Christentum und Europa
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Christentum und Europa

XVI. Europäischer Kongress für Theologie (10.–13. September 2017 in Wien)

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Christentum und Europa

XVI. Europäischer Kongress für Theologie (10.–13. September 2017 in Wien)

About this book

Vom 10. bis 13. September 2017 veranstaltete die Wissenschaftliche Gesellschaft für Theologie den XVI. Europäischen Kongress für Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Wien. Der Kongress stand unter dem Thema "Christentum und Europa" und beschäftigte sich mit der Frage, welche Gestalt der europäische Kontinent dem Selbstverständnis des Christentums gegeben hat und welche aktuelle und zukünftige Bedeutung der christliche Glaube für die europäische Identität hat. Am ersten Tag ging es um das Christentum in der europäischen Geschichte, am zweiten um das Christentum in der europäischen Pluralität und am dritten um das Christentum in der europäischen Wissenskultur; im Mittelpunkt der Eröffnungsveranstaltung standen religiöse Vielfalt und Teilhabe im Einwanderungsland Österreich. Der Band dokumentiert die Plenar- und Sektionsvorträge des Kongresses.[Christianity and Europe. XVIth European Congress for Theology]From September 10 to 13, 2017, the Scientific Society for Theology organized the XVIth European Congress for Theology at the Theological Faculty of the Vienna University. The congress, under the theme "Christianity and Europe", dealt with the question which specific self- image Christianity has been given by the European continent and what could be the current and future impact of the Christian faith on European identity. The subthemes of the three days were Christianity in European history, Christianity within European plurality, and Christianity in European knowledge culture. The opening event focused on the theme of religious diversity and participation in Austria, regarded as an immigration country. The volume documents the plenary and session presentations of the congress.

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II FACHGRUPPEN-VORTRÄGE

ALTES TESTAMENT

Fremde Völker in der Prophetie des Alten Orients

Jonathan Stökl
Die alttestamentlichen Fremdvölkerorakel sind ein bekanntes Thema innerhalb der alttestamentlichen Forschung. In der altorientalistischen und vergleichenden Forschung allerdings sind »fremde« Völker bisher kein bedeutendes Thema. Dieser Aufsatz nimmt es sich zur Aufgabe, die Position fremder Völker in der altorientalischen Prophetie zu erhellen.1
Der größte Teil altorientalischer Texte prophetischen Inhalts ist bekanntlich in zwei Korpora zu uns gekommen. Das ältere der beiden ist Teil des königlichen Archivs der altbabylonischen Stadt Mari, aus der Mitte des 18. Jahrhunderts v. Chr. am mittleren Euphrat.2 Das zweite größere Korpus stammt aus den Staatsarchiven des neuassyrischen Reiches aus Ninive im 7. Jahrhundert v. Chr.3 Darüber hinaus gibt es noch eine Handvoll weiterer Texte, sowohl aus altbabylonischer Zeit als auch neuassyrischer Zeit, sowie einige Hinweise auf die Existenz von Propheten, sowohl in mittelassyrischer wie auch neubabylonischer Zeit. Darüber hinaus existieren auch noch einige wenige transjordanische Inschriften aus der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. sowie ein althebräischer Brief aus Lachisch.4
In den folgenden Seiten werde ich einen ersten Überblick über das Material zu fremden Völker liefern, das Material ordnen, sowie einige, wie ich meine, interessante Beobachtungen anführen, die im Kontrast sowohl zu anderen altorientalischen Text- und Bildertraditionen als auch zu Traditionen, die in der Bibel stark vertreten sind, stehen.
Fremde Völker werden in altorientalischen Texten meist als Bedrohung dargestellt, als Vertreter des Chaos, die es zu besiegen gilt, um den Kosmos zu erhalten, oder aber als schwach und hilflos.5 Vor dem Hintergrund der sehr heterogenen Gesellschaften Mesopotamiens, besonders im ersten Jahrtausend v. Chr. ist dies an sich schon bemerkenswert, da es eben nicht die tägliche Erfahrung der Menschen und Autoren widerspiegelt. Dabei spielen fremde Völker in den altorientalischen Texten prophetischen Inhalts eine nur untergeordnete Rolle. Innenpolitische Themen und praktisch-theologische Fragen dominieren die erhaltenen Texte.6 Es gibt hierzu allerdings einige bemerkenswerte Ausnahmen, mit denen wir uns unten näher beschäftigen wollen. Die Götterkampftradition schwingt dabei an entscheidenden Stellen mit, ist aber auch nicht übermäßig vertreten.
Bevor wir uns mit den Texten selber befassen, möchte ich noch einige Vorbemerkungen zu den Begriffen »fremdes Volk« und »Fremdvölkerspruch« machen. Der Begriff ist in der alttestamentlichen Wissenschaft aus historischen Gründen – vor allem in der Prophetenforschung – wohlbekannt. Als stehender Ausdruck ist er im Alten Testament eher selten. Aber durch die sogenannten Fremdvölkersprüche – auf Englisch noch genauer: »oracles against the nations« – ist er in der Forschung breit belegt. In einer Zeit, in der nationale und nationalistische Kräfte in der gesamten westlichen Welt, mit zum Teil erschreckenden Konsequenzen, wieder erstarken, sollten wir uns bewusst sein, dass das Wort »Volk« nicht unbelastet ist und zudem keine natürlich gegebene Einheit beschreibt. Zudem ist historisch die Abgrenzung von »fremden« Völkern häufig verwendet worden, um andere Menschen eben nicht als Menschen, sondern als Fremde zu behandeln. Dabei gibt es, wie bei so vielen ethischen Fragen, im Alten Testament eine große Bandbreite an Meinungen: in Büchern wie Ezra-Nehemiah werden Israeliten und Judäer, die die Meinungen der Autorenkreise in vielen Fragen, unter anderem zu sogenannten Mischehen, nicht teilten, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Levitikus 19,34 und Ezechiel 47,22 hingegen gehen eher in eine andere, fürsorglichere Richtung.
Die wenigsten altorientalischen Texte kennen explizite Volksvorstellungen, die sich unreflektiert mit denen der modernen Welt abgleichen ließen. Familie und Stamm sind wichtige Begriffe, ebenso wie Sprache und sesshafte oder nomadische Lebensweise. Politisch kann z. B. ein Stamm durchaus auf mehrere Königreiche verteilt sein, und in den meisten Königreichen lebten verschiedene Stämme. Im späteren ersten Jahrtausend v. Chr. waren so Mitglieder verschiedener aramäischer Stämme in Babylonien von großer Bedeutung. Das neuassyrische Reich hatte Vorstellungen davon, wer Teil des eigenen Volkes war und wer nicht, und kommt damit einer unreflektierten modernen Lesung vielleicht am nächsten. Der Volksbegriff ist in der Altorientalistik durchaus umstritten und wird wenig benutzt, und wenn meist als Chiffre für »Bürger eines Staates«, sich dabei wohl bewusst seiend, dass Volk und Bürger nicht immer deckungsgleich sind. Ich möchte aber auch nicht den falschen Eindruck erwecken, dass es in altorientalischen Texten kein Bewusstsein für Andersartigkeit gebe. Dies wird eben nur meist nicht mit dem Volksbegriff, sondern entweder mit sprach- oder herkunftsbezogenen Adjektiven getan. Es wäre in der Tat ein spannendes Projekt, den genauen Bezug und moderne Äquivalente altorientalischer Gentilien systematisch zu erforschen, um eine bessere Vorstellung davon zu haben, was genau die Termini beschreiben.

1. Fremde Völker in der altbabylonischen Prophetie

Die meisten in Mari gefundenen prophetischen Texte stammen aus der Zeit König Zimri-Lims. Die überwältigende Mehrheit kümmert sich entweder um innenpolitische oder um kultische Angelegenheiten. Einige wenige der in Mari gefundenen Texte beinhalten prophetische Orakel, die nicht aus Mari, sondern aus einer anderen Stadt stammen. Hier fallen vor allem Texte auf, die von mariotischen Botschaftern aus Aleppo und Babylon nach Mari gesandt wurden. Es gibt außerdem noch eine Handvoll von Tafeln, die nicht in Mari gefunden wurden. Für unser Thema sind diese eher unerheblich.7
Die beiden aus Aleppo nach Mari gesandten Tafeln, FM 7 38 und 39 sind aus mehreren Gründen gut bekannt:8 zum einen wurde FM 7 39 recht früh publiziert (bereits 1950 in der Festschrift Robinson), zum anderen geben beide Texte Einblick in mehrere interessante Themenbereiche und werden daher recht häufig zitiert.9 Beide sind von Nur-Sin an seinen König, Zimri-Lim, geschickt worden. Sie erwähnen die sogenannte Ala
tum-Affäre und benennen das aus Emar bekannte zukrum-Ritual, auch wenn dabei nicht klar ist, ob das Ritual in Emar und Mari die gleiche Funktion hatte. In FM 7 39 schreibt Nur-Sin:
Zeilen 14-28 »Bin ich nicht Adad von Kallassu, der ihn auf meinem Schoß10 großgezogen habe? Ich habe ihm den Thron seiner Vorfahren zurückgegeben, ich habe ihm wieder ein Zuhause gegeben. Hört zu!11 So wie ich ihn auf den Thron seiner Vorfahren gesetzt habe, kann ich ihm auch das Landgut entreißen, falls er es mir nicht geben will. Ich bin der Herr von Thron, Ländern und Stadt! Was ich gegeben habe, kann ich auch wieder zurücknehmen. Wenn aber nicht, und er meinen Wunsch erfüllt, werde ich ihm Thron über Thron, Haus über Haus, Länder über Länder und Stadt über Stadt geben. Ich werde ihm das Land vom Sonnenaufgang zum Sonnenuntergang geben!«
Nur-Sin schließt den Brief mit einem Orakel von Adad von Aleppo an:
Zeilen 49-59 »Bin ich nicht Adad von Aleppo, der ich dich in meinen Armen großgezogen ha[be]? Ich, der dir den Thron deiner Vorfahren zurückgegeben habe? Ich verlang[e n] ichts von dir, (außer dass), wenn ein Unterdrückter oder eine Unterdr[ückte] dich anrufen, du ihnen zur Seite stehst und ihren Fa[l]l gerecht richtest. Das ist es, was ich verlange. Höre, was ich Dir geschrieben habe. Respektiere meine Worte und ich werde dir das Land vom So[nnenaufga]ng bis zum Sonnenuntergang geben, sowie das Land von […]!«
Zum einen haben wir das wiederholte Motiv der elterlichen Fürsorge der beiden Formen des Gottes Adad als auch das Schenken des Landes vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Die Forderungen hingegen sind unterschiedlich. Für unsere Zwecke heute ist vor allem wichtig, dass beide Briefe eben nicht aus dem Gebiet des von Zimri-Lim beherrschten Maris stammen, sondern aus Aleppo, der Hauptstadt Yam
ads, eines der mächtigsten Königreiche im 18. Jahrhundert v. Chr. Sumu-epu
, der König Aleppos und Vater Yarim-Lims, hatte Zimri-Lim und seiner Familie Unterschlupf gewährt, als diese vor den Truppen Šamši-Adads aus Mari flohen. Es wird allgemein angenommen, dass Truppen aus Yam
ad Zimri-Lim unterstützt haben, als er sich den Thron seiner Vorfahren wieder erkämpfte.12
Dieses Bild wird noch schärfer, wenn wir den zweiten Text, FM 7 38, hinzufügen. Dieser Brief, auch von Nur-Sin an Zimri-Lim geschrieben, überliefert die Worte eines āpilum (wörtlich: »Sprecher«, sinngemäß: »Prophet«) von Adad von Aleppo. Die entsprechenden Zeilen in diesem Text lauten:
Zeilen 5-10 »Ich habe Ya
dun-Lim das ganze Land gegeben. Aufgrund meiner Waffen hatte er keine ebenbürtigen Feinde. Aber weil er das meinige im Stich gelassen hat, habe ich das Land, das ich ihm gegeben hatte, an Šamši-Adad geg[eb]en. [Šamši]-Adad
[…mehrere Zeilen verloren…]
Zeilen 1‘–10‘ Ich werde Dich wieder au[fric]hten! Ich habe Dich auf den T[hron deiner Vorfahren] zurückgebracht. [Meine W] affen, mit denen ich Tiamat geschlagen hatte, habe ich dir gegeben. Ich habe [dich] mit dem Öl meiner Herrlichkeit gesalbt. Niemand hat vor dir Be[stand]. Eines höre: wenn dich jemand um Gerechtigkeit anruft ›Mir ist U[nrecht] getan!‹ sei für ihn da, und richte den Fall gerecht! [… Di]es ist, was ich von dir ver[lange].«
A. 482, ein berühmter, noch unedierter Brief von Itur-Asdu an seinen König Zimri-Lim, zeigt die politische Lage Nordwestmesopotamiens in den fünfziger Jahren des 18. Jhdt v. Chr. aus Sicht der mariotischen Verwaltung und belegt, dass Yam
ad als die Führ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Zu diesem Band
  5. Inhalt
  6. Eröffnungsvortrag
  7. Öffentlicher Abendvortrag
  8. I. Hauptvorträge
  9. II. Fachgruppen-Vorträge
  10. Anhang
  11. Autorinnen und Autoren
  12. Sachregister
  13. Weitere Bücher
  14. Endnoten