Friedrich Schiller: Über die Ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen
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Friedrich Schiller: Über die Ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen

Gideon Stiening, Gideon Stiening

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Friedrich Schiller: Über die Ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen

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Friedrich Schillers Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen aus dem Jahre 1795 gehört zu den wirkmächtigsten theoretischen Texten zur Schönheit und zur Kunst um 1800. Wie aus den Forschungen zu Hölderlin, Jean Paul, Herder, den Brüdern Schlegel, Schelling u.v.m. bekannt ist, wurden Schillers Briefe umgehend nach ihrem Erscheinen gelesen und kritisch für die je eigene Entwicklung verarbeitet. Noch Hegel und Vischer bezogen sich in ihren umfassenden Ästhetiken um die Mitte des 19. Jahrhunderts kritisch und affirmativ auf Schillers großen Wurf. Darüber hinaus vermag Schiller der rousseauschen Aufklärungs- und Kulturkritik eine Form zu geben, die bis ins späte 20. Jahrhundert – so bei Habermas – ihre Wirksamkeit behält. In diesen "gelehrten Briefen" gelingt Schiller mithin nicht nur eine Legitimation der Kunst in Zeiten revolutionären Umbruchs in Europa, sondern auch eine integrative Vermittlung zeitgenössischer Philosophie von Kant über Reinhold bis Fichte im Zeichen der Ästhetik.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2019
ISBN
9783110415582

1 Einleitung

Gideon Stiening

1.1 Der Einfluss der Ästhetischen Briefe auf die Ästhetik um 1800

Friedrich Schillers Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, die im Januar, Februar und Juni 1795 in des Autors eigener Zeitschrift, Die Horen, erschienen, gehört zu den wirkmächtigsten theoretischen Texten zur Schönheit und zur Kunst um 1800. Wie wir von Christian Garve, Friedrich Nicolai, Johann Gottfried Herder, den Brüdern Schlegel, Friedrich Hölderlin, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel u.v.m. wissen, wurden Schillers ‚Briefe‘ umgehend nach ihrem Erscheinen gelesen und kritisch für die je eigene Entwicklung verarbeitet. Friedrich Hölderlin plante gar schon Anfang 1796, also nur wenige Wochen nach der Publikation der letzten der 27 Briefe Schillers, Neue Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen zu verfassen.1 Der enorme Einfluss der in der populären Form von Briefen geschriebenen Abhandlung Schillers gilt nicht nur hinsichtlich der theoretischen Positionen der zeitgenössischen Autoren, sondern auch für deren literarische Produktion. Noch Hegel und Friedrich Theodor Vischer bezogen sich in ihren umfassenden Ästhetiken bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kritisch und affirmativ auf Schillers großen Wurf.2 Von Wilhelm von Humboldt bis Wilhelm Dilthey zelebrierte eine kulturpolitisch interessierte Geisteswissenschaft ihre Schiller-Verehrung, die die Briefe als den systematischen Gipfelpunkt aller Ästhetik feierte.3 Und auch das 20. Jahrhundert lässt mit den kritischen Sichtungen der Briefe durch Georg Lukács, Theodor W. Adorno oder Jürgen Habermas den Einfluss auf die systematische Kulturkritik und Ästhetik erkennen.
Welche Gründe lassen sich für diese enormen Wirkungen eines Textes namhaft machen, der kaum als einheitlicher zu bezeichnen ist, und zwar weder in systematischer Hinsicht noch im Hinblick auf seine Produktionsbedingungen sowie seine Publikationsform? Entscheidend für diesen Erfolg dürften wohl zwei Kontexte gewesen sein, die man mit den Stichworten Kant und Französische Revolution zunächst benennen kann und die in unterschiedlicher Weise den Gehalt des Textes und seine Wirkung nachhaltig prägten. Schiller gelingt es dabei, diese beiden, die 1790er Jahre prägenden Kontexte so zu reflektieren und für eine zukünftige Ästhetik und Kunst zu vermitteln, dass eine über die Entstehungszeit und deren Bedingungen hinaus prägenden Konzeption des Schönen und der Kunst entsteht, die zu einer kritischen Auseinandersetzung bis in die Gegenwart herausfordert.

1.2 „Größtenteils Kantische Grundsätze“? Schillers Kant-Rezeption

Schiller hatte schon 1791 nach einer ersten Lektüre der Kritik der Urteilskraft erkannt,4 dass nicht allein der Ästhetik als einer seit Georg Friedrich Meier und Alexander Baumgarten etablierten „Theorie der schönen Wissenschaften und Künste“, sondern auch den Künsten selbst durch Kants Theorie des Geschmacksurteils eine enorme Herausforderung erwuchs. Das Skandalon der kantischen Konzeption zum ästhetischen Urteil bestand zum einen darin, dass sie ausdrücklich keine wissenschaftliche Gegenstandsästhetik sein konnte, weil das Gefühl des Schönen und Erhabenen zwar Urteile mit subjektivem Allgemeinheitsanspruch veranlasste, die aber nicht zu einer Wissenschaft auszubauen waren, weil sie mit keinem bestimmten Begriff operierten. Zum anderen ermöglichte das „Interesselose Wohlgefallen“, das Kant als ein zentrales Moment jener Empfindung des Schönen erläutert hatte, eine nur mittelbare Verknüpfung von Natur- und Kunstschönheit mit der normativen Kraft einer Tugendethik. Und diese praktische Konsequenz der Kritik der Urteilskraft bedrängte Schiller und seine die Briefe weithin rezipierenden Zeitgenossen stärker noch als das Problem der Begriffslosigkeit des Schönen. Denn sowohl die von Gottsched ausgehende rationalistische als auch die von Lessing popularisierte empiristische Variante deutschsprachiger Poetiken gingen in ihrem Verständnis von Dichtung von einer strengen Verbindung von Literatur und Moral nachgerade selbstverständlich aus. Hatte Gottsched die Dichtung als Veranschaulichung moralischer Maximen definiert, so sah Lessing in der Dichtung ein bedeutendes Instrument zur Kultivierung des moralischen Gefühls und damit moralischer Gesinnung. Der ‚mitleidigste als der beste Mensch‘ sollte durch eine in ihrer moraldidaktischen Funktion reflektierte Dichtung kultiviert werden. Schiller selbst hatte 1784 die „Schaubühne als moralische Anstalt“ gegen die seit dem Sturm und Drang und den Aktualisierungen des Materialismus einflussreichen Tendenzen einer Trennung von Ethik und Ästhetik verteidigt. Diese Tendenzen schien nun ausgerechnet Kant mit seiner Konzeption von der „Schönheit als Symbol der Sittlichkeit“ (AA V, 351 ff.) – also einer höchst mittelbaren Verknüpfung von Ethik und Ästhetik – von neuem zu befördern, allerdings ohne Affinitäten zu Schwärmereien und Materialismen zu zeigen, sondern vielmehr, wie Schiller mit Garve und Feder annahm, zu einer Wiederkehr traditioneller Metaphysik tendierte. Es gab also eine Fülle von Gründen für den Jenaer Literaten und Literaturtheoretiker, kritisch auf die Kritik der Urteilskraft zu reagieren.
Seit 1791 suchte Schiller daher in einer Reihe von Texten durch eine kritische Auseinandersetzung mit Kant seine eigene Konzeption von Schönheit und Kunst neu zu gewinnen, allerdings so, dass diese neue Ästhetik nicht hinter das von Kant erreichte philosophische Niveau zurückfallen sollte. Dabei nahm Schiller erhebliche Mühen auf sich, einerseits Kant verstehend gerecht zu werden, andererseits die für ihn drängenden Problemlagen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft zu lösen. Diese erste Phase der Auseinandersetzung mit Kant kulminiert erkennbar in den 1792 verfassten, zu Lebzeiten aber unpubliziert gebliebenen ‚Kalliasbriefen‘ (SW V, 394 – 433) sowie der 1793 in der Neuen Thalia veröffentlichten Abhandlung Über Anmut und Würde. Vor allem in dieser Abhandlung, die die wohl größte Nähe zu Kant dokumentiert, zeigt sich, dass Schiller schon früh von einer Auseinandersetzung mit Kants praktischer Philosophie ausgehend seine neue Verknüpfung von ästhetischem und moralischen Gefühl sowie die kulturpolitische Bedeutung dieser Vermittlung ins Auge gefasst hat. Dass Schiller in dieser Auseinandersetzung mit Kant von einem nicht hinreichenden Verständnis auch und gerade der praktischen Philosophie des Transzendentalphilosophen getragen wurde, eröffnet seine Kritik an Kants Ethik. Deren Strenge belege nämlich, dass der Philosoph diese Theorie nur für undisziplinierte „Knechte“, nicht aber für die der Bildung fähigen „Kinder“ des Hauses entworfen habe:
In der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finstern und mönchischen Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen. […] Womit aber hatten es die Kinder des Hauses verschuldet, daß er nur für die Knechte sorgte? (SW V, 465 f.)
Im Zentrum geht es Schiller um die Frage, ob die Erfüllung ethischer Pflichten nicht auch durch Neigungen begleitet werden dürfte, um deren Realisierungsgarantien zu erhöhen. Schiller ist allerdings neben dieser Dimension einer ‚Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft‘ auch daran interessiert zu belegen, dass eine Berücksichtigung der menschlichen Neigungen bei der Formierung ethischer Prinzipien und Maximen das Gefahrenpotential der menschlichen Leidenschaften grundsätzlich minimieren könne, weil er sicher ist, dass eine durch ethische Normen nur ‚unterdrückte‘ Natur – jener Kampf also gegen eine ‚Tyrannei der Leidenschaften‘ bzw. des ‚Sinnenhanges‘, von der nicht nur Kant (AA V, 433), sondern auch Mendelssohn5 oder Sulzer6 sprachen – zu einer Gegenwehr der Natur führen müsse. Neigungen zur Pflicht (vgl. hierzu Höffe 2006) erhöhten also nicht allein die Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung moralischer Vorschriften, sie bänden auch jenen „Feind“, die menschliche Natur, von vorherein in die Konstitution moralischer Gesinnung ein. Schiller will die Natur als Feind nicht „niederdrücken“, sondern wahrhaft überwinden (SV V, 465). Nur wer für sich als natürliches Individuum will, was er für das ethische Allgemeine tun soll, hat die Zwänge ethischer Vorschriften wahrhaft überwunden, weil schon die Sinne begehren, was die praktische Vernunft fordert. Wie viele andere Aufklärer hadert Schiller mit dem Zwangscharakter rechtlicher und ethischer Normativität, der zugunsten einer freiwilligen Annahme ihrer Inhalte, d. h. ihrer Internalisierung, überwunden werden soll.
Kant hat auf diesen Vorwurf gelassen und höflich reagiert, anders als gegenüber Herder, Forster oder gar Feder. In der 1794 publizierten zweiten Auflage seiner Schrift Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft macht Kant nämlich freundlich aber bestimmt darauf aufmerksam, dass Schiller ihn eindeutig missverstanden habe:
Herr Prof. Schiller mißbilligt in seiner mit Meisterhand verfaßten Abhandlung (Thalia 1793, 3tes Stück) über Anmut und Würde in der Moral diese Vorstellungsart der Verbindlichkeit, als ob sie eine kartäuserartige Gemüthsstimmung bei sich führe; allein ich kann, da wir in den wichtigsten Principien einig sind, auch in diesem keine Uneinigkeit statuieren; wenn wir uns nur unter einander verständlich machen können. – Ich gestehe gern: daß ich dem Pflichtbegriffe, gerade um seiner Würde willen, keine Anmuth beigesellen kann. Denn er enthält unbedingte Nöthigung, womit Anmuth in geradem Widerspruch steht. Die Majestät des Gesetzes (gleich dem auf Sinai) flößt Ehrfurcht ein (nicht Scheu, welche zurückstößt, auch nicht Reiz, der zur Vertraulichkeit einladet), welche Achtung des Untergebenen gegen seinen Gebieter, in diesem Fall aber, da dieser in uns selbst liegt, ein Gefühl des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung erweckt, was uns mehr hinreißt als alles Schöne. – Aber die Tugend, d. i. die fest gegründete Gesinnung, seine Pflicht genau zu erfüllen, ist in ihren Folgen auch wohlthätig, mehr wie Alles, was Natur oder Kunst in der Welt leisten mag; und das herrliche Bild der Menschheit, in dieser ihrer Gestalt aufgestellt, verstattet gar wohl die Begleitung der Grazien, die aber, wenn noch von Pflicht allein die Rede ist, sich in ehrerbietiger Entfernung halten. Wird aber auf die anmuthigen Folgen gesehen, welche die Tugend, wenn sie überall Eingang fände, in der Welt verbreiten würde, so zieht alsdann die moralisch-gerichtete Vernunft die Sinnlichkeit (durch die Einbildungskraft) mit ins Spiel. Nur nach bezwungenen Ungeheuern wird Herkules Musaget, vor welcher Arbeit jene gute Schwestern zurück beben. Diese Begleiterinnen der Venus Urania sind Buhlschwestern im Gefolge der Venus Dione, sobald sie sich ins Geschäft der Pflichtbestimmung einmischen und die Triebfedern dazu hergeben wollen. (AA VI, 23)
Kant macht hier in großer Anschaulichkeit klar, dass Schiller einerseits einem nachmals nach ihm benannten Missverständnis aufgesessen sei, insofern er behauptet, Kant habe jede Zustimmung der Neigung zur moralischen Pflicht untersagt; vielmehr sei zutreffend, so Kant, dass man durchaus den Inhalt einer Pflicht auch um seiner selbst willen wollen darf, allerdings entstehe die Verbindlichkeit der Norm nicht durch die Zugabe der Sinnlichkeit oder der Schönheit....

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