Lesereise Toskana
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Lesereise Toskana

Viel mehr als nur Steine

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Lesereise Toskana

Viel mehr als nur Steine

About this book

Düstere Burgruinen und prächtige Medici-Villen, schroffe Gebirge und sanfte Hügel, vulkanische Schwefelquellen und malerische Meeresbuchten: krasse Gegensätze, denen ein einzigartiger Sinn für Harmonie entgegensteht, der die Grundlage für exzellente Weine und eine weltweit geschätzte Kochkunst bildet. All dem spürt Julia Lorenzer nach, wenn sie an die Strände der Maremma fährt, über die Dächer von Florenz blickt und das Oldtimer-Rennen im Val d'Orcia besucht, aber auch, wenn sie am Alltag der Menschen, die diese unvergleichliche Region prägen, teilnimmt.

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Information

Publisher
Picus Verlag
Year
2020
eBook ISBN
9783711754219
Edition
1
Subtopic
Travel

Das verwandelte Land

Die Maremma – vom malariageplagten Sumpfgebiet zum Nationalpark

Eine junge Sängerin betritt die Bühne des Festival dei Due Mondi im umbrischen Spoleto. Caterina Bueno, Tochter einer Schweizer Schriftstellerin und eines spanischen Malers, aufgewachsen in San Domenico di Fiesole unweit von Florenz, ist zu diesem Zeitpunkt einundzwanzig Jahre alt. Vor der streitbaren, engagierten Künstlerin liegt eine große, von Erfolgen, aber auch von Kontroversen geprägte Karriere. Der Auftritt an jenem lauen Juniabend des Jahres 1964 wird ein wichtiger Grundstein für alles Kommende sein.
Zuerst spielt Caterina Bueno einige Töne auf ihrer Gitarre, dann beginnt sie zu singen. Die Melodie ist einfach, der Text besteht aus wenigen Worten.
Tutti mi dicon Maremma, Maremma …
Ma a me mi pare una Maremma amara.
L’uccello che ci va perde la penna
Io c’ho perduto una persona cara.
Alle sagen sie zu mir: Maremma, Maremma …
Doch mir erscheint die Maremma bitter.
Der Vogel, der dorthin fliegt, verliert seine Feder,
und ich habe dort einen geliebten Menschen verloren.
Das Lied ist alt. Es stammt wohl vom Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Malaria das sumpfige Hinterland der südtoskanischen Küste fest in ihrem tödlichen Griff hatte. Niemand weiß heute, wer die ergreifenden Zeilen einst komponierte, Caterina Bueno hat Text und Melodie bei einem Aufenthalt bei den Bauern im Bergland nördlich von Pistoia aufgeschnappt. Seit ihrer Kindheit ist sie von den Volksliedern ihrer Heimat fasziniert, deshalb hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, diese beinahe vergessene Musik wiederzubeleben.
»Maremma amara« wird einer ihrer größten Erfolge werden. In den kommenden Jahrzehnten bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 wird sie das Lied noch unzählige Male singen – und nicht nur sie. Andere, teils noch berühmtere Interpretinnen werden sich des Titels annehmen, darunter die portugiesische Fado-Sängerin Amália Rodrigues und der Superstar des Italo-Rocks Gianna Nannini.
Sia maledetta Maremma, Maremma
sia maledetta Maremma e chi l’ama.
Sempre mi trema ’l cor quando ci vai
perchè ho paura che non torni mai.
Sei verflucht Maremma, Maremma
verflucht sei die Maremma wie jeder, der sie liebt.
Stets zittert mein Herz, wenn du dorthin gehst,
weil ich fürchte, dass du nie mehr zurückkehrst.
»Das ist wirklich schön. Aber auch ziemlich traurig«, seufze ich, als die letzten melancholischen Klänge aus den Lautsprechern des Autoradios verklungen sind. Meine Beifahrerin Cinzia nickt stumm, den Blick aus dem Fenster gerichtet.
Die von Olivenbäumen gesäumte Straße führt uns schnurgerade durch die Ebene. Endlose Felder und Wiesen links wie rechts, im Rückspiegel die Berge, die wir vor einer Stunde hinter uns gelassen haben. Dann plötzlich eine geschlossene Schranke – und weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Ich gehe vom Gas, zögere.
»Vai pure«, sagt Cinzia. »Keine Sorge, fahr nur weiter.«
Ich tue, wie mir geheißen. Als wir uns dem Schlagbaum nähern, öffnet er sich wie von Geisterhand. Dahinter geht es weiter wie zuvor, immer geradeaus, entlang der Weiden, auf denen Gruppen von grauen muskulösen Rindern grasen. Die Tiere hören das Motorengeräusch, einige von ihnen heben neugierig ihre mit ausladenden Hörnern bestückten Köpfe.
»Diese Rasse gibt es nur hier«, erklärt mir Cinzia. »Das sind die Herden, um die sich die butteri kümmern.«
Bilder und Geschichten von den »Cowboys der Toskana«, die auf stämmigen Maremma-Pferden Lasso und Hirtenstab schwingen, gehören zum Standardrepertoire jedes Reiseführers und jeder Fernsehdokumentation über diese Region. Es ist kaum möglich, die butteri ohne Assoziationen an den Wilden Westen zu betrachten, doch sie selbst sind den Vergleich mit ihren nordamerikanischen Kollegen leid und pochen auf ihre eigene Tradition.
Die ist gefährdet, seit die Industrialisierung in der Landwirtschaft um sich greift. Sosehr die romantischen Bilder der berittenen Hirten an die Sehnsucht nach Freiheit in der Natur appellieren, so wenig verlockend ist die Realität, die aus harter körperlicher Arbeit und viel Verantwortung bei niedrigem Einkommen besteht. Kein Wunder, dass der Nachwuchs ausbleibt.
Der Tourismus bietet die Chance, das Aussterben der butteri noch zu verhindern. Interessierte mit guten Reitkenntnissen können heute Urlaubspakete buchen, bei denen sie die Hirten tageweise auf die Weiden begleiten. So haben all die Bilder in den Reiseführern und Dokumentationen vielleicht doch ihr Gutes.
Der dunkle Streifen vor uns ist der Pinienwald, der das Meer von den Feldern trennt. Bald tauchen wir hinein und fahren im Schatten der Bäume weiter. Nach ein paar Minuten wird es wieder heller, die Straße endet an einem ungeteerten Parkplatz, der in den Sandstrand übergeht. Wir steigen aus, hören die Brandung und atmen den salzigen Duft des Meeres ein.
Der Küstenort Marina di Alberese liegt im Parco Regionale della Maremma im Süden der Toskana. Sein Strand unterscheidet sich wohltuend von den Badehochburgen, die man weiter im Norden findet. Reiht sich in Forte dei Marmi, Viareggio oder auch in Marina di Grosseto ein voll ausgestattetes knallbuntes bagno ans andere, gibt es hier nur unscheinbare, im Pinienwald versteckte sanitäre Anlagen, viel Sand und ein paar von Badegästen zum Schutz vor Wind und Sonne errichtete Konstruktionen aus Treibholz.
Schwer zu glauben, dass gerade diese Gegend wie kaum eine andere durch den Menschen geprägt wurde. Der Kampf um die Zähmung der Natur, der den meisten Landschaften der Toskana ihr heutiges Gesicht gegeben hat, war in der Maremma besonders hart und entbehrungsreich. Fast alles, was Cinzia und mich in diesem Augenblick umgibt, wurde irgendwann von Menschen geschaffen, um diesen Kampf zu gewinnen.
Gerade hier, im Mündungsgebiet des Ombrone, blieben die Versuche der Kultivierung über Jahrhunderte hinweg nur Stückwerk. Zwar weiß man, dass bereits die Etrusker Teile der Maremma durch ein ausgeklügeltes Kanalsystem entwässerten – doch schon in der Römerzeit verfielen deren Anlagen, und das Wasser gewann wieder die Oberhand. Während des gesamten Mittelalters blieb das so, Siedlungen gab es nur auf vereinzelten Hügeln und Bergen, die sich wie Inseln aus dem unwirtlichen flachen Sumpfland erhoben. Ab der frühen Neuzeit – vor allem im 18. und 19. Jahrhundert, als die Habsburger die Toskana regierten – gab es wieder Versuche der Entwässerung, um Felder und Weideland zu gewinnen und gleichzeitig die grassierende Malaria zurückzudrängen.
Auf der Piazza Dante in Grosseto befindet sich eine Marmorskulptur, die den von 1824 bis 1859 amtierenden Großherzog Leopold II. darstellt. Er reicht der durch eine junge Frau verkörperten Maremma seine Hand, während er die zu seinen Füßen als Schlange dargestellte Malaria zertritt. Das Denkmal zeugt von der Dankbarkeit, die die leidgeprüften Einwohner der Provinzhauptstadt ihrem Herrscher für seine Bemühungen entgegenbrachten. Die wirklich effektiven Maßnahmen zur Trockenlegung der Maremma erfolgten jedoch etwa hundert Jahre später, und erst in der Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sie ihren Abschluss.
Wir sind nicht ganz allein, aber die wenigen anderen Strandbesucher verlieren sich auf dem mehrere Kilometer langen Sandstreifen südlich der Ombronemündung. Es ist ein Werktag im Juni, das Meer dürfte trotz der strahlenden Sonne noch kühl sein. Wir haben unsere Handtücher ausgebreitet und blicken auf das Wasser, links von uns erhebt sich die Halbinsel des Monte Argentario, davor sind die Umrisse der Insel Giglio zu erkennen. Diese Landmarken bilden das südliche Ende der Toskana und die Grenze zur Region Latium.
Ich seufze verzückt. »Ist das idyllisch! Der perfekte Ort, um zu entspannen.«
»Ja, nicht wahr? Hier im Nationalpark kommt man sich vor wie in einer anderen Zeit«, meint Cinzia nachdenklich, während sie ihre Füße im aufgeheizten Sand vergräbt. »Aber man darf sich nicht täuschen: Die Maremma ist keine rückständige Region mehr.«
»Wegen des Tourismus?«, frage ich. Erst gestern habe ich gelesen, dass die unverbaute Küste der Maremma immer mehr Urlauber anzieht, die Alternativen zu Hotelburgen und riesigen Bungalow-Anlagen mit Pool und Animation suchen. Die etwas nördlich von hier gelegene Landzunge Punta Ala ist bei naturverbundenen Campern beliebt, die adretten Küstenorte Castiglione della Pescaia, Talamone und Porto Santo Stefano, das mit seinem Jachthafen die Reichen und Schönen anlockt, sind ebenfalls längst keine Geheimtipps mehr.
»Sicher, der Tourismus ist wichtig«, antwortet Cinzia. »Aber es geht nicht nur darum. In der Maremma hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel bewegt. Vielleicht weil die Menschen wegen der früher so schwierigen Lebensbedingungen hier seit jeher besonders einfallsreich und erfinderisch sind. Viele Bauernhöfe haben die Chancen entdeckt, die in der wachsenden Nachfrage nach regional und biologisch produzierten Lebensmitteln stecken. Rund um Grosseto wird heutzutage hervorragender Mozzarella hergestellt, außerdem bestes Rindfleisch aus nachhaltiger Landwirtschaft. Oder nehmen wir den Wein.«
Mit Wein kennt sich meine Freundin aus. Ihr Mann arbeitet auf einem Gut bei Montalcino, das erstklassigen Brunello herstellt. Die Maremma habe ich bisher allerdings immer mehr mit Ackerbau und Viehzucht in Verbindung gebracht.
»Hast du schon einmal den Namen ›Sassicaia‹ gehört?«, fragt mich Cinzia. Ich schüttle den Kopf, peinlich berührt ob meiner Ignoranz. Cinzia lächelt milde und fährt fort: »Das ist ein Rotwein aus dem nördlichen Teil der Maremma, der Maremma Livornese. Zur Zeit seiner Markteinführung im Jahr 1968 stellte er eine vollkommene Neuheit dar. Du musst wissen: Damals kannte man aus der Toskana hauptsächlich die Weine aus dem Chianti, die allerdings mehr und mehr als Massenware produziert wurden. Außerdem gab es für sie strenge Vorschriften, die die qualitative Weiterentwicklung verhinderten.
Aber in Bolgheri – einem kleinen Ort in der Maremma – hatte ein gewisser Marchese della Rocchetta bereits seit Ende der vierziger Jahre einen vorzüglichen, vollkommen anderen Wein hergestellt. Und zwar aus Cabernet-Sauvignon-Reben, wie man sie damals eigentlich nur in Bordeaux verwendete. Es war ein Experiment, und das Ergebnis nutzte der marchese zwei Jahrzehnte lang ausschließlich zum Hausgebrauch. Dann überzeugte ihn sein Sohn, den Wein zu vermarkten.«
Die sanfte Brise, die regelmäßig für ein wenig willkommene Abkühlung sorgt, weht Gelächter zu uns herüber. Zwei junge Frauen stehen bis zu den Knien in der Brandung. Sie kreischen und springen hoch, wenn eine Welle vor ihnen bricht.
»Und was ist dann passiert?«, frage ich Cinzia.
»Der Sassicaia wurde ein Riesenerfolg. Auch wenn Traditionalisten die Nase rümpften und er wegen seiner Herkunft und Produktionsweise nur als ›Tafelwein‹ verkauft werden durfte. Bald gab es auch in der Chianti-Region Winzer, die sich die ›französischen Methoden‹ zu eigen machten. Alle diese neuen Weine, die in den Siebzigern entstanden, nannte man ›Super Tuscans‹. Und Bolgheri kann als deren Geburtsort gelten. Der Sassicaia hat übrigens heute sein eigenes DOC-Zertifikat, eine Flasche kostet weit über hundert Euro. Die Zeiten des Tafelweins sind längst vorbei.« Cinzia legt ihre Sonnenbrille ab, dreht sich zu mir um und grinst mich auffordernd an. »Also ich brauche jetzt unbedingt eine Abkühlung. Was ist – kommst du mit?«
Das Wasser ist tatsächlich noch ziemlich kalt. Auch wir springen, kreischen und lachen, bevor wir uns schließlich in die Fluten stürzen. Und dann ist es herrlich. Ich schwimme weiter hinaus, drehe mich auf den Rücken, schließe die Augen und spüre, wie mich die Wellen sanft aufheben und hinabsenken. Nach ein paar Minuten öffne ich die Augen wieder. Von hier draußen kann man gut erkennen, dass sich der Pinienwald entlang der gesamten Küste erstreckt. Er wurde nach der Trockenlegung gepflanzt, die Bäume sollen den Wind von den Weiden und Äckern abhalten und außerdem verhindern, dass die Brandung das mühsam gewonnen...

Table of contents

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Über den Autor
  4. Titel
  5. Inhalt
  6. Traum und Wirklichkeit
  7. Hüter des Schatzes
  8. Von Pilgern, Raubrittern und Kirchenmännern
  9. Über den Dingen
  10. Wahre Liebe zwischen Glamour und Kommerz
  11. Viel mehr als nur Steine
  12. Kommunisten, Sozialisten, Populisten
  13. Dentro le mura
  14. Gottesgeschenk
  15. Drei Komponenten und eine Menge Tradition
  16. Die Erben der Medici
  17. Und … Action!
  18. Das verwandelte Land