Kapitel 4
Sich mit anderen in Einklang bringen
Der Film Glengarry Glen Ross von 1992 basiert auf dem gleichnamigen Stück von David Mamet, das ihm zu einem Pulitzer-Preis und einem Tony Award verhalf. Dort sitzen vier durchschnittliche Immobilienmakler in dem Chicagoer Büro von Mitch & Murray. Die letzte Zeit war für die vier nicht leicht. Daher wird ihnen von ihrem Chef Blake geschickt, ein kaltblütiger Profiteur im Maßanzug. An diesem tristen regnerischen Abend soll er ihnen auf die Sprünge helfen.
In einer der längeren Szenen in dem Film über das Verkaufen unterrichtet Blake, gespielt von dem jungen Alec Baldwin, die Herren mittleren Alters im Verkaufen. Seine Ausführungen beginnen mit Spott, indem er die Männlichkeit der vier infrage stellt und sie mit Obszönitäten bombardiert. Dann geht er dazu über, ihnen Angst einzujagen. „Diesen Monat machen wir beim Verkaufswettbewerb etwas Neues“, verkündet er. „Wie ihr alle wisst, ist der erste Preis ein Cadillac Eldorado. Möchte jemand sehen, was der zweite Preis ist?“ Er hält eine Verpackung hoch. „Der zweite Preis ist ein Steakmesser-Set.“ Er macht eine Pause. „Der dritte Preis ist die Kündigung. Habt ihr das verstanden?“
Blake beschließt seine Predigt mit einem altmodischen Verkaufstraining. Auf einer grünen Schultafel stehen die ersten Buchstaben des Alphabets geschrieben: „A – B – C“, erklärt er, „A – Always. B – Be. C – Closing.“ Einen Verkauf immer abschließen!
„Always Be Closing“ ist in den USA der Eckpfeiler des Verkaufs und ehernes Gesetz. Erfolgreiche Verkäufer geben – genau wie Jäger jeglicher Spezies – nie nach, wenn sie ihre Beute verfolgen. Jede Äußerung und jedes Manöver muss dem einen Ziel dienen: die Transaktion in ihrem Sinne zu Ende zu führen und die Person, die ihnen gegenüber am Tisch sitzt, dazu zu bringen, „auf der gestrichelten Linie zu unterschreiben“, wie es Blake ausdrückt.
Jeden Verkauf abschließen. Seine Einfachheit macht das Gesetz verständlich und einprägsam. Und es kann ein konstruktiver Rat sein, es hilft den Verkäufern, sich auf den Zweck eines Gesprächs zu konzentrieren, bereits am Anfang und in der Mitte der Verhandlungen. Aber die Effektivität dieses Ratschlags lässt nach, weil die Voraussetzungen, unter denen er funktioniert, verschwinden. Sind nur wenige von uns im Verkauf tätig und haben die Käufer es sowohl mit wenigen Alternativen als auch einer Informationsasymmetrie zu tun, ist der Ratschlag, immer zum Abschluss zu kommen, vernünftig. Aber wenn alle im Verkauf sind und keiner von uns nur einen beschränkten Zugang zu Informationen hat, wirkt Blakes Rezept so veraltet wie die elektrischen Schreibmaschinen und die Rolodex-Adresskartei, die das Büro von Mitch & Murray zieren.
Neue Voraussetzungen erfordern angepasste Vorgehensweisen. Daher präsentiere ich hier in Teil II neue Eckpfeiler, um andere zu etwas zu bewegen:
Einklang
Auftrieb
Klarheit
Es sind diese drei Qualitäten, die aus einem reichen Schatz sozialwissenschaftlicher Forschung hervortreten und die die neuen Erfordernisse darstellen, will man in der veränderten Kauflandschaft des 21. Jahrhunderts andere Menschen zu etwas bewegen. Wir beginnen in diesem Kapitel mit Einklang. Und damit Sie verstehen, was mit dieser Qualität gemeint ist, ermuntere ich Sie, über einen Buchstaben nachzudenken.
Macht, Empathie und Chamäleons
Nehmen Sie sich jetzt einen Moment Zeit, und wenn Sie mit jemandem zusammen in einem Zimmer sitzen, bitten Sie diesen höflich, ihnen 30 Sekunden seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Bitten Sie diese Person, Folgendes zu tun: „Schnippen Sie zuerst mit Ihrer dominanten Hand, so schnell es geht, fünf Mal. Dann nehmen Sie, wieder so schnell wie möglich, den Zeigefinger Ihrer dominanten Hand und zeichnen sich ein E auf die Stirn.“ Im Ernst, versuchen Sie das einmal. (Wenn Sie allein im Raum sind, merken Sie sich diese Übung und führen Sie sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit durch.)
Schauen Sie sich jetzt an, wie Ihr Partner das E gezeichnet hat. Welchem Foto in Abbildung 7 ähnelt es?
Abb. 7: E-Test (© Daniel H. Pink)
Der Unterschied mag harmlos scheinen, aber der Buchstabe auf der Stirn Ihres Gegenübers erlaubt einen Blick in ihre oder seine Gedankenwelt. Wenn das E dem linken Foto gleicht, hat es die Person so gemalt, dass er oder sie es selbst lesen kann. Sieht es so aus wie das E auf der rechten Seite, schrieb er oder sie es so, dass Sie es lesen konnten.
Seit Mitte der 1980er-Jahre verwenden Sozialpsychologen diese Methode, den E-Test, um das zu messen, was sie als „Perspektivenübernahme“ bezeichnen. Wenn wir mit einer ungewohnten oder komplexen Situation konfrontiert sind, die andere Menschen involviert, wie finden wir heraus, was gerade passiert? Schauen wir uns die Situation nur von unserem eigenen Standpunkt aus an? Oder haben wir „die Fähigkeit, aus unserer [eigenen] Erfahrung herauszutreten und uns die Emotionen, Wahrnehmungen und Motivationen eines anderen vorzustellen“?
Perspektivenübernahme ist das Kernstück unserer ersten Qualität, die heute essenziell dafür ist, andere zu etwas zu bewegen. „In Einklang bringen“ ist die Fähigkeit, die eigenen Aktionen und die eigene Weltsicht mit anderen sowie mit dem Kontext, in dem man sich befindet, harmonisch abzustimmen. Stellen Sie es sich so vor: Sie bedienen den Empfangsregler am Radio. Es ist die Fähigkeit, zwischen den einzelnen Frequenzen hin- und herzuschalten, wie es die Umstände gerade erfordern. Dabei nehmen wir wahr, was gesendet wird, auch wenn diese Signale nicht sofort klar und deutlich zu hören sind.
Wissenschaftliche Forschungen ergaben, dass eine effektive Perspektivenübernahme, also das In-Einklang-Bringen mit anderen, auf drei Prinzipien beruht.
1. Steigern Sie Ihre Macht, indem Sie sie reduzieren.
Vor einigen Jahren unternahm der Sozialwissenschaftler Adam Galinsky von der Kellogg School of Management an der Northwestern University mit seinem Team eine Untersuchung, in der er das Verhältnis von Perspektivenübernahme und Macht erforschte. Er teilte die Befragten in zwei Gruppen auf, die sich nur dadurch unterschieden, was die jeweilige Gruppe direkt vor dem eigentlichen Experiment erlebt hatte. Eine Gruppe hatte einige Übungen gemacht, die ein Gefühl von Macht hervorriefen. Die anderen hatten andere Aufgaben erledigt, die dazu angelegt waren, ihnen ihre Machtlosigkeit zu verdeutlichen.
Die Forscher ließen alle Teilnehmer den E-Test machen. Die Ergebnisse waren eindeutig: „Teilnehmer mit großem Machtbewusstsein haben mit dreimal so großer Wahrscheinlichkeit ein selbstorientiertes E geschrieben als die Teilnehmer mit dem Gefühl von geringem Einfluss.“ In anderen Worten: Es war wahrscheinlich, dass diejenigen, die auch nur ein geringes Gefühl von Macht bekommen hatten, sich weniger auf die Sichtweise von jemand anderem einließen (und vielleicht einlassen konnten).
Machen Sie nun selbst einen Test, der sich ohne die Stirn einer anderen Person durchführen lässt: Stellen Sie sich vor, dass Sie und Ihre Kollegin Maria in ein schickes Restaurant gehen, das Ihnen von Marias Freund Ken empfohlen wurde. Es ist furchtbar. Das Essen ist schlecht, der Service noch schlimmer. Am nächsten Tag schickt Maria Ken eine E-Mail, in der sie nur schreibt: „Wegen des Restaurants – es war wunderbar, einfach wunderbar.“ Wie, meinen Sie, wird Ken diese Nachricht interpretieren? Wird er den Inhalt der E-Mail für bare Münze nehmen oder sie als sarkastisch verstehen? Denken Sie einen Augenblick darüber nach, bevor Sie weiterlesen.
In einem weiteren Experiment verwendeten Galinsky und sein Team ein solches Szenario, um Macht und Perspektivenübernahme aus einem anderen Blickwinkel zu untersuchen. Sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie bei dem E-Test. Teilnehmer mit einem Gefühl von mehr Macht glaubten im Allgemeinen, dass Ken diese E-Mail sarkastisch fand; die Befragten mit einem Gefühl geringerer Macht sagten voraus, dass er die Nachricht ernst nahm. Wer hat recht? Wahrscheinlich ist es die Gruppe mit geringerem Machtgefühl. Bedenken Sie: Ken hat keine Ahnung, was wirklich bei dem Essen geschah. Ken hat keinen Grund, davon auszugehen, dass seine Freundin ihm gegenüber nicht ehrlich sei, es sei denn, Maria ist chronisch sarkastisch, wovon in dem Experiment keine Rede war. Schließt man, dass er aus Marias E-Mail Sarkasmus herausliest, basiert dies auf „privilegiertem Hintergrundwissen“, über das Ken nicht verfügt. Wie die Wissenschaftler als Ergebnis festhalten, „führt Macht dazu, dass Individuen sich zu sehr auf ihre eigene Sicht verlassen, indem sie sich nur ungenügend auf die Perspektive anderer einlassen“.
Die Ergebnisse dieser Tests, die Teil einer größer angelegten Studie sind, lassen nur einen einzigen Schluss zu: Die Beziehung zwischen Macht und Perspektivenübernahme ist umgekehrt proportional. Um noch einmal das Bild des Radios zu bemühen: Macht kann Sie von der richtigen Position auf der Frequenzwahltaste abbringen und die empfangenen Signale verzerren, klare Nachrichten entstellen und schwächere Signale unverständlich machen.
Dies ist eine extrem wichtige Erkenntnis, will man verstehen, wie man andere zu etwas bewegt. Die Fähigkeit, die Perspektive von anderen einzunehmen, war minder wichtig, als Verkäufer – sei es nun ein Verkäufer in einem Elektrogeschäft, der auf Provisionsbasis arbeitet, oder eine Allgemeinmedizinerin, deren Praxis voller Urkunden hängt – alle Karten in der Hand hielten. Ihr Informationsvorsprung, ob dies wiederum die Verlässlichkeit eines Radioweckers oder die Erfahrungen von Borreliose-Patienten sind, gab ihnen die Möglichkeit, aufgrund ihrer Autorität etwas anzuordnen und manchmal auch jemanden zu etwas zu zwingen oder jemanden zu manipulieren. Aber mit dem Verschwinden des Informationsvorsprungs verringert sich auch die Macht, die damit einhergeht. Als Konsequenz hängt die Fähigkeit, Menschen zu etwas zu bewegen, nun von der Umkehrung der Machtverhältnisse ab: Es gilt, die Perspektive der anderen Person zu verstehen, sich in sie hineinzuversetzen und die Welt durch ihre Augen zu sehen. Und um dies gut zu bewerkstelligen, bedarf es einer Haltung, mit der Sie bei Mitch & Murray und ihrer „Den Verkauf immer abschließen“-Schulung rausfliegen würden: Gehen Sie davon aus, dass Sie nicht derjenige in der Machtposition sind.
Untersuchungen von Dacher Keltner an der University of California in Berkeley und anderen zeigen, dass diejenigen mit einem geringeren Status eifriger die Perspektiven anderer übernehmen. In einem Interview erklärt Keltner, dass man sich, wenn man über weniger Ressourcen verfügt, „stärker auf den Kontext, der einen umgibt, einstellen wird“. Vergleichen Sie dieses erste Prinzip des Eingehens auf andere mit einem Jiu-Jitsu der Überzeugung: Nutzen Sie eine scheinbare Schwäche als Stärke. Gehen Sie an eine Begegnung mit der Annahme heran, Sie seien in der schwächeren Machtposition. Das wird Ihnen helfen, die Perspektive Ihres Gegenübers präziser einnehmen zu können, was wiederum dazu beiträgt, dass Sie ihn erfolgreicher zu etwas motivieren.
Lassen Sie sich jedoch nicht zu falschen Annahmen verleiten. Die Fähigkeit, andere Menschen zu etwas zu bewegen, heißt nicht, ein leichter Gegner zu sein oder Selbstaufgabe bis hin zur Heiligsprechung zu praktizieren. Sich auf andere einzulassen ist komplexer, wie das zweite Prinzip zeigen wird.
2. Nutzen Sie Ihren Kopf und Ihr Herz.
Sozialwissenschaftler sehen Perspektivenübernahme und Empathie als zweieiige Zwillinge – eng miteinander verwandt, aber nicht identisch. Perspektivenübernahme ist eine kognitive Kompetenz, sie dreht sich hauptsächlich um Gedanken. Empathie ist eine emotionale Reaktion, hier geht es um Gefühle. Aber beide sind entscheidend. Allerdings haben Galinsky, William Maddux von der französischen INSEAD Business School in Fontainebleau und zwei weitere Kollegen herausgefunden, dass für die Fähigkeit, andere zu etwas zu bewegen, eine Kompetenz effektiver ist als die andere.
Im Jahr 2008 simulierten die Wissenschaftler in einem Experiment Verkaufsverhandlungen über eine Tankstelle. Wie in vielen realen Verhandlungen gab es ein scheinbares Hindernis: Das Höchstgebot des Käufers lag unter dem geforderten Preis des Verkäufers. Jedoch hatten beide Parteien noch andere Interessen, die, sollten sie zum Vorschein kommen, zu einer für beide akzeptablen Vereinbarung führen würden. Ein Drittel der an der Verhandlung beteiligten Versuchspersonen wurden gebeten, sich vorzustellen, was die andere Seite fühlte, während ein weiteres Drittel sich vorstellen sollte, was sie dachte. (Das dritte Drittel war die Kontrollgruppe, die nur über die schlichten Fakten unterrichtet worden war.) Was passierte? Diejenigen, die sich einfühlsam zeigten, schlossen mehr Verträge ab als die Kontrollgruppe. Aber diejenigen, die die gedankliche Perspektive des Gegenübers annahmen, waren sogar noch erfolgreicher: 76 Prozent von ihnen gelang es, zu einem Abschluss zu kommen, mit dem beide Seiten zufrieden waren.
Etwas Ähnliches geschah in einer anderen Verhandlungssituation, die ein paar heiklere und konfliktträchtigere Themen in einem Gespräch zwischen einem Personalvermittler und einem Jobkandidaten betrafen. Wiederum waren die Teilnehmer, die Perspektivenübernahme übten, am erfolgreichsten, nicht nur hinsichtlich ihrer Eigeninteressen, sondern auch für ihre Verhandlungspartner. „Die Perspektive des eigenen Gegners zu übernehmen brachte sowohl mehr gemeinsamen Gewinn als auch profitablere individuelle Ergebnisse hervor. […] Menschen, die die Perspektive anderer übernahmen, erreichten den höchsten Grad an ökonomischer Effizienz, ohne ihren eigenen materiellen Gewinn zu opfern“, so Galinsky und Maddux. Empathie war ebenfalls effektiv, allerdings in geringerem Maße, und „manchmal sowohl für die Entwicklung kreativer Lösungen als auch für das Eigeninteresse nachteilig“.
Traditioneller Verkauf und Verkauf, ohne zu verkaufen, beinhalten oft scheinbar widersprüchliche Imperative: Kooperation versus Konkurrenz, Gewinn für die Gruppe versus individueller Vorteil. Zu sehr Druck auszuüben ist kontraproduktiv, besonders in einer Welt des Caveat venditor. Aber zu viel Mitgefühl zu zeigen ist auch nicht notwendigerweise der richtige Weg – weil man dann die eigenen Interessen vernachlässigt. Perspektivenübernahme scheint eine gute Position zwischen den beiden Polen zu erlauben, indem sie ermöglicht, uns anzupassen und mit anderen in Einklang zu bringen, sodass beide Seiten einen Gewinn daraus ziehen können. Empathie kann helfen, tragende Beziehungen aufzubauen und Konflikte zu entschärfen. Im medizinischen Zusammenhang wird sie einem berühmten Arzt zufolge „mit weniger Kunstfehlern, besseren Ergebnissen, mehr zufriedeneren Patienten […], weniger...