Die Entstehung des Islam – Wie kam
es zu der großen Spaltung im Islam?
Der Islam entstand im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel und steht historisch in der Folge des Juden- und Christentums. Das Wort »Islam« leitet sich aus dem Wort »Salam« (arabisch: Heil, Frieden) ab und ist verwandt mit »Schalom« (hebräisch: Frieden). Das arabische Wort »Islam« bedeutet zunächst einmal Hingabe an oder Unterwerfung unter Gott.
Im Wesentlichen wurde der Islam auf den Offenbarungen, die dem Propheten Mohammed (570–632) seit seinem vierzigsten Lebensjahr zuteilgeworden waren, gegründet. Er empfing im Jahr 610 bei meditativen Übungen in einer Höhle am Berg Hira bei Mekka seine erste göttliche Offenbarung. Diese sollte seinem Leben eine neue Richtung geben. Es begann ein 22-jähriges Ringen um Erkenntnis, den rechten Glauben und dessen Verbreitung. Seine Predigten von dem einen Gott fanden unter den Bewohnern Mekkas wenig Anklang. Mohammeds Lehren brachten die lukrativen Einnahmen Mekkas als Stätte jährlicher Pilgerfahrten zur Kaaba, die von vielen Kulturen verehrt wurde, zu sehr in Gefahr. Mohammed starb 632 in Medina. Er gilt bei allen Muslimen als der letzte in einer langen Reihe von Gott gesandten Propheten, zu denen auch Abraham, Moses und Jesus zählen. Nach islamischem Verständnis ist Mohammed ein Mensch wie alle anderen Menschen, obwohl er Gottes Wort verkündete. Seine Visionen wurden erst nach seinem Tod in 114 Suren im Koran niedergeschrieben. Nach dem Tod von Mohammed begannen die ersten Auseinandersetzungen. Mohammed wurde zu Lebzeiten von allen Muslimen als Prophet akzeptiert und respektiert. Als er verstarb, gab es unterschiedliche Auffassungen, wer nach seinem Tod zur Leitung der Gemeinde (Nachfolger = Kalif) legitimiert sei.
Ein Teil der gläubigen Muslime stimmte dafür, unter den religiösen Anführern eine geeignete Person durch Wahl zu bestimmen. Andere sahen einzig in dem blutsverwandten Ali, Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, seinen legitimen Nachfolger. Sie waren überzeugt, dass dies der eigentliche Wille des Propheten war. Stattdessen wurde ein anderer ausgesucht, nämlich Abu Bakr. Die Sunniten akzeptierten damals Abu Bakr als Nachfolger (1. Kalif). Der jeweilige Kalif war von da an der akzeptierte Stellvertreter des Propheten.
Diese unvereinbaren Positionen führten schnell zu Auseinandersetzungen, in deren Folge die noch junge muslimische Gemeinschaft zerfiel. Die Kämpfe beendeten die Einheit der Gläubigen und führten zur großen Spaltung des Islam in zwei Hauptströmungen, die Sunniten und die Schiiten, die sich bis heute feindselig gegenüberstehen. Auch die anderen Spaltungen in den Hauptströmungen des Islam (Sunniten und Schiiten) haben ihre Ursprünge zumeist in der Politik und aufgrund von Führungsproblemen. Am Anfang ging es weniger um unterschiedliche Lehrauffassungen und religiöse Wahrheiten oder um das Halten und Nichteinhalten der religiösen Gesetze, sondern vielmehr um Eifersucht, Führungsansprüche und Rivalitäten einzelner Gruppierungen. Erst nach dem Tode von Hussein, einem Enkel des Propheten, wurden die religiösen Gesetze immer strenger und zum Teil anders ausgelegt. Um ein Beispiel zu geben: Obwohl der Prophet Mohammed viele Gebete mit den Familien (Frauen, Männer und Kinder) durchgeführt hat, entwickelte sich im Laufe der Geschichte die Sitte, dass Frauen und Männer in den Zeremonien getrennt wurden, was auch heute bei den meisten Muslimen in dieser Form stattfindet. Es gibt lediglich eine kleine Anzahl von muslimischen Gruppierungen, bei denen auch Frauen an den Gebetszeremonien teilnehmen.
Die Sunniten
Die Sunniten bilden heute mit etwa 85 % die zahlenmäßig größte Gruppierung innerhalb des Islam. Sie verstehen sich als islamische Orthodoxie. Die Grundlagen ihrer Glaubens- und Pflichtlehre bilden Koran und Sunna (arabisch: sunna = Brauch). Kennzeichnend für die Sunniten ist, dass sie die ersten Nachfolger des Propheten (Kalifen) verehren. Das Kalifat spiegelt eine der zentralen Ideen der Sunniten wider. Mit dem Ende des Osmanischen Reiches wurde der Sultan, der in Personalangelegenheiten auch das Amt des Kalifen bekleidet hat, entmachtet. Das Kalifat, das keine religiöse Lehrautorität verkörperte, wurde mit der Gründung der türkischen Republik 1924 abgeschafft. Ein Umstand, mit dem sich einige konservative Muslime bis heute nicht abfinden wollen. Deshalb lehnen manche konservativen Muslime die Politik Atatürks (Gründer der türkischen Republik) strikt ab.
Des Weiteren orientiert sich das Sunnitentum an einer bestimmten Anzahl von Hadith-Sammlungen, die als Richtlinie dienen. Auch die Sunniten vertreten sehr unterschiedliche Modelle des Islam, die vor allem von den verschiedenen Rechtsschulen geprägt werden.
Hier werden die vier größten Rechtsschulen erwähnt.
- Die schafiitische Schule
- Die hanafitische Schule
- Die malikitische Schule
- Die hanbalitische Schule
Die einzelnen Rechtsschulen führen sich auf Gründungsväter zurück, deren Namen sie tragen. Jede Rechtsschule folgt einem eigenen Lehrsystem, welches in vielen Grundsätzen zwar gleich ist, aber sich in einigen auch erheblich unterscheidet. Das kann durchaus zu gravierenden Rechtsbestimmungen führen; etwa bei der Rechtmäßigkeit von Bedingungen im Hochzeitsvertrag, unter denen eine Frau selbstständig ihre Scheidung einklagen kann. Obwohl die Rechtsschulen heutzutage ihre überragende Bedeutung als alleinige Träger islamischen Rechts verloren haben, bleibt die Zugehörigkeit der sunnitischen Muslime zu einer Rechtsschule in Fragen der Religionsausübung von großer Bedeutung. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Rechtsschulen ist stark traditions- und familienabhängig. Man wird wie in eine christliche Konfession hineingeboren.
Innerhalb der einzelnen Rechtsschulen gibt es Reformatoren, die großen Einfluss erlangten und Spaltungen bzw. Neuorientierungen verursachten. So orientierten sich zum Beispiel viele Muslime auf der Arabischen Halbinsel – die sogenannten Wahhabiten – an den Lehren des Mohammed ibn Abd-al Wahhab (1696–1787). Der Wahhabismus bildet eine kleine, aber mittlerweile einflussreiche Strömung innerhalb des sunnitischen Islam, die sich durch eine radikale, militant-puristische Auslegung der Religion kennzeichnet. Für Wahhabiten sind in Anlehnung an die Lehren al-Wahhabs ausschließlich wörtliche Interpretationen von Koran und Sunna maßgeblich. Viele wahhabitische Gelehrte verurteilen die philosophischen und theologischen Schulen des Islam, insbesondere den Sufismus. Nach wahhabitischem Islamverständnis ist auf eine strikte Trennung von Frauen und Männern zu achten. Den meisten Muslimen ging diese Radikalität schon zu weit. Lange Zeit wurde der Wahhabismus daher als eine Sekte innerhalb des Islam gesehen. Durch zwei Punkte wurde diese Sicht verändert: An erster Stelle steht der Ölreichtum der Wahhabiten. Sie haben dadurch die Möglichkeit, mithilfe großzügiger Moscheebauten, großer Geldspenden und eines weltweiten Netzwerks von Bildungsinstitutionen ihr Islamverständnis nach Europa zu exportieren. Zweitens kontrollieren sie die heiligen Stätten (Mekka und Medina), wo Pilger aus der ganzen Welt mit ihrer ultraorthodoxen Auslegung des Islam in Berührung kommen und dadurch von ihr beeinflusst werden.
Des Weiteren gibt es die Ahmaddiya-Gemeinschaft, die von Mirza Ghulam Ahmad während der 1880er Jahre in Indien gegründet wurde. Er verstand sich als die prophezeite Wiederkunft Jesu, Krishnas und Buddhas in einer Person. Er will die Ahmaddiya-Bewegung im göttlichen Auftrag gegründet haben. Die Ahmaddiya-Bewegung sieht sich als ein Teil der sunnitischen Gemeinschaft an, da sie an den Rechtsquellen – Koran, Sunna und Hadith – festhalten will. Zusätzlich haben die Schriften und Offenbarungen von Mirza Ghulam Ahmad eine sehr große Bedeutung. Die meisten anderen Muslime (insbesondere der Großteil der Sunniten) sehen die Ahmaddiya-Lehre als dem Islam nicht zugehörig und lehnen sie daher ab. Deshalb werden viele Ahmaddiya-Anhänger in zahlreichen orientalischen Ländern diskriminiert oder verfolgt.
Die Schiiten
Die Schiiten sind im Gegensatz zu den Sunniten der Überzeugung, Mohammed selbst habe auf der Abschiedswallfahrt am Teich Chumm Ali zu seinem unmittelbaren Nachfolger bestimmt. Jedoch wurde dieser Wunsch nach seinem Tode nicht eingehalten. Stattdessen fand eine Wahl statt, an der Ali nicht teilnahm. Daher sehen die Schiiten die Kalifen Abu Bakr (1. Kalif 632–634), Umar (2. Kalif 634–644) und Uthman (3. Kalif 644–656) nicht als rechtmäßige Nachfolger an.
Erst nach den drei oben genannten Kalifen wurde Ali zum vierten Kalifen gewählt. Seine Wahl wurde allerdings von der Gruppe um Muawiya, dem damaligen Statthalter von Syrien, nicht anerkannt.
Damit begann die große Spaltung der muslimischen Gemeinschaft, die sich vor allem nach dem Tod Alis (661) manifestierte. Nach Alis Ermordung setzte sich Muawiya als Kalif durch. Wie seine Vorgänger berief er sich auf göttliche Rechtsleitung. Anders als die vorherigen Kalifen nannte er sich nicht mehr nur »Nachfolger des Propheten«, sondern »Stellvertreter Gottes«. Er war der Begründer der Dynastie der Ummayaden, die bis 750 regierten. Als Muawiya 680 starb, brachen erneut innenpolitische Konflikte aus. Yazid, der Sohn Muawiyas, wollte das Kalifat übernehmen. Aber Hussein, der zweite Sohn Alis, war dagegen, dass Yazid Kalif wurde. Da Hussein (Enkelsohn des Propheten) in der Gesellschaft sehr beliebt war, wollte Yazid, dass Hussein sich unterordnete. Doch Hussein widersetzte sich Yazid, weil Yazid die islamische Religion in seinem Namen missbrauchte. Daher ging Hussein mit einer sehr kleinen Gruppe, den Tod bewusst auf sich nehmend, in den aussichtslosen Kampf um die Herrschaft gegen Yazid (Muawiyas Sohn). Am 10. Muharrem (islamischer Monat) 680 wurden Hussein und die meisten seiner Familienmitglieder und Anhänger bei Kerbela/Irak getötet. Nach dem Tode von Hussein manifestierte sich eine Konfession, die sich in einigen zentralen Aspekten von den sunnitischen Glaubenslehren unterscheidet.
Im Unterschied zu den Sunniten erkennen die Schiiten nur Nachkommen des vierten, also für sie des ersten Kalifen, Ali, als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten an. Demnach waren die ersten drei Kalifen unrechtmäßig und ihre Wahl eine schwere Sünde. Daher lehnte die Schia die sunnitische Kalifen-Dynastie von Beginn an ab.
Grundsätzlich aber teilen die Schiiten den Glauben aller Muslime und berufen sich wie die Sunniten auf Koran und Sunna. Allerdings haben sie einige besondere Rituale und Lehrinhalte sowie eigene Rechtsschulen.
Ein wesentlicher Unterschied zu den Sunniten besteht in der Rolle der Imame (arabisch: Vorsteher), die aus der Familie Alis stammen müssen. Sie werden nicht nur als religiöse, sondern auch als von Gott geleitete politische Führer angesehen, die über eine von Gott inspirierte, unfehlbare Koran-Auslegung verfügen. Ali gilt den Schiiten als der erste Imam; seine beiden Söhne Hasan und Hussein als zweites und drittes geistliches wie weltliches Oberhaupt. Innerhalb der Schia gibt es zahlreiche Untergruppen. Die zahlenmäßig größte Gruppe sind die Zwölfer-Schiiten, die auch Zwölfer-Schia oder Imamiya genannt wird. Nach den Zwölfer-Schiiten endet die Reihe der Imame mit dem zwölften Imam Mohammed Mahdi. Er soll sich schon als achtjähriger Junge geheimnisvoll in die Verborgenheit zurückgezogen haben und werde nach Ansicht der Schia am Ende der Zeit als Erlöser (»Mahdi«) wiederkehren.
Das schiitische Imamat war erblich. Aber die Frage, welcher männliche Nachkomme der legitime Imam sei, trug den Keim von Spaltungen bei den Schiiten in sich. Die Zwölfer-Schiiten sind die bedeutendsten. Darübe...