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Das Kind, das aus dem Rahmen fällt
Wie Inklusion von Kindern mit besonderen Verhaltensweisen gelingt
- 298 pages
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Das Kind, das aus dem Rahmen fällt
Wie Inklusion von Kindern mit besonderen Verhaltensweisen gelingt
About this book
Inklusion - die neue Herausforderung in Kitas und SchulenInklusion ist das große Thema im Alltag von Schulen und Kitas. Fachkräfte sind häufig mit Kindern konfrontiert, die neue Anforderungen stellen und Pädagogen und Eltern an ihre Grenzen bringen. Klaus Kokemoor gelingt eine einfühlsame Darstellung dieser Kinder mit besonderen Verhaltensweisen und erklärt die Hintergründe. In seinem innovativen pädagogischen Konzept gibt er viele Hilfestellungen und Impulse für die Praxis. Er zeigt, wie Rahmenbedingungen und Kommunikationsweisen so gestaltet werden können, dass sie jedem Kind in seiner individuellen Entwicklung gerecht werden - damit Inklusion tatsächlich möglich wird.
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Information
KAPITEL 1 | VORGESCHICHTE
DIESES BUCH HAT EINE VORGESCHICHTE, die mich dazu veranlasst hat, mir intensivere Gedanken zu den unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Kindertagesstätten und Schulen sowie deren Wirkung auf menschliches Verhalten zu machen: Bei Studientagen zum Thema Inklusion stellten Erzieherinnen drei Kindergartenkinder vor, deren Verhaltensweisen sie gerade sehr beschäftigte. Die Kinder zeigten ein Verhalten, das die Kolleginnen immer wieder an ihre Grenzen brachte und im Vergleich mit anderen Kindern in vielen Situationen aus dem Rahmen fiel. Damit wir uns die belastenden Situationen nicht nur vor unserem inneren Auge vorstellen mussten, hatte das Team Videosequenzen von diesen mitgebracht.
Im ersten Video wird sehr deutlich, dass es dem vierjährigen Paul schwerfällt, sich auf den täglich stattfindenden Morgenkreis einzulassen. Während es allen gelingt, aufmerksam zu sein und ihre sitzende Position am Boden zu halten, bewegt Paul sich unentwegt. Er lässt sich immer wieder auf den Boden fallen und streckt dabei seine Füße in Richtung zur Mitte des Kreises. Dann rappelt er sich kurzzeitig wieder auf, bevor er sich wenige Augenblicke später wieder hintenüber auf den Boden gleiten lässt. Er scheint nicht an den Angeboten und Aktivitäten interessiert. Vielmehr signalisiert er Desinteresse und bindet durch sein Verhalten die Aufmerksamkeit der anderen Kinder.
Auch die Kollegin, die an diesem Tag die Aktivitäten im Morgenkreis anleitet, wirkt, als würde Pauls Verhalten sie immer wieder aus dem Konzept bringen. Zunächst versucht sie, das ihr schon bekannte Verhalten zu ignorieren, doch spätestens als die anderen Kinder ebenfalls unkonzentriert werden, spricht sie Paul, der sowieso schon prophylaktisch neben ihr sitzt, direkt an. Sie nimmt Körperkontakt auf und bittet ihn, sich richtig hinzusetzen. Paul folgt ihren Anweisungen einige Augenblicke lang, bevor er sich erneut nach hinten fallen lässt.
Beobachtung des eigenen pädagogischen Alltags
DIE ERZIEHERINNEN VERFOLGEN DEN FILM, der ihr tägliches Erleben zeigt, sehr konzentriert. Zwischendurch gibt es einzelne Worte, dann stecken zwei Kolleginnen die Köpfe zusammen. In diesem Moment halte ich den Film an und frage die Kolleginnen, was es zu beobachten gibt. In den Aussagen bei diesem Studientag wird deutlich, dass der Film genau die belastende Alltagsrealität abbildet, in der Paul alle Fachkräfte ziemlich anstrengt. Im Film wiederholt sich die Situation einige Male, bis Paul nach hinten rutscht und sich auf den Bauch legt. Er wirkt nun wie ein Kleinkind, das sich gerade von der Rücken- in die Bauchlage gedreht hat. Auch seine Aufmerksamkeit ist nun eine andere, und diese Beobachtung wird plötzlich Thema unter den Erzieherinnen. Als wieder zwei Kolleginnen beim Betrachten des Videos tuscheln, halte ich den Film an und bitte die beiden, die Gruppe an ihren Worten und Gedanken teilhaben zu lassen. Eine pädagogische Fachkraft sagt daraufhin: »Ja, die Situation ist jetzt viel ruhiger, wenn Paul da so außerhalb des Morgenkreises liegt. Die anderen Kinder, aber auch Paul, wirken jetzt ruhiger und konzentrierter.«
Der Film läuft weiter, und es entsteht der Eindruck, dass jetzt alle die Bilder noch aufmerksamer betrachten. Dann unterhalten sich wieder zwei Erzieherinnen, und ich stoppe den Film erneut. Ohne Aufforderung sagt eine Kollegin: »Paul wirkt nun wirklich sehr konzentriert. Er versucht dem Geschehen im Morgenkreis zu folgen, auch wenn er nicht alles sehen kann!« – »Ja, das lässt sich regelrecht an seinen Augen ablesen«, ergänzt ihre Kollegin. Ich lasse den Film weiterlaufen, bis sich eine weitere Kollegin zu Wort meldet und, während der Film wieder angehalten wird, sagt: »Paul bewegt eindeutig die Lippen. Er versucht das Morgenkreislied mitzusingen.« – »Ja«, bestätigt eine andere Kollegin, »Paul singt wirklich mit!« – »Der versucht sogar in Bauchlage zu klatschten. Ist ja irre«, ergänzt eine Fachkraft.
Die Perspektive wechseln
DIE PÄDAGOGISCHEN FACHKRÄFTE ENTWICKELN aus sich heraus eine andere Sicht auf die gleiche Situation. Die Perspektive hat sich für sie verändert. Am Studientag können sie Pauls Verhalten in Ruhe, differenziert und konzentriert beobachten – eine Betrachtung, die im Alltagsgeschehen nicht so einfach möglich ist, da die Erzieherinnen in der realen Situation eine andere Rolle einnehmen und auch die anderen Kinder im Raum sind. Doch nun gibt es die Chance des Innehaltens, die Konzentration auf den einen Moment, in welchem Pauls Verhalten und Ausdruck ins Zentrum der Betrachtung rücken. Die Einstellungen, Meinungen und Befürchtungen in Bezug auf das Kind und die Situation, die an innere Bilder gebunden sind, werden durch die Beobachtungen, also durch äußere Bilder, verändert oder sogar vorübergehend gelöscht. Die Darstellung hilft den Kolleginnen, sich in diesem Augenblick von ihren inneren Bildern in Bezug auf Paul zu lösen, und bietet mir als Berater eine gute Grundlage, um in der Folge den Rahmen der Gedanken zu erweitern.
Der Film bleibt nun an dieser Stelle stehen und ich frage in die Runde: »Was fällt euch auf?« Die Erzieherinnen wiederholen ihre Eindrücke von der Ruhe, der Konzentration, der Beteiligung sowie einem Engagement, das jetzt bei Paul sichtbar wird. Ich bestätige diese Beobachtung mit den Worten: »Ja richtig, eine sehr genaue Beobachtung! Aber fällt euch noch etwas auf?« Es folgt ein Moment der Stille, bis ich sage: »In der Art, wie ihr eure Beobachtung mit euren Worten zum Ausdruck bringt, klingt Begeisterung mit! – Begeisterung für ein Kind, das ihr noch vor wenigen Minuten sehr kritisch betrachtet habt, weil es aus dem Rahmen fällt!«
Die Erzieherinnen wirken überrascht und gleichzeitig zufrieden. Überrascht, weil diese Situation eine Realität darstellt, die sie in ihrem Alltagserleben nicht wahrnehmen konnten. Zufrieden, weil alle Kinder jetzt irgendwie beteiligt sind, auch wenn sich Paul »außerhalb« der Gruppe befindet. Doch ist er wirklich außerhalb der Gruppe? Es stellt sich also die Frage, ob diese Situation nun Inklusion oder Exklusion darstellt. Genau diese Frage diskutieren die pädagogischen Fachkräfte jetzt, und sie werden sich schnell in der Einschätzung einig, dass Paul innerhalb des Geschehens ist, auch wenn er sich auf der anderen Seite außerhalb des Morgenkreises und somit außerhalb des gedachten Rahmens befindet. Er musste also buchstäblich »aus dem Rahmen fallen«, um sich am Rahmenprogramm beteiligen zu können.
Die Kolleginnen diskutieren einige Zeit diesen Widerspruch und die neuen Eindrücke. Sie erweitern ihren Rahmen in Bezug auf die Möglichkeit, Paul auf eine andere Weise am Morgenkreis teilhaben zu lassen. Alles scheint plötzlich ganz einfach, auch wenn sich alle darüber im Klaren sind, dass dies nur ein Ausschnitt aus dem Kindergartenalltag ist. Ihnen ist auch bewusst, dass ihnen diese Gedanken aus der Alltagsperspektive nur schwer gekommen wären.
Erweiterung des Rahmens
DIE ERWEITERUNG DES RAHMENS, DIE IN DIESEM FALL in den Köpfen der pädagogischen Fachkräfte stattgefunden hat, braucht also selbst einen erweiterten Rahmen. In diesem Fall sind es zwei Studientage, die Raum für Fragen, Betrachtungen, Verständnis, Selbsterkenntnisse, Informationen und Reflexionen lassen. Dieser besondere Rahmen gibt den pädagogischen Fachkräften erst die Möglichkeit, eine andere Perspektive in Bezug auf die konkrete Situation einzunehmen und diese auf ihre tägliche Arbeit zu übertragen. Darüber hinaus kann das Wiederholen und Anhalten der Bilder das Alltagsempfinden entschleunigen: Durch den Rhythmus von abwechselndem Anschauen der Bilder und Beschreiben des nun neu Erlebten findet eine sehr grundlegende Auseinandersetzung mit dem pädagogischen Alltag statt, und die Komplexität des Alltagserlebens tritt währenddessen zurück.
Die Geschichte von Paul steht stellvertretend für alle Kinder, die manchmal oder auch häufig aus dem Rahmen fallen. Sie macht zunächst einmal deutlich, dass wir uns einem Thema auf unterschiedliche Weise nähern können, um eine belastende Situation zu verändern. Nun können wir nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass die Intervention, die an dem Studientag stattgefunden hat, die vom Team beschriebene Problematik dauerhaft auflöst. In der Regel braucht eine Veränderung und somit die Entwicklung eines Kindes oder Teams mehrere Interventionen, die sich über einen Zeitraum von Wochen und Monaten erstrecken. Auf der anderen Seite konnte ich beobachten, dass eine Intervention, wie sie oben beschrieben wurde, häufiger eine fundamentale Entwicklung zur Folge hat, wenn ein komplettes Team einen solchen Prozess miterlebt. Aus dieser Erfahrung habe ich ein Handlungsschema abgeleitet, welches ich in Kapitel sechs darstellen werde. Grundsätzlich müssen wir uns bewusstmachen, welche Faktoren oder Bedingungen dafür verantwortlich sein können, dass ein Kind, zumindest aus unserer Sicht, aus dem Rahmen fällt.
RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE ENTWICKLUNGSBEDÜRFNISSE DES KINDES
DIE ANALYSE DER RAHMENBEDINGUNGEN braucht eine differenzierte und wohlwollende Betrachtungsweise, da sich der Rahmen aus einem komplexen System von Bedingungen zusammensetzt. Es ist zielführend, bei der Betrachtung dieser Bedingungen darauf zu schauen, welche Ressourcen und Konzepte die handelnden Personen in den Situationen und die Einrichtung bereits entwickelt haben. Das gilt unabhängig davon, aus welcher Perspektive wir die Betrachtung vornehmen, aus der einer Beratungsperson, einer Einrichtungsleitung oder einer pädagogischen Fachkraft, aus Sicht der Eltern oder in der Selbstreflexion. Hier findet ein Gedanke von Bernard Aucouturier Anwendung: Ich interessiere mich für das, was du zu tun vermagst, und nicht für das, was du nicht kannst.2 Das bezieht sich in dieser Formulierung auf die Beobachtung des Kindes, schließt jedoch alle an der Erziehung, Begleitung und Bildung beteiligten Erwachsenen mit ein. Auf die Ressourcen der Menschen, des Konzeptes und der Bedingungen zu schauen, können wir üben. Und aus dieser Übung kann sich die Erfahrung abbilden, tendenziell das halbvolle Glas zu sehen und nicht das halbleere.
Auch wenn sich das Kind in einem komplexen Zusammenhang bewegt, ist es sinnvoll, zunächst einzelne Faktoren in den Blick zu nehmen, um einen überschaubaren Betrachtungs- und Handlungsrahmen zu haben. Diese einzelnen Faktoren, die zusammen den gesamten Rahmen darstellen, in dem sich das Kind bewegt und entwickelt, werden in den folgenden Fragestellungen aufgegriffen.
Betrachtungsfaktoren
Folgende Fragen helfen dabei, den Rahmen zu erkennen:



Table of contents
- Cover
- Titel
- Impresum
- INHALT
- EINLEITUNG
- KAPITEL 1: VORGESCHICHTE
- KAPITEL 2: WICHTIG IST, WAS ZWISCHEN DEN MENSCHEN GESCHIEHT
- KAPITEL 3: DER PäDAGOGISCHE RAHMEN
- KAPITEL 4: EINE ALLIANZ FüR DAS KIND
- KAPITEL 5: DABEISEIN IST NICHT ALLES
- KAPITEL 6: DIE BERATUNG BEI KINDERN MIT HERAUSFORDERNDEM VERHALTEN
- KAPITEL 7: DIE PROFESSIONELLE HALTUNG
- KAPITEL 8: INKLUSION – EINE BILDUNGSREFORM
- ANHANG