Die Kreuzzugsmotivation Friedrichs II.
Volker Caumanns
RWTH Aachen University
In der Reihe der Fürsten, Könige und Kaiser, die in das Heilige Land zogen mit dem Ziel, die christlichen Stätten der muslimischen Herrschaft zu entreißen, sticht einer heraus: Friedrich II. Er tut dies zum einen wegen des Ergebnisses seines Zuges. Nach dem ersten Kreuzzug konnte allein Friedrich II. einen anerkannten Erfolg im Heiligen Land erzielen, und dieser Erfolg wiederum war ungewöhnlich, weil er nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Verhandlungstisch errungen wurde. Zudem war es weniger der Kreuzfahrer Friedrich II., der sich mit dem muslimischen Sultan al-Kāmil vertraglich einigte, sondern wohl eher Friedrich II. als der König Jerusalems.1 Ungewöhnlich ist auch die lange Zeitspanne zwischen dem Kreuzzugsgelübde und dem Aufbruch ins Heilige Land. Immerhin 13 Jahre dauerte es, bis Friedrich sein erstmals 1215 gegebenes und 1220 erneuertes Versprechen nach mehreren Aufschüben einlöste. Und weil er nicht zum letztlich per Vertrag festgesetzten Zeitpunkt loszog, trat er schließlich die Reise als Exkommunizierter an.
Die Beweggründe, die Friedrich II. zu seinem Kreuzzugsgelübde veranlassten, sind in der Forschung mehrfach erörtert worden, eingehend zuletzt von Wolfgang Stürner und von Bodo Hechelhammer.2 Beide untersuchen das Kreuzzugsvorhaben des Staufers hinsichtlich der Instrumentalisierung zur Herrschaftssicherung. Stürner verweist dabei zunächst auf zwei generelle Positionen der bisherigen Forschung, in der Friedrichs Kreuznahme im Jahr 1215 hauptsächlich im Hinblick auf Innozenz III. betrachtet wurde, der zwei Jahre zuvor einen neuen Kreuzzug ausgerufen hatte. Die einen, Ernst Kantorowicz folgend, sehen in der Kreuznahme eine gegen päpstliche Pläne gerichtete Übernahme des Führungsanspruchs in der Kreuzzugsbewegung, die anderen widersprechen dieser Auffassung und nehmen das Einverständnis des Papstes oder sogar die päpstliche Förderung der Kreuznahme des jungen Königs an.3 Stürner selbst kommt nach eingehender Analyse der Vorgänge in den Jahren 1212 bis 1216 zu dem Schluss, Friedrich habe sein Kreuzzugsgelübde angetrieben von tief empfundener Dankbarkeit gegenüber Gott abgelegt, durch den er sich auserwählt und zu der nun erlangten Herrschaft geführt glaubte. Der Schwur, einen Kreuzzug unternehmen zu wollen, sei ihm als angemessene Gabe für die empfangene göttliche Gnade erschienen, wissend um die Kreuzzugspläne Innozenz’ III. und um die durch die Krönung in Aachen erworbene Würde und Verpflichtung, die sich aus dem Erbe seiner staufischen Vorfahren und der damit verbundenen Nachfolge Karls des Großen ergab, dessen Vorbild als christlicher Herrscher es nachzueifern galt. Dieses Herrschaftsbewusstsein, die staufisch-karolingische Tradition gepaart mit dem Glauben an göttliche Berufung, gilt Stürner als bestimmender Antrieb Friedrichs II. Damit aber war zugleich das Streben verbunden, die von Gott übertragene, das deutsch-römische Kaiserreich und das sizilische Königtum umspannende Herrschaft dauerhaft zu bewahren.4 Die diesbezüglichen Bemühungen hielten Friedrich II. immer wieder von der Erfüllung seinesKreuzzugsgelübdesab.5
Hechelhammer sieht das 1215 in Aachen gegebene Kreuzzugsversprechen vorrangig motiviert durch die unerfüllten Kreuzzugsgelübde von Friedrichs II. Vater und Großvater, Heinrich VI. und Friedrich I. Barbarossa. Er spricht dabei, ähnlich wie schon Stürner, von dem Bekenntnis Friedrichs “zur staufisch-salisch-karolingischen Tradition und zum programmatischen Erbe” seiner Vorfahren und Vorgänger, also der unter Friedrich Barbarossa ausformulierten Kaiseridee, die die Herrschaftsauffassung Friedrichs II. prägte. Neben dieser aus der verwandtschaftlichen wie institutionellen Tradition erwachsenen Verpflichtung zum Kreuzzug nennt auch Hechelhammer Friedrichs II. Dankbarkeit für die ihm zugekommene göttliche Gnade, Ausdruck der “persönlich empfundenen, religiös-motivierten pietas,” als zweites wichtiges Motiv.6 Friedrichs II. so motiviertes Kreuzzugsgelübde zeigt Hechelhammer als ein in der Folge klug wahrgenommenes und eingesetztes Mittel für die Durchsetzung politischer Ziele.
Die Ergebnisse Stürners und Hechelhammers weisen auf vier Aspekte, die für die Beantwortung der Frage nach der Kreuzzugsmotivation Friedrichs II. ausschlaggebend sind: Religiosität, Tradition, Herrschaftsauffassung und Herrschaftssicherung. Diese Aspekte sind in ihrer Bedeutung für Friedrichs Kreuzzugsgelübde noch nicht zutreffend erfasst und bewertet worden. Deshalb werden sie hier in einem systematischen Zugriff erneut betrachtet. Dazu rücke ich ab von der sich anbietenden und daher üblichen chronologisch geordneten Untersuchung der Vorgeschichte des Kreuzzugs Friedrichs II. und orientiere mich an den genannten vier Aspekten. Diese werden zunächst getrennt voneinander abgehandelt, ihre jeweilige Relevanz für die Kreuznahme diskutiert. Am Ende werden die so gewonnenen Hinweise zu der Kreuzzugsmotivation Friedrichs II. zusammengeführt, die auf eine schon früh ausgebildete Herrschaftskonzeption hinausläuft, für die das Kreuzzugsgelübde und dessen Umsetzung eine unumgängliche Notwendigkeit darstellte.
Die grundsätzliche Problematik bedenkend, die einer auf persönliche Überzeugungen abzielende Untersuchung innewohnt, stütze ich mich im Folgenden auf die in Friedrichs II. Namen erstellten Urkunden, Briefe und Manifeste. Dies sind zwar im strengen Sinn keine Selbstzeugnisse,7 aber sie entstanden, das denke ich unterstellen zu dürfen, mit dem Willen oder wenigstens dem Einverstandnis Friedrichs und konnen so mindestens Auskunft darüber geben, wie er als Herrscher nach auβen erscheinen wollte. Daher werde ich, wie es auch üblich ist, von Äuβerungen Friedrichs II. sprechen, wenn ich mich auf die in seinem Namen erstellten Schriften beziehe. Um zu ermitteln. welche Ideen Friedrich bezüglich des Kreuzzugsvorhabens geprägt haben, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die zeitgenössische Geschichtsschreibung, aus der auch er sich über seine Vorfahren und die Weltläufe unterrichten konnte und in der wichtige Hinweise für die Auffassung von kaiserlicher Herrschaft enthalten sind. die meines Erachtens das Herrschaftsverständnis Friedrichs II. entscheidend beeinflussten. Diese Zeugnisse werden abgeglichen mit Friedrichs Taten und mit dem ihm zur Verfügung stehenden Hand lungsspielraum.8
Religiosität
Friedrichs II. persönliche Frömmigkeit ist in der Forschung eine nicht unumstrittene Angelegenheit. Verallgemeinernd kann man sagen, dass in der älteren Forschung seine Religiosität häufig eher zweifelnd betrachtet wurde, vor allem weil man den Staufer aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Interessen und seiner Haltung gegenüber den Päpsten für einen den überkommenen mittelalterlichen Vorstellungen entfremdeten Wegbereiter der Neuzeit hielt.9 Die jüngere Forschung, besonders seit den 1990er Jahren, attestiert Friedrich II. dagegen aufrichtige Gottesfürchtigkeit. Grundlegend dafür ist der eigens diesem Punkt gewidmete Aufsatz Hans Martin Schallers, der erstmals umfassend die verschiedenen greifbaren Äußerungen des religiösen Friedrich darlegt, mit dem Fazit, dass wir mit ihm einen durch und durch 10 frommenZeitgenossendes13.Jahrhundertsvorunshaben.10
Der Grundstock seiner frommen Gesinnung soll bereits in Friedrichs Erziehung gelegt worden sein. Schaller verweist diesbezüglich auf die Vormundschaft des Papstes, die bischöflichen Regenten des Königreichs Sizilien sowie die zahlreichen Geistlichen am Hof in Palermo. Jedoch die überlieferten Aussagen zum Verhalten und zu den Wesenszügen des kindlichen Friedrich klingen nicht nach einem Jungen, der wegen der stetigen Bedrängungen und Bedrohungen, denen seine Person ausgesetzt war,11 sein Heil in der Zuwendung zu Gott suchte, so dass die Einschätzung des Knaben, er sei “nach Herkunft und Erziehung ein frommer Christ”12 gewesen, eine zwar keineswegs unwahrscheinliche, jedoch nicht bestätigte Mutmaßungbleibenmuss.
Ab der Volljährigkeit und der damit einhergehenden Regierungsübernahme im Jahre 1208 kann sich Schaller auf Aussagen in Friedrichs II. Urkunden und Briefen stützen. Zunächst verweist er auf verschiedene Äußerungen in den Urkunden, die die Dankbarkeit gegen Gott, Gottes Allmacht und seine Barmherzigkeit thematisieren sowie die Erwähnungen der speziell dem christlichen Kaiser obliegendenAufgaben, wie die Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit, die Förderung und Verbreitung des Glaubens, die Bekehrung der Heiden, den Schutz und die Unterstützung von Kirchen und Klöstern, die Bemühungen um die Armenfürsorge und die Armutsbewegung sowie die Förderung diverser geistlicher und ritterlicherorden. Auch in der Gesetzgebung Friedrichs II. biete sich ein “Bild von Mitleid und Barmherzigkeit,” wobei die Ketzergesetze ausdrücklich auszunehmen seien, da sie auf Betreiben der Päpste zurückgingen und der Kaiser als Schutzherr der Kirche deren Erlass nicht habe verweigern können.13 Die Briefe und Manifeste Friedrichs schließlich befassten sich vornehmlich mit den Themen Armut, Kreuzzug und Endzeit, wobei mehrfach die Verehrung des heiligen Grabes, des Heiligen Kreuzes sowie “des heiligen Nikolaus und Jakobus des Älteren, also der Schutzpatrone der Seefahrer, Pilger, Kreuzfahrer und Heidenbekämpfer” zum Ausdruck komme.14 Kurz und gut, Schaller bringt eine solche Fülle von Beispielen, die auf Friedrich II. als frommen christlichen Herrscher hindeuten, dass man einiges zu tun hätte, wollte manernsthaftdessenReligiositätgrundsätzlichanzweifeln.
Eine kleine Kerbe ist diesem abgerundeten Bild aber zuzufügen. Denn Misstrauen gegenüber einer stets aufrichtig vorgebrachten frommen Haltung Friedrichs ist immerhin nicht ganz unberechtigt, verstand er doch sehr gut, handfeste politische Wünsche und Absichten als durch und durch fromme Ansinnen darzustellen, Frömmigkeit also als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, so dass von tiefer Gläubigkeit geprägte Worte manchmal den bitteren Beigeschmack des purenopportunismus annehmen. Ein Musterbeispiel dafür ist der Brief vom 21. August 1215 an das Generalkapitel der Zisterzienser.15 Friedrich hebt darin beredt die große Heiligkeit der Mönche und Äbte diesesordens und die daher rührende besondere Wirkkraft ihrer Gebete hervor und bittet deshalb, sie mögen ihn in ihre Gebetsgemeinschaft aufnehmen. Eigens erwähnt er noch seine Kreuznahme und erbittet speziell für das Gelingen des anstehenden Unternehmens die Hilfe durch ihre Gebete. Zum Schluss des Briefes aber kommt, so der spontan sich aufdrängende Eindruck bei der Lektüre,daseigentliche AnliegenzurSprache:
Adhuc quia recognoscimus, quia omnino ea, que divina clementia circa nos et in nobis misericorditer et miserabiliter operata est, per dominum et patrem nostrum summum pontificem sicut per vicarium et ministrum suum dignata est operari, petimus humiliter et devote, ut quia ad persolvendas debitas gratiarum actiones pro tantis beneficiis nos ipsos iudicamus insufficientes, ...