Einführung in die Systemtheorie
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Einführung in die Systemtheorie

Niklas Luhmann, Dirk Baecker, Dirk Baecker

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Einführung in die Systemtheorie

Niklas Luhmann, Dirk Baecker, Dirk Baecker

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"Leser: innen, die den Anschluss an moderne Theorieentwicklung verpasst haben, werden behutsam und anspruchsvoll in die Theorie sozialer Systeme eingeführt und können den Theorieaufbau lektionsweise mitverfolgen."Rechtsgeschichte, Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte"Niklas Luhmann zu lesen wird oft als anspruchsvoll und noch öfter als völlig unmöglich bezeichnet. Dieses Buch ist eine echte Ausnahme. Das Buch ist eine Fundgrube für einfache Ideen im Umgang mit schwierigen Fragen und bietet eine Menge von Konzepten, die es erlauben, Wahrnehmung, Beschreibung und Denken zu schulen."Lernende Organisation"Es ist ein Gewinn, dass Luhmanns Vorlesungen zu diesem Themengebiet, die bislang nur in Form von Tonbändern zugänglich waren, nun auch in Buchform vorliegen. Der Herausgeber, Dirk Baecker, hat einfühlsam darauf geachtet, dass Leser: innen der mündliche Sprachduktus erhalten geblieben ist. Es ist ein außergewöhnliches Arbeitsbuch, das interessierten Leser: innen Schritt für Schritt in das Theoriegebäude der neuen Systemtheorie einführt."OrganisationsEntwicklung"Eine Schule des Denkens."Mannheimer MorgenSystemtheorie aus erster HandIm Unterschied zu allen anderen Einführungen in die Systemtheorie führt hier der Urheber selbst in seine Theorie ein. Die Vorlesung zur Einführung in die Systemtheorie, die diesem Buch zugrunde liegt, zeigt Niklas Luhmann auf dem Höhepunkt seines souveränen Umgangs mit einer anspruchsvollen Theorie und der zu beschreibenden Gesellschaft.Die Einführung wird ihrem Namen auch insofern gerecht, als es Luhmann darum ging, seinem studentischen Publikum ein eigenes Arbeiten mit dieser Theorie zu ermöglichen. Sie ist deshalb eine Fundgrube für einfache Ideen im Umgang mit schwierigen Fragen und bietet eine Palette von Konzepten und Theoremen, die es erlauben, Wahrnehmung, Beschreibung und Denken zu schulen – sowohl für die Beobachtung von Politik und Wirtschaft, Religion und Wissenschaft, Kunst und Erziehung, Familie und Organisation als auch für die Einschätzung aktueller Fragen der Kognitionsforschung, ökologischer Probleme und sozialer Bewegungen.Das Buch klärt die wichtigsten Grundlagen der allgemeinen und der soziologischen Systemtheorie mithilfe präziser Begriffsvorschläge und einer Fülle von Beispielen. Darüber hinaus dokumentiert es, daß der Witz zu den wichtigsten Ressourcen ernsthafter Theoriearbeit gehört. Keiner von Luhmanns Texten ist so gut verständlich und nachvollziehbar wie dieser.Der Autor: Niklas Luhmann (1927–1998) zählt zu den bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts und überraschte immer wieder auch durch Stellungnahmen zu zeittypischen Phänomenen. Von 1968 bis 1992 hatte er den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Bielefeld inne.

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Information

Year
2024
ISBN
9783849782573
Edition
9

II.Allgemeine Systemtheorie

1. Theorie offener Systeme

Dritte Vorlesung

In dieser Stunde beginne ich mit dem Versuch, einige Überlegungen zu einer allgemeinen Systemtheorie zusammenzustellen. Das Wort, der Begriff »allgemeine Systemtheorie« überzieht die Sachverhalte beträchtlich. Eigentlich gibt es eine solche allgemeine Systemtheorie nicht. Zwar wird in der soziologischen Literatur immer auf die Systemtheorie Bezug genommen, so als ob es sich um etwas handele, das im Singular vorhanden wäre, aber wenn man genauer zusieht und wenn man über die soziologische Literatur hinausgreift, wird es schwierig, einen entsprechenden Gegenstand, eine entsprechende Theorie zu finden. Es gibt mehrere allgemeine Systemtheorien. Es gibt Versuche, systemtheoretische Ansätze zu verallgemeinern, das heißt, die Schranken einer bestimmten Disziplin zu überschreiten, aber im Allgemeinen ist dann immer noch deutlich zu erkennen, in welcher Disziplin der Ausgangspunkt dieser Abstraktionen liegt. Im Allgemeinen gibt es auch beträchtliche Barrieren zwischen den verschiedenen Disziplinen oder den verschiedenen Theoriemodellen, die Verallgemeinerungen von einer bestimmten Ausgangslage her zu formulieren versuchen. Diese Situation ist vielleicht historisch bedingt. In den 50er-Jahren hat man versucht, eine allgemeine Systemtheorie zu formulieren. Die entsprechende Terminologie beginnt in dieser Zeit. Damals wurde eine Gesellschaft für »General Systems Research« gegründet.1 Es entstand ein »General Systems«-Jahrbuch als Fokus für Publikationen mit dieser Interessenrichtung. Und es gab die Idee, dass man von verschiedenen Ausgangspunkten her Gedanken zusammenbringen und kombinieren könnte, die dann eben so etwas wie eine allgemeine Systemtheorie produzieren sollen. Das war nicht ohne Erfolg. Aber es lohnt sich, zunächst einmal in die Quellen dieser Überlegungen zurückzugehen und die verschiedenen Ausgangspunkte zusammenzustellen, um dann zu sehen, wo jeweils der kritische Fokus, die Probleme einer solchen Generalisierung gelegen haben und weshalb man über eine bestimmte Schwelle systemtheoretischer Entwicklungen nicht hinausgekommen ist.
Meine Absicht ist es in dieser Stunde, zunächst einmal diese Entwicklung aufzuzeigen und ihre Grenzen zu markieren, um dann mit einem Neuansatz zu versuchen, einzelne Gesichtspunkte einer Art zweiten Generation, einer »second order cybernetics«, einer »Theorie beobachtender Systeme« und dergleichen zu formulieren.
Also zunächst einmal zu den Ausgangspunkten. Eine Entwicklung lag in der Metapher oder in Modellen, die mit dem Begriff des Gleichgewichts gearbeitet haben. Das hatte zunächst einmal insofern eine mathematische Grundlage, als man mit mathematischen Funktionen zu arbeiten versuchte, aber die Metaphorik ist auch unabhängig davon interessant und im Übrigen eine der ältesten Quellen des systemischen Denkens, längst in Gebrauch, bevor man das Wort »System« mit einer gewissen Prominenz versah, längst natürlich auch, bevor man von »Systemtheorie« im eigentlichen Sinne sprechen konnte. Ich weiß nicht genau, wann das angefangen hat, aber die Gleichgewichtsmetaphorik ist im 17. Jahrhundert in der Idee des »balance of trade« schon selbstverständlich in Gebrauch, motiviert gegen Ende des Jahrhunderts auch die Vorstellung eines internationalen, speziell eines europäischen Gleichgewichts der Nationen (oder politischer Faktoren) und findet darüber hinaus eine allgemeine und relativ unbestimmte Verwendung.
Wenn man auf diese Entwicklung zurückblickt, kann man sagen, sie ist durch eine Unterscheidung zu kennzeichnen, nämlich die Unterscheidung zwischen einem stabilen Zustand und einer Störung. Normalerweise wird der Akzent auf Stabilität gelegt. Man stellt sich ein Gleichgewicht als stabil vor, das nur auf Störungen reagiert, und zwar in der Weise reagiert, dass entweder das alte Gleichgewicht wiederhergestellt oder ein neuer Gleichgewichtszustand erreicht wird. Die Metapher setzt eine gewisse Mechanik, eine gewisse Implementation, eine gewisse Infrastruktur voraus, die dafür sorgen, dass das Gleichgewicht erhalten wird. Von daher ist die Vorstellung dominant, dass Gleichgewichtstheorien Stabilitätstheorien sind. Wenn man genauer hinsieht, und solche Hinweise gibt es schon im 17. Jahrhundert, wird das jedoch fragwürdig. Wenn man sich an der Vorstellung einer Waage, eines Gleichgewichtszustandes zweier Waagschalen, orientiert, wird sofort deutlich, dass dieses Gleichgewicht außerordentlich leicht zu stören ist. Man braucht nur auf einer der Waagschalen ein kleines Gewicht hinzuzufügen, und schon ist die Waage debalanciert.
Das heißt, man kann die Idee des Gleichgewichts als eine Theorie betrachten, die die Störempfindlichkeit eines Systems bezeichnet und auch lokalisiert – man weiß, was man tun muss, wenn man das Gleichgewicht stören will. Unter einem Gesichtspunkt, der in der Vorlesung immer wieder vorkommen wird, ist diese Theorie eine Theorie einer spezifischen Unterscheidung und nicht so sehr die Theorie eines wünschenswerten Zustandes oder einer bestimmten Art von Objekten. Der Begriff des Gleichgewichts enthält eine Theorie, die Interesse hat zu sehen, wie das Verhältnis von Störung und Stabilität geordnet werden kann. Vielleicht kann man sogar sagen, aber das geht über die Literatur hinaus, dass sie Interesse hat zu sehen, wie das Verhältnis von Störung und Stabilität gesteigert werden kann, sodass ein System trotz hoher Störbarkeit immer noch stabil ist. Wenn man das auf die Mathematik projiziert, richtet sich das Interesse auf die Frage, an welchen mathematischen Gleichungen man so ein Verhältnis ablesen kann. Dennoch ist dieses Moment der Störung in der Tradition und auch in der neueren Verwendung von Gleichgewichtstheorien zwar immer wieder gesehen worden, aber der Akzent lag deutlich auf Stabilität. So als ob es ein Wert sei, ein System stabil zu halten, und als müssten sich die Einrichtungen, die das Gleichgewicht garantieren, darum bemühen, das System stabil zu halten. Das gilt vor allem für die ökonomische Theorie, für die Vorstellung eines ökonomischen Gleichgewichts, einer Ausgeglichenheit verschiedener ökonomischer Faktoren. Hier haben auch Zweifel eingesetzt, ob man überhaupt vom Gleichgewicht als einem stabilen Zustand sprechen könne, wenn man die Realität mit einbezieht, wenn man also nicht nur mathematische Funktionen im Auge hat, sondern sich vorstellt, wie wirkliche Systeme, etwa ökonomische Systeme, etwa Produktionssysteme, stabil sein können.
Von da aus ist es zu Überlegungen gekommen, ob nicht gerade umgekehrt Ungleichgewicht eine Stabilitätsbedingung sein könnte. Danach könnte ein ökonomisches System nur dann stabil sein, wenn es entweder zu viele Waren produziert, um auf jeden Fall, wenn es auf dem Markt zu einer Nachfrage kommt, etwas anbieten zu können, oder wenn es umgekehrt zu viele Käufer produziert und zu wenig Waren, um auf alle Fälle Käufer zu haben, die gegebenenfalls, wenn genug Waren vorhanden sind, diese auch kaufen. János Kornai, ein ungarischer Ökonom, hat solche Anti-Äquilibriums-Konzepte entwickelt.2 Man sieht, dass damit jeweils die westliche und die östliche Wirtschaft innerhalb der kapitalistisch-sozialistischen Kontroverse abgebildet werden: Entweder müssen Waren knapp gehalten werden und Käufer oder Nachfrage im Überfluss vorhanden sein, dann ist man im sozialistischen System, oder umgekehrt müssen Käufer knapp sein und Waren im Überfluss angeboten werden, dann ist man im kapitalistischen System. Jedenfalls haben wir es hier mit einer Version der Nichtgleichgewichtstheorie zu tun, die sich von der klassischen und der neoklassischen Ökonomie dadurch unterscheidet, dass sie Stabilität aus dem Gleichgewicht in ein Ungleichgewicht verlegt.
Das Gleichgewichtsmodell jedenfalls begründet einen Strang von Entwicklungen in Richtung auf eine allgemeine Systemtheorie. Das war jedoch in den 50er-Jahren keine neue Entdeckung, sondern nur eine Variante, auf die man gegebenenfalls zurückgreifen konnte. Neu waren zwei andere Problemkreise, die dann auch stärker als diese Gleichgewichtstheorie die weitere Entwicklung der Systemtheorie beeinflusst haben. Neu war vor allem die aus der Thermodynamik kommende Frage, wie denn überhaupt Systeme erhalten werden können, wenn man davon ausgehen muss, dass die Physik, zumindest die Physik geschlossener Systeme, dazu tendiert, Entropie zu erzeugen, also alle Unterscheidungen aufzulösen, einen unterscheidungslosen Zustand herbeizuführen oder, physikalisch gesprochen, einen Zustand herbeizuführen, in dem keine nutzbare Energie mehr vorhanden ist, also keine Energie, die irgendwelche Unterschiede erzeugen kann. Wie ist es, wenn dies ein allgemeines physikalisches Gesetz ist, möglich, die Tatsachen der physikalischen, chemischen, biologischen, sozialen Welt überhaupt zu erklären? Wie ist es möglich zu erklären, dass Ordnung vorhanden ist und dass man, wenn man die Perspektive auf einige Milliarden Jahre beschränkt, nicht sehen kann, dass sich tatsächlich eine solche Entwicklung zur Entropie abzeichnet? Wie ist, anders gesagt, Negentropie als Abweichung vom Entropiezustand zu erklären, wenn die physikalischen Gesetze an sich auf Entropie zulaufen? Bei dieser Fragestellung hatte man im Auge, dass die Entropiegesetze ein geschlossenes System voraussetzen, und man stellte sich zum Beispiel die Welt als ein geschlossenes System vor, in das von außen nichts hereinkommt und aus dem von innen nichts hinausgeführt werden kann.
Dieses Modell mag als Weltmodell seine Gültigkeit haben, ist aber für alle Verhältnisse innerhalb der Welt unzutreffend. Es handelt sich um das Modell eines geschlossenen Systems, und solche Systeme findet man in der Welt nicht, jedenfalls nicht, wenn es auf lebende Systeme, auf psychische und soziale Systeme ankommt, also jedenfalls nicht, wenn wir den Bereich betrachten, der uns in dieser Vorlesung interessiert. Deshalb hat man die Vorstellung des geschlossenen Systems für den Bereich der Biologie und der Soziologie negiert und stattdessen eine Theorie offener Systeme entwickelt: offene Systeme deshalb, weil man erklären wollte, wieso Entropie nicht eintritt und wieso Ordnung aufgebaut wird. Offenheit bedeutet nun in jedem Falle Austausch mit der Umwelt, aber je nachdem, ob man an biologische oder organische Systeme oder an sinnorientierte Systeme denkt, also an soziale Systeme (Kommunikationssysteme) und an psychische Systeme (Bewusstsein und dergleichen), nimmt diese Vorstellung des Austausches verschiedene Formen an. Für biologische Systeme denkt man in erster Linie an Energiezufuhr und Abgabe unnützer Energie, für Sinnsysteme denkt man in erster Linie an Austausch von Information. Ein Sinnsystem bezieht aus seiner Umwelt Information, interpretiert, wenn man so sagen darf, Überraschungen und ist in ein Netzwerk von anderen Systemen eingebaut, das auf dieses informationsverarbeitende System reagiert. Die Grundbedingung, die Entropie erklärt, ist in beiden Fällen dieselbe, nämlich Austauschbeziehungen zwischen System und Umwelt. Dies bezeichnet der Begriff des offenen Systems.
Ich betone das an dieser Stelle besonders, weil wir später auf eine Gegentheorie des operational geschlossenen Systems zu sprechen kommen werden, in dem aber dieses Konzept der Offenheit nicht widerrufen, sondern überarbeitet wird. Offene Systeme jedenfalls sind die Antwort auf die Provokation, die vom Entropiegesetz ausgegangen war.
Es gibt in diesem Zusammenhang auch einen Kontakt mit der Evolutionstheorie, den man bedenken muss. Die Evolutionstheorie hat seit Darwin die Aufgabe übernommen, Strukturvielfalt zu erklären, im Bereich der Biologie die Vielfalt der Arten: Wie ist es zu erklären, dass eine biochemische Einmalerfindung des Lebens zu so unterschiedlichen Formen geführt hat, zu Würmern, Vögeln, Mäusen, Menschen und dergleichen? Dasselbe könnte man natürlich für soziale Systeme wiederholen: Wie ist es zu erklären, dass es, wenn einmal sprachliche Kommunikation entwickelt worden ist, bereits so viele verschiedene Sprachen und dann geschichtlich gesehen so viele unterschiedliche Kulturen, entwickelte Kulturen und weniger entwickelte Kulturen, gleichzeitig geben kann? Wie entsteht die Vielfalt der Exemplare, der Typen aufgrund einer relativ einfachen Einmalerfindung der Evolution, nämlich der Biochemie des Lebens auf der einen Seite und der Kommunikation auf der anderen Seite? Auch dafür braucht man, wenn man dies erklären will, eine Theorie offener Systeme, das heißt eine Theorie, die beschreibt, wie Umweltanregungen auf Systeme strukturändernd wirken können, wie also etwas, das zunächst einmal reiner Zufall ist, im System selbst nicht vorgesehen war, eine Mutation etwa auf der Ebene der Zellen oder eine irritierende, störende Information, im System als solche bemerkt und zu Strukturänderungen führen kann, also zur Selektion von neuen Strukturen und zur Prüfung, ob diese Strukturen stabil sein können oder nicht. Das heißt, die darwinsche Unterscheidung von Variation, Selektion im Sinne von Strukturänderung und Stabilisierung oder Restabilisierung beruht ebenfalls auf einer Theorie offener Systeme und erklärt zusätzlich zu der allgemeinen Theorie offener Systeme die historische Dimension oder die Dimension der Entwicklung struktureller Komplexität gegenläufig zu dem, was man erwarten würde, wenn man vom Entropiegesetz ausgeht.
Wenn wir diese allgemeine Theorie offener Systeme voraussetzen, ordnen sich dem zweitrangige Theorien, subsidiäre Theorien und vor allem ein Konzept des Input-Output-Modells zu. Die Theorie offener Systeme lässt auf der Ebene des allgemeinen Systembegriffs unbestimmt, welche Arten von Beziehungen zwischen System und Umwelt bestehen. Sie arbeitet mit einer allgemeinen Vorstellung von Umwelt und nicht präzise mit der Vorstellung, dass es in der Umwelt spezifische Bedingungen, auch bestimmte andere Systeme gibt, die für ein System besonders relevant werden können. Man muss auf dieser Ebene unterscheiden zwischen dem System-Umwelt-Paradigma, zwischen der allgemeinen These, dass Systeme Entropie nur verhindern können, wenn sie in einer Umwelt existieren und mit dieser Umwelt Kontakt haben, auf der einen Seite und System-zu-System-Beziehungen, Fragen einer bestimmten Abhängigkeit von ökologischen Bedingungen oder einer bestimmten Abhängigkeit innerhalb einer sozialen Ordnung von bestimmten anderen Systemen (beispielsweise der Abhängigkeit eines politischen Systems von einer funktionierenden Ökonomie, sowohl mit Bezug auf den Eingang von Steuern als auch mit Bezug auf die Bereitschaft der Bevölkerung, eine bestimmte Regierung zu wählen), auf der anderen Seite. Allgemeiner gesagt, sprechen wir von einem Unterschied zwischen der System-Umwelt-Unterscheidung einerseits und System-zu-System-Beziehungen andererseits. Das Input-Output-Modell hat es nun mit diesem letztgenannten Fall zu tun. Es setzt voraus, dass sich ein System hohe Indifferenz in Bezug auf seine Umwelt leisten kann, dass die Umwelt im Großen und Ganzen für ein System keine Bedeutung hat, dass dann aber spezifische Faktoren in der Umwelt umso größere Bedeutung haben. Offenbar ist es nicht die Umwelt, die entscheiden kann, welche Faktoren bedeutsam sind, sondern das System selbst. Ein System hat in diesem Sinne relative Autonomie, insofern es selbst entscheiden kann, von internen Bedingungen, vom eigenen Systemtyp abhängig manchen kann, worauf es angewiesen ist einerseits und was es als Output, als Abfall oder auch als Leistung, als Bereitschaft, anderes zu fördern, an die Umwelt abgibt.
Solche Input-Output-Modelle gibt es grob gesagt in zwei verschiedenen Varianten. Die eine ist ein eher ideales oder mathematisches Modell, in dem man sich vorstellt, dass es bestimmte Inputs gibt und dass das System eine Transformationsfunktion realisiert, die zu bestimmten Ergebnissen führt. Diese Transformationsfunktion ist strukturell festgeschrieben. Man spricht dann auch von Maschinen, entweder in einem realen Sinn oder im Sinne einer mathematischen Funktion, die bestimmte Inputs in bestimmte Outputs transformieren. Es handelt sich um ein hochgradig technisches Modell, ein Maschinenmodell oder Fabrikmodell, das auch voraussetzt, dass man bei demselben Input mit derselben Funktion wiederum denselben Output produzieren kann. Diese Vorstellungen lagen zugrunde, wenn man kritisiert hat, dass die Systemtheorie eine technische Theorie ist und den Realitäten des sozialen Lebens nicht gerecht wird. Gewiss kann man diese Transformationsfunktionstheorie komplizieren. Man kann sich ein System ausdenken, das mehrere Transformationsfunktionen nebeneinander hat, oder auch ein System, das intern in weitere Systeme differenziert ist, sodass sich Input-Output-Beziehungen innerhalb eines Systems miteinander verkoppeln lassen. Aber die Grundvorstellung bleibt die durchsichtige, für den Systemanalytiker erkennbare Transformationsfunktion. Und das hat dann auch die Voraussetzung beziehungsweise die Vorhersage zum Ergebnis, dass man bei denselben Inputs dieselben Outputs erzeugt: dass man es also mit einem zuverlässigen System zu tun hat.
Bei dem Versuch, solche Modelle in die soziale Wirklichkeit zu übertragen oder sie psychisch zu realisieren, sich also vorzustellen, dass ein psy...

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