Medizin und Gesellschaft
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Medizin und Gesellschaft

Eine Einführung in die Medizinsoziologie

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Medizin und Gesellschaft

Eine Einführung in die Medizinsoziologie

About this book

Auch in der Corona-Krise gilt: Gesundheit und Krankheit sind nicht nur eine Frage der medizinischen Behandlung, sondern auch abhängig von gesellschaftlichen Zusammenhängen. Je prekärer die soziale Lage, desto höher ist das Risiko an Covid 19 zu erkranken.In der Soziologie ist diese Erkenntnis nichts Neues, denn: Gesellschaftliche Strukturen und Gesundheit/Krankheit hängen eng zusammen. Wie diese Komplexe miteinander verknüpft sind, das zeigt dieses Buch. Einleitend geht es um die Besonderheit des soziologischen Blicks auf die Medizin. Anschließend werden Krankheit und Gesundheit in Zahlen sowie Typen von Gesundheitssystemen vorgestellt. Zusätzlich bietet das Buch einen Überblick über empirische Methoden zur Beobachtung der Medizin. Leserinnen und Leser finden hier anwendbares Wissen für eigene Untersuchungen, aufbereitet in Grafiken und konkreten Fallbeispielen. Abschließend werden aktuelle medizinsoziologische Themenkomplexe erörtert, u.a. die therapeutische Beziehung und Medizinethik.

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Information

1 Soziologie, Medizin und Gesellschaft

Grundbegriffe

Bezugswissenschaft, Bindestrichsoziologie, soziales Handeln, Medizinsoziologie, Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, Biomedizin, Enhancement, Anschlussfähigkeit

1.1 Die Soziologie und ihre Bezugswissenschaften

Die Soziologie ist die Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft. Sie entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts und etablierte sich an den Universitäten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wichtige Vordenker der Soziologie waren der französische Philosoph Auguste Comte (1798–1858) und der Ökonom bzw. Philosoph Karl Marx (1818–1883). Comte hat erstmals die Bezeichnung Soziologie verwendet. Die Soziologie ist daher ein Kind der Aufklärung, übrigens ebenso wie die moderne wissenschaftliche Medizin. Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert gerieten die bisherigen Weltdeutungen, die von einer festen, wohlgefügten göttlichen Weltordnung ausgingen, ins Wanken. Zahlreiche Umwälzungen – z. B. die Französische Revolution oder die Industrialisierung – zeigten, dass die menschliche Gesellschaft durch Menschen veränderbar ist. Machtstrukturen und Besitzverhältnisse mussten nun neu erklärt und gerechtfertigt werden. Die Soziologie entstand aus dem Wunsch heraus, die Gesellschaft und ihren Wandel auf wissenschaftlicher Grundlage zu beschreiben. Comte sah sie als zukünftige Leitwissenschaft eines neuen »positiven Zeitalters«1, in dem die Menschheit ihre Geschicke mit Hilfe der Wissenschaft selbst in die Hand nimmt.
Soweit ist es nicht gekommen, aber ab 1900 etablierte sich die Soziologie als reguläres Fach an den Universitäten, zuerst in Frankreich und Deutschland. Die bekanntesten frühen Soziologen sind Emilé Durkheim (1858–1917) und Max Weber (1864–1920). Die Soziologie gehört zu den Sozialwissenschaften, zusammen mit der Psychologie und den Erziehungswissenschaften. Diese Zuordnung ist nicht einheitlich. Früher wurde nur zwischen Natur- und Geisteswissenschaften unterschieden; die Soziologie galt als Geisteswissenschaft, ebenso wie die frühe Psychologie. Manche Psychologinnen und Psychologen sehen sich heute eher als Naturwissenschaftler. Auch die Zuordnung der Medizin ist nicht völlig klar. Die medizinische Forschung an Universitäten ist eindeutig eine Wissenschaft, die angewandte Medizin als ärztliches Handeln ist aber eher ein wissenschaftlich fundiertes Kunsthandwerk. Manchmal werden alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen befassen, als Humanwissenschaften bezeichnet. In der Soziologie herrscht Uneinigkeit darüber, ob sie selbst zu den Humanwissenschaften gehört.2 Daher ist die Darstellung in folgender Abbildung (
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Abb. 1a) ein Vorschlag des Verfassers, als erste Orientierungshilfe im Wissenschaftsgeflecht.
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Abb. 1a: Bezugswissenschaften
Während sich die Psychologie auf den einzelnen Menschen konzentriert und die Funktion und Struktur der menschlichen Psyche untersucht, betrachtet die Soziologie die Funktion und Struktur größerer Gruppen von Menschen bis hin zur Menschheit insgesamt als sogenannte Weltgesellschaft.3 Die menschliche Psyche wird durch die Soziologie selbstverständlich nicht ignoriert, die Psychologie ist eine wichtige Bezugswissenschaft der Soziologie.

Bezugswissenschaften

Bezugswissenschaften liefern wichtige Erkenntnisse für eine Wissenschaft, sie sind sozusagen Zuarbeiterinnen für die eigene wissenschaftliche Arbeit.
Zentrale Bezugswissenschaften der Soziologie sind sämtliche Sozialwissenschaften, die Geschichtswissenschaften sowie die Sprach- und Kulturwissenschaften. Hinzu kommen universelle Bezugswissenschaften4, die für fast alle Wissenschaften Erkenntnisse und Verfahren liefern, vor allem Philosophie und Mathematik. Die Soziologie wiederum ist Bezugswissenschaft für alle Disziplinen, die gesellschaftliche Phänomene untersuchen – z. B. Politik-, Erziehungs- und Medienwissenschaften. Im Idealfall gibt es einen breiten gegenseitigen Austausch, und zwei Disziplinen sind sich gegenseitig Bezugswissenschaften.

Bindestrichsoziologien

In der Soziologie gibt es viele sogenannte Bindestrichwissenschaften, die sich jeweils mit bestimmten Teilbereichen oder Teilaspekten der Gesellschaft befassen. Beispiele sind die Wissenssoziologie, Industrie- und Techniksoziologie, Familiensoziologie, Kultursoziologie, Religionssoziologie, Wirtschaftssoziologie, die Soziologie der Ernährung, die Soziologie der Kindheit und Jugend, die Politische Soziologie oder die hier behandelte Medizinsoziologie.
Hinzu kommen Arbeitsfelder ohne »Soziologie« im Namen: Die Sozialstrukturanalyse, die Sozialisationstheorie und die Methodenlehre der empirischen Sozialforschung. Bis heute hat die Soziologie keine einheitliche Theorie und Methodik, was einen systematischen Überblick schwierig macht. Verschiedene Theorieschulen definieren und betrachten Gesellschaft unterschiedlich und bevorzugen unterschiedliche Methoden zur Gewinnung von Erkenntnissen. Das Verhältnis dieser Theorieschulen zueinander ist mitunter konfliktträchtig, was in Kapitel 2.6 nochmals aufgegriffen wird.

Soziales Handeln

Das Soziale ist in der Soziologie der gesellschaftliche Bezug, der Begriff sozial weicht also von der alltagssprachlichen Verwendung ab. Mit sozialem Handeln meint die Soziologie nicht solidarisches, fürsorgliches Handeln. Soziales Handeln ist jegliches Handeln in gesellschaftlichen Bezügen, unabhängig von dessen moralischer Bewertung – also in der Medizin nicht nur das Behandeln von Kranken, sondern auch deren Ausgrenzung, oder eine wohlwollende medizinische Aufklärung, aber auch Esoterik, die Verbreitung von Gerüchten oder das Schüren von Ängsten, um daraus politisch, ökonomisch oder emotional Profit zu schlagen.
Da auch die Soziologie als Wissenschaft ein Teil der Gesellschaft ist, befindet sie sich am Ende in der paradoxen Situation, dass sie sich auch selbst beobachtet, und es ist eine wichtige soziologische Frage, inwieweit das überhaupt realisierbar ist.

1.2 Die Medizin als Wissenschaft

Die moderne wissenschaftliche Medizin hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet und etabliert; sie befasst sich primär mit dem menschlichen Organismus. Die Entwicklung der wissenschaftlichen Medizin war stets von Kritik begleitet, alternativmedizinische Strömungen wie die Naturheilkunde oder die Homöopathie bezeichnen sie – abwertend gemeint – als Schulmedizin.5

Biomedizin

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Begriff »Biomedizin« etabliert.6 Die Bezugswissenschaften dieser organisch-funktional orientierten Medizin sind vorrangig die Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik.7
Aber schon im 19. Jahrhundert zeigte sich die Notwendigkeit, auch gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen und die psychische Verfasstheit der Patientinnen und Patienten in das medizinische Handeln mit einzubeziehen. Der Arzt Rudolf Virchow prägte im 19. Jahrhundert den Begriff der Sozialmedizin und betonte, dass bei der Bekämpfung von Krankheiten auch die Lebensbedingungen der Menschen berücksichtigt werden müssen.8

Medizinsoziologie

Die Medizinsoziologie untersucht bzw. beobachtet Medizin als gesellschaftliches Phänomen. Sie befasst sich beschreibend mit dem Aufbau und der Funktion der Gesundheitsversorgung, mit dem Selbstverständnis und der Reichweite medizinischen Handelns und mit geschichtlichen (zeitlich) und regionalen bzw. internationalen Unterschieden (horizontal). Hinzu kommen die Untersuchung und Beschreibung gesellschaftlicher Einflüsse auf Gesundheit bzw. Krankheit und deren Deutung. Und nicht zuletzt die Untersuchung sogenannter sozialer Interaktionen – der Umgang zwischen Ärztinnen, Patienten, Pflegekräften, Medizin-/Gesundheitsfachkräften und anderen involvierten Personen; die Vorstellungen, Wünsche und Ängste der Menschen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens, allgemein der Umgang der Gesellschaft mit Krankheit, Sterben und Tod.
Die Medizinsoziologie geht gleitend über in weitere Spezialsoziologien, vor allem die Religionssoziologie, Wissenssoziologie, Organisationssoziologie oder die Sozialstrukturanalyse. Ob Gesundheitssoziologie etwas anderes als Medizinsoziologie ist, wird weiter unten diskutiert. Aus der soziologischen Systemtheorie kommt der Begriff »Soziologie der organisierten Krankenbehandlung«,9 der die gesellschaftliche Verschränkung des Gesundheitswesens und die Wandelbarkeit von Krankheitsdefinitionen noch stärker betont und den Umgang mit Kranken und Krankheit als kulturelle Praxis analysiert.
Ist Krankheit oder Gesundheit Gegenstand der Medizin? Lange Zeit war es selbstverständlich die Krankheit. Die wachsende Fokussierung auf Gesundheit statt Krankheit seit den 1970er Jahren ist Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen – hier z. B. wachsender Individualisierung. Gesundheitssoziologie hat den Anspruch, über die Behandlung von Krankheit oder Kranken hinaus zu blicken; Medizinsoziologie betrachtet hingegen Gesundheitssoziologie als Teildisziplin mit speziellem Fokus – so auch dieses Buch. Tatsächlich gibt es kein Entweder-Oder von Gesundheit und Krankheit, da keiner der Begriffe ohne sein Gegenstück einen Informationswert hat. In der Öffentlichkeitsarbeit von Politik und Wirtschaft werden positiv klingende Begriffe bevorzugt, was auch andere Bereiche infiziert, die sie sich auf die Sprech- und Denkweisen des modernen Marketing einlassen. Positiv denken, positiv reden und damit dann eben über Gesundheit und nicht über Krankheit, außer man möchte jemandem Angst einjagen. Niklas Luhmann war dagegen der Überzeugung, dass für die Medizin als gesellschaftlichem Subsystem alleine Krankheit instruktiv sei, weil Gesundheit nicht klar bestimmbar sei, sondern eher eine Art Hintergrundrauschen von Krankheit.10 Unterschiedliche Teilbereiche und Disziplinen setz...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. 1 Soziologie, Medizin und Gesellschaft
  7. 2 Soziologische Grundlagen
  8. 3 Medizin, Krankheit, Gesundheit in Zahlen
  9. 4 Das Gesundheitswesen
  10. 5 Methoden der empirischen Sozialforschung
  11. 6 Ausgewählte Themen der Medizinsoziologie
  12. Anhang