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About this book
Die geschmackvoll aufgemachte Anthologie vereinigt 40 Gedichte über Leben und Werk Martin Luthers. Der repräsentative Gang durch die Jahrhunderte, der von Hans Sachs über Herder, Goethe, Schiller und Fontane bis in die Gegenwart reicht, lädt zu einer poetischen Begegnung mit dem deutschen Reformator ein. Beim Lesen und Vorlesen stößt man auf unterschiedliche Blickwinkel und Gewichtungen – von der glorifizierenden Huldigung bis zur kritischen Distanz. Bei solcher Fülle mag es kommen, dass man an der einen oder anderen Stelle lesend innehält und Martin Luther als eine Jahrhundertfigur entdeckt, die 'man auch heute noch bewundern kann' (Gottfried Benn).
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Information

Luther im Gedicht. Zur Einführung
Johannes Block
Der Ruf und Schall der »wittenbergischen Nachtigall« blieb nicht ohne Resonanz und Widerhall. Die Wirkungsgeschichte Martin Luthers, der Initialfigur der Reformationsbewegung, ist gewaltig. Bereits zu Luthers Lebzeiten finden dessen Thesen, Vorlesungen, Schriften, Predigten, Briefe, Bibelübersetzungen und Tischreden ein breites Echo. Luther verfasst zahlreiche Bücher, die in hohen Auflagen gedruckt werden. Luther ist in aller Munde – in deutschen Landen und darüber hinaus. Nie zuvor und nie danach hat ein deutscher Universitätsprofessor, der Luther zeitlebens blieb, eine derartige Wirkungsgeschichte ausgelöst, die gleichermaßen auf Politik und Kirche, auf Freiheitskampf und Gewissensbildung, auf Sprache und Volksbildung, auf Nationalgefühl und Konfessionsidentität Einfluss genommen hat.
Zu den Momenten einer Wirkungsgeschichte enormen Ausmaßes gehört, dass sich überzeugte Anhänger wie radikale Gegner finden. Luther polarisiert. Die Äußerungen über seine Person und sein Werk sind Legion.1 Sie enthalten Belobigung und Verteufelung, Heroisierung und Ächtung, Bewunderung und Befremden. Zuweilen reiben sich Bewunderung und Befremden wie zwei Seelen in einer Brust. Eine klassisch gewordene Äußerung findet sich bei Thomas Mann:
Martin Luther […] ich liebe ihn nicht, das gestehe ich ganz offen. Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistige Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe, erregt meine instinktive Abneigung. Ich hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen, ich hätte mich wahrscheinlich bei ihm wie im trauten Heim eines Ogers gefühlt und bin überzeugt, daß ich mit Leo X., Giovanni de Medici, dem freundlichen Humanisten, den Luther ›des Teufels Sau, der Babst‹ nannte, viel besser ausgekommen wäre. […]
Nichts gegen die Größe Luthers! Er hat nicht nur durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen, die Goethe und Nietzsche dann zur Vollendung führten, er hat auch durch die Sprengung der scholastischen Fesseln und die Erneuerung des Gewissens der Freiheit der Forschung, der Kritik, der philosophischen Spekulation gewaltigen Vorschub geleistet. Indem er die Unmittelbarkeit des Verhältnisses des Menschen zu seinem Gott herstellt, hat er die europäische Demokratie befördert, denn ›Jedermann sein eigener Priester‹, das ist Demokratie.2
Dass sich im Blick auf Luther Bewunderung und Befremden kreuzen, zieht sich bis in Äußerungen aus jüngerer Zeit hinein. Wilhelm Bartsch, der als ein zeitgenössischer Autor in diesem Band vertreten ist, zeigt sich hin- und hergerissen zwischen dem erstaunlich altertümlichen und dem anregend marktkritischen Luther:
Luther war ein Mann mit vielen Ecken und Kanten. Luther war äußerst schwach im Rechnen. Kopernikus hielt er für einen Dummkopf, der nicht richtig in den Himmel gucken konnte, und die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus war für Luther ein unwichtiges Randereignis. Luther glaubte an Gespenster und Teufel, an Elfen, Kobolde und Hexen. Er warf mit Tintenfässern nach ihnen und prahlte nicht, wenn er sagte: »Wenn so viele Teufel zu Worms wären wie Ziegel auf den Dächern, wollte ich doch hinein!«
Dennoch war Luther kein Narr und liebte ausdrücklich »Wein, Weib und Gesang«. Selbst der »Weihnachtsbaum« wird ihm manchmal zugeschrieben. Aber vor allem hatte er als ein Bauern- und Bergmannssohn aus dem Mansfeld sein Gerechtigkeitsgefühl. Doch empörte er sich erst, wenn es nicht mehr anders ging. Und natürlich konnte Luther auch nicht in die Zukunft schauen. Luther wusste oft auch nicht, ob sein Handeln wirklich richtig war. Doch er handelte. Aber ein Händler war er gar nicht. ICH BIN SO FREI, rief Luther im »Großen Sermon vom Wucher« 1524: »Wie kann es nach göttlichem und menschlichem Recht so zugehen, dass jemand in so kurzer Zeit so reich wird, dass er Könige und Kaiser auskaufen kann?«
Vielleicht war es zuerst Luther, der sich empört hat, dass man für Geld alles, bis hin zu einem reinen Gewissen, kaufen zu können glaubte! Anlass zu Luthers Thesen und zur Reformation war ja, dass der Papst den Vatikan neu und prächtig, wie er heute noch steht, erbauen wollte und dazu der deutsche Kardinal in Halle so süchtig nach den kostbarsten Reliquien war! Beide brauchten also Unsummen, die sie auch durch Ablasshandel eintreiben wollten. Ein Mörder konnte zum Beispiel einen entsprechend teuren Ablassbrief kaufen, der ihn vom Mord freisprach. Es gab Ablassbriefe für noch nicht begangene Sünden, selbst für Sünden der Kinder und Kindeskinder! Luthers brennende Aktualität besteht vor allem darin, dass er mit seinem Wort, mit seiner Tat zeigte, dass – DA FREI ICH BIN – nicht alles käuflich ist! Und schon gar nicht Würde, Freiheit und wahres Glück! Luther war anscheinend einer der besten Katholiken aller Zeiten! Er war so großartig alltäglich und wichtig auf unserer Erde, dass ihn der Papst wohl erst in etwa dreihundert Jahren heilig sprechen könnte!3
Resonanz und Widerhall hat die »wittenbergische Nachtigall« auch in der Poesie gefunden. Das in diesem Band aufgenommene Spruchgedicht von Hans Sachs zeigt, dass Luthers Weg und Werk von früh auf zum Stoff der Poesie geworden ist. Das Ausmaß der poetischen Produktion ist unübersehbar:
Ungezählt sind Produkte der Literatur, die Romane, Novellen, Epen, Gedichte, Dramen und Filme, deren Gegenstand Luther ist. Daß keines mehr als ephemere Bedeutung hat, von der literarischen Qualität ganz zu schweigen, folgt aus einem Doppelten: Entweder handelt es sich um Tendenzliteratur […] Oder es handelt sich um das Herausgreifen einzelner Züge, die notwendig zu einer Verflachung des Lutherbildes führen.4
Die vorliegende Auswahl konzentriert sich in einem repräsentativen Gang durch die Jahrhunderte auf namhafte Autoren und ist an einer profilierten Aussage interessiert, die über die Tradition des konfessionell und national überhöhten Pathos hinausgeht.5 Hagiographische Züge finden sich freilich auch in einigen Gedichten dieses Bandes, was unvermeidlich zur Typik einer jeweiligen Epoche gehört. Neben die Darstellung und Glorifizierung eines Vorbildes, das allgemeinbildend auf poetischem Weg vergegenwärtigt wird, treten zunehmend Distanz und Kritik. Auf die Stiftung und Etablierung des Lutherstoffs folgt die kritische Inspektion einer deutschen Jahrhundertfigur. Die zweifache Reaktion von Bewunderung und Befremden durchzieht auch das Lutherbild in der Poesie. Die Texte von Rudolf Otto Wiemer, Kurt Marti, Erich Fried oder Kurt Hutterli stiften ein kritisches Gedächtnis. Bei Johann Wolfgang von Goethe, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Emanuel Geibel oder Gottfried Keller ergeben sich von Luther aus Impulse für ein erneuertes Aufleben der Kirche. Im Blick auf das 500-jährige Reformationsjubiläum bedarf es weiterer Gedichte, die auf neue Wege führen und etwa Luther als internationale und überkonfessionelle Figur entdecken und entgrenzen. Auch Luthers Polemik wider die Altgläubigen, wider die Juden oder im Bauernkrieg ließe sich poetisch verarbeiten. Dann träte das Menschenmaß einer Jahrhundertfigur in all ihrer Begrenztheit vor Augen. Das Aufleuchten einer begrenzten Humanitas wäre in einer Epoche entlastend, in der der Mensch auf der atemlosen Suche nach Lebensfülle und Perfektion scheinbar von keinem Maß und keiner Grenze weiß. Das Menschenmaß in all seiner Begrenztheit würde den Lutherstoff, der größtenteils im poetischen Gloria lebt, durch ein poetisches Kyrie weiten.
Einige der Gedichte greifen bestimmte Stichworte aus Luthers Theologie auf, beleuchten und verstärken sie oder reiben sich an ihnen (Friedrich von Logau, Kurt Marti, Inge Meidinger-Geise, Eva Zeller, Detlev Block). Das erwähnte Spruchgedicht von Hans Sachs bietet ein gereimtes Kompendium der Lehre Luthers, gerahmt durch die streitbare Illustration der damaligen kirchlichen Situation. Aufs Ganze besehen zeigen die ausgewählten Gedichte mehr Interesse an Luthers Biographie als an Luthers Theologie. Weniger die Lehre und mehr das Leben scheint die poetische Feder zu inspirieren. Freiheitskampf, Selbstfindung und Gewissensbildung sind Motive, die einerseits zu beeindruckenden Charakterstudien eines mit sich ringenden Individuums führen (Theodor Körner, Conrad Ferdinand Meyer, Gerhart Hauptmann, Ludwig Bäte, Richard Willy Biesold, Eva Zeller, Christian Lehnert), andererseits sich ein Beispiel am Vorbild nehmen:
Auch ich […] will […] protestieren (Johann Wolfgang von Goethe),
Tritt ein für deines Herzens Meinung (Theodor Fontane),
›Das bin ich!‹ zu sagen (Börries von Münchhausen).
Markante Stichworte wie Glauben, Papst, Kaiser, Worms, Wartburg, Teufel, Tintenfaß, Bibelbuch, Freiheit, Ein feste Burg, Bekenntnis, Wort, Gottes Gnade tauchen in der Auswahl wiederholt auf und tradieren eine Luthersche Biographie, die Bestimmtes einprägt und festsetzt, anderes verschweigt und vergessen lässt. Das tradierte, für objektiv gehaltene Lutherbild speist sich letzten Endes nicht anders als aus subjektiven Wahrnehmungen. Eine Annäherung an Luther ist immer gefärbt vom Vorurteil einer jeweiligen Epoche und eines jeweiligen Autors. Dem Gedicht lässt sich zugutehalten, dass es eine redliche, weil offenbarene Form der Annäherung ist, denn im poetischen Verhältnis ist die subjektive Wahrnehmung mitgesetzt und gefordert:
Das Gedicht ist die riskanteste, die schamloseste aller literarischen Formen. Ein Dichter – meinte Goethe […] – sei umsonst verschwiegen, denn »Dichten selbst ist schon Verrat«. Lyriker sind professionelle Exhibitionisten – nur daß sie nicht etwa ihre Blöße poetisieren, sondern in der Poesie bloßstellen.6
»Luther im Gedicht« bietet einen vielfachen poetischen Zugang zu einer Jahrhundertfigur. Den Rahmen bilden jeweils drei Erzähl-Gedichte, die markante Lebensstationen Luthers aufgreifen und ausmalen. Eine Zeittafel im Anhang listet weitere Lebensdaten auf, mit deren Hilfe sich die biographischen Hintergründe, auf die in den Texten teils angespielt wird, erschließen lassen. Im Mittelpunkt des Bandes steht eine repräsentative Sammlung von 36 Gedichten, die aus unterschiedlichen Jahrhunderten in chronologischer Folge angeordnet sind. Sie bilden keinen Kanon der Lutherverehrung, sondern wollen je und je ansprechen und gebraucht werden:
Gedichte sind Gebrauchsgegenstände, nicht Geschenkartikel im engeren Sinn. Der Leser wird höflich ermahnt, zu erwägen, ob er ihnen beipflichten oder widersprechen möchte.7
»Luther im Gedicht« möchte Freude am Lesen und Vorlesen bereiten. In der poetischen Begegnung schwingt ein Tiefenklang mit, der wesentlicher berührt und bewegt als der durchkalkulierte Ton der Lebensroutine und des Alltagsgeschäfts. Das Gedicht überspringt die in unserer Zeit geforderten und gesuchten Maßstäbe der Wissenschaft und der Unterhaltung:
Der Mensch unserer Tage ist oft der Belehrung so müde wie der Zerstreuung. Was er ersehnt, sind Wege zu tieferen Daseinsformen, Wege, die aus der Bedrängnis des Alltags herausführen, die den Blick freigeben auf unbekannte, auf schönere Reiche. Gerade diesen Blick schenkt uns das Gedicht. Es belehrt nicht: es erhellt. Es zerstreut nicht: es entrückt. Es läßt uns teilhaben an Welten, die allen anderen Schritten unerreichbar sind. Es überwindet die Not des Daseins, indem es große Sinnbilder beschwört und an ihrer Hand uns in das Reich des Ewigen hebt. Das Gedicht ist nicht Zierat des Lebens, sondern ein unentbehrlicher Teil. Die Menschheit würde ärmer, wenn sein Widerhall erstürbe.8
Im Lesen und Vorlesen wird man sich dem Leben und Werk Luthers auf poetische Weise nähern und dabei unterschiedliche Farbspiele, Facetten und Nuancen wahrnehmen: glorifizierend, pathetisch, biographisch, erzählend, freiheitsbewegt, geistlich, humorvoll, pointierend, kritisch, fragend. In all der Fülle der Zugänge mag es kommen, dass man an der einen oder anderen Stelle lesend innehält und Luther als eine...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Der Autor
- Impressum
- Widmung
- Inhaltsverzeichnis
- 1. Luther im Gedicht. Zur Einführung - Johannes Block
- 2. Luthers Herkunft und Leben im Erzähl-Gedicht
- 3. Luther im Gedicht durch die Jahrhunderte
- 4. Luthers Leben und Tod im Erzähl-Gedicht
- 5. Zeittafel zu Martin Luthers Leben Johannes Block
- Quellen
- Quellennachweise
- Weitere Bücher