Teil II.Die Verheißung der Lebendigkeit Gottes
VII.»Er ist nicht hier!« Die Rede vom leeren Grab als Zeichen der neuen Schöpfung
»Das Problem ist hier nicht die Frage, ›Was sind die Fakten?‹, sondern vielmehr die Frage, ›Wie sind die Fakten so zu beschreiben, damit sie eine bestimmte Weise ihrer Erklärung und nicht eine andere sanktionieren?‹«1
»Nicht Zerstörung, sondern Neuschöpfung der Leiblichkeit geschieht hier. […] Wir wissen, es ist derselbe Leib – denn das Grab ist leer; und es ist ein neuer Leib – denn das Grab ist leer. Wir wissen, Gott hat die erste Schöpfung gerichtet und er hat eine neue Schöpfung in der Gleichheit der ersten geschaffen. Nicht eine Christusidee lebt fort, sondern der leibliche Christus. Das ist Gottes Ja zur neuen Kreatur mitten in der alten. In der Auferstehung erkennen wir, daß Gott die Erde nicht preisgegeben, sondern sich zurückerobert hat.«2
1.Vorbemerkungen
Die periodisch aufflackernden theologischen Debatten um die Auferweckung Jesu Christi spitzen sich regelmäßig auf die Frage zu, ob das Grab voll geblieben und Jesus darin verwest sei oder ob es leer gewesen sei, weil er auferweckt wurde. Dabei wird – wie in den von Gerd Lüdemann wieder entfachten Auseinandersetzungen – zumeist die Glaubwürdigkeit der Osterbotschaft als solche an die Frage geknüpft, ob das leere Grab wohl ein historisches Faktum sei.3 Nachdem die systematisch-theologische Diskussion um die Auferstehung in den 60er Jahren ihren letzten Höhepunkt erlebt hat,4 mehren sich in den letzten wieder die systematischen Beiträge zum Thema.5 Hierbei lässt sich die Tendenz erkennen, dass die Rede vom leeren Grab eher als Problemanzeige denn als erschließungsfähige theologische Präzisierung des Auferstehungsgeschehens gesehen wird. Am leeren Grab theologisch festzuhalten in dem Sinn, dass Jesus nicht verwest ist, sei, so die provokante Behauptung Ingolf U. Dalferths, »Doketismus und Bestreitung der soteriologischen Relevanz von Jesu Tod und Auferweckung.«6
Die historischen Rückfragen nach dem leeren Grab drohen, so die im Folgenden vertretene These, die Pointe der Rede vom leeren Grab zu verfehlen, weil schon die Fragen als ausschließlich historische falsch gestellt werden. Wird über der Frage nach dem sogenannten Faktum aber die theologische Rückfrage nach der theologischen Aussage und Erkenntnis in der Rede vom leeren Grab verabschiedet, so führt dies zu problematischen Verkürzungen in der Entfaltung der Wirklichkeit der Auferstehung. Gegenüber einer ausschließlich historischen Rückfrage wie auch gegenüber einer systematischen Erübrigung wird daher hier eine Orientierung an der neutestamentlichen Rede vom leeren Grab vorgeschlagen: Was soll theologisch über die Wirklichkeit der Auferstehung ausgesagt werden, wenn von Jesus von Nazareth gesagt wird, dass sein Grab leer gewesen sei? Geht es hier theologisch um ein »sprechendes Zeichen«, so ist anzugeben, wofür es ein Zeichen ist.7
Die folgenden Ausführungen sind nicht voraussetzungslos. Die Befragung der Rede vom leeren Grab geht von der theologischen Einsicht aus, dass in Christus, d. h. im Ereignis von Kreuz und Auferstehung, die »neue Schöpfung« Gottes anbricht. Die »neue Schöpfung« ist neben dem »Reich Gottes« und dem »Jüngsten Gericht« eines der eschatologischen Leitsymbole des christlichen Glaubens, das trotz verschiedener Überschneidungen mit den anderen beiden Symbolen unverzichtbare eigene Aspekte zur Sprache bringt.8 Das leere Grab ist, so die hier zugrunde gelegte Erwartung, mehr als »eine theologische Satire über die Blamage des Todes«, insofern es als ein Zeichen der neuen Schöpfung ein Erschließungspotential für das theologische Verstehen der neuen Schöpfunghat.9
Hierzu sind zwei Vorabklärungen notwendig. Die erste dieser Klärungen besteht in der Differenzierung der Hinsichten und Perspektiven, in denen nach dem leeren Grab gefragt werden kann (2.). Die zweite, direkt daran anschließende Klärung führt die Unterscheidung zwischen Wahrnehmungen und der Kommunikation des Evangeliums ein, um deutlich zu machen, dass sich die theologische Reflexion zunächst nur auf Kommunikation, nicht aber auf historische Ereignisse beziehen kann (3.). Für die Erschließung der Rede vom leeren Grab für die Wirklichkeit der neuen Schöpfung wird dann in einem ersten Schritt der wechselseitige Interpretationszusammenhang von leerem Grab und Erscheinungen beleuchtet (4.). Dies führt zu Überlegungen, vom leeren Grab ausgehend das Osterereignis als Geschehen der Treue Gottes zu beschreiben. Daran schließt sich die Frage an, wie die Ereignishaftigkeit der Auferstehung zu begreifen ist, d. h. was die Bedeutung der scheinbar paradoxen Beschreibung des Nichtbeschreibbaren ist, wie sich dieses Ereignis zum ›Leben‹ Jesu verhält und welche Temporalstrukturen es aufweist. In materialer Hinsicht zeigt die Rede vom leeren Grab eine Veränderung der prekären geschöpflichen Einheit von Leben und Tod an und erschließt die Schöpfung als creatura viatorum: Angesichts des theologischen Anspruchs der Rede vom leeren Grab wird im letzten Abschnitt nochmals die Frage nach dem sogenannten historischen Faktum aufgegriffen werden (5.).
2.Vier Typen theologischer Anfragen an die Rede vom leeren Grab
Die Frage nach dem leeren Grab kann in mindestens vier Fragehorizonten gestellt werden, die nicht vollständig unverbunden sind, aber dennoch zu unterscheiden sind und zu unterschiedlichen Problematisierungen des leeren Grabes führen:
1.Im Horizont von Überlegungen zur Historizität des Auferstehungsgeschehens kann nach dem historischen Faktum des leeren Grabes gefragt werden, d. h. nach seiner Wahrscheinlichkeit, nach der Verlässlichkeit der schriftlichen Zeugnisse und nicht zuletzt nach den Grenzen der Geschichtswissenschaft in der Erfassung singulärer Ereignisse. So kann, beispielsweise von dem sogenannten echten Markusschluss ausgehend, die Rede vom leeren Grab als Legendenbildung des 1. Jahrhunderts begriffen werden, die nicht deutlich vor das Jahr 70 n. Chr. zurückreicht.
2.Davon zu unterscheiden ist die ideen- und religionsgeschichtliche Fragestellung, ob die zeitgeschichtlich verbreitete Vorstellung der Auferweckung resp. Auferstehung von den Toten notwendig mit der Vorstellung eines leeren Grabes verbunden gewesen ist oder ob eine Auferstehung nicht auch ohne das leere Grab denkbar ist, sowie daran anschließend, was die historische Bedeutung der Vorstellung des leeren Grabes ist. Offensichtlich verbinden die neutestamentlichen Bekenntnisformeln wie auch Paulus (1Kor 15,12–19) die Auferstehung nicht explizit mit einem leeren Grab. Darüber hinaus scheinen einige außertestamentarische Belege (äthHen 22 und Jub 23,31) eine Verbindung von Auferstehung und leerem Grab auszuschließen.
3.Bezogen auf die neutestamentlichen Zeugnisse der Auferstehung Jesu kann die historisch-philologische Frage aufgeworfen werden, ob die literarischen Zeugnisse vom leeren Grab historisch ›ursprünglich‹ sind oder ob mit ihnen nicht doch historisch erst relativ ›spät‹ zu lokalisierende Erzählungen vorliegen. Erweisen sich die literarischen Zeugnisse als ›später‹, so sind scheinbar die historisch früheren als sachgemäßere und zugleich theologisch verlässlichere zu privilegieren. Werden das paulinische Selbstzeugnis der Christusvision vor Damaskus und die Auseinandersetzung im 1. Korintherbrief als historisch ›frühere‹ literarische Zeugnisse eingestuft, so werden von ihnen aus die Erzählungen der Erscheinungen und die vom leeren Grab als theologisch von nachgeordneter Bedeutung für die Erschließung des Auferstehungsgeschehens betrachtet.
4.Ausgehend vom Faktumder neutestamentlichen Rede vom leeren Grab kann nach der systematisch-theologischen Bedeutung der Rede vom leeren Grab für ein gegenwärtiges Verstehen des Auferstehungsereignisses gefragt werden. In diesem Fall wird die Bedeutung des literarischen Zeichens des leeren Grabes analysiert und davon ausgehend beurteilt, ob es sich um ein notwendiges, ein kontingentes oder gar ein für das theologische Verstehen des Auferstehungszeugnisses irreführendes Zeichen handelt. Gibt das leere Grab Anlass für ein historisierendes Missverständnis des Auferstehungsgeschehens und leistet es einer fragwürdigen Relativierung des Kreuzesgeschehens Vorschub, so muss es, so das Argument, als irreführendes Zeichen angesehen werden. Und ist die Erwähnung des leeren Grabes kein Bestandteil der frühen Bekenntnisformeln, kann dieses keinen theologischen Beweis für die Auferstehung leisten. Sind darüber hinaus die Erscheinungen auch nicht notwendig an die Lokalität des leeren Grabes gebunden, so scheint dieses Zeichen theologisch bedeutungslos zu sein.10
Die ersten drei Anfragen repräsentieren alle historische Fragestellungen, entweder bezogen auf das empirische ›Faktum‹, auf die religionsgeschichtliche Vorstellung oder auf die literarische Überlieferung. Auf allen drei Ebenen wurden und werden gegen eine Relativierung der Rede vom leeren Grab entsprechende Gegenargumente angeführt. So hat Hans von Campenhausen gezeigt, dass auf der Basis der neutestamentlichen Texte auch die Historizität des leeren Grabes plausibilisiert werden kann bzw. für den Historiker dieses Faktum vergleichsweise adäquat belegt ist.11 Die historische Faktizität des Grabes kann darüber hinaus Teil eines Auferstehungsgeschehens sein, das von der Ausweitun...