstigen Favoriten aus dem Tierreich sind Eulen, Greifvögel, Hyänen, Wölfe und Geparde. Am liebsten hätte ich alle zu Hause gehabt, aber realistisch schienen nur Eulen und Greifvögel zu sein – und das auch nur, wenn ich im Besitz eines Falknerscheins war, den man nur machen kann, wenn man vorab den Jagdschein absolviert hat. Der Plan nahm immer konkretere Formen an, und innerhalb kurzer Zeit hatte ich meinen Jagd- und Falknerschein.
Klaus-Bärbel, mein heimlicher Liebling.
ISO 400 :: f/6.3 :: 1/500 s
Die Wüstenbussarde kamen und Poldi, der Steinkauz. So zog ich mit den Tieren durch die Gegend. Poldi, der Poldinator, beeindruckte nicht nur mich mit seinem Mut, seiner stoischen Ruhe, seinem zerquetschenden Blick und einer Coolness, von der ich mir auch nur einen Bruchteil wünschen würde. Aus Ingo hat er einen besseren Hund gemacht. Ingo war ein Eigenbrötler, nichts und niemandem gut gesonnen, er mochte weder andere Menschen noch Hunde oder sich selbst. Deshalb hatte auch keiner Lust, sich mit ihm zu beschäftigen. Bis der kleine Poldi kam. Bei der ersten ungewollten Begegnung blieb mir das Herz stehen. Aber nur mir – Poldi nicht. Ingo war ziemlich perplex, dass dieses befiederte winzige Etwas nicht einen Hauch von Respekt vor ihm hatte. Der Anfang einer tollen, ungewöhnlichen Freundschaft. Wir hatten viel Spaß, ich machte eine Menge Bilder, und wann immer es mir schlechter ging, zog ich mit Ingo und Poldi los.
Katastrophenbilder.
ISO 180 :: f/3.2 :: 1/400 s
Phönix, der Wüstenbussard, kreiste in der Luft über uns, und wir setzten uns derweil auf unsere Bank, von der aus wir entspannt und ruhig die Rehe auf der anderen Talseite beobachteten. Wir rannten über Wiesen, ließen uns ins Gras fallen. Phönix landete huldvoll neben uns. Keine Menschen, kein Handyempfang. Ich glaube, wir fühlten uns wie die letzten Mohikaner.
Eine schöne Zeit, und die Tage gingen ins Land – bis eine große Seite auf Facebook meine Bilder von Ingo und Poldi entdeckte. Es dauerte nicht lange, und ich wurde belagert von Zeitungen, Fernsehen und einer Menge Menschen, die einfach unangemeldet vor meiner Tür standen. Leider war auch ein anonymer Anrufer darunter, der damit drohte, meine Tiere zu vergiften.
Blicke sagen mehr als Worte.
ISO 500 :: f/5.6 :: 1/400 s
Ingo und Poldi, der Beginn einer großen Freundschaft.
ISO 400 :: f/9 :: 1/250 s
Wenn man nur wüsste, was Phönix Ingo gerade ins Ohr flüstert.
ISO 220 :: f/13 :: 1/320 s
ISO 140 :: f/8 :: 1/320 s
Glück ist wichtiger als Erfolg und Ruhm.
ISO 400 :: f/2.8 :: 1/1000 s
In der Zwischenzeit bekam ich von allen Seiten Anfragen, ob ich nicht Fotoshootings anbieten könnte. Selbst die Nachfrage nach meinen Photoshop-Collagen stieg deutlich. Bis dato hatte ich das alles kostenlos gemacht. Nun gut, ich schrieb meinen ersten Workshop aus und war so was von aufgeregt. Schon immer scheute ich alles, was mit Öffentlichkeit zu tun hat. Fernsehen war das Schrecklichste für mich, und von all den Zeitungsartikeln über uns las ich keinen einzigen. Ich habe sie alle in der Schublade gesammelt, und es waren wirklich viele. Das ist bis heute so geblieben.
Ein italienischer Buchverlag schrieb uns mit dem Ansinnen an, dass sie ein Bild für ein Buchcover suchten. Aus einer riesigen Menge von Bildern wurde am Ende mein Bild von Ingo ausgewählt. Jennifer Holland fragte an, ob sie ein Kapitel v...