Sozialpsychologie
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Sozialpsychologie

Johanna Hartung, Joachim Kosfelder, Franz J. Schermer

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  1. 224 pages
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Sozialpsychologie

Johanna Hartung, Joachim Kosfelder, Franz J. Schermer

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Beziehungen gestalten, das Individuum im Spannungsfeld seiner sozialen Beziehungen verstehen und unterstützen sind Ziele sozialer und pädagogischer Arbeit. Dieses Lehrbuch bietet eine systematische, prägnante und lebendige Einführung in zentrale sozialpsychologische Theorien, aktuelle Befunde und fachlich fundierte Handlungsstrategien. Anhand von Themen wie Einstellungen, Vorurteile, Medieneinfluss, Kommunikation, Konflikt und Kooperation werden aktuelles fachliches Wissen, fachübergreifende Perspektiven und praxisrelevante Handlungskompetenzen verbunden.In der 4. Auflage werden die sozialpsychologischen Grundlagen der psychosozialen Beratung als Basiskompetenz in Praxisfeldern Sozialer Arbeit und Pädagogik vertieft sowie aktuelle Beratungskonzepte vorgestellt.

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Information

Year
2019
ISBN
9783170329287

1 Sozialpsychologie – eine Bezugswissenschaft für die Soziale Arbeit

1.1 Sozialpsychologische Fragen im sozialpädagogischen Alltag. Ein Beispiel: Kinder spielen ihre Lebenswelt

Als Studentin der Sozialpädagogik arbeitete ich, Johanna Hartung, in einer großstädtischen Notunterkunft in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Für die meisten Familien erwies sich die Notunterkunft nicht – wie eigentlich intendiert – als eine Übergangseinrichtung, sondern angesichts von gesellschaftlicher Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit als Dauereinrichtung, in der die Kinder absehbar ihre gesamte Kindheit verbringen würden. Angesichts soziologischer Befunde zur Transmission von sozialer Benachteiligung zwischen den Generationen bewegte uns die Frage, wie Kinder diese Lebenssituation erleben, welche Ursachen sie dafür in Betracht ziehen und welche Veränderungsphantasien und -strategien sie entwickeln, um daraus Anregungen für eine sozialpädagogische Unterstützung der Kinder und ihrer Familien abzuleiten.
Anstelle einer direkten Befragung der Kinder wählten wir den Zugang über das Rollenspiel zu Themen aus ihrer alltäglichen Lebenswelt, der Notunterkunft am Kuthsweg (Hartung, 1977). Die in diesem spielerischen Kontext entwickelten Aussagen und Verhaltensweisen der Kinder werteten wir vorsichtig – unter Berücksichtigung möglicher Verfremdungseffekte durch das Spiel – als Hinweise auf ihre Einstellungen und griffen sie in anschließenden Rollenspielen und Gesprächen auf. Die folgenden wörtlichen Passagen aus den Rollenspielen geben einen Einblick in die Denk- und Ausdrucksweise der Kinder.
Zunächst Ausschnitte aus dem Spiel, in dem sich die Kinder in der Rolle Erwachsener zu den Ursachen des Wohnens in der Notunterkunft äußerten:
»Vorher haben wir auf der Erkrather Str. 134 gewohnt. Der Hausmeister hat uns gesagt, dass wir ausziehen müssten, weil das Haus abgerissen wird. Da hat er gesagt: ›Ziehen Sie doch solange in den Kuthsweg‹, weil gar keine Wohnung mehr frei war. Er sagte: ›Das ist nur für 2 bis 3 Wochen‹, aber dann sind Monate, Jahre draufgegangen.«
»Meine Schwester musste zum Kuthsweg ziehen. Sie hat keine andere Wohnung gekriegt; das ist alles besetzt, nein, nicht besetzt, sondern die Leute können die Miete nicht aufbringen. Die Mieten sind so hoch, da kann man ja nicht gegen angehen. Dann machen sie die noch höher! … Das macht der Rechtsanwalt oder der Bestimmer. Wenn ich den mal in die Finger kriege, dem haue ich die Nase platt! … Aber wissen Sie, warum wir nicht in die Neubauten rein kommen? Die machen das extra. Wegen dem Geld! Es gibt doch sowieso keine Arbeit. Sehen Sie ja selbst, eine Million Menschen stehen da und suchen Arbeit. Und die kriegen alle kein Geld. Deshalb machen die die Mieten so hoch. Und dann sitzen wir vor der Türe und müssen zum Kuthsweg ziehen.«
Neben gesellschaftlichen Ursachen weisen die Kinder den Bewohnern der Notunterkunft – insbesondere einzelnen Familien und Hausgemeinschaften – ein massives Verschulden an ihrer Lebenslage zu:
»Ich hab schon mal für zwei Wochen am Kuthsweg gewohnt, dann bin ich weggezogen. Da war es so dreckig. Die Leute waren so dreckig. Die meisten kommen besoffen nach Hause, klopfen an anderer Leute Türen, schlagen Scheiben ein und sind viel verkommener …«
»Bitte, bitte nicht in Haus 43! Ich krieg einen Herzinfarkt! Wenn Sie mich da reinkriegen würden, dann hätte ich jeden Tag einen Herzanfall und zuckerkrank wäre ich dann auch. … Mein Bruder, der hat eine Tochter, die ist da eingezogen; die ist dreckig wieder rausgekommen. Die hat von ihren Möbeln welche im Keller stehen gehabt. Alles war angeschlitzt mit Messern. Das sind ja nur die kleinen Strolche, die da rumlungern.«
Als Strategien zur Veränderung der Lebenslage nennen die Kinder Strategien wie Lottospielen, Hoffen auf Erbschaften und kriminelle Handlungen. Letzteres wird allerdings verworfen:
»Mein Mann arbeitet auf der Post. Der kann mir auch nicht einfach das Geld geben; nachher kommt er noch ins Gefängnis. Nee, das sehe ich gar nicht ein, wegen dem bekloppten Zeug, und dafür soll mein Mann noch in den Bau gehen! Wegen der Miete!«
Bei der Darstellung realistischer Hilfsstrategien greifen die Kinder ihre jüngsten Erfahrungen mit den durch die Bewohner und den Hausmeister erzielten Verbesserungen der Wohnsituation auf:
»Seit der neue Hausmeister da ist, da ist der Kuthsweg schön geworden. Der Hausmeister hat Farbe besorgt von der Genossenschaft, und dann haben wir gestrichen.« Es folgt eine genaue Beschreibung dessen, wer welche Arbeit geleistet hat. »Nur Herr Hein, der hat nichts gemacht, der hat lieber in seiner Bude das Bier gesoffen.«
Der neu eingerichtete Jugendclub wird beschrieben: »Groß ist er zwar nicht, aber auch schön. Wenn die Mädchen rein wollen, sind die Jungen vielleicht gerade Fußball spielen, dann ist schon Platz genug.« Es wird über die Unterschriftensammlung gesprochen, die die Jugendlichen zur Durchsetzung ihrer Forderungen durchgeführt haben. Bei der Diskussion, wie man erreichen könnte, dass die Wohnungen ein Bad bekommen, wird vorgeschlagen: »Zur Stadtverwaltung gehen! Da müssten sich ein paar Frauen aus Bau 20, 43, 16 und 18 zusammentun, und dann müssten sie mal hingehen. Das nutzt ja nichts für die Männer; um fünf Uhr machen die (die Stadtverwaltung) zu, und um sechs kommen die erst nach Hause.«
Die Ablehnung und Diskriminierung einiger Familien, die sich u. a. in wüsten Beschimpfungen und Anschuldigungen äußert, kann im Laufe der Spielreihe allmählich aufgelockert werden, so dass die Bewohner unter der Gesprächsleitung des Hausmeisters einige Vorschläge und Angebote sozialer Unterstützung machen. So überlegen sie gemeinsam mit Frau Hein, wie man ihren Mann bewegen könnte, »mit dem Saufen aufzuhören und arbeiten zu gehen«. Hier ein Ausschnitt aus der Diskussion bei der gespielten Hausversammlung:
Hausmeister:
»Warum sagen Sie ihm nicht, er soll stempeln gehen?«
Nachbarin:
»Geht er doch schon.«
Hausmeister:
»Nee, er ist doch jetzt arbeitslos. Er kann doch stempeln gehen!« (Der achtjährige Michael, der den Hausmeister spielt, hält »Stempeln« anscheinend für eine Art Berufstätigkeit.)
Nachbarin:
»Sie müssen mal zum Sozialamt gehen.«
Frau Hein:
»Die geben mir nichts wegen dem da!« (meint ihren Mann)
Nachbarin:
»Dann schmeißen Sie ihn doch einfach raus!«
Frau Hein:
»Der kommt immer wieder! Der haut mir die Bude klein!«
Nachbarin:
(energisch) »Dann holen wir mal die ganzen Leute aus dem Haus zusammen. Dann kriegt der mal Senge. Dann geht der aber in den Keller mit seinem dollen Kopp.«
Hausmeister:
»Rausschmeißen brauchen Sie ihn ja nicht unbedingt. Sie können ja Ihren Mann mal zur Vernunft bringen.«
Auf Frau Heins Bitte bietet sich der Hausmeister an, mit Herrn Hein zu reden. Es folgt ein offenes und erstaunlich anteilnehmendes Gespräch zwischen Herrn Hein, der seine Alkoholprobleme offenbart, dem Hausmeister und anderen Teilnehmern der Hausversammlung. Am nächsten Tag begleitet der Hausmeister Herrn Hein zum Arbeitsamt.
Als Herr Hein mit seinem ersten Lohn stolz nach Hause kommt und fernsehen will, sagt Frau Hein freundlich zu ihm: »Otto, der Fernseher ist kaputt. Den hast du doch damals kaputt geschlagen, als du so blau warst. Das hatte ich ganz vergessen. Komm essen, Schätzchen!«
Was haben diese durch eine Spielidee angeregten Aussagen der Kinder zum Erleben ihrer Lebenslage, zur Ursachenzuschreibung und zu Möglichkeiten der persönlichen und kollektiven Einflussnahme mit Sozialpsychologie zu tun?
Die Sozialpsychologie richtet ihr Augenmerk auf die Schnittstelle zwischen Individuum und sozialer Umwelt: Wie wirkt sich die soziale Umwelt auf das Erleben und Verhalten der Person aus? Wie beeinflusst die Person durch ihr Verhalten ihre soziale Umwelt? Fragen, die sich in unserer sozialpädagogischen Arbeit in der Notunterkunft gestellt haben, sind auch zentrale Fragen der sozialpsychologischen Theoriebildung und Forschung, die auch in diesem Lehrbuch vorgestellt werden: Wie wirkt sich soziale Benachteiligung auf die Selbst- und Fremdbeurteilung aus? Welche Bedingungen (Merkmale der Person und der Umwelt) fördern Kontrollüberzeugung im Sinne der Überzeugung, auf relevante Aspekte des eigenen Lebensalltags selbst Einfluss nehmen zu können? Welche Bedingungen reduzieren die Abwertung von Fremdgruppen oder die Ausgrenzung von Personen? Welche Bedingungen fördern kooperatives und prosoziales Handeln? Welche Bedingungen stabilisieren alltägliche soziale Netzwerke wechselseitiger Unterstützung?
Bei der Beantwortung dieser und anderer Fragen versucht die Sozialpsychologie als empirische Wissenschaft – über den Einzelfall hinausgehend – Regelhaftigkeiten festzustellen, die unser Verständnis der wechselseitigen Beeinflussung von Person und Umwelt verbessern. Die Erkenntnis solcher Regelhaftigkeiten erleichtert eine zielgerichtete Einflussnahme durch pädagogische, psychosoziale und gesellschaftspolitische Maßnahmen mit dem Ziel einer verbesserten Lebensqualität der Menschen.

1.2 Was ist Sozialpsychologie?

Die Sozialpsychologie, als Teilgebiet der Psychologie, betrachtet die Vielfalt menschlichen Erlebens und Handelns in seinen sozialen Bezügen. Das Individuum wird als Akteur im sozialen Kontext betrachtet,
• dessen Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln sich in der Interaktion mit der sozialen Umwelt entwickelt,
• das gestaltend auf seine soziale Umwelt Einfluss nimmt und
• seinerseits durch Bedingungen der sozialen Umwelt beeinflusst wird.
Die soziale Umwelt, auch als sozialer Kontext bezeichnet, umfasst (nach Bierbrauer, 2005)
• gesellschaftliche und situationsbezogene Rahmenbedingungen, in die das Verhalten und Erleben einer Person eingebunden ist,
• kontextbezogene Werte, Normen und Rollenerwartungen,
• Handlungen von Personen und Interaktionen zwischen Personen und Gruppen,
• andere Personen, seien sie real anwesend oder auch nur in der Vorstellung präsent (z. B. indem sich eine Person mit ihnen vergleicht).
Die Sozialpsychologie versucht Prozesse der wechselseitigen Einflussnahme zwischen Individuum und sozialer Umwelt zu erkunden und
1. intersubjektiv nachvollziehbar zu beschreiben
2. Bedingungen und Einflussfaktoren herauszufinden, die die beobachteten Phänomene erklären können
3. aus den Erklärungen überprüfbare Voraussagen über menschliches Erleben und Verhalten unter spezifischen Bedingungen abzuleiten
4. auf der Basis reflektierter sozialer Normen zu bewerten und
5. begründete Empfehlungen für (psychosoziale, pädagogische, politische …) Interventionen, Initiativen und Maßnahmen abzuleiten.
Die Sozialpsychologie greift Theorien und Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Nachbardisziplinen (Soziologie, Politikwissenschaft, Sozialmedizin …) und anderer Teilgebiete der Psychologie (Allgemeine Psychologie, Entwicklungspsychologie, Klinische Psychologie …) auf und integriert sie in ihre spezifische Betrachtungsweise: Die wechselseitige Beeinflussung von Individuum und sozialer Umwelt wird auf der Ebene des Erlebens und Verhaltens von Personen und Grupp...

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