1 Biologie und Physiologie des Implantatlagers unter BerĂŒcksichtigung von Transplantationsverfahren
1.1 Einleitung
Mit der EinfĂŒhrung enossaler Implantate in die Zahnheilkunde wurde dem Behandler die Möglichkeit eröffnet, auch bei Verlust mehrerer, vor allem strategisch wichtiger ZĂ€hne festsitzende prothetische Versorgungen durchzufĂŒhren und somit herausnehmbaren Ersatz in vielen FĂ€llen zu vermeiden. Doch waren es zunĂ€chst die Menge und die QualitĂ€t des Knochens, die die vielfĂ€ltigen Möglichkeiten implantatgetragener Restaurationen einschrĂ€nkten. Schon sehr frĂŒh nach dem Entfernen von ZĂ€hnen zeigt sich zunĂ€chst ein Verlust der Breite und anschlieĂend auch der Höhe des Alveolarfortsatzes.20,21 Ein Defizit in der horizontalen Relation konnte durch besondere Implantatformen, wie Blatt- oder Klingenimplantate, ausgeglichen werden, deren Möglichkeiten jedoch beschrĂ€nkt und deren Langzeitprognosen unsicher waren.59,128 In der Folgezeit wurde ein Vielzahl von Verfahren entwickelt, um verlorenen Alveolarknochen zu regenerieren bzw. zu reparieren.23,88 Hierbei zeigte sich, dass das VerstĂ€ndnis der Anatomie und Physiologie des Knochens von entscheidender Bedeutung fĂŒr den Einsatz und den Erfolg dieser Verfahren war.157 Ziel dieses Kapitels ist eine Darstellung der GrundzĂŒge des Knochenstoffwechsels zum besseren VerstĂ€ndnis der Transplantationsverfahren.
1.2 Die Zellen des Knochenstoffwechsels
Eine BeschrĂ€nkung der Darstellung des Knochenstoffwechsels auf die beiden Zelllinien der Osteoblasten/ Osteozyten und Osteoklasten kann der KomplexitĂ€t der VorgĂ€nge, an denen eine Vielzahl von Mediatoren, Hormonen, Zellen und Stoffwechselprodukten beteiligt ist, nicht gerecht werden. Dennoch mĂŒssen hier zunĂ€chst die beiden wichtigsten Zellgruppen des Knochens beschrieben werden.
1.2.1 Osteoblasten
Osteoblasten gehen aus pluripotenten mesenchymalen VorlĂ€uferzellen hervor (Abb.1-1a). WĂ€hrend der Knochenbildung produzieren sie die Knochenmatrix, aus der durch MineralisationsvorgĂ€nge die Hartsubstanz entsteht. Im Verlauf der KnochenumbauvorgĂ€nge werden die Osteoblasten (Abb.1-1b,c) in die Knochenmatrix eingemauert und entwickeln sich zu metabolisch wenig aktiven Osteozyten (Abb.1-1d). Als solche liegen sie jedoch nicht auf Diffusion angewiesen ruhend im Knochen, sondern kontrollieren ĂŒber Gap junctions der zytoplasmatischen FortsĂ€tze den Ionentransport. Dieser ist ein unentbehrlicher Faktor fĂŒr die KnochenernĂ€hrung und diverse AustauschvorgĂ€nge, da ein reiner Diffusionsaustausch durch die mineralisierte Matrix eigentlich nicht möglich ist. Die EinschrĂ€nkung des Ionentransports auf ca. 100”m bewirkt die BeschrĂ€nkung der GröĂe von Osteonen auf eben diese Strecke.46 Somit bilden Osteone nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine metabolische Einheit (Abb.1-1e, f).
Abb. 1-1a Differenzierung von Osteoblasten und Osteoklasten (nach Nefussi 200799).
Abb. 1-1b Typische Osteoblasten ĂŒber einer neu gebildeten Osteoidschicht (FĂ€rbung: Masson-Trichrom).
Abb. 1-1c (a) Osteoblastenschichten, (b) Osteoklasten.
Abb. 1-1d Multiple, vitale Osteozyten (FĂ€rbung: Toluidinblau, basisches Fuchsin).
Abb. 1-1e Multiple Osteone: Die Osteozyten sind in einem sehr dichten Haversâschen System eingemauert. Durch die Knochenneubildung verkleinert sich im Laufe der Zeit das Lumen der Havers-KanĂ€le (FĂ€rbung: Thioninblau).
Abb. 1-1f VergröĂerter Ausschnitt aus Abbildung 1-1e.
Auf der OberflĂ€che des Knochens liegende abgeflachte Osteoblasten werden auch âruhende Osteoblastenâ oder âBone lining cellsâ genannt (Abb.1-2a). Ihnen werden neben einer Mitwirkung an der metabolischen AktivitĂ€t des Knochens auch eine Barrierefunktion und die Kontrolle des Ionenflusses zwischen diesem und dem extraossĂ€ren Raum zugeschrieben. Zudem spielen sie eine Rolle bei der Regulierung des Knochenabbaus, indem sie Mediatoren freisetzen, die durch Kontraktion der ruhenden Grenzzellen die OberflĂ€che fĂŒr die Osteoklasten frei machen und diese selbst zur Resorption aktivieren (Abb.1-2a).58
Abb. 1-2a Darstellung einer metabolischen Knocheneinheit: Die Bone lining cells der KnochenoberflÀche stehen mit den Osteoblasten in Verbindung. Osteoklasten können an der KnochenoberflÀche nicht wirksam werden, solange die Bone lining cells die OberflÀche nicht freimachen (nach Martin 200884).
1.2.2 Osteoklasten
Im Gegensatz zu den Osteoblasten stammen die Osteoklasten nicht von mesenchymalen, sondern von hĂ€matopoetischen Stammzellen ab.137 Besonders wahrscheinlich scheint eine Herkunft von Granulozyten-Makrophagen-VorlĂ€uferzellen.70,85 Die Osteoklasten bilden eine Gruppe von auf den Abbau kalzifizierter Gewebe spezialisierten Riesenzellen (Abb. 1-2b). Sie finden sich in den sogenannten Howship-Lakunen, Resorptionslakunen im Hartgewebe, und zeigen eine positive Saure-Phosphatase-Reaktion.22,95 Bei einer ZellgröĂe zwischen 30 und 100”m weisen sie eine Anzahl von ca. 3 bis 30 Kernen auf (Abb. 1-2c). Im acidophilen Zytoplasma zeigen sich Vakuolen, die auf den aktiven Abbauprozess hinweisen.
Abb. 1-2b Osteoklasten neben resorbiertem Knochen.
Abb. 1-2c Osteoklasten mit multiplen Nukleonen (Histologie der Abbildungen 1-1e bis 1-1f sowie 1-2b und 1-2c: Dr. D. Moser und Prof. Dr. Dr. R. Ewers, UniversitÀt Wien).
Das marginale Areal des Osteoklasten, die klare Zone, befindet sich in Nachbarschaft zum kalzifizierten Gewebe.50 Der zentrale Anteil der Riesenzelle zeigt eine VergröĂerung der ZelloberflĂ€che, das sogenannte âRuffled borderâ, das durch EinstĂŒlpungen der Zellmembran entsteht. An dieser vergröĂerten OberflĂ€che werden Protonen freigesetzt, die den pH-Wert senken und so die Hartsubstanzen auflösen. Die nach der Auflösung des Hydroxylapatits freiliegenden Kollagenfasern werden anschlieĂend durch lysosomale Enzyme und Kollagenasen abgebaut.147
FĂŒr Osteoklasten wurden zwei unterschiedliche Differenzierungswege identifiziert: Der eine ist abhĂ€ngig von einer Interaktion mit Osteoblasten und erklĂ€rt den Wechselprozess von Knochenabbau und -aufbau, der wĂ€hrend der physiologischen Knochen-remodellierung stattfindet. Der zweite Weg wird durch Zytokine gesteuert, die wĂ€hrend einer EntzĂŒndung oder eines Traumas freigesetzt werden, und steht mit dem Knochenverlust bei pathologischen Ereignissen in Zusammenhang. Von den EntzĂŒndungsmediatoren sind als besonders relevant fĂŒr den dentalen Bereich das Interleukin-1 (IL-1) und der Tumor necrosis factor-α (TNF-α) zu nennen.8,56,68 Untersuchungen der letzten Jahre konnten zeigen, dass einige Menschen mit einer verstĂ€rkten Freisetzung dieser Mediatoren und somit einem erhöhten Knochenabbau auf entzĂŒndliche Reize reagieren.10,69
1.3 Die Kaskade des Knochenumbaus
Die Genetik und Entwicklungsbiologie des Knochenauf- und umbaus wird von Nefussi zu drei wesentlichen Schritten zusammengefasst:61â63,99,153
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Am Anfang steht die als zellulÀre Kondensation bezeichnete Ansammlung und Reifung zellulÀrer Massen, die den Ursprung des skelettalen Musters bildet.
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Nachdem die Kondensation erfolgreich abgeschlossen wurde, ist der zweite Schritt die Aktivierung und Regulation von Genen, die fĂŒr die zellulĂ€re Differenzierung verantwortlich sind.
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Im letzten Schritt erfolgt die Aktivierung von Genen, die den Prozess der Matrixsynthese und -mineralisierung, die hormonale AktivitÀt sowie die Adaptation an Strain und Stress durch Remodellierung steuern.
Alle drei Schritte laufen unter Vermittelung durch spezifische Transkriptionsfaktoren ab, die bestimmte Gene aktivieren oder abschalten. Auch nach Abschluss des Knochenwachstums können im Rahmen der Knochenheilung einige dieser Mechanismen aktiviert werden.9,24,39,41,42,152
1.3.1 ZellulÀre Kondensation
Der Begriff der zellulĂ€ren Kondensation bezeichnet eine durch ortsabhĂ€ngige Transkriptions- und Wachstumsfaktoren induzierte Ansammlung von Zellen zu einer Masse, die die Quelle fĂŒr die Reparatur des Knochendefekts darstellt. Sie wird durch traumatische Ereignisse jeglicher Form ausgelöst und fĂŒhrt entweder zu einer EntzĂŒndung oder zur Degeneration (Abb.1-3). Da die Zellmasse die Quelle fĂŒr die Reparatur des Knochendefekts darstellt, ist der erfolgreiche Abschluss der Regeneration von der Potenz und GröĂe der Agglomeration abhĂ€ngig. Es kann also zu einer Diskrepanz zwischen der Potenz der Zellmasse und dem AusmaĂ des zu reparierenden Defektes kommen, die einen Knochenverlust nach sich zieht.
Abb. 1-3 Hauptschritte der zellulÀren Kondensation (nach Nefussi 200799).
1.3.2 ZellulÀre Differenzierung
Im zweiten Schritt beeinflussen lokale, ortsspezifische SignalmolekĂŒle der Zellkondensation zellulĂ€re und ZellMatrix-Interaktionen und bewirken die osteogenetische Differenzierung der Zellmassen. Die Zelldifferenzierung bedeutet fĂŒr die Zelle die endgĂŒltige Reifung und fĂŒhrt zu voller FunktionalitĂ€t. Durch sie entstehen die oben beschriebenen Zelltypen der Osteoblasten/Osteozyten und Osteoklasten.
1.3.3 Matrixsynthese und -mineralisation
Die Osteoblasten synthetisieren im wachsenden oder heilenden Knochen Kollagen, Proteoglykane und Glykoproteine, die im Extrazellularraum eine spezifische QuartĂ€rstruktur bilden. An dieser Matrix vollzieht sich der Mineralisationsvorgang. ZunĂ€chst beginnen die Osteozyten mit der intrazellulĂ€ren Akkumulation von Kalzium und Phosphat in spezifischen Sekretions-vesikeln, die anschlieĂend aktiv aus der Zelle ausgeschleust werden. Sie enthalten auĂerdem alkalische Phosphatase. In den Vesikeln bilden sich Apatitkristalle, die sich nach deren Auflösung an den extrazellulĂ€ren Nukleationsorten (bevorzugt Kollagenfasern und knochenspezifische kalziumbindende Proteine) anlagern.43 In der Mineralisationszone findet sich eine erhöhte AktivitĂ€t der alkalischen Phosphatase. Das Fehlen dieses Enzyms ist durch defekte Knochenbildung gekennzeichnet. Nach Abschluss der Mineralisation besteht Knochen zu ca. 65 % aus anorganischer Substanz, hauptsĂ€chlich Hydroxylapatit, aber auch Magnesium, Kalium, Chlor, Eisen und Karbonat, sowie zu 25 % aus organischer Substanz und zu 10 % aus Wasser. Die organische Matrix setzt sich aus Kollagen Typ I (90 %) sowie nichtkollagenen Proteinen (z.B. Osteonektin, Osteocalcin, Sialoprotein u.a...