Via Knast in den Westen
eBook - ePub

Via Knast in den Westen

Das Kaßberg-Gefängnis und seine Geschichte

  1. 304 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Via Knast in den Westen

Das Kaßberg-Gefängnis und seine Geschichte

About this book

Der Chemnitzer Kaßberg war lange schon ein Gefängnisstandort. Aber erst in der DDR erhielt der Gefängnisbau als Stasi-Untersuchungshaftanstalt eine ganz spezielle Bedeutung: Er wurde zur Drehscheibe für den Häftlingsfreikauf Richtung Westen. Mehr als 32.000 Häftlinge des SED-Staates saßen hier kurze Zeit ein, bevor sie für Westgeld an die Bundesrepublik verkauft wurden.Eine historische Einordnung gibt einen Überblick über die Geschichte des Haftortes und seine Rolle im Gefängnissystem der DDR. Biografische Porträts, literarische Erinnerungen und Briefe ehemaliger Häftlinge geben die Sichtweisen Betroffener wieder.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Via Knast in den Westen by Clemens Heitmann, Nancy Aris in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in History & German History. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.

Information

Edition
5
Topic
History
Index
History

I. Historische Einordnung

Nancy Aris

Das Kaßberg-Gefängnis: historischer Überblick und Verortung im Gefängnissystem der SBZ/DDR

Mit dem Kaßberg-Gefängnis in Chemnitz verbindet sich eine wechselvolle Geschichte, die nicht erst 1945 begann. Als Königlich-Sächsische Gefangenenanstalt im Jahr 1886 errichtet, war sie Teil des auf dem Kaßberg gelegenen Justizstandortes, der neben der Haftanstalt das Königliche Landgericht, die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht beheimatete.
Die Gefangenenanstalt bestand ursprünglich aus dem Verwaltungsbau (3), dem Rundbau (5) und dem Haus A (1+ 2), Haus B (6) und Haus C (7). Mit seiner Galeriebauweise gehörte der Gefängnisbau zu den modernen und effizienten Zweckbauten jener Zeit. Die Aufteilung des Gebäudes in vier Flügeltrakte mit zentralem Rundbau, von dem alle Flügel einsehbar waren, folgte dem damals modernen panoptischen Bauprinzip. Dementsprechend sollten die Zellengalerien nach Möglichkeit von einem zentralen Punkt aus einsehbar sein. Auch die oberste Etage des A-Flügels bot einen Überblick über einen Großteil der Zellen, so dass sich mit wenig Personal ein großer Bereich überwachen ließ.
Gebäudeaufteilung in ihrer ursprünglichen Form von 1886
Quelle: © www.oe-grafik.de
Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts voranschreitende Strukturwandel im Strafvollzug zeigte sich nicht nur am Trend zur zentralisierten Überwachung, sondern auch an der angestrebten Differenzierung nach Haftarten, an der Einführung von Einzelhaft und der Unterscheidung von jugendlichen und erwachsenen, von weiblichen und männlichen Straftätern. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts um sich greifenden Reformansätze fanden ihren Niederschlag im Aufbau der Haftanstalten. Die Umorientierung auf Einzelzellen, die verurteilte Kleinkriminelle vor dem Zugriff Schwerstkrimineller in den bislang üblichen Sammelzellen schützen sollten, schuf einen völlig neuen Gefängnistyp. Später forcierte man die Kombination von Einzelverwahrräumen und gemeinschaftlich genutzten Bereichen. Seit 1840 wurde der Strafvollzug in Sachsen in so genannten Disziplinarklassen vollzogen. Insgesamt gab es drei solcher Klassen. Die Gefangenen wurden »nach Maßgabe ihres sittlichen Zustandes und ihres Verhaltens in der Anstalt« eingeteilt. Die Disziplinarklassen gaben die Struktur und den Alltag der Anstalt vor. Die Gefangenen der entsprechenden Klassen unterschieden sich im Strafmaß, in der Kleidung, in der Entlohnung ihrer Arbeit und in der Gewährung von Vergünstigungen.1
Konkrete Informationen zu baulichen und strukturellen Veränderungen der Gefangenenanstalt auf dem Kaßberg sind kaum bekannt. In der vom Sächsischen Justizministerium herausgegebenen Reihe Sächsische Justizgeschichte findet der Justizstandort auf dem Kaßberg weder im 2. Band »Justiz in Sachsen: Prozesse, Personen, Gebäude« noch im 5. Band »Justizgebäude gestern und heute« Erwähnung. Auch andere Publikationen, die explizit die Geschichte des Stadtteils und dessen Entwicklung behandeln, sparen die Haftanstalt und den Justizstandort fast vollständig aus.2
Innenansicht des Rundbaus
Foto: Wolfgang Schmidt
Auch über Aufgabe und Funktion der Haftanstalt und deren Wirken während der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der NS-Zeit ist wenig bekannt. Bis 1917 unterstand die Sächsische Gefangenenanstalt Chemnitz sowohl dem Justiz- als auch dem Innenministerium. Erst mit dem Königlichen Erlass vom 14. Dezember 1917 wurde der Strafvollzug vollständig dem Justizministerium übertragen. Die Sächsische Gefangenenanstalt Chemnitz war als »Besondere Vollzugsanstalt«, d. h. als selbstständige Vollzugsanstalt eingerichtet. Am 3. Juli 1936 verfügte der Reichsminister der Justiz die Umbenennung der »Besonderen Vollzugsanstalten« im Oberlandesgerichtsbezirk Dresden. Damit wurde die Sächsische Gefangenenanstalt Chemnitz in »Untersuchungsgefängnis Chemnitz« umbenannt. Das Untersuchungsgefängnis führte die Aufsicht über 15 Gerichtsgefängnisse, u. a. Annaberg, Burgstädt, Mittweida und Zschopau.3
Quelle: © www.oe-grafik.de
Mauer
Streckmetallzaun
Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit
1
Haus A: Vernehmertrakt, Sitz der Hauptabteilung IX
(Untersuchungsabteilung)
2
Zellentrakt A (Zellentrakt für Untersuchungshäftlinge, Erkennungsdienst, Effektenkammer)
3
Haupthaus (Untersuchungsabteilung der Objektverwaltung Wismut, Spezialkommission, Offizier vom Dienst der Abt. XIV)
4
Personen- und Kraftfahrzeug-Schleuse
5
Rundbau (zentraler Durchgang in alle Flügel)
6
Zellentrakt B (Zellentrakt für Freikaufhäftlinge)
7
Zellentrakt C (Zellentrakt für das Arbeitskommando, zentrale Reserve)
8
Turnhalle und Sauna für das Personal
9
Freigangbereich (nicht mehr vorhanden)
Untersuchungshaftanstalt und Strafvollzugseinrichtung des Ministeriums des Inneren
10
Zellentrakt D
11
Zellentrakt E
12
Personen- und Kraftfahrzeug-Schleuse
13
Freigangbereich
14-17
Wachtürme (17 nicht mehr vorhanden)
Flurstück (Gebäude Baujahr 1885/1952)
Flurstück (Gebäude Baujahr 1935/1972)
Abbruch (A = Wache | B = Garagen | C = Wirtschaftshof)
Denkmalschutz
Über den Haftalltag in den Anfangsjahren gibt es bis auf wenige, verstreute Hinweise zu Einzelschicksalen keinen zusammenhängenden Quellenbestand.4 So ist bekannt, dass der Schriftsteller, Redakteur und Politiker Emil Rosenow wegen »Verächtlichmachung von behördlichen Anordnungen« 1895 und 1896 mehrere Monate Haft auf dem Kaßberg »hinter Kerkermauern bei Selbstbeschäftigung und Selbstbeköstigung« absitzen musste. 1946 wurde in unmittelbarer Nähe der Haftanstalt die Metzschstraße in Emil-Rosenow-Straße umbenannt. Als verfolgter KPD-naher Sozialdemokrat und engagierter Vorkämpfer für Sozialreformen zur Verbesserung der Lage der Chemnitzer Arbeiter galt er den neuen Machthabern offenbar als politisches Vorbild.5
Während der NS-Zeit wurde das Gefängnis als Haft- und Untersuchungshaftanstalt genutzt. Es diente vor allem der Gestapo und dem SS-Sicherheitsdienst, die in unmittelbarer Nähe ihre Dienststellen hatten. Zahlreiche Menschen waren auf dem Kaßberg inhaftiert. Unter ihnen waren Juden, Kommunisten und andere Gegner des Nazi-Regimes. Das Vorgehen der Nationalsozialisten gegenüber den Gefangenen reichte von bloßer Untersuchungshaft, über Folter (»verschärfte Vernehmungen«) bis hin zur Ermordung. So wurde der Kommunist Kurt Neukirchner im Februar 1934 verhaftet, weil er im Zwickauer Raum mit einer Widerstandsgruppe Flugblätter verteilt hatte. Nach den Verhören wurde er mit der Auflage entlassen, sich täglich bei der Polizei zu melden.6 Theresa Rohm zeigt in ihrem Beitrag, dass die Untersuchungshaft auch mit dem Tod enden konnte.
Beim alliierten Luftangriff auf Chemnitz in der Nacht vom 5. März 1945, bei dem 80 Prozent der Innenstadt zerstört wurden, wurde auch die Haftanstalt getroffen. Eine Luftmine schlug ins Gelände ein, so dass Mauerwerk einstürzte, Stahltüren zerbarsten und ein Flügel völlig ausbrannte. Im allgemeinen Durcheinander gelang einem Teil der Häftlinge, die zu Löscharbeiten eingesetzt waren, die Flucht. Jedoch schafften es nur wenige, dauerhaft in der zerstörten Stadt unterzutauchen.7
Die genaue Zahl der in der NS-Zeit auf dem Kaßberg inhaftierten und zu Tode gekommenen Menschen ist bislang nicht bekannt. Bekannt ist jedoch, dass die Haftanstalt auch bei der Judenverfolgung eine wichtige Rolle spielte. Das Kaßberg-Viertel war das traditionelle Wohnviertel der insgesamt knapp 3.000 Chemnitzer Juden. Hier befand sich auch die Synagoge, die am 9. November 1938 zerstört wurde. Doch nicht erst 1938, sondern bereits im April 1933 befanden sich über 150 jüdische Häftlinge in den Zellen der Haftanstalt auf dem Kaßberg.8 In der Pogromnacht wurden 172 Juden in Schutzhaft genommen und später ins KZ Buchenwald verbracht.9
In der Haftanstalt gab es so genannte »Judenzellen«. Dabei handelte es sich um Drahtverhaue ohne sanitäre Einrichtungen und Pritschen, die sich im Dachbereich im Hauptgebäude befanden. Diese Verhaue hatten eine Größe von ein mal zwei Metern. Bis zu zehn Menschen wurden in eine solche Zelle gesperrt.10
Das Ende des Zweiten Weltkrieges setzte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ein Ende. Zugleich bedeuteten das Vorrücken der Roten Armee und die sowjetische Besatzung den Aufbau eines neuen Überwachungs- und Repressionssystems. Die gesamte Sowjetische Besatzungszone (SBZ) wurde in »Operative Sektoren« eingeteilt und mit einem Netz von Überwachungsstrukturen überzogen. Die Führung der flächendeckend agierenden Operativgruppen oblag dem sowjetischen Geheimdienst. Zu dessen Aufgabe zählte auch die Einrichtung entsprechender Gefängnisräume. Wie in der gesamten SBZ beschlagnahmte die Besatzungsmacht auch in Sachsen Privathäuser, ehemalige Amts- oder Fabrikgebäude sowie Gefängnisbauten der Justiz und richtete dort Amtssitze des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) ein. Keller wurden zu Haft- und Folterzellen umfunktioniert und dienten der sowjetischen Geheimpolizei als so genannte GPU-Keller.11 Am 1. September 1945 verfügte das NKWD bereits über 21 Gefängnisse, unter ihnen auch das Chemnitzer Kaßberg-Gefängnis.12 Auf dem Kaßberg wurden vor allem Jugendliche interniert. Ihnen warf man die Zugehörigkeit zu den »Werwölfen«, eine vermeintliche NS-Partisanen-Organisation, vor.
Im Herbst 1946 übertrug die Sowjetische Militäradministration dem sowjetischen Geheimdienst die Befugnisse zur Verfolgung politischer Verbrechen in der SBZ vollständig. Seine zentrale Haftstätte in Sachsen richtete der Geheimdienst im ehemaligen Landgerichtsgefängnis Dresden, am Münchner Platz, ein. Während zunächst die vermeintlichen Verbrecher massenhaft ohne Gerichtsurteil willkürlich festgesetzt wurden, erfolgte später zunehmend eine Aburteilung durch sowjetische Militärgerichte. Von 1945 bis 1955 wurden über 40.000 deutsche Zivilisten verurteilt.13 Auch auf dem Kaßberg wurden Urteile durch Sowjetische Militärtribunale (SMT) ausgesprochen. Bei den Verurteilungen der Garnison Chemnitz und des SMT Nr. 48240, das auch auf dem Kaßberg tagte, ging es überwiegend um Spionagevorwürfe.14 Festgenommene Personen aus dem Wohnumfeld oder mit beruflichem Bezug zur SAG Wismut, dem Bergbauunternehmen, das seit 1946 Uran für die Sowjetunion förderte, kamen allesamt auf dem Kaßberg i...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort (Lutz Rathenow)
  6. 1. Historische Einordnung
  7. 2. Persönliche Schicksale und Erinnerungen an das Kaßberg-Gefängnis
  8. 3. Literarische Annäherungen an einen Haftort
  9. 4. Die archivalische Überlieferung
  10. 5. Gedenkort Kaßberg? Gedenkstättenpolitischer Kontext und erinnerungskulturelle Perspektiven
  11. 6. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  12. Zu den Herausgebern
  13. Weitere Bücher
  14. Fußnoten