Tod, wo ist dein Stachel?
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Tod, wo ist dein Stachel?

Todesfurcht und Lebenslust im Christentum

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Tod, wo ist dein Stachel?

Todesfurcht und Lebenslust im Christentum

About this book

Niemand kann ihm entkommen, dem großen Gleichmacher Tod. "Leben ist gefĂ€hrlich. Wer lebt, stirbt", schrieb der polnische Aphoristiker Stanis?aw Jerzy Lec mit schwarzem Humor. "Tod ist 
 je der meine", pointierte Martin Heidegger diese situative RadikalitĂ€t. Und fĂŒr den LiteraturnobelpreistrĂ€ger Elias Canetti war der Tod Ă€hnlich wie fĂŒr sein Vorbild Johann Wolfgang Goethe nichts als ein Hassobjekt. In auffĂ€lligem Kontrast dazu bekennt das Christentum mit dem Apostel Paulus: "Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" (1. Korintherbrief 15, 55)Das meint mehr als nur die sokratische Unsterblichkeit der Seele, wie Platon sie im Phaidon entfaltet. Nach Christoph Markschies waren es nicht zuletzt die intensive Seelsorge an den trauernden Schwestern und BrĂŒdern und die Erwartung der Auferstehung, die die schmerzhafte EndgĂŒltigkeit des irdischen Lebens keineswegs leugneten und doch durch heitere Gelassenheit dem Tod gegenĂŒber den frĂŒhen Christengemeinden rasch AnhĂ€nger bescherten.Das anregende, auch existenziell spannende Buch fragt danach, wie der "in den Tod verschlungene" Sieg Christi heute theologisch zu interpretieren ist, angesichts eines exzessiven Materialismus, fĂŒr den der Tod das möglichst zu verdrĂ€ngende kalte Schlusswort ist.Mit Essays, praktischen Erfahrungsberichten und literarischen FundstĂŒcken von George Alexander Albrecht, Michael Dorsch, Siegmar Faust, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Frank Hiddemann, Sebastian Kleinschmidt, Dieter Koch, Christian Lehnert, Martin Luther, Ulrich Schacht, Christine Schirrmacher, Cornelia Seidel, Thomas A. Seidel, Peter Zimmerlind.[O Death, Where is Your Sting? Fear of Death and Love of Life in Christianity]Nobody can escape him, the great leveller, Death. "Life is dangerous. Who lives, dies", wrote the Polish aphorist Stanis?aw Jerzy Lec with black humour. And for Elias Canetti as for Johann Wolfgang von Goethe death was nothing but an object of hate. But in marked contrast to that, Christianity with Paul confesses: "Death is swallowed up in victory. O death, where is your victory? O death, where is your sting?" (1. Corinthians 15: 54–55).This means more than the Socratic immortality as developed by Platon in his Phaidon. According to Christoph Markschies it was not least the intense pastoral care for mourning sisters and brothers and the expectation of the resurrection, denying in no way the painful finality of earthly life, which because of its cheerful serenity contributed to the rapid growth of the early Christian communities.This stimulating book asks how the victory of Christ, swallowing up death, is to be interpreted today in view of an excessive materialism that sees death as the cold final word that it tries to repress if possible.

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Information

Kapitel II

Vergleichende Perspektiven

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Ist Sterben ein Gewinn?

Religiöse und kulturelle Überlieferungen in der Nahsicht

1.Auferstehung der Toten

1.1Nachtodliches Leben in der Religionsgeschichte
Dass die Toten nicht tot sind, vielmehr auf irgendeine Weise weiterleben, ist GrundĂŒberzeugung fast aller Religionen. Auf welche Weise sie weiterleben, liest sich allerdings Ă€ußerst verschieden und hĂ€ngt ab von der jeweiligen Deutung des Daseins.
Leben im Kreislauf der Wiedergeburten kennt insofern kein »Danach«, als im nĂ€chsten Leben die Verfehlung oder der karmische Gewinn sich verwirklicht. So sind die indischen Religionen (vor allem der Hinduismus als Plural von Religionen) vorwiegend Religionen der Askese, des Maßes, das sich vom Unrechten fernhĂ€lt, um in einer neuen Wiedergeburt (im karmischen Samsara) gerechten Ausgleich zu erhalten. GlĂŒcksgĂŒter wie hohe Geburt in hoher Kaste, Reichtum, Gesundheit sind solcher Ausgleich, der seinerseits mĂ€ĂŸig eingesetzt werden muss, um nicht im Rad »herunterzufallen«. Dem dient auch die letzte ideale vierte Lebensstufe des Brahmanen, der sich als Einsiedler in den Wald zurĂŒckzieht, um dort »abgeschieden« (im Doppelsinn des Wortes) zu leben. Dass dies die Frau nicht vollziehen kann, wirft freilich ein Licht auf das mangelnde GlĂŒck des Frauseins ĂŒberhaupt. Ihr Ziel ist wesentlich die Mannwerdung in einer nĂ€chsten Geburt, wie es noch im Ur-Buddhismus postuliert wird.
Die griechische Variante kennt nur ein »dunkles Danach«: die Unterwelt. GlĂŒck ist zu Lebzeiten schwankend, solange kein zustĂ€ndiger göttlicher Wille angenommen wird, der vorsehend und sorgend das Schicksal (ĂĄte) lenkt. So sieht die griechischrömische Welt das Schicksal als VerhĂ€ngnis der Götter und den Tod als Nicht-Wiederkehr, als schwĂ€chliches Leben in einer Schattenwelt oder als völligen Zerfall. Daraus ergibt sich ein deutliches Grauen vor dem Tod, abzulesen beispielsweise an Kaiser Hadrian (76–138), dessen Imperium damals die »ganze Welt« umfasste und der als Ästhet und Förderer der KĂŒnste unter vielen Bauten auch das Pantheon, die Engelsburg und die Villa Hadriana schuf. Aber am Ende seines Lebens notierte er die dunklen Zeilen:
Seele, du schweifende, zÀrtliche,
Leibes GefÀhrtin und Gast,
nun fĂŒhrt ins dĂŒstere Reich
fröstelnder Schatten dein Weg,
und nie scherzest du fĂŒrder wie einst 
1
Die liebevolle und weiche Anrede der animula, Seele, du, tritt in Gegensatz zu dem kalten Dunkel der Unterwelt – so die römische Vorstellung vom Jenseits.
Darauf gibt es zwei Antworten: Resignation oder raschen, heftigen Genuss. Das jĂŒdische Buch der Weisheit (1, 16 – 2, 12) kennzeichnet beide, die landlĂ€ufige Skepsis und die Lebensgier der griechischen Welt im 4./3. Jh. v. Chr., wie sie die Frommen gerade nicht teilen:
Die Frevler aber holen winkend und rufend den Tod herbei und sehnen sich nach ihm wie nach einem Freund. [
] (Sie sagen:) Kurz und traurig ist unser Leben; fĂŒr das Ende des Lebens gibt es keine Arznei, und man kennt keinen, der aus der Welt des Todes befreit. Durch Zufall sind wir geworden, und danach werden wir sein, als wĂ€ren wir nie gewesen. Der Atem in unserer Nase ist Rauch, und das Denken ist ein Funke, der vom Schlag des Herzens entfacht wird; verlöscht er, dann zerfĂ€llt der Leib zu Asche, und der Geist verweht wie dĂŒnne Luft. [
] Unsere Zeit geht vorĂŒber wie ein Schatten, unser Ende wiederholt sich nicht; es ist versiegelt, und keiner kommt zurĂŒck. Auf, laßt uns die GĂŒter des Lebens genießen und die Schöpfung auskosten, wie es der Jugend zusteht. [
] Unsere StĂ€rke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das Schwache erweist sich als unnĂŒtz. Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts.2
1.2Hoffnung auf Jenseits?
Angst vor der Unterwelt und Verdoppelung des Diesseits
Bleibt also erfĂŒlltes Leben in den Religionen ĂŒberwiegend dem Jenseits vorbehalten? Ja und nein.
Das Jenseits gilt hĂ€ufig als gesteigerte WeiterfĂŒhrung oder Verdoppelung des Diesseits. Im alten Ägypten war es handgreiflich ĂŒblich, nicht nur in einmaligen Grabbeigaben fĂŒr Essen und Trinken zu sorgen, sondern »dass der Priester tĂ€glich hereintritt zu Ptach und ihm den Mund öffnet mit dem dazu krĂ€ftigen Werkzeug, dass er trinken und essen möge, und erneuert ihm tĂ€glich auf seinen Wangen die Schminke des Lebens. Das ist der Dienst und die Pflege«.3 Ähnlich fand man in etruskischen GrĂ€bern einen Schlauch, der vom Mund des Toten an die OberflĂ€che fĂŒhrte und in den man regelmĂ€ĂŸig Wein goss.
Sofern die »Seele« bereits individualisiert empfunden wurde, dienen ihr die Weisen der Bestattung in GrĂ€bern und HĂ€usern als Wohnung, die mit dem auch bisher ĂŒblichen Zubehör ausgestattet wird. Je höher im Rang, desto ĂŒppiger wird die nachtodliche Versorgung. Im Grund wird »alles« mitgegeben: Werkzeug, Tiere, das Leibpferd, Waffen, Angelhaken, Rasiermesser, aber auch Menschen: Sklaven, Gefolge, zuweilen die Frauen oder die Witwe (die in Indien »freiwillig« den Scheiterhaufen des Gatten bestieg). Auch heute noch werden in China kunstvoll aus Bambus hergestellte Autos vor dem Ahnenaltar verbrannt, damit der Vorfahre im Jenseits ĂŒber ein Auto verfĂŒgt. (Damit bekommt »Vorfahren« eine ganz neue, ungewohnte Bedeutung.) Dieser geballte» Ersatz« ist so zu deuten, dass das Diesseits auf eine »schattenhafte« Weise, aber grundsĂ€tzlich unverĂ€ndert weitergefĂŒhrt wird. Das alte Ägypten verwendete nach Berechnungen etwa drei Viertel seiner Produktion auf den Totenkult. Wochenlange, kostspielige Einbalsamierungen, MehrfachsĂ€rge mit dem Profil des Toten, um immer wieder einen »Ersatz« fĂŒr den vielleicht doch vergehenden Leichnam zu haben, Einbalsamierungen auch von Hunden, Grabkammern mit luxuriöser Ausstattung und Bemalung, abgesehen von den Opfergaben zur ErnĂ€hrung – alles diente dazu, ein Doppel des Diesseits aufzufĂŒhren.
Auch der Koran kennt die gesteigerten GĂŒter, die LuxusgĂŒter des Jenseits, vor allem in der Weise der glanzvollen Wohnungen im Himmel, aber auch der gesteigerten SexualitĂ€t: Der Martyrer wird im Jenseits von 70 Houris erwartet, deren JungfrĂ€ulichkeit sich immer wieder herstellt. Eine neue Koran-Übersetzung (pseudonym durch Christoph Luxenberg) schreibt allerdings von »weißen Trauben«, worin sich die Houris bei anderer Vokalisation verwandeln.
Aber auch die Schrecken der Unterwelt sind Gemeinbesitz vieler Religionen. Thomas Mann lĂ€sst den Pharao Echnaton »aufklĂ€rerisch« ĂŒber Osiris, den Totenherrn, sprechen:
[
] den FĂŒrchterlichen, auf dem Richterstuhl und mit der Waage, der nur gerecht ist, aber gnadenlos, und vor dessen Spruch die verĂ€ngstigte Seele zittert. Es ist alles nur VerĂ€ngstigung mit diesem alten Glauben, der selber tot ist, ein Osar-Glaube [
] daß die Seele, die nach dem Richterstuhl wandert, sieben mal sieben Gefilde des Schreckens durchschreiten muß, von DĂ€monen belagert, die sie auf Schritt und Tritt nach dreihundertsechzig schwer zu behaltenden ZaubersprĂŒchen verhören, all diese muß die arme Seele am SchnĂŒrchen haben und aufsagen können jeden am rechten Ort, sonst kommt sie nicht durch und wird schon vorher gefressen, bevor sie zum Stuhle gelangt, wo sie aber auch alle Aussicht hat, gefressen zu werden, wenn nĂ€mlich ihr Herz zu leicht befunden wird auf der Waage, und wird diesesfalls dem UngetĂŒm ĂŒberliefert, dem Hund von Amente. [
] eins machen will Amun die Welt in der Dienstbarkeit starren Schreckens, was eine falsche und finstere Einheit ist, die mein Vater nicht will, denn er will seine Kinder vereinigen in Freude und ZĂ€rtlichkeit.4
GrundsĂ€tzlich bestimmt die Angst vor der Unterwelt die Spannweite der Jenseitsvorstellungen in vielen vorbiblischen Traditionen. Von Anfang an bleibt der Umgang mit den Toten zweideutig: Einerseits werden sie verehrt und in der NĂ€he behalten, aber andererseits tabuisiert und ferngehalten. Dies drĂŒckt zugleich die Ambivalenz des Numinosen aus: des Heiligen, das zugleich anzieht und schaudern macht. Auf der einen Seite herrscht also das Bestreben, den Toten »am Leben« zu erhalten und seine Kraft den Lebenden in gewisser Weise zuzufĂŒhren. Auf der anderen Seite gibt es geradezu gegenlĂ€ufige Rituale der Tabuisierung: den Toten aus der Welt der Lebenden zu verbannen, ihn an der schĂ€dlichen Wiederkehr zu hindern.5 Das alte Israel kennt diese Angst – und die Gegenwehr (Ps 49, 15–18):
Der Tod fĂŒhrt sie auf seine Weide wie Schafe, sie stĂŒrzen hinab zur Unterwelt. Geradewegs sinken sie hinab in das Grab; ihre Gestalt zerfĂ€llt, die Unterwelt wird ihre Wohnstatt. Doch Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes, ja, er nimmt mich auf.
1.3Biblisches Denken: Auferstehung sogar des »Fleisches«
Erst in der monotheistischen Entfaltung der »göttlichen Geheimnisse« gibt es eine gedankliche Überwindung: entweder des kreisenden Denkens oder der Skepsis und entsprechenden Genusssucht, die zur BetĂ€ubung des Unausweichlichen dient. Im Glauben an einen guten Weltschöpfer und -erhalter schwindet der gnostische Dualismus zwischen Geist (Ich) und Leib, wird dieses Dasein lebenswĂŒrdig im Sinne einer verlĂ€sslichen Weltordnung, die mit Maß genossen werden darf. Dabei geht sie aber auf ein endgĂŒltiges GlĂŒck der Heimkehr zu, und nicht nur auf eine grau-gefĂ€hrliche Unterwelt oder auf die völlige Löschung. Und fĂŒr diese Zukunft gibt es im Christentum, vorbereitet durch das Judentum, einen völligen Neuansatz: die Auferstehung des Fleisches.
Nicht wenige religiöse Überlieferungen nĂ€hren einen Verdacht gegen »das Fleisch«: angefangen von den Griechen, denen nach dem orphischen Spruch der Leib durchaus ein GefĂ€ngnis schien (soma sema), ĂŒber asketisch-gnostische Traditionen der Antike bis zur brahmanischen Lehre von der Wesenlosigkeit des Leibes (maya). FĂŒr den Buddha ist dieselbe Wesenlosigkeit der Grund, den endgĂŒltigen Ausstieg aus den hinduistisch vorgegebenen Wiederverkörperungen zu suchen: im achtfachen Pfad der Auswurzelung, wobei mit dem Leib auch das ebenfalls wesenlose Ich, das am Leib hĂ€ngt, verschwinde.
Diese Abwehr des Fleisches hat durchaus ein Fundament in der Sache: Über den Leib ist der Mensch im Animalischen, im Untermenschlichen verankert. Die Triebhaftigkeit und Selbstbehauptung des »Tieres in uns« sind das Erschreckende und dem Geist in der Tat Widerstreitende. »In die freie Höhe willst du? Nach Sternen dĂŒrstet deine Seele? Aber auch deine wilden Hunde wollen Freiheit, sie bellen vor Lust in ihrem Kerker« – so Nietzsche.6 Solche Skepsis hat Sigmund Freud durch den Aufweis unhintergehbarer Triebbindungen genĂ€hrt. Wer von uns wollte garantieren, dass bei einem Schiffbruch der eigene Selbsterhaltungstrieb uns nicht zwĂ€nge – trotz hoher moralischer...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. I THEOLOGISCHE ZEITANSAGEN
  7. II VERGLEICHENDE PERSPEKTIVEN
  8. III LUTHERISCHE SEELSORGE UND DIE KUNST DES STERBENS
  9. IV PRAKTISCHE ERFAHRUNGEN
  10. V LITERARISCHE FUNDSTÜCKE
  11. ANHANG