Self-Enhancement: eine neue Form der Selbstgestaltung? Nietzsche und der Transhumanismus im Vergleich
Abstract
Self-Enhancement: A New Form of Self-Formation? Nietzsche and Transhumanism. The following article examines the relationship between Nietzscheâs concept of the Ăbermensch and its transhumanist adaption within a theory of self-enhancement. While Nietzsche and Transhumanism both start from the same assumption â the crisis of the current image of man and its corresponding self-conception â, they head in different directions. In contrast to the biological understanding of self-formation, which leads transhumanists to an overly literal and therefore misleading Nietzsche interpretation, Nietzsche situates the concept of self-formation within his theory of immoralism. With their undifferentiated naturalistic view transhumanists, however, are not capable of distinguishing life from nature, morality from biology, and education from breeding and therefore misunderstand Nietzscheâs concept of self-formation in terms of a genetic self-augmentation. In this manner, Nietzscheâs concept of self-formation is once again read in the light of a biological interpretation that ignores its ethical meaning. Reading Nietzsche with the attention he deserves, it becomes clear, however, that Nietzscheâs concept of self-formation does neither imply a biological meaning nor does it serve as a foundation for transhumanist thought; rather, it refers to an ethical claim that calls upon the individual to not accept values unquestioningly, but to justify them autonomously and individually.
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Die EntschlĂŒsselung des menschlichen Genoms unter Leitung der Human Genome Organization (HugO) im Juni 2000 bildete den bisherigen Höhepunkt einer kontroversen Debatte ĂŒber Fragen der Biopolitik und Bioethik. Bill Clintons euphorischer Ausruf âJetzt lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben erschufâ verdeutlichte zum einen die Brisanz und EmotionalitĂ€t dieser Entdeckung und zeugte zum anderen von den hiermit verbundenen Hoffnungen. Das Mysterium Mensch schien auf einmal genetisch erklĂ€rbar und der Mensch von den Unvorhersehbarkeiten der natĂŒrlichen Evolution befreit zu sein. Mit den ErklĂ€rungsmodellen der Genetik und Evolutionsbiologie trat ferner die Utopie einer biologischen Mach- und Optimierbarkeit des Menschen zutage. Die natĂŒrliche, kontingente Evolution schien einer selbstgesteuerten, kĂŒnstlichen Evolution zu weichen und der Mensch zum â nicht mehr nur kulturellen, sondern nun auch â biologischen Schöpfer seiner selbst zu werden. Die â2. Evolutionâ versprach eine neue, verbesserte Version des Menschen: die âMenschheit 2.0â.
Mit der EntschlĂŒsselung des menschlichen Genoms erfuhr die Debatte um die Fortschritte in den Biowissenschaften, die bis zur Jahrtausendwende hauptsĂ€chlich im engeren bio- und medizinethischen Bereich sowie in der TechnikfolgenabschĂ€tzung gefĂŒhrt wurde, eine Popularisierung und weitete sich zu einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte ĂŒber die Möglichkeiten einer technischen âVerbesserungâ des Menschen, dem sogenannten âHuman Enhancementâ aus (vgl. Metzger 2001; Coenen/Gammel/Heil/Woyke 2010, S. 9, 11). Fragen nach der technischen Optimierbarkeit des Menschen bestimmten von nun an nicht mehr nur die Feuilletons fĂŒhrender Zeitungen, sondern beschĂ€ftigten zunehmend auch die Politikberatung, MilitĂ€rforschung und nicht zuletzt den Ethikrat. Die sich hieran anschlieĂende akademische Debatte situierte sich indessen v. a. im Bereich der angewandten Ethik und Bioethik, wobei vorrangig die ethischen Implikationen des biotechnologischen Fortschritts diskutiert wurden. So etwa warf die Möglichkeit der PrĂ€implantationsdiagnostik die biopolitische Frage nach dem Wert des Lebens und dem damit einhergehenden Recht auf Leben auf, wĂ€hrend im Kontext der Keimbahntherapie â der kĂŒnstlichen VerĂ€nderung des menschlichen Erbguts â die Bedeutung der GattungsidentitĂ€t und -konstanz diskutiert wurde, insofern man befĂŒrchtete, dass der Eingriff in Keimbahnzellen intergenerationelle Folgen haben und so die menschliche GattungsidentitĂ€t gefĂ€hrden könnte (hierzu exemplarisch Habermas 2001, insbes. S. 38). Die Rede vom âengineered childâ bzw. den âDesigner-Babysâ wiederum verwies auf die Frage nach dem Recht auf Selbstbestimmung, wĂ€hrend die gentechnologische Möglichkeit der Hybrid- und ChimĂ€renbildung im Sinne der Rekombination des Erbguts menschlicher und tierischer Organismen als die vielleicht dramatischste GefĂ€hrdung des âmenschlichen Wesensâ erschien. In allen FĂ€llen stand dabei das Problem der Unterscheidung von Therapie und Optimierung im Zentrum der Diskussion. Eine entscheidende Frage war somit, bis zu welchem Grad die technische âVerbesserungâ des Menschen legitim und ethisch vertretbar sei (man denke z. B. an Herzschrittmacher, Prothesen im Allgemeinen oder auch den Gehstock) und ab wann dem technischen Eingriff in den menschlichen Körper Grenzen gezogen werden sollten.
WĂ€hrend bioethische Positionen in diesem Kontext hĂ€ufig technikkritisch argumentieren, lĂ€sst sich auf der anderen Seite ihr genaues Gegenteil ausmachen: eine vermeintlich post-anthropozentrische, naturalistische und technophile Bejahung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die diesen als die endgĂŒltige Befreiung des Menschen von seinen biologisch-körperlichen ZwĂ€ngen feiert. Im Kontext dieses âneuen Naturalismusâ (vgl. Kleeberg/Walter 2001; Metzger 2001; Quitterer/Runggaldier 1999) werden die AnsĂ€tze der geisteswissenschaftlichen Anthropologie fĂŒr obsolet erklĂ€rt und durch ErklĂ€rungsmodelle der Genetik und Evolutionsbiologie ersetzt, die mit dem Anspruch auftreten, die einzig gĂŒltige ErklĂ€rung ĂŒber das âWasâ des Menschen und das âWieâ seiner Entstehung liefern zu können. In diesem Zusammenhang erfĂ€hrt sodann auch das Paradigma der Selbstgestaltung und Selbstverbesserung eine grundlegende VerĂ€nderung: Fern seiner ursprĂŒnglichen intellektuellen und ethischen Bedeutung wird Selbstgestaltung zu einem biologischen Unternehmen, in dessen Rahmen der Mensch â durch Eingriffe in die menschliche Keimbahn, Implantierung von Computerchips und Nanorobotern in den Körper und das Gehirn und die Einnahme von smart-drugs â âvervollkommnetâ werden soll. WĂ€hrend der (bio)technologische Fortschritt somit auf der einen Seite affirmiert und in Form entsprechender Programmatiken theoretisch perpetuiert wird, erblickt man in ihm auf der anderen Seite eine âGefĂ€hrdungâ der âmenschlichen Naturâ, die es soweit wie möglich zu unterbinden gilt. Damit gleicht die Human-Enhancement-Debatte einem erbitterten Streit um die Stellung des Menschen â einem Streit zwischen technikkritischen Humanisten und technophilen Transhumanisten. Die einen â Bewahrer der âmenschlichen Naturâ, die anderen â Verfechter der Ăberwindung des Menschen und Propheten eines posthumanen Zeitalters.
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Die Rede von der Ăberwindung des Menschen und des Humanismus ist dabei jedoch Ă€lter, als diese Debatten es zunĂ€chst vermuten lassen. So verwendete bereits der Ă€gyptische Kulturtheoretiker Ihab Hassan in seinem Aufsatz Prometheus as performer: Toward a postmodern culture? (1977) den Begriff des Posthumanismus. Hier schreibt Hassan: â[âŠ] Five hundred years of humanism may be coming to an end, as humanism transforms itself into something that we must helplessly call posthumanismâ (Hassan 1977, S. 843). WĂ€hrend die gedanklichen AnfĂ€nge des Transhumanismus in den 1970er bzw. spĂ€ten 1950er Jahren liegen,1 gewann der Transhumanismus jedoch erst Ende der 1990er Jahre im Rahmen seiner Institutionalisierung zur âWorld Transhumanist Associationâ an PopularitĂ€t. Die Selbstbezeichnung âTranshumanismusâ geht dabei auf den iranisch-amerikanischen Futuristen Fereidoun Esfandiary zurĂŒck, der neben dem Kryoniker Robert Ettinger und dem Psychologen Abraham Maslow zu den GrĂŒnderfiguren der transhumanistischen Bewegung gezĂ€hlt wird und der die Figur des âtranshumanâ folgendermaĂen definierte: âa transhuman is a âtransitional humanâ, someone who by virtue of their technology usage, cultural values, and lifestyle constitutes an evolutionary link to the coming era of posthumanityâ (zitiert nach Sorgner 2009, S. 6). Dem Transhumanismus zufolge ist der Mensch somit nichts anderes als ein antiquiertes Relikt einer vergangenen Zeit. Die Zeit des Menschen scheint verstrichen, die Geschichte den Menschen hinter sich gelassen zu haben: âDie Zeit wird Herr: der Greis hier liegt im Sand! / die Uhr steht still â â (Goethe 2001, V. 11592), jedoch nur fĂŒr einen Moment, bevor der Zeiger der Geschichte seinen Gang von Neuem fortsetzt und die Ăra des posthumanen Zeitalters einlĂ€utet.2 Menschsein erscheint als eine inadĂ€quate Form der Existenzweise, insofern sich die conditio humana durch den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt bereits so grundlegend verĂ€ndert habe, dass fĂŒr den Menschen kein Raum mehr bleibe â so die Transhumanisten. Um den eigenen technischen Erzeugnissen standhalten zu können, mĂŒsse sich der Mensch daher in Zukunft soweit optimieren (self-enhancement), dass er sein defizitĂ€res Menschsein, sprich seine mangelhafte biologische Konstitution, ĂŒberwindet.
Ăberwindung und Optimierung bilden hier ein eng miteinander verbundenes Begriffspaar und zugleich das Moment, in dem sich der Transhumanismus von dem ihm verwandten Posthumanismus unterscheidet. WĂ€hrend Posthumanisten wie Hans Moravec, Frank Tipler, Marvin Minsky oder Raymond Kurzweil die Ăberwindung des Menschen fordern und ein Zeitalter nach dem Menschen anvisieren, fokussiert der Transhumanismus die Optimierung des Menschen und den Ăbergang vom Menschen zum Posthumanen. In diesem Sinn reaktualisierte der Transhumanist Max More in den 1990er Jahren die Definition des Transhumanismus, indem er ihn â in Opposition zu dem aus der Thermodynamik stammenden Begriff der âEntropieâ3 â als eine Philosophie des âExtropianismusâ beschrieb und in Verbindung zur TĂ€tigkeit des âself-enhancementâ setzte (More 1990). Nick Bostrom schlieĂt hier an, wenn er âtranshumansâ als âtransitional beings, or moderately enhanced humans [âŠ]â beschreibt, die sich von den ihnen verwandten âposthumansâ lediglich durch ihren Grad der Optimierung unterscheiden (Bostrom 2005b). Post- und Transhumanisten unterscheiden sich folglich in ihren Zielsetzungen (Ăberwindung vs. Optimierung), stimmen jedoch zugleich in entscheidenden Punkten ĂŒberein: Beide streben sie die Steigerung der Intelligenz, die VerlĂ€ngerung der Lebensdauer (bis hin zur Ăberwindung der Sterblichkeit), die Aufhebung von Alterungsprozessen, die Eliminierung von Erbkrankheiten sowie die Befreiung von der Notwendigkeit des GebĂ€rens, kurzum die Ausschaltung jeglicher Kontingenz an. Dabei setzen sie auf hochtechnologische Verfahren wie die Kryonik, smart-drugs, Brain-Computer-Interfaces und natĂŒrlich das âmind-uploadingâ. Sieht man jedoch einmal von der technologischen Ausrichtung dieser Bestrebungen ab, so muss eingestanden werden, dass hier uralte MenschheitstrĂ€ume getrĂ€umt werden, strebten Menschen doch immer schon nach Vollkommenheit und GottĂ€hnlichkeit â man denke nur an Nietzsche (âWenn es Götter gĂ€be, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein!â) oder Luther (âKein Mensch kann von Natur aus wollen, dass Gott Gott sei; vielmehr wollte er [wenn er nur könnte!], dass er selbst Gott sei und Gott nicht Gott.â) (zitiert nach Bayer 2001, S. 39). Neu ist jedoch, dass diese Utopien nun den Bereich des ImaginĂ€ren zu verlassen und zu einer technisch realisierbaren Möglichkeit zu werden scheinen; was zur Folge hat, dass sich transhumanistische Vollkommenheitsphantasien auch nicht mehr mit dem Wunsch nach GottĂ€hnlichkeit begnĂŒgen wollen: âWe humans do not want to play god or to be god. We aspire to much more.â (Esfandiary 1973, zitiert nach KrĂŒger 2004, S. 136) Dieses âMehrâ â das sich der Transhumanist Max More sogar namentlich zu eigen machte â besteht sodann in der technischen Optimierung des menschlichen Körpers, d. h. im âself-enhancementâ. Allein auf diesem Wege, so der Glaube von Transhumanisten, könne der Mensch gegenĂŒber seinen zunehmend komplexer werdenden technischen Erzeugnissen bestehen und sich zu einer höheren Version seiner selbst erheben. Dieser Optimierungsgedanke ist indessen insofern zutiefst ambivalent, als er zum einen nahtlos an die alte humanistische Tradition der Selbstverbesserung und Selbstgestaltung anschlieĂt und zum anderen mit dieser durch seine biologistische und technizistische Ausrichtung bricht. Denn Gegenstand der Verbesserung ist nun nicht mehr der ganze Mensch, sondern lediglich der Mensch in seiner biologischen und organischen Verfasstheit.
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In seinem Essay âNietzsche, the Overhuman, and Transhumanismâ (Sorgner 2009) behauptet der Transhumanist Stefan Lorenz Sorgner eine strukturelle Analogie zwischen Nietzsches Philosophie und den transhumanistischen Zielsetzungen und geht von einer semantischen Verwandtschaft zwischen der Figur des âposthumanâ (mit ihrer Programmatik der âself-enhancementâ) und Nietzsches Begriff des Ăbermenschen (mit seinem Gedanken der SelbstĂŒberwindung) aus. Dieser Artikel, in dem sich Sorgner auf Bostrom bezieht, der seinerseits nur eine oberflĂ€chliche Ăhnlichkeit der nietzscheanischen und transhumanistischen Philosophie annimmt (Bostrom 2005a), regte eine Debatte unter Nietzsche-Forschern und Transhumanisten an, in der die Bedeutung von Nietzsches Philosophie fĂŒr die transhumanistische Denkrichtung verhandelt wurde.4 Ăhnlich wie Sorgner geht so auch Max More von einer semantischen Analogie der Figur des Posthumanen und des Ăbermenschen aus. More schreibt: âThat [the nietzschean, J.S.] thinking led to my introduction of the term âtranshumanismâ [âŠ] and to my original transhumanist statement âThe Extropian Principlesââ, da: âone of the core transhumanist principles of extropy has been that of Self-Transformationâ (More 2010, S. 2). Mit Bezug auf Nietzsches Zarathustra spricht More dann auch von einer âextropic challengeâ, wenn dieser fordert: âIch lehre euch den Ăbermenschen. Der Mensch ist etwas, das ĂŒberwunden werden soll.â Das Gebot der SelbstĂŒberwindung, das Nietzsche an zentraler Stelle in Also sprach Zarathustra entwicke...