1Â Einleitung
Kann Glauben gelernt und gelehrt werden? Und wenn ja, wie? â So könnte die spontane Reaktion auf den Titel dieses Bandes lauten. Glauben ist doch etwas sehr Persönliches, etwas, das entweder da ist oder nicht. Ist das etwas zum Lernen???
TatsĂ€chlich vermutet man im deutschen Sprachgebrauch âșGlaubenâč nicht gleich in einer Beziehung mit âșLernenâč oder âșLehrenâč. Glauben hat zunĂ€chst etwas mit Vertrauen zu tun. Glaube als Vertrauen trifft zunĂ€chst Menschen, richtet sich aber auch an Dinge oder Ereignisse als Zuversicht in die TragfĂ€higkeit unserer Beziehung, als Glaube an den Sieg einer FuĂballmannschaft oder an eine GeschĂ€ftsidee ⊠Kann man das lernen oder gar lehren?
Nun ist in dieser Buchreihe nicht von Glaube(n) in dieser allgemeinen Weise die Rede. Vielmehr geht es um Glaube im religiösen Sinn mit einem spezifischen Inhalt: Es geht um christlichen Glauben. Dabei ist jedoch zu bedenken: Nach biblischem VerstĂ€ndnis ist Glauben vom Menschen aus gar nicht möglich. Glaube ist nach christlichem VerstĂ€ndnis eine mir von Gott geschenkte Gabe, die sich zugleich aber auch in der konkreten LebensfĂŒhrung zeigt. Die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten, kann als Antwort auf das Geschenk des Glaubens verstanden werden.
Eine wichtige Funktion des Glaubens ist Orientierung: Er ist so etwas wie eine Kompassnadel in den vielen Möglichkeiten und Risiken und Chancen des Lebens. Der Glaube will und kann dabei helfen, ĂŒber das Leben nachzudenken und Kriterien fĂŒr Entscheidungen zu erhalten.
Die Inhalte, die mit dem christlichen Glauben zusammenhĂ€ngen, sind allerdings vielfĂ€ltig. Es ist hilfreich, darĂŒber etwas zu wissen, um zu verstehen, was mit dem christlichen Glauben oder mit anderen Religionen gemeint ist. Erst recht betrifft das die Geschichten, Symbole, Rituale, die Musik und Bilder, RĂ€ume und GebĂ€ude, bestimmte Zeiten, Feste und Feiern, die sich auf christliche Inhalte beziehen. Es gibt eine unĂŒberschaubare FĂŒlle an Liedern, Gebeten, Bildern, Skulpturen und Bauwerken. Die HintergrĂŒnde davon zu entdecken, sie zu verstehen und daraus Anregungen fĂŒr das eigene Leben zu ziehen, sind wichtige Bildungsaufgaben.
Im Blick auf das Thema Glauben und Lernen bzw. Glaube und Bildung ist auch von elementarer Bedeutung, dass die christliche Religion eine Buchreligion ist: Die wichtigsten christlichen Aussagen und Grundlagen sind in Schriftform in einem Buch, der Bibel, festgehalten. Dieses Buch gilt es immer wieder neu zu lesen und seine Inhalte neu zu entschlĂŒsseln. Das Lesen und der Umgang mit Schrift ist deshalb ein Grundanliegen der christlichen Kirchen und spielte auch immer wieder eine groĂe Rolle im Zusammenhang kirchlicher Reformen. Christlicher Glaube und Bildung stehen also in einem nahezu untrennbaren WechselverhĂ€ltnis. Christliche Praxis setzt Bildung voraus, und Glaube setzt auch immer Bildungsprozesse in Gang.
In der gemeindepĂ€dagogischen Tradition seit den 1970er Jahren wird fĂŒr das enge WechselverhĂ€ltnis von Glaube und Bildung der Begriff âșKommunikation des Evangeliumsâč gebraucht. Er geht zurĂŒck auf den evangelischen Theologen Ernst Lange und ist so etwas wie die gemeindepĂ€dagogische Leitidee. âșKommunikationâč meint mehr als eine primĂ€r sprachliche oder rationale bzw. intellektuelle Weitergabe des Glaubens: Glaube Ă€uĂert sich in verbaler und nonverbaler Kommunikation, in Wort, Tat und den vielfĂ€ltigen Dimensionen des Lebens. Und in dieser Vielschichtigkeit werden seine Inhalte gelernt und gelehrt. Das wollen wir in dieser Veröffentlichung zumindest ansatzweise in mehreren inhaltlichen ZugĂ€ngen entfalten:
Zuerst geht es um Lehren und Lernen als Aufgabe evangelischer Kirche: Was sagt die Bibel zu dem Menschen in Bezug auf Bildung und welches BildungsverstÀndnis haben wir als evangelische Kirche? Wie verhÀlt sich ein evangelisches BildungsverstÀndnis zum allgemeinen pÀdagogischen BildungsverstÀndnis? Worin besteht der evangelische Bildungsauftrag und wie nehmen wir ihn wahr als Christinnen und Christen in Gemeinden, in Werken, VerbÀnden und Einrichtungen und in den Landeskirchen?
Im zweiten Kapitel geht es dann konkret um GemeindepÀdagogik: Was meint GemeindepÀdagogik, was ist ihr Anliegen, wo realisiert sich kirchliches Bildungshandeln in der gemeindepÀdagogischen Praxis?
Das dritte Kapitel nimmt gezielt die Gemeinde der GemeindepĂ€dagogik in den Blick: die Frage nach den Sozialgestalten von Gemeinde, nach den Handlungsebenen, den RĂ€umen und Zeiten als besonderen Dimensionen gemeindepĂ€dagogischen Handelns âŠ
Im vierten Kapitel geht es um die gemeindepÀdagogischen Akteure: Ehrenamtliche und berufliche Mitarbeitende, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen.
AbschlieĂend werden einige Entwicklungsperspektiven formuliert.
Der Text ist so aufgebaut, dass die theoretischen Beschreibungen an verschiedenen Stellen unterbrochen werden durch Veranschaulichungen aus der Praxis. Es werden einzelne gemeindepĂ€dagogische Arbeitsfelder, Methoden und Handlungsweisen genauer vorgestellt. Diese Konkretionen sind exemplarisch und beanspruchen keinesfalls VollstĂ€ndigkeit. Lesehinweise am Ende verweisen auf weiterfĂŒhrende Informationsquellen.
2 Lernen und Lehren als LebensĂ€uĂerung und Aufgabe evangelischer Kirche
2.1 Glaube verstehen und gestalten
Im deutschen Sprachgebrauch verbindet man landlĂ€ufig âșGlaubenâč nicht unbedingt mit âșLernenâč oder âșLehrenâč. »Ich glaube dir« meint so viel wie: »Ich vertraue dir«. Manchmal sagen wir das sogar wie im Trotz: »Ich glaube dir, obwohl die anderen dir nicht glauben!« Einen Schritt weiter geht es noch, wenn wir sagen: »Ich glaube an dich«. Das meint dann: Ich traue dir etwas zu, ich ermutige dich, du kannst es!
»Kann ich Vertrauen in Menschen, in die Liebe, an den eigenen Sieg, kann ich Zukunftsgewissheit lernen und lehren?«
Glaube trifft aber nicht nur Menschen, sondern richtet sich auch an Dinge, Ereignisse oder gar Prozesse: »Ich glaube an die TragfĂ€higkeit unserer Beziehung, ich glaube an die Weltraumfahrt, ich glaube an den Sieg eines Sportlers, ich glaube an die soziale Marktwirtschaft, ich glaube an den Kommunismus, ich glaube an meine GeschĂ€ftsidee, ich glaube an meine eigene Kraft, ich glaube ganz fest daran, dass ich wieder gesund werde âŠ!« Da schwingt dann meist etwas Ungewisses und Nicht-Kalkulierbares, VisionĂ€res mit. Kann ich das lernen oder gar lehren? Kann ich Vertrauen in Menschen, in die Liebe, an den eigenen Sieg, kann ich Zukunftsgewissheit oder Zutrauen zu technischen Errungenschaften lernen und lehren? Bringe ich das â Vertrauen oder eben auch das Gegenteil davon â nicht immer schon mit, aufgrund meiner Veranlagung, meiner Sozialisation, meiner PrĂ€gung, meines Naturells?
NatĂŒrlich ist in dieser Buchreihe nicht Glaube(n) in dieser allgemeinen Weise gemeint. Vielmehr geht es um Glaube im religiösen Sinn mit einem spezifischen Inhalt: Es geht um den christlichen Glauben, Glauben an Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist. Aber auch hier melden sich sogleich Fragen: Gibt es ĂŒberhaupt den christlichen Glauben? Ist Glauben nicht etwas ganz Individuelles? Und heiĂt das nicht, dass die Art und Weise, wie ich das Christliche verstehe, meine ganz persönliche Sache ist? Und noch etwas stellt sich als Schwierigkeit heraus: Nach biblischem VerstĂ€ndnis kann ich nicht von mir aus glauben, denn der Geist Gottes schenkt mir den Glauben. So jedenfalls lesen wir es im Neuen Testament beim Apostel Paulus (1 Kor 13,13, Gal 5,22). Glaube ist nach dem Neuen Testament zuerst eine Gabe Gottes. Zugleich ist Glaube aber auch die eigene Antwort, die Antwort des Menschen auf diese Gabe.
»Die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten, kann als Antwort auf das Geschenk des Glaubens verstanden werden.«
Und damit sind wir bei dem, was zu lehren und zu lernen ist. Glaube ist umgangssprachlich eine Art Haltung und Einstellung zum Leben oder zu bestimmten Herausforderungen, die wir âșgeerbtâč haben durch PrĂ€gung, Veranlagung und Sozialisation. Glaube ist nach christlichem VerstĂ€ndnis eine mir von Gott geschenkte Gabe. Glaube drĂŒckt sich zugleich in der konkreten LebensfĂŒhrung eines Menschen aus. Die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten, kann als Antwort auf das Geschenk des Glaubens verstanden werden. Und Glaube in der konkreten Lebensgestaltung bezieht sich auf Inhalte und Ausdrucksweisen des Glaubens in Form von Beten, Singen und Feiern, als praktische Arbeit fĂŒr einen guten Zweck tĂ€tiger NĂ€chstenliebe, als Entfaltung meiner Anlagen und Einbringen meiner FĂ€higkeiten und Fertigkeiten oder als Engagement fĂŒr eine gute Sache der Versöhnung. FĂŒr all das braucht es Wissen, Können, Verstand und Vernunft.
Eine wichtige Funktion des Glaubens ist Orientierung: Menschen sind in ihrem Leben immer wieder herausgefordert, sich zu entscheiden: Zwischen Gut und Böse, zwischen Freund und Feind, zwischen Ja und Nein, VorwĂ€rts oder RĂŒckwĂ€rts. Wir haben stĂ€ndig mit Weggabelungen oder Kreuzungen zu tun im wörtlichen wie im ĂŒbertragenen Sinn. Vieles im Leben muss abgewogen werden, nur selten lĂ€sst es sich einfach einteilen in Richtig und Falsch. Dazu braucht es Wissen, den Austausch, Argumente ⊠Der Glaube will und kann dabei helfen, ĂŒber das Leben nachzudenken und Kriterien fĂŒr Entscheidungen zu erhalten.
Die Inhalte, die mit dem christlichen Glauben zusammenhĂ€ngen, sind vielfĂ€ltig. Das hat zunĂ€chst damit zu tun, dass er historisch gewachsen ist und sich in immer wieder konkreten Situationen weiterentwickelte. âșUnserâč Glaube hat VorlĂ€ufer im jĂŒdischen Glauben. Zugleich sind in den Glauben EinflĂŒsse verwoben aus antiker Philosophie, Politik und Umwelt. Bis heute spielen unterschiedliche religiöse und philosophische Vorstellungen und jeweils aktuelle Alltagskulturen ebenso hinein wie örtliche Traditionen und regionale Gegebenheiten. Es ist hilfreich, darĂŒber etwas zu wissen, um zu verstehen, was mit dem christlichen Glauben oder mit anderen Religionen gemeint ist.
Erst recht betrifft das die vielen Geschichten, Symbole, Rituale, die Musik und Bilder, RĂ€ume und GebĂ€ude, bestimmte Zeiten, Feste und Feiern, die sich auf christliche Inhalte beziehen. Ich kann das einfach mitmachen â aber noch interessanter wird es, wenn ich darĂŒber etwas weiĂ und wenn ich dabei unterstĂŒtzt werde, das mit anderen Menschen gemeinsam zu erleben. Menschen haben sich ĂŒber viele Generationen bis heute Gedanken ĂŒber das Leben gemacht und es in den Deutehorizont des christlichen Glaubens gestellt. Sie haben ihre Gedanken, Empfindungen und Ăberzeugungen festgehalten, darĂŒber gestritten, vieles dazu aufgeschrieben, ihnen wichtig Scheinendes vereinbart, anderes ausgeschlossen. Es gibt eine unĂŒberschaubare FĂŒlle an Liedern, Gebeten, Bildern, Skulpturen und Bauwerken. Die HintergrĂŒnde davon zu entdecken, sie zu verstehen und daraus Anregungen fĂŒr das eigene Leben zu ziehen, ist eine wichtige Bildungsaufgabe.
Und dabei können durchaus Spannungen entstehen zwischen dem, was die Kirche mit ihren Lehrmeinungen in offiziellen Glaubensverlautbarungen oder theologische Dogmatiken aussagt und dem, was ich selbst glaube und wie ich mein Leben gestalte. Diese Spannung mĂŒssen beide aushalten â Christinnen und Christen bzw. nach Glauben Suchende ebenso wie die Kirche und ihre ausgewiesenen Glaubensexperten. Am besten wĂ€re, die Spannung wĂŒrde zu einer gemeinsamen aufregenden Suche nach der Wahrheit fĂŒhren. Aber auch dafĂŒr braucht es Bildung â Wissen, Argumente, DialogfĂ€higkeit âŠ
Im Blick auf das Thema Glauben und Lernen bzw. Glaube und Bildung ist eine weitere Tatsache von Belang: Die christliche Religion ist â ebenso wie die jĂŒdische und die muslimische â eine Buchreligion: Die wichtigsten christlichen Aussagen und Grundlagen sind in Schriftform in einem Buch, der Bibel, festgehalten. Dieses Buch gilt es immer wieder neu zu lesen und seine Inhalte neu zu entschlĂŒsseln. Das ist schon deshalb nicht ganz einfach, weil es ein sehr altes Buch ist, das sogar aus einer Vielzahl von BĂŒchern besteht. Das Lesen und der Umgang mit Schrift ist fĂŒr Christinnen und Christen schon aus diesem Grund eine wesentliche Kulturtechnik. Und die Alphabetisierung, also das Lesen- und Schreibenkönnen, ist deshalb ein Grundanliegen der christlichen Kirchen und spielte auch immer wieder eine groĂe Rolle im Zusammenhang kirchlicher Reformen. Nicht zuletzt legten die Reformatoren um Martin Luther in der Reformationszeit darauf besonderen Wert. Christlicher Glaube und Bildung stehen also in einem nahezu untrennbaren WechselverhĂ€ltnis. Christliche Praxis setzt Bildung voraus, und Glaube setzt auch immer Bildungsprozesse in Gang. Bildung ist fĂŒr die ErschlieĂung und das Verstehen des Glaubens wie auch seine Gestaltung eine wichtige Grundlage. Die VerkĂŒndigung des Evangeliums bewirkt, dass wir unser Leben und diese Welt in einem anderen Licht sehen und aktiv werden bei der Gestaltung eines gelingenden Miteinanders. Das Evangelium ermöglicht neue Perspektiven auf die Wirklichkeit und ermutigt, Verantwortung zu ĂŒbernehmen und dadurch die Wirklichkeit mitzugestalten. Das Wissen um das Leben und das Bearbeiten elementarer Lebensfragen sind wesentliche Antworten auf den mir von Gott geschenkten Glauben.
»Bildung ist fĂŒr die ErschlieĂung und das Verstehen des Glaubens wie auch seine Gestaltung eine wichtige Grundlage.«
In der gemeindepĂ€dagogischen Tradition seit den 1970er Jahren wird fĂŒr das enge WechselverhĂ€ltnis von Glaube und Bildung der Begriff âșKommunikation des Evangeliumsâč gebraucht. Er geht zurĂŒck auf den evangelischen Theologen Ernst Lange und ist so etwas wie die gemeindepĂ€dagogische Leitidee. âșKommunikationâč meint mehr als eine primĂ€r sprachliche oder rationale bzw. intellektuelle Weitergabe des Glaubens: Glaube Ă€uĂert sich in verbaler und nonverbaler Kommunikation, in Wort, Tat und den vielfĂ€ltigen Dimensionen des Lebens. Der christliche Glaube ist nach dem Neuen Testament eine Gabe des Heiligen G...