Michael Endes Philosophie im Spiegel von "Momo" und "Die unendliche Geschichte"
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Michael Endes Philosophie im Spiegel von "Momo" und "Die unendliche Geschichte"

Im Spiegel von "Momo" und "Die unendliche Geschichte"

Alexander Oberleitner

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Michael Endes Philosophie im Spiegel von "Momo" und "Die unendliche Geschichte"

Im Spiegel von "Momo" und "Die unendliche Geschichte"

Alexander Oberleitner

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Michael Ende (1929–1995) wird fälschlicherweise oft als »Kinderbuchautor« abgestempelt, dabei richten sich seine Werke nicht (allein) an Kinder und Jugendliche, sondern sind durchdrungen von einer Vielzahl philosophischer Fragestellungen und Reflexionen. Anhand seiner beiden bekanntesten Romane »Momo« (1973) und »Die unendliche Geschichte« (1979) arbeitet der Autor kritisch und methodisch höchst reflektiert das bisher kaum gewürdigte philosophische Denken Endes heraus und ordnet es in einen größeren philosophiegeschichtlichen Kontext ein.Endes Werke grenzen sich auf Grund ihres ausgeprägt reflexiven Charakters nicht nur vom Genre »Fantasy« ab, er vertritt auch eine eigene, vom Schöpferischen ausgehende Kunsttheorie und Anthropologie. Damit einher geht – vor allem in »Momo« – eine klare Kapitalismuskritik sowie Reflexionen über die Bedingungen der (Un-)Möglichkeit einer ursprünglich-schöpferischen Existenz des Menschen unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen.

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Information

Year
2020
ISBN
9783787338917
TEIL II
»MOMO« ODER DIE KÄLTE DES KAPITALISMUS

A.Der Weg zum Nirgend-Haus

Wenn man davon ausgeht, daß Literatur auch eine gesellschaftskritische, politische Aufgabe hat, so kenne ich eigentlich kein Buch, dessen Gesellschaftskritik so tief ansetzt und, wenn man so will, so systemgefährdend ist wie Momo. – Erhard Eppler –
Beginnen wir mit einer ganz naiven Frage. Worum geht es in Momo? »Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte« – so untertitelte Ende selbst sein Werk. Was liegt näher als die Annahme, im Zentrum des Romans stehe der Begriff der Zeit? So wurde Momo in der Tat interpretiert – zuletzt etwa von Gernot Böhme, dem wir eine der raren philosophischen Annäherungen an Endes Werk verdanken.123 Indes läuft eine solche Lesart Gefahr, den Märchenroman auf eine belehrende Fabel über ein scheinbar abstraktes Thema zu reduzieren, was den Intentionen des Autors wohl kaum gerecht wird. Als gesellschaftskritisches Werk, das »etwas bewirken und verändern [will]« (Hocke/Neumahr),124 warnt Momo vor ausgesprochen realen Gefahren – wie ja auch der Untertitel, genau gelesen, nicht etwa von »der Zeit« als Abstraktum, sondern vom konkreten Verlust von Zeit spricht. In Momo geht in der Tat Dramatisches vor: Unbedarfte Opfer werden auf vampirische Weise ihres Lebens beraubt; eine solidarische Gemeinschaft zerfällt in vereinzelte, verbitterte Individuen; blühende Städte werden zu »endlosen Reihen« (MO 73) seelenloser Wohnsilos entstellt; ja, das Überleben der gesamten Menschheit hängt an einem seidenen Faden. Ein beklemmender Alptraum? Eine apokalyptische Vision? Nein, so versichert uns der Autor, sondern schlicht und einfach – ein »Bild unserer Welt«: ihr »wahres Gesicht«.125 Wie wir sehen, trifft Erhard Eppler ins Schwarze, wenn er Momo als zutiefst »systemgefährdend« interpretiert. Dieses System aber läßt sich – zumal für Michael Ende – ganz konkret benennen. Wenn er im selben Gespräch eindringlich vor den »Krebsgeschwüren« des Kapitalismus warnt,126 so bringt er eine Sorge zum Ausdruck, die nicht nur sein Denken, sondern ohne Zweifel auch sein Schaffen in hohem Maße prägt. Auf welches Werk träfe dies mehr zu als auf Momo? Was ist dieses »Bild unserer Welt«, mit dem uns Ende hier konfrontiert, wenn nicht das einer kapitalistischen Gesellschaft am Rande des Abgrunds? Es wird zu zeigen sein, daß dieser nicht etwa bloß allgemein zivilisations-, sondern explizit kapitalismuskritische Kontext das Werk bis in die feinsten Verästelungen seiner Struktur durchzieht. Werden nun einzelne Elemente – und seien sie so zentral wie der Begriff der Zeit – aus diesem Kontext gelöst, so zerfällt der Märchenroman unter den Händen des Interpreten nur allzuleicht in glänzende Einzelteile. Fragestellungen, welche die systemkritische Grundtendenz des Werkes berücksichtigen, wären hingegen etwa folgende: Worin wurzelt für Ende das Phänomen des Kapitalismus? Welcherart sind die Strukturen der kapitalistischen Ideologie, wie sie sich in Momo zeigt? Was bezweckt sie – und was bewirkt sie praktisch? Was stellt Ende ihr entgegen? Und schließlich: Warum ist gerade der Begriff der Zeit hierbei derart bedeutsam? Man sieht: Wir werden bis zu Meister Horas Weltuhr einen weiten Weg zu gehen haben.

B.Die neue Welt des Marxentius Communus

Der Kommunismus ist eine gewaltige Idee, die nur den Nachteil hat, daß sie sich verwirklichen läßt. – Karl Farkas –

1.Momo in der Geschichte und eine Geschichte in Momo

Als Warnung vor dem Kapitalismus hat Momo seine Aktualität nicht bloß bewahrt, es zählt mit Aldous Huxleys Brave New World zu jenen Büchern, die ihrer Zeit auf beklemmende Weise voraus sind. »Heute herrschen die grauen Herren fast unumschränkt«, stellt Anne-Catherine Simon (Die Presse) zum 40. Jahrestag der Erstausgabe lapidar fest.127 Mit anderen Worten: Jenes häßliche »wahre Gesicht« unserer Gesellschaftsform ist am Beginn des dritten Jahrtausends auch außerhalb der Buchdeckel von Momo kaum mehr zu übersehen. Die Rasanz dieser Entwicklung, die sich insgesamt als eine der größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte erweisen dürfte, hat sich seit dem weltweiten Zusammenbruch »realsozialistischer« Systeme um das Jahr 1990 noch erhöht. Zur Zeit des Kalten Krieges, als sich zwei antagonistische Blöcke in prekärem Gleichgewicht gegenseitig belauerten, sahen sich »[d]ie kapitalistischen Oligarchien des Westens […] gezwungen, Zugeständnisse zu machen, ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit und gewerkschaftlicher Freiheit zu gewähren […], weil um jeden Preis die kommunistische Option im Westen verhindert werden mußte« (Jean Ziegler)128. Ohne auch nur im mindesten an den Wurzeln des herrschenden Systems zu rühren, wurden so seine bedrohlichsten Auswüchse lange Zeit leidlich gehemmt. Nach 1990 hatte der vermeintlich siegreiche Westen dies schlicht nicht mehr nötig. So folgte der »Wende« nicht nur ein Ende brutalster Unterdrückungsmethoden in den betroffenen Staaten, sondern bald auch das Gespenst eines im wahrsten Sinne des Wortes weltumspannenden, schrankenlosen, in sämtliche Gesellschafts- und Lebensbereiche eindringenden Kapitalismus – dem ein kümmerlicher Restbestand kommunistischer Systeme, die vollauf mit der Vermeidung des eigenen Untergangs beschäftigt sind, machtlos gegenübersteht. Ein ganz ähnliches Bild bietet der Kampfplatz der Theorie: Während ein marginalisiertes Grüppchen orthodoxer Marxisten darauf beharrt, daß lediglich die Umsetzung, nicht aber die Idee an sich gescheitert sei, gilt der historische Bauchfleck des Kommunismus neoliberalen Ideologen weltweit als Beweis für die ultimative Überlegenheit der kapitalistischen Gesellschaftsform. Mehr noch: Jenes berüchtigte »TINA-Argument« (There Is No Alternative), das darauf abzielt, jegliche Systemkritik im Keim zu ersticken, triumphiert seit 1990 auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses. Dessenungeachtet – oder vielmehr gerade deshalb – ist eine fundamentale und fundierte Kritik des Kapitalismus jenseits von Marx und Engels heute notwendiger denn je.
Welche Position nimmt Momo hier ein? Kann aus einem »Märchenroman« tatsächlich erschlossen werden, wie sein Verfasser zum Marxismus stand? Es kann – vorausgesetzt, man liest das Werk mit gebührender Sorgfalt. Oder sollte jene abenteuerliche Baugeschichte von Momos Amphitheater, die ihr bester Freund Girolamo amerikanischen Touristinnen auftischt, wirklich so ganz aus der Luft gegriffen sein?
»Selbstverständlich ist es sogar bei Ihnen im schönen, freien Amerika bekannt, meine hochverehrten Damen, daß der überaus grausame Tyrann Marxentius Communus, genannt der ›Rote‹, den Plan gefaßt hatte, die ganze Welt nach seinen Vorstellungen zu verändern. Aber was er auch tat, es zeigte sich, daß die Menschen trotz allem so ziemlich die Gleichen blieben und sich einfach nicht ändern ließen. Da verfiel Marxentius Communus […] auf die Idee, die bestehende Welt hinfort sich selbst zu überlassen und lieber eine vollkommen nagelneue Welt zu bauen.
Er befahl also, einen Globus herzustellen, der genauso groß sein sollte wie die alte Erde und auf dem alles, jedes Haus und jeder Baum und alle Berge, Meere und Gewässer ganz naturgetreu nachgestellt sein müßten. Die gesamte Menschheit wurde unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, an dem ungeheuren Werk mitzuarbeiten. Zuerst baute man einen Sockel, auf dem dieser Riesenglobus stehen sollte. Und die Ruine dieses Sockels sehen Sie hier vor sich. […]
Natürlich brauchte man sehr viel Material für diesen Globus, und dieses Material konnte man ja nirgends anders hernehmen als von der Erde selbst. So wurde eben langsam die Erde immer kleiner, während der Globus immer mehr wuchs.
Und als die neue Welt schließlich fertig war, hatte man dazu haargenau das letzte Steinchen, das von der alten Erde noch übrig geblieben war, wegnehmen müssen. Und natürlich waren auch alle Menschen auf den neuen Globus umgezogen, denn der alte war ja verbraucht. Als Marxentius Communus erkennen mußte, daß nun trotz allem eigentlich alles beim Alten geblieben war, hüllte er sein Haupt in die Toga und ging davon. Wohin, hat man niemals erfahren. […]« (MO 49 f.)
Natürlich klingt dieser Vortrag eher nach einer Demonstration von »Gigis« erstaunlichem Witz und Erzähltalent als nach einer ernsthaften Abrechnung Endes mit dem Marxismus. Man braucht indes nur den Wunschpunsch zu lesen, um zu wissen, wie gerne Ende scharfe inhaltliche Kritik hinter scheinbar verbindlichem Humor verbirgt. Der aufmerksame, philosophisch interessierte Leser wird den Versuch des erfundenen »Marxentius«129, eine neue Welt aus den Bestandteilen der alten zu bauen, jedenfalls ebenso bemerkenswert finden wie sein völliges und spektakuläres Scheitern. Wir werden im Laufe dieser Untersuchung vielleicht noch ausmachen können, welche Bauteile es für Ende sind, auf die »Marxentius« bei seinem ehrgeizigen Projekt wohl doch besser verzichtet hätte. Eines aber steht jetzt schon fest: Daß sich diese satirische Abgrenzung von Marx rein zufällig in den kapitalismuskritischen Märchenroman verirrt hätte, können wir aussschließen. Das würde wohl nicht einmal einem Girolamo einfallen.

2.Ende und der Marxismus

Werfen wir einen kurzen Blick zurück auf Endes Biographie, so zeigt sich, daß er selbst mehr mit Marxentius zu schaffen hatte, als der überlegen-ironische Ton von Gigis Parabel verrät. Waren es nicht die stramm ideologischen Theorien eines Bertolt Brecht, mit denen der junge Schriftsteller seinen eigenen kreativen Quell derart verschüttete, daß er gar »den Beruf aufgeben [wollte]«?130 Hat er nicht selbst später beklagt, er habe lange Jahre am Marxismus Brechtscher Prägung »schwer […] laboriert«?131 Und entstand sein Märchenroman nicht ausgerechnet in der Auf- und Umbruchszeit der späten Sechzigerjahre, als marxistisches Gedankengut im gesellschaftlichen Diskurs eine Rolle spielte, die uns heute kaum mehr vorstellbar ist? Freilich hatte Ende zur Zeit der Arbeit an Momo bereits mit vielen seiner früheren Überzeugungen gebrochen, wie uns nicht nur die grandiose Niederlage des Marxentius Communus verrät. Im Vorwort zum 1967 uraufgeführten Drama Die Spielverderber betont er zwanzig Jahre danach:
Der Marxismus schien mir in den wesentlichen Punkten längst überholt, an den Klassenkampf, aus dem Brecht sein rauhbeiniges Pathos bezog, glaubte ich damals schon nicht mehr […]. (MB 303)
Oberflächlich betrachtet, ließe diese Abkehr von marxistischen Ideen ein Abklingen der Endeschen Kapitalismuskritik erwarten. Das Gegenteil ist der Fall: Spannen wir einen Bogen von Momo über das Gauklermärchen bis hin zu Wunschpunsch und Rattenfänger, so kommen wir nicht umhin zu bemerken, daß sich wenn nicht die inhaltliche Kritik, so doch der Tonfall beständig verschärft.132 Noch klarer wird das Bild, wenn wir Gesprächsprotokolle und Interviews in Betracht ziehen, wo Ende seine Einschätzung des herrschenden Systems – wie wir gesehen haben – in durchaus drastische Metaphern zu kleiden pflegt. Wo aber herrscht dieses System? Ende macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen Ost und West; selten vergißt er klarzustellen, es sei »der Staatskapitalismus kommunistischer Prägung ebenso wie unser Privatkapitalismus«133 gemeint. Schlägt nicht Girolamos Geschichte in dieselbe...

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