Das Buch präsentiert den gesicherten aktuellen Wissensstand zu den zentralen Fragen der inklusiven Pädagogik bei emotional-sozialen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen: Welche Kinder gilt es im Förderbereich emotional soziale Entwicklung und Verhalten zu fördern? Welche Erklärungs- und Handlungsansätze haben sich hierbei bewährt. Welche Praxiskonzepte unterstützen den Erfolg der Entwicklungs- und Verhaltensförderung? Welche unterrichtsintegrierten pädagogischen Handlungen unterstützen die Schülerinnen und Schüler? Das Buch gibt prägnante Antworten auf diese Fragen. Es konzentriert sich auf empirisch basierte Inhalte und zentralen Kenntisse für eine gelungene Praxisbewältigung.
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1 Emotional-soziale Entwicklungs- und Verhaltensstörungen im inklusiven Bildungssystem
Der Auftrag inklusiver Bildung fordert eine wirksame Unterstützung aller Lernenden gemäß ihren individuellen Bedürfnissen (United Nations, 2006, Art. 24, 3). Die wirksame Unterstützung bei Verhaltensauffälligkeiten und die gleichzeitige Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler bereitet Lehrkräften in inklusiven Bildungssystemen die größten Sorgen (Forlin & Chambers, 2011). Diese belastenden Erziehungssituationen sind einerseits als Interaktionen zu verstehen (Hillenbrand, 2011), andererseits werden sie meist an den Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern festgemacht. Die aktuelle Schulstatistik belegt eine steigende Häufigkeit entsprechender Diagnosen: Der Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung erlebt eine Zunahme und stellte im Schuljahr 2015/16 mit 85.644 Schülerinnen und Schülern (ca. 1,2% aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland der Jahrgänge 1 bis 10) den zweitgrößten Förderschwerpunkt dar (Kultusministerkonferenz, 2016, S. 8). Die internationalen Erfahrungen inklusiver Bildungssysteme belegen die besonderen pädagogischen Herausforderungen im Rahmen einer angemessenen und förderlichen Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung (World Health Organization & World Bank, 2011).
1.1 Zum Begriffsfeld
Das Thema wird von verschiedenen Wissenschaften, z. B. Medizin, Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Sonderpädagogik, bearbeitet. In der Literatur finden sich daher divergierende Begriffe (Herz, 2014; Hillenbrand, 2008; Myschker & Stein, 2014). Die Beschreibungen der Symptome bilden ein breites Spektrum von emotionalen und verhaltensbezogenen Phänomenen ab und fassen sie unter Begriffen wie psychische Störung, Verhaltensauffälligkeit oder Verhaltensstörung zusammen. Der jeweils verwendete Begriff zieht unterschiedliche Phänomene zusammen, er stellt einen »Kontraktionsbegriff« (Hillenbrand, 1996) dar. Die verschiedenen Theoriekonzeptionen der Pädagogik bei Verhaltensstörungen, von tiefenpsychologischen über behaviorale bis zu konstruktivistischen Ansätzen, bedingen auch unterschiedliche Begriffsbildungen und Definitionen (Hillenbrand, 2008; Myschker & Stein, 2014). Die Unterschiedlichkeit der Begriffe ist nicht aufzuheben, umso wichtiger ist die kommunikative Absicherung eines gemeinsamen Verständnisses.
Bildungspolitisch und schulpraktisch relevant ist die Umschreibung der Kultusministerkonferenz (2000): »Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen der emotionalen und sozialen Entwicklung, des Erlebens und der Selbststeuerung anzunehmen, wenn sie in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können« (S. 10 f.).
International findet der fachwissenschaftliche Terminus »Gefühls- und Verhaltensstörung«, der vom US-amerikanischen Fachverband Council for Children with Behavior Disorders (CCBD) vorgeschlagen wurde, Verwendung. Dieser Begriff bietet zudem die Vorteile einer interdisziplinären Verständigungsebene sowie der expliziten Berücksichtigung der Emotionen (Forness & Knitzer, 1992, nach Opp, 2003, S. 509 f.).
Innerhalb dieses Buches werden hauptsächlich die Begriffe Verhaltensauffälligkeiten, emotional-soziale Entwicklungs- und Verhaltensstörungen sowie Sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Schwerpunkt emotionale soziale Entwicklung verwendet. Der Begriff Verhaltensauffälligkeiten (und synonym zwecks sprachlicher Variabilität verwendete Begriffe wie Verhaltensprobleme, Probleme in der emotional-sozialen Entwicklung oder auch Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung) bezieht sich auf Vorformen von emotional-sozialen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Der Begriff Sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Schwerpunkt emotionale soziale Entwicklung beschreibt eine besonders schwerwiegende pädagogische Problematik, die durch eine besonders stark ausgeprägte emotional-soziale Entwicklungs- und Verhaltensstörung oder durch eine Kumulation von schwerwiegenden Entwicklungsrisiken gekennzeichnet ist. Die Begriffspräferenzen sollen aufzeigen, dass sich eine inklusive Förderung im Förderschwerpunkt emotionale soziale Entwicklung
• auf ein in Art und Ausmaß differierendes Spektrum an Erziehungsproblemen bezieht,
• hierbei neben dem Verhalten emotionale und soziale Kompetenzen und deren Entwicklung eine besondere Rolle spielen und
• die Förderung auf die präventive Veränderung von Entwicklungsprozessen ausgerichtet ist.
Die genannten Begriffe sind kompatibel zu den in der klinischen Psychologie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwendeten Begriffen. Verhaltensauffälligkeiten bzw. Entwicklungs- und Verhaltensstörungen von Kindern und Jugendlichen werden dort in mehrere Klassen eingeteilt: hyperkinetische Störungen, Störung des Sozialverhaltens, emotionale Störungen des Kindesalters, kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, Störungen sozialer Funktionen mit Beginn der Kindheit, Tic-Störungen sowie sonstige Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und Jugend (Döpfner, 2013, S. 37 f.). Die bezeichneten Auffälligkeiten werden häufig in vier Klassen unterteilt, die ebenfalls die Unterschiedlichkeit von emotional-sozialen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen dokumentieren: externalisierende Störungen, internalisierende Störungen, sozial unreifes Verhalten und sozialisiert delinquentes Verhalten (Myschker & Stein, 2014).
Die berichtete Häufigkeit spezifischer Störungsformen unterscheidet zwischen Angststörungen (ca. 18%), depressiven und aggressiv-dissozialen Störungen (ca. 10%) und hyperkinetischen Störungen wie ADHS (ca. 4%) (Forness, Kim & Walker, 2012). Häufig sind mehrere Formen zugleich zu beobachten (Komorbidität) und Übergänge festzustellen (Schmid, Fegert, Schmeck & Kölch, 2007). Das gleichzeitige Auftreten von Lern- und Verhaltensstörungen (Komorbidität bzw. Overlap) wird bei ca. 50% der betroffenen Kinder und Jugendlichen beobachtet (Klauer & Lauth, 1997).
Nur ein Teil der in den epidemiologischen Studien ermittelten Häufigkeiten spiegelt sich in der Förderquote im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung: Ungefähr 15% aller Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in Deutschland (was ca. 1,2% aller Schülerinnen und Schüler von 6 bis 15 Jahren im deutschen Bildungssystem entspricht, s. o.) erhalten aktuell eine entsprechende Diagnose. Gegenüber früheren Befunden stellt dies eine Verdreifachung der Diagnosen dar (Kultusministerkonferenz, 2016). Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit dem Ausbau inklusiver Beschulungsformen, der generell zu einer Zunahme der sonderpädagogischen Förderung führt (Kultusministerkonferenz, 2016; McLeskey, Landers, Williamson & Hoppey, 2012). Bundesweit nehmen inzwischen mehr als die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung am Unterricht der allgemeinen Schule teil.
Die Befunde weisen darauf hin, dass viele Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten oder emotional-sozialen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen weder eine sonderpädagogische Unterstützung noch Hilfe durch das medizinische oder soziale Versorgungssystem erhalten. Angesichts der Stabilität von Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung und dessen Bedeutung für die Bildungslaufbahn müssen alle Möglichkeiten der Unterstützung, insbesondere präventive Hilfen, intensiv genutzt und ausgebaut werden (Najaka, Gottfredson & Wilson, 2001; Reinke, Herman, Petras & Ialongo, 2008). Die aktuellen Forschungsansätze bevorzugen anspruchsvolle Mehrebenenmodelle der schulbasierten Prävention (Response to Intervention; Schoolwide Positive Behavior Support) (Casale et al., 2018;
Kap. 3 bis 6). Im inklusiven Kontext gewinnt die flächendeckende Implementation solcher Modelle noch stärker an Bedeutung. Kinder und Jugendliche, die von sozial-emotionalen Entwicklungs- oder Verhaltensstörungen betroffen sind, haben ungünstige Entwicklungsprognosen für die schulische, berufliche und persönliche Entwicklung. Sie wirkungsvoll zu unterstützen, ist eine bedeutsame Aufgabe und benötigt fundiertes Fachwissen.
Im Folgenden werden zentrale Einflussfaktoren der emotional-sozialen Entwicklung (emotionale und soziale Kompetenz sowie Handlungsregulation) beschrieben, die gleichzeitig Zielbereiche der sonderpädagogischen Förderung sind und zwischen denen ein dynamischer, transaktionaler Zusammenhang besteht.
1.2 Ziele und Entwicklungsschritte: Emotionale Kompetenz
Die emotionale Kompetenz, also der adäquate Umgang mit Emotionen, wird von Denham (1998) in die drei Komponenten des Emotionsausdrucks, des Emotionsverständnisses und der Emotionsregulation unterteilt. Eine Emotion stellt eine »zeitlich begrenzte Konfiguration von Körperreaktionen (z. B. Herzschlagänderung), Ausdrucksformen und subjektivem Gefühlszustand« (Holodynski, Hermann & Kromm, 2013, S. 196) dar. Je nach Situation, Interpretation und wahrgenommenen Reizen kann eine Emotion von einer Person sehr unterschiedlich wahrgenommen und reguliert werden sowie zu verschiedenen Verhaltensweisen führen. Emotionen geben Handlungsimpulse, z. B. eher unsicheres und zurückgezogenes Verhalten in angstauslösenden Situationen. Es findet eine Interaktion der Person mit der Umwelt in Form einer Rückkopplung statt, d. h., die Emotion wird von der Reaktion der Umwelt beeinflusst (Janke, 2002). Im Laufe der Entwicklung verschiebt sich die Gewichtung der Emotionsregulation von der interpsychischen (Reaktion der Umwelt beeinflusst stark die Emotion des Individuums) hin zur intrapsychischen Regulation, bei der das Kind oder der Jugendliche zunehmend selbstständig seine Emotionen steuert und eine emotionale Selbstregulation vornimmt.
Verhalten und Emotionen stehen in engem Zusammenhang, insbesondere die »Regulation von Handlungen durch Emotionen (mittels der Handlungsbereitschaft einer Emotion) sowie die Regulation von Emotionen durch Handlungen (Emotionsregulation)« (Holodynski et al., 2013, S. 198). Für eine kompetente Emotionsregulation werden spezifische Fähigkeiten benötigt: ein Repertoire an effektiven Regulationsstrategien, die Nutzung von Sprache als Mittel der psychologischen Distanzierung sowie die Anwendung exekutiver Funktionen auf die eigenen Emotionen und der Aufschub der Befriedigung ausgelöster Emotionen durch Zukunftsperspektiven (Holodynski et al., 2013).
Im Kontext der Prävention von sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen wird die Emotionsregulation häufig thematisiert (Scheithauer & Petermann, 2002; Schell, 2011). Positiv ausgeprägt ist sie ein wichtiger Schutzfaktor für die Entwicklung (Lösel & Bender, 2008; Werner, 2005) und gilt als ein Prädiktor mit hoher Vorhersagekraft für die weitere Entwicklung (Lohaus & Vierhaus, 2013). Ebenfalls gilt eine ungünstig ausgeprägte Emotionsregulation als Risikofaktor und wird mit internalisierenden und externalisierenden Störungen (z. B. Koglin, Petermann, Jaščenoka, Petermann & Kullik, 2013; Schipper, Kullik, Samson, Koglin & Petermann, 2013), vor allem reaktiver Aggression (Calvete & Orue, 2012) in Verbindung gebracht. Koglin et al. (2013) fordern basierend auf aktueller Forschung die Förderung der Emotionsregulation als Bestandteil der Prävention und Therapie von Störungen des Sozialverhaltens.
1.3 Ziele und Entwicklungsschritte: Soziale Kompetenz
Soziale Kompetenz gilt als weitere Schlüsselqualifikation für eine positive Entwicklung. Klieme, Artelt und Stanat (2002) bezeichnen soziale Kompetenz als »vielschichtige Handlungskompetenz, die durch verschiedene Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissensstrukturen, motivationale Tendenzen, Einstellungen, Präferenzen usw. bestimmt wird« (S. 215). Wissen und Verhalten müssen hier unterschieden werden. Wissen darüber, was in sozialen Situationen erwartet wird, und grundsätzlich vorhandene Handlungsmöglichkeiten (Kompetenz) sind Voraussetzung für sozial kompetentes Verhalten. Die vorhandene Kompetenz bietet jedoch noch keine Garantie für die Umsetzung sozial kompetenten Verhaltens (Performanz) (Kanning, 2002; Reißig, 2007). Sozial kompetentes Verhalten besteht in einem dynamischen und komplexen Zusammenspiel u. a. aus dem Herstellen von positiven sozialen Beziehungen, der Rücksichtnahme auf Interaktionspartner und einer erfolgreichen Aufrechterhaltung sozialer Kontakte (Vierbuchen, 2015).
Sozialer Kontakt in der Schule und somit der Einfluss der Gleichaltrigen ist ein reziproker und transaktionaler Prozess (Bradford Brown, Bakken, Ameringer & Mahon, 2008), wobei Kinder mit ähnlichen Verhaltensweisen sich stärker gegenseitig beeinflussen als Kinder mit stark unterschiedlichem Sozialverhalten (Vitaro, Brendgen, Pagani, Tremblay & McDuff, 1999). Das ist gerade im Zuge der inklusiven Schulentwicklung ein relevanter Aspekt, den es im gemeinsamen Miteinander des schulischen Allta...
Table of contents
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhaltsverzeichnis
1 Emotional-soziale Entwicklungs- und Verhaltensstörungen im inklusiven Bildungssystem
2 Empirisch bewährte Erklärungs- und Handlungsansätze
3 Positiv evaluierte Praxiskonzepte
4 Emotional-soziale Förderung aller Kinder im Klassenraum – Förderebene I
5 Unterrichtsintegrierte Förderung gefährdeter Schülerinnen und Schüler – Förderebene II
6 Einzelfallhilfe bei deutlich ausgeprägten emotional-sozialen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen – Förderebene III
7 Soziale Integration fördern
8 Datenbasierte Förderentscheidungen
9 Kindeswohlgefährdung
10 Praxisbeispiel Rügener Inklusionsmodell
11 Zur Implementation wirksamer Hilfen in die Schule