Interview mit Peter Greulich
Das Glück des Bergmanns – das Glück des IT-Entwicklers
Peter Greulich ist ein Unternehmensberater der besonderen Art: Er ist »Spiritual Coach« für Führungskräfte und Unternehmer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in Hannover.
Zur Person: Peter Greulich arbeitete nicht nur als Diplom-Religionspädagoge und Diakon in der kirchlichen Jugendarbeit, sondern auch als technischer Zeichner und Schriftsetzer sowie im Personalwesen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, bevor er 2002 als Referent im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) begann. Zunächst im KDA-Regionalbüro Hameln, im Sprengelbüro Nienburg und in Hildesheim – ab 2007 hat er seinen Dienstsitz im Haus kirchlicher Dienste in Hannover. Zusätzlich ist er dort in das Arbeitsfeld Spiritual Consulting eingebunden. Greulich gibt Workshops zu unterschiedlichen Themen, beispielsweise zu werteorientierter Führung, Krisenbewältigung, betrieblichem Gesundheitswesen, Burnout-Prophylaxe, Resilienz, Restrukturierung und Disruption oder zur Vorbereitung von Auslandseinsätzen. Darüber hinaus macht er spirituelle Angebote in Klöstern (Auszeit, Klosterfrühstück im Advent, Unternehmerfrühstück).
»Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.« In großen Lettern prangt der Sinnspruch an der Pinnwand. Drum herum, kreuz und quer, eine Foto-Kollektion aus einem bewegten Berufsleben: Peter Greulich mit Blauhelm und Leuchtweste in einer Fabrikhalle. Peter Greulich inmitten von Anzug tragenden Vorständen und Firmenleitern. Peter Greulich in einer Messehalle. Es ist ein trüber Vorfrühlingstag in Hannover, milchiges Licht fällt durch das Fenster in dem kleinen Büro im »Haus kirchlicher Dienste«. Doch der Kaffee, den der langjährige KDA-Referent hereinbringt, dampft heiß. Greulich ist ein schlanker Mann im Alter von 65 Jahren mit aufmerksamen dunklen Augen und einem breiten Lächeln.
Frage: »Ora et labora« ist ein Leitspruch des Ordens der Benediktiner: »Bete und arbeite«. Was ist mit Ihnen? Haben Sie an Ihrem heutigen Arbeitstag schon gebetet?
Peter Greulich: Ja. Das mache ich in aller Regel morgens nach dem Wachwerden. Damit stelle ich mich gedanklich positiv auf den Tag ein und bitte Gott um Beistand. Auch wenn wir mit Kolleginnen und Kollegen in die Kantine gehen, sprechen wir manchmal vor dem Essen ein stilles Gebet: 30 Sekunden schweigen, und dann geht es los. Das sind die Momente, um zur Ruhe zu kommen. Das finde ich ganz wichtig zwischendurch. Ein christliches Gebet hat die Funktion des Einstimmens auf das, was kommt, und auf die Menschen, die mir begegnen.
Frage: »Bete und arbeite« wird ja landläufig auch interpretiert als: Tue nichts außer beten und arbeiten, und verkneife dir alles, was Spaß macht. Wie verstehen Sie das?
Peter Greulich: Das eine ist nach innen gerichtet, das andere nach außen. Das eine ist die Einkehr, das andere ist das, was ich für andere produziere; im Sinne von: »Schau nach innen, schau nach außen – und dann entscheide.«
Frage: In Führungsetagen der Großkonzerne geht der Trend derzeit stark in Richtung Meditation und Yoga. Hat ein Gebet eine ähnliche Funktion?
Peter Greulich: Ich sehe da überhaupt keine Ausschlüsse. Auch in meinem Regal finden Sie zahlreiche Bücher mit Meditationen für Führungskräfte, von denen ich mich ein bisschen inspirieren lasse. Nach dem Mittagessen zum Beispiel, wenn alle im »Suppenkoma« sind – so nennt man das in den Betrieben –, dann kann man gut eine aktivierende Übung miteinander machen. Es tut gut, sich selbst einen Augenblick zurückzunehmen – gerade dann, wenn Stress oder Ärger angesagt sind. Für einen kleinen Augenblick herunterkommen – dann ist man gleich entspannter. Das ist eine Art Konditionierung für die Aufgaben, die vor uns liegen. Und es wird ein guter Arbeitstag.
Frage: Was verstehen Sie unter einem »guten Arbeitstag«?
Peter Greulich: Wahrnehmen, was gelingt. Das fällt vielen Menschen schwer, weil sie immer auf das schauen, was gerade mal wieder nicht geklappt hat, auf den Ärger und auf das, was ihnen Sorgen macht. Man kann sich auch selbst demotivieren, indem man sich ständig die negativen Dinge einredet. Das Zweite ist: Ich möchte in Beratungsprozessen dazu anregen, auch mal Nein zu sagen, denn das ist uns vielfach verloren gegangen. Dann aber schleppt man das ungelöste Thema immer weiter, bis es letztlich zum Konflikt wird. Dabei ist es in aller Regel doch so: Wenn man offen und ehrlich »Nein« sagt, dann bringt das oft gar keinen Konflikt mit sich, sondern es schafft Klarheit. Außerdem: Dankbarkeit und Demut spielen eine wichtige Rolle in einem »guten Arbeitstag«. Darauf zu achten: Was gelingt im Leben? Was gelingt im Job? Darum geht es mir im Kern.
Wirtschaftsleben und Christentum – Peter Greulich ist in beiden Welten zuhause. Als Referent ist er seit September 2002 im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) tätig. Seitdem ist er mit zahlreichen Unternehmen zwischen Weser und Leine verbunden im Sinne von »Menschen stärken – Sachen klären«, wo er Restrukturierungen und Prozesse des Wandels beratend begleitet. Darüber hinaus lädt er Unternehmer, Manager und Führungskräfte zu Begegnungen in Klöstern ein. Greulich ist mit Spiritual Consulting Partner verschiedener Wirtschaftsverbände, zum Beispiel im Arbeitgeberverband der Unternehmen im Weserbergland (AdU), der Weserbergland AG, und er steht im engen Kontakt zum Arbeitgeberverband Hildesheim und zu Chemie Nord.
Daraus hat sich auch das Programm »Aspect Change« entwickelt. Auszubildende, mitunter auch Führungskräfte, verlassen für eine Woche ihren angestammten Arbeitsplatz im Betrieb, um für eine Woche in Einrichtungen der Diakonie benachteiligten Menschen zu dienen. Aspect Change ist zum Erfolgsmodell geworden, denn die Teilnehmenden berichten von tiefgehenden Erfahrungen, die Einfluss auf ihre Einstellung gegenüber sich selbst und der Gemeinschaft haben. Trainiert wird somit soziale Kompetenz, die sich positiv auf das Miteinander am Arbeitsplatz auswirkt. Partner sind unter anderem ContiTech, Sartorius, ChemieNord und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Auch innerhalb des Hauses kirchlicher Dienste haben Auszubildende der Verwaltung teilgenommen.
Frage: Richtet sich Ihr Angebot eher an Mittelständler oder an Großkonzerne?
Peter Greulich: Ich bin sowohl bei globalen Playern als auch in inhabergeführten Familienunternehmen unterwegs. Wobei große Konzerne im Augenblick mehr im Mittelpunkt stehen. In Gesprächsrunden und Workshops in Netzwerken der Wirtschaft speise ich die Themen ein, die ich als wichtig wahrnehme. Daraus ergeben sich mitunter Anfragen aus Betrieben: »Können Sie das nicht auch mal bei uns in der Firma machen?« Aktuell geht es um Arbeitsplatzgefährdungsanalysen mit Blick auf psychische Belastungen, diese sind ja für Unternehmen zur gesetzlichen Pflicht geworden. Nicht selten treten dabei Zusammenhänge zwischen hohen Fehlzeiten und überforderten Führungskräften zutage, die eine Förderung und Unterstützung benötigen.
Frage: Vom wem geht der Impuls aus, wenn Unternehmen sich zu einer Beratung durch den KDA entschließen? Sagt die Führungsetage von sich aus: »Wir machen das jetzt mal«? Oder fordert das auch mal die Belegschaft, weil sich Unzufriedenheit ausgebreitet hat?
Peter Greulich: Das ist unterschiedlich. In einem Betrieb, den ich begleitet habe, gibt es zahlreiche exzellente Techniker und Ingenieure, die aber nie gelernt haben, mit einer Belegschaft von 150 oder 200 Leuten umzugehen. Und dann schossen die Fehlzeiten durch die Decke, weil die Mitarbeiter sich unwohl fühlten und nicht motiviert waren. Auch die Führungskräfte selbst fielen aus: Sie hatten bemerkt, dass sie ihren Job nicht wirklich gut machen können, weil ihnen Fähigkeiten zur erfolgreichen Personalführung fehlen. So wurde allen deutlich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen mangelnder Führungsfähigkeit und Krankheit. Also sind sie an mich herangetreten und haben gesagt: »Können wir nicht mal gemeinsam was entwickeln?«
Frage: Auf welche Weise beginnen Sie die Begleitung eines Unternehmens?
Peter Greulich: Zunächst finden Vorgespräche statt, gemeinsam mit der Geschäftsführung und dem Personalbereich werden mögliche Vorgehensweisen entwickelt. Wenn ich ein Unternehmen nicht kenne, lasse ich mich durch die Produktion führen. So erhalte ich einen Einblick in die betrieblichen Abläufe, Herstellungsverfahren, Arbeitsplatzbedingungen und nehme außerdem Stimmung und Atmosphäre auf. Und es geht im Rahmen eines zu schließenden Kontrakts auch um die Bezahlung der Dienstleistung: Das Konzept von Spiritual Consulting beinhaltet die Refinanzierung von Angeboten – ausgenommen davon ist die Seelsorge.
Frage: Und wie läuft eine solche Beratung dann ab?
Peter Greulich: Voraussetzung sind gemeinsam vereinbarte Ziele des Beratungsprozesses. Dem entsprechend werden Methoden entwickelt und Agenden erstellt. Kürzlich hatte ich den Fall, dass Schichtmeister und Vorgesetzte nicht miteinander kommunizieren konnten. Gerade an solchen Schnittstellen entstehen ja oft die großen Probleme: Der Meister setzt voraus, dass die Schichtmeister die Vorgaben mitsamt aller Hintergründe kennen, aber in Wirklichkeit ist denen das alles gar nicht so klar. Darum können sie es auch nicht an ihre Mitarbeiter weitergeben.
Frage: Was schlagen Sie in solchen Fällen vor?
Peter Greulich: Miteinander ins Gespräch kommen – aber nicht einfach so. Dazu werden konkrete Verantwortlichkeiten benannt, und es werden Vereinbarungen getroffen, wo genau drinsteht, was eingehalten werden muss. Wir haben einen gemeinsamen Workshop mit den Meistern und Schichtmeistern durchgeführt. Dabei wurden Probleme zusammengetragen, detailliert in Kleingruppen besprochen und erste Lösungswege entwickelt. Abschließend wurde die Vereinbarung getroffen, sich einmal wöchentlich für 45 Minuten im Team zu besprechen, um die Verbesserungsprozesse fortzuführen. Bei diesen Treffen sind wir nicht unbedingt dabei. Aber im Rahmen der Meetings mit unseren Auftraggebern achten wir darauf, dass Vereinbartes umgesetzt wird. Schließlich stehen wir in der Verantwortung. Schauen Sie mal hier ...
Greulich zieht einen Aktenordner aus seinem Regal hervor und nimmt ein Blatt heraus: eine Tabelle mit eng beschriebenen Feldern. Es ist ein Fahrplan in eine bessere Verständigung: »Vorschlag: Teamleitung von Bereich 4 einbinden. Maßnahmen: Schulung: Zuständig: der Meister. Bis Kalenderwoche 13 sollen sämtliche Teamleiter eingebunden sein.«
Frage: Wo ist denn bei solchen Vereinbarungen das spirituelle Element?
Peter Greulich: Das hier hat zunächst relativ wenig mit Spiritualität zu tun.
Frage: Dann ist es also ein ganz »normales« Unternehmenscoaching?
Peter Greulich: Erst einmal: Ja. Aber die spirituelle Komponente ergibt sich, wenn es um ethische Kriterien bei schwierigen Entscheidungen geht. Wir kommen auf innere Haltung und Werte zu sprechen, etwa im Zusammenhang mit Ehrlichkeit gegenüber Geschäftspartnern, Wahrnehmung von Mitarbeitern und Kollegen oder im Umgang mit Fehlern. Menschen nehmen uns dann als Verantwortliche von Kirche wahr und wünschen sich Orientierung oder Beistand.
Frage: Wie lange dauert eine solche Begleitung im Schnitt?
Peter Greulich: Das ist sehr unterschiedlich. Ich bin im Einzelfall um rasche wirksame Lösungen bemüht. Dem entsprechend sollte ein Kurzzeit-Coaching nach drei Sitzungen abgeschlossen sein. Andererseits kann die Begleitung eines Unternehmens und seiner Verantwortlichen über viele Jahre erfolgen, wenn ein gegenseitiges Vertrauen entstanden ist. Einzelne Betriebe habe ich regelrecht ins Herz geschlossen. Solch ein Mitgefühl wird von Kunden wahrgenommen. Ein Unternehmen, mit dem ich bereits über mehrere Jahre verbunden bin, geriet in die Insolvenz. Di...