1 Zum Entstehungszusammenhang der Umweltbewegung in der DDR
Ende der siebziger Jahre verließ die erste Generation die DDR-Schulen, die den Westen nie gesehen hatte. Diese Generation war von sozialistischen Lehrern erzogen worden, die einen neuen »sozialistischen Menschen« nach ihrem Bilde formen wollten. Doch ihre Rechnung war nicht aufgegangen: Unter den jungen Leuten machte sich Frust breit über die lähmende Enge in der von Stacheldraht und Selbstschussanlagen umzäunten DDR. Vor allem im Umfeld der evangelischen Kirchen entstand eine alternative Szene, die sich lieber an den emanzipatorischen Bewegungen des Westens orientierte, als sich im FDJ-Blauhemd an der zunehmenden Militarisierung des Landes zu beteiligen. Themen, die die Jugend wirklich bewegten, wie die militärischen und ökologischen Bedrohungen, waren im SED-Staat tabuisiert.
Kurz nach der Entstehung der kirchlichen Friedensbewegung Ende der siebziger Jahre konstituierten sich die ersten Umweltgruppen. Die westliche Debatte über Grenzen des Wachstums, die auch von den Kirchen in der DDR aufgegriffen wurde, spielte damals eine wichtige Rolle.
Diejenigen, die die unabhängige Umweltbewegung in der DDR ins Leben riefen, orientierten sich an den emanzipatorischen Bewegungen in der Bundesrepublik und in der übrigen westlichen Welt. Ausgelöst durch Rachel Carsons Buch »Der stumme Frühling« (1963) war im Westen bereits zehn Jahre früher eine starke Umweltbewegung entstanden. Mit der Gründung einer ökologisch orientierten Partei – den Grünen – im Jahr 1980 ist diese Bewegung zu einer politischen Kraft geworden. Ihre Etablierung im politischen Betrieb führte dann allerdings dazu, dass gerade die ökologische Dimension des Gründungsimpulses in den Hintergrund geriet. Aber auch diese Strömung wird unter Historikern nur als die »zweite ökologische Bewegung« betrachtet. Denn in vielem knüpfte sie an die »erste ökologische Bewegung« an: nämlich an die Lebensreformbewegung zum Beginn des 20. Jahrhunderts.
So muss die unabhängige Umweltbewegung, die in den achtziger Jahren in Mitteldeutschland wirkte, in diesem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang gesehen werden. Sie stützte sich auf Einsichten der frühen Lebensreformbewegung und orientierte sich an den thematischen Schwerpunkten der westlichen Ökologiebewegung – zu der sie auch enge Kontakte pflegte. Und ihre Entstehung fiel zeitlich zusammen mit der Etablierung der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. Die organisatorischen Verflechtungen und persönlichen Kontakte waren so eng, dass es mitunter unmöglich ist, zwischen der Umwelt- und Friedensbewegung eine klare Grenze zu ziehen. Aber genau von dieser Vernetzung zu anderen oppositionellen Gruppen in der DDR und zu Akteuren gewaltfreien Widerstands im Westen profitierte die Bewegung in den entscheidenden Wochen der Friedlichen Revolution 1989 / 90.
Am Beginn der Auseinandersetzung mit ökologischen Themen ging es aber nicht um die DDR, sondern um die Erde. In den siebziger Jahren kam die Umweltproblematik als ein globales Thema auf die Tagesordnung internationaler Konferenzen der Kirchen. Die ökumenischen Weltkonferenzen der christlichen Kirchen versammelten sich unter den Leitgedanken »Ungewisse Zukunft und christliche Hoffnung« (Bukarest, 1974), »Menschliche Entwicklung – Technologie und die Qualität des Lebens« (Nairobi, 1975) und »Glaube, Wissenschaft und Zukunft« (Boston, 1979). Insbesondere die Konferenzen in Nairobi und Boston empfahlen den Mitgliedskirchen die Weiterarbeit am ökologischen Thema. Auch aus der DDR konnten einige wenige Kirchenvertreter an diesen Konferenzen teilnehmen. Der Erfurter Propst, Heino Falcke, und der Ost-Berliner Theologe Götz Planer-Friedrich trugen dann wesentlich dazu bei, dass die Ergebnisse dieser Konferenzen in den evangelischen Kirchen der DDR intensiv ausgewertet wurden und weite Verbreitung fanden. Diese theologischen Vordenker wurden von kirchlichen Gesprächskreisen und den neu entstehenden Umweltgruppen oft zu Vorträgen eingeladen.
Theologische Vordenker: Propst Dr. Heino Falcke, Dr. Götz Planer-Friedrich und Dr. Hans-Peter Gensichen.
Noch wichtiger war aber, dass sie unter dem Stichwort Bewahrung der Schöpfung eine theologische Fundierung schufen und auch kirchliche Institutionen für eine Auseinandersetzung mit den ökologischen Fragen öffneten. So wurde im Ausschuss Kirche und Gesellschaft und in der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR sowie im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg schon vor bzw. während der Entstehung der kirchlichen Umweltgruppen eine theoretische Grundlage für die spätere Umweltbewegung geschaffen. Die 1980 im Selbstdruck hergestellte Broschüre »Die Erde ist zu retten – Umweltkrise, christlicher Glaube, Handlungsmöglichkeiten« des Kirchlichen Forschungsheimes ist dann das erste ökologische Grundsatzpapier der evangelischen Kirchen in der DDR. Unter dem Motto »Christliche Verantwortung für die Schöpfung« war die Umweltfrage 1984 Thema der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Greifswald. Obwohl die Umweltgruppen vor allem bei den evangelischen Kirchen entstanden, waren die kirchlichen Umweltgruppen nicht allein eine protestantische Bewegung. Auch in der katholischen Kirche spielte das ökologische Thema eine Rolle. So gab es 1984 in St. Marienstern ein großes Treffen katholischer Studentengemeinden zum Thema »Schöpfung bewahren«. Und dort, wo die evangelischen Kirchenvertreter ihre Räume für kirchliche Basisgruppen verschlossen hielten, wie z. B. in Gera, öffneten sich katholische Gemeinden für Umweltinitiativen.
Ökologische Verantwortung: 1984 ist die Umweltfrage Thema der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Greifswald.
Zusammen mit der kirchlichen Profilierung der Umweltfragen wirkte auch der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit »Die Grenzen des Wachstums« von 1972 in die ökologisch orientierten Kreise der DDR hinein. Das Buch von Dennis Meadows ist zwar in der DDR nie erschienen; es wurde aber von westdeutschen Besuchern vielfach ins Land »geschmuggelt« – und gab hier entscheidende Denkanstöße. Es sorgte auch dafür, dass die sich in der Umweltbewegung etablierenden ethischen Maßstäbe von denen anderer oppositioneller Gruppen deutlich unterschieden: Während sich die anderen an der aktuellen westdeutschen und westeuropäischen Situation orientierten und das Wohlstandsdefizit in der DDR beklagten, orientierten sich die Umweltgruppen mehr an der Frage, wie viel Ressourcenverbrauch die ganze Erde verkraftet, wenn alle Erdenbewohner denselben Wohlstand haben. Daher standen hier eher die Fragen nach Verzicht und Einsparung von Energie und Ressourcen (bzw. Effizienzsteigerung) auf der Tagesordnung. Allen, die hierzu ein breiteres, über die ökologischen Gruppen hinausreichendes Bewusstsein herstellen wollten, war damals schon klar, dass Schlussfolgerungen aus der Einsicht in die Endlichkeit unserer Erde kaum mehrheitsfähig sein würden – und daher auch unter demokratischen Verhältnissen ein der Situation angemessenes rasches Umsteuern als unwahrscheinlich angesehen werden musste.
2 Zum politischen Selbstverständnis der unabhängigen Umweltbewegung
2.1 Öko-Gruppen – Der unpolitische Zweig der Opposition?
Auf den ersten Blick waren die Umweltgruppen, die oft in der Art von Bürgerinitiativen nur lokale oder regionale Einzelprobleme thematisierten, weniger politisch als die Friedens- oder Menschenrechtsgruppen. Und aus genau diesem Grund gelang es den Umweltinitiativen, weitaus breitere Kreise in oppositionelle Zusammenhänge einzubeziehen als den vordergründig politischen Gruppen. Da die Stasi aber auch in den eher unpolitischen Umweltkreisen einen »politischen Untergrund« zu erkennen glaubte, der im Begriff gewesen sei, den Staat zu beseitigen, sahen sich sehr bald auch die sogenannten »reinen« Umweltschützer, die den Konflikt mit dem Staat eigentlich vermeiden wollten, einer politischen Verfolgung ausgesetzt. Auf diesem Wege wurden schließlich mehr und mehr Menschen in den Konflikt mit dem Staat hineingezogen – und dadurch politisiert.
In den Umweltgruppen waren nicht nur »Aussteiger« versammelt, sondern auch viele, die beruflich etabliert waren und den Konflikt mit dem Staat vermeiden wollten. Deren Kriminalisierung und Verfolgung wegen ihres offenkundig gemeinnützigen Engagements machte nun auch ihre Kollegen und Bekanntenkreise mit der Realität politischer Repression bekannt. So kam die Erfahrung mit dem repressiven Charakter des politischen Systems in breiten Kreisen der Bevölkerung an. Auch wenn es zu einer offenen Solidarisierung mit politisch Verfolgten erst im Herbst 1989 kam, ist auf diesem Wege in einer seit 1987 rasch wachsenden Bevölkerungsgruppe eine solidarische Haltung herangereift. Wenn sich in diesen Jahren – weitgehend unbemerkt – der Boden für ein revolutionäres Potenzial verbreitert hat, so hat die breitere Verankerung der Umweltbewegung in der Bevölkerung hieran einen wesentlichen Anteil gehabt.
Und auch in der frühen Phase der Friedlichen Revolution waren es die Umweltgruppen, die Leute in ihren Reihen hatten, die sich in den DDR-Verwaltungsstrukturen auskannten und genau wussten, wo und über wen die jeweiligen Kommunen bei den verschiedenen Problemfeldern zu greifen waren. Auf diese Weise konnte besonders in mittleren und kleineren Städten der Handlungsspielraum der oppositionellen Gruppen schnell ausgeweitet werden.
2.2 Das Verhältnis zu den Kulturbund-Gruppen
Wenn hier von den »unabhängigen Umweltgruppen« die Rede ist, so bedeutet das, dass es auch eine offizielle Umwelt-Gesellschaft gab. Diese existierte allerdings überwiegend zum Zweck der Neutralisierung bzw. Auflösung der kritischen Umweltgruppen. Als sozialistische Auffangbecken für potenziell politisch Andersdenkende (Christdemokraten, Liberale, Nationaldemokraten, Bauernschaft) bestanden die Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und DBD an der Seite der SED. Als sich in der Bundesrepublik die Grünen politisch etabliert hatten, versuchte man für deren Sympathisanten in der DDR ein weiteres sozialistisches Auffangbecken zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde 1980 die Gesellschaft für Natur und Umwelt beim Kulturbund der DDR gegründet.
Da sich SED-treue bzw. anpassungsbereite »Grüne« für eine quasi grüne Blockpartei nicht fanden, wurden zunächst die bereits bestehenden naturwissenschaftlichen Fachgruppen des Kulturbundes (z. B. Botaniker, Ornithologen, Entomologen) zwangseingegliedert. Institutionell war die Gesellschaft für Natur und Umwelt nur eine neue Ebene, die zwischen die naturkundlichen Fachgruppen des Kulturbundes und die Kulturbund-Leitungen geschoben wurde. Sie fungierte fortan als eine Art Dachorganisation der naturkundlichen Fachgruppen. Zu diesen gesellten sich in nur wenigen Städten auch allgemein am Umweltthema interessierte Initiativen. Außer in Halle, wo unter der Leitung von Peter Bliss ein recht reger »Arbeitskreis Umweltschutz« mehrere Jahre beim Kulturbund bestand, waren solche Gruppen nach kürzester Zeit wieder von der Bildfläche verschwunden (worden). Die von Matthias Platzeck initiierte Interessengemeinschaft Stadtökologie in Potsdam bekam zum Ende der DDR hin immer mehr Schwierigkeiten mit dem Staat. Und die von mir in Gera 1986 / 87 begründete »Interessengemeinschaft Umweltschutz« der Gesellschaft für Natur und Umwelt des Kulturbundes wurde schon nach wenigen Monaten von Stasi-IM wieder »zersetzt«. Darüber hinaus gab es Ende der achtziger Jahre an einigen Erweiterten Oberschulen (EOS) Umweltgruppen, die aber – da unter staatlicher Kontrolle stehend – über Müllsammeln und Bäumepflanzen nicht hinauskamen, und daher kein kritisches Potenzial darstellten.
Nationale Front: Der Kulturbund wurde al...