Die Zukunft erfinden
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Die Zukunft erfinden

Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit

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Die Zukunft erfinden

Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit

About this book

"Die Zukunft erfinden" ist ein Manifest für das Leben nach dem Kapitalismus. Gegen die Konfusion, die politisch links wie rechts herrscht, wenn es darum geht, unsere High-Tech-Welt zu verstehen, stellt sich das Buch der Aufgabe, das emanzipatorische und zukunftsorientierte Potential der heutigen Gesellschaften zurückzuerobern. Statt einer komplizierten Zukunft auszuweichen, zielen Nick Srnicek und Alex Williams auf eine postkapitalistische Ökonomie, die es erlaubt, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, die Arbeit abzuschaffen und Technologien zu entwickeln, die unsere Freiheiten erweitern. Die Theoretiker des Akzelerationismus haben in "Die Zukunft erfinden" ihre Thesen aus dem "Akzelerationistischen Manifest" begründet und in einen politischen Zusammenhang gestellt."Statt die Mühe auf sich zu nehmen, einmal Erreichtes zu konsolidieren und weiter zu entwickeln, zielte die folkloristische Politik darauf ab, sich gegen die Zumutungen des globalen Neoliberalismus Zufluchtsorte einzurichten. So blieb sie eine Politik, die defensiv orientiert und außerstande war, eine neue Welt zu entwerfen oder an ihr zu bauen. Das vorliegende Buch umreißt daher eine andere Art Politik, eine, die darauf abzielt, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und dabei eine Welt anzustreben, die moderner ist, als der Kapitalismus es jemals erlauben würde. Die den technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts inhärenten utopischen Potentiale dürfen nicht an das unter dem Kapitalismus Vorstellbare gefesselt bleiben; eine anspruchsvolle linke Alternative muss sie befreien. Der Neoliberalismus ist gescheitert, der sozialdemokratische Weg unmöglich, nur mit einer ganz anderen Sicht lassen sich allgemeiner Wohlstand und umfassende Emanzipation gewinnen."Srnicek & Williams

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Information

Publisher
Fuego
Year
2016
Print ISBN
9783893202096

Kapitel 1

Unser politischer Common Sense:

Folk-Politik

Nun waren wir am Zug, und wir standen einfach nur da und warteten darauf, dass etwas geschieht, ganz wie aufrechte Kriegsdienstverweigerer, die darauf warten, für einen rein symbolischen Akt bestraft zu werden.
Dave Mitchell
Selbst mit größten Anstrengungen lassen sich heute, wie es scheint, nur kleinste Veränderungen erreichen. Millionen demonstrieren gegen den Irakkrieg, doch der geht weiter wie geplant. Hunderttausende vereint der Protest gegen die Austeritätspolitik, doch beispiellose Sparpläne werden unbeirrt umgesetzt. Immer wieder richten sich Streiks, Besetzungen und militante Aktionen an den Unis gegen steigende Studiengebühren, und dennoch werden letztere unerbittlich weiter erhöht. Weltweit kommen Menschen in Protestcamps zusammen und prangern die ökonomische Ungleichheit an, doch die Kluft zwischen Arm und Reich wächst weiter. Es ist ein durchgängiges Muster, und es durchzieht die Kämpfe der globalisierungskritischen Bewegungen der späten 1990er Jahre, die Antikriegsbündnisse und den Umweltaktivismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts oder auch die neuen studentischen Bewegungen und Occupy seit 2008: Der Widerstand wächst schnell an, die Auseinandersetzungen mobilisieren Menschen in großer Zahl, doch schon bald verebben die Kämpfe, und an ihre Stelle tritt ein ums andere Mal ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit, der Melancholie und Niedergeschlagenheit. Auch wenn sich Millionen Menschen eine bessere Welt wünschen, bleibt die politische Wirkung dieser Bewegungen gering.

Bei den Protesten passiert etwas Merkwürdiges

Scheitern zieht sich durch die Zyklen sozialer Kämpfe, und entsprechend wirken viele linke Taktiken heute wie Rituale, die eine ordentliche Portion Fatalismus mit sich tragen. Die vorherrschenden Aktionsformen – Protestkundgebungen, Demonstrationen, Besetzungen und verschiedene Arten direkter Konfrontation – sind Teil eines etablierten Narrativs geworden, in dem Protestierende und Ordnungskräfte jeweils vorgegebene Rollen spielen. Die Grenzen eines solchen Agierens werden besonders in jenen kurzen Momenten sichtbar, in denen vom Drehbuch abgewichen wird. Ein Aktivist der Proteste gegen den Amerikagipfel in Québec im Jahr 2001 beschreibt es so:
Am 20. April, dem ersten Tag der Demonstrationen, waren wir zu Tausenden auf der Straße und näherten uns dem Zaun, in dessen Schutz sich 34 Regierungschefs versammelt hatten, um ein Handelsabkommen für die gesamte Hemisphäre festzuklopfen. Während ein Katapult Teddybären über die Absperrungen schleuderte, durchtrennten schwarz gekleidete Aktivistinnen und Aktivisten die Halterungen des Zauns kurzerhand mit Bolzenschneidern und rissen ihn, von den Umstehenden angefeuert, mit Enterhaken nieder. Für einen kurzen Augenblick lag das Tagungszentrum unmittelbar vor uns. Wir kletterten oben auf die eingerissenen Absperrungen, doch für die meisten war es das dann auch, als hätten wir die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt, als das vom Staat aus Maschendraht und Beton errichtete Hindernis durch ein von uns selbst geschaffenes aus menschlichen Körpern zu ersetzen.3
Deutlich in dieser Beschreibung wird der gleichermaßen symbolische und ritualisierte Charakter der Aktionen, ebenso die spürbare Erregung, überhaupt etwas getan zu haben – doch zugleich die schwere Verunsicherung, die sofort entsteht, sobald das erwartete Narrativ gestört ist. Die auf die Rolle aufrechter Protestierender fixierten Aktivisten hatten keine Ahnung, was sie tun sollten, als die Absperrungen fielen. Spektakuläre Massenproteste wie die Demonstrationen der Stop the War Coalition, die inzwischen wohlbekannten Zusammenstöße bei Gipfeltreffen der G20 oder der World Trade Organization und auch die mitreißenden Demokratie­inszenierungen von Occupy Wall Street erwecken den Anschein größter Wichtigkeit, als ginge es tatsächlich um etwas.4 Doch verändert hat sich nichts, und statt langfris­tige Ziele zu verfolgen wird lediglich die eigene Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht.
Für Außenstehende ist häufig nicht recht klar, was die Bewegungen eigentlich antreibt, abgesehen von einem pauschalen Unmut über den Zustand der Welt. In den Protesten heute findet sich eine wüste Melange vielfältiger Anliegen. So reichte die Spanne der Themen bei den Demonstrationen und Aktionen gegen den G20-Gipfel in London im Jahr 2009 von vollmundigen antikapitalistischen Ankündigungen bis zu eher moderaten, auf lokaler Ebene angesiedelten Dingen. Lassen sich Forderungen ausmachen, findet sich darin in der Regel kaum wirklich Substantielles formuliert. Häufig sind es nichts weiter als hohle Slogans – so aussagekräftig wie ein Aufruf zum Weltfrieden. In jüngster Zeit wurde sogar in Zweifel gezogen, ob überhaupt Forderungen gestellt werden sollten. Bekannt sind die unrühmlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Occupy-Bewegung um die Formulierung eindeutiger Ziele, denn man befürchtete, allzu konkrete Anliegen würden die Bewegung spalten.5 Und auch eine ganze Reihe studentischer Proteste in vielen westlichen Ländern griff das Mantra »Keine Forderungen« auf, in dem Irrglauben, nichts zu fordern sei ein radikaler Akt.6
Danach gefragt, wohin derartige Aktionen denn letzten Endes führten, reichen die Antworten bei den Beteiligten vom Eingeständnis eines allgemeinen Gefühls der Sinnlosigkeit bis zum Verweis auf die eigene Radikalisierung. Doch auch wenn wir die verschiedenen Proteste heute als Akte öffentlicher Bewusstseinsbildung ansehen, scheint ihr Erfolg bestenfalls mittelprächtig. Die Botschaften werden von verständnislosen Medien entstellt, die sich an Bildern des Vandalismus ergötzen – vorausgesetzt, die Medien zeigen überhaupt Interesse an Konflikten, die in ihren immer gleichen Formen zunehmend langweilig geworden sind. Bisweilen lautet ein Vorwurf, solchen Bewegungen, Protesten und Besetzungen ginge es gar nicht um bestimmte Ziele, sondern sie existierten tatsächlich vor allem um ihrer selbst willen.7 Demzufolge wären die Beteiligten in erster Linie darauf aus, sich selbst zu verändern und sich Räume jenseits der überkommenen Machtverhältnisse zu schaffen. Dies mag zutreffen, doch wichtiger scheint, dass Aktionsformen wie beispielsweise Protestcamps im Großen und Ganzen nur Strohfeuer mit geringer Reichweite bleiben und letztlich nicht imstande sind, grundlegende Strukturen der neoliberalen Ökonomie infrage zu stellen. Politik verwandelt sich hier zum Zeitvertreib – Politik als Drogenerfahrung – und ist jedenfalls ungeeignet, die Gesellschaft insgesamt zu verändern. Solche Proteste bleiben lediglich den Beteiligten in Erinnerung, der Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse misslingt ihnen. Gewiss, bis zu einem gewissen Grad sind Radikalisierung und Bewusstseinsbildung wichtig, doch bleibt die Frage, wann sich solche Arbeit denn endlich auszahlt. Gibt es den Punkt, an dem die Bewusstwerdung eine kritische Masse erreicht, die zum Handeln bereit ist? Protest schafft Verbindungen, bestärkt die Hoffnung und erinnert Menschen daran, wozu sie imstande sind. Doch jenseits solch vergänglicher Regungen verlangt Politik, die eigene Macht auch auszuüben, damit die affektiven Bindungen sich nicht verzehren. Und wenn wir jetzt, angesichts einer der größten Krisen des Kapitalismus, nicht handeln, wann dann?
Die affektive Dimension des Protests hervorzuheben verweist auf einen allgemeineren Trend, den Schauplatz wirklicher Politik im Affektiven zu suchen. Der Verweis auf Intuitionen, Emotionen und körperliche Nähe tritt dabei tendenziell an die Stelle einer eher theoretischen und analytischen Betrachtungsweise und erschwert sie, statt sie weiterzudenken und perspektivisch zu ergänzen. In den sogenannten Social Media beispielsweise verdichten sich heute Empörung und Zorn zu einem endlosen Schwall verbitterter Enttäuschung. Angesichts des dort vorherrschenden Individualismus – zu dessen Grundlagen die Konstruktion einer Online-Identität gehört – mag es vielleicht nicht überraschen, dass die im Netz betriebene »Politik« dazu neigt, sich als moralisch überlegen zu präsentieren. Einer solchen Selbstdarstellung ist es wichtiger, im Recht zu erscheinen, als über die Voraussetzungen politischer Veränderungen nachzudenken. Doch vergeht die alltägliche Empörung ebenso schnell, wie sie kommt, und bevor wir uns versehen, befinden wir uns schon auf dem nächsten galligen Feldzug. Auch auf anderen Gebieten ersetzt etwa ein öffentlich zur Schau gestelltes Mitleid mit Menschen in Not die kritische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen und führt nicht selten zu überstürzten und bisweilen verfehlten Aktionen – oder auch zu überhaupt nichts. Zweifellos spielen in der Politik Emotionen und Empfindungen – Hoffnung ebenso wie Zorn, Ängste ebenso wie Empörung – immer eine Rolle, doch sobald sich politisches Handeln im Wesentlichen durch solche Antriebe leiten lässt, kommt es mitunter zu äußerst fragwürdigen Resultaten. Ein berühmtes Beispiel hierfür sind die Live Aid-Konzerte im Jahr 1985, bei denen herzzerreißende Bilder aus Äthiopien in Kombination mit emotional hoch aufgeladenen Auftritten international bekannter Pop-Größen dafür sorgten, enorme Geldsummen zur Bekämpfung des Hungers einzuspielen. Angesichts der Notsituation schien es vorrangig, unmittelbar zu handeln, das Nachdenken blieb dabei auf der Strecke. Letzten Endes nämlich dürften die Live Aid-Spenden den Bürgerkrieg, der für die Hungersnot in Äthiopien verantwortlich war, verlängert haben, weil die Rebellenmilizen die Gelder der Nahrungsmittelhilfe in die eigenen Taschen umlenkten.8 Während das Publikum zuhause erleichtert glauben wollte, zumindest überhaupt etwas getan zu haben, zeigt sich bei nüchterner Betrachtung, dass die Hilfskampagne Teil des Problems wurde. Solche unbeabsichtigten Folgen häufen sich, je größer und komplexer die anvisierten Ziele werden. Bleibt politisches Agieren ohne Leidenschaft kaltherzig, bürokratisch und technokratisch, so droht unhinterfragtes Vertrauen auf Emotionen zu einem libidinös gesteuerten Surrogat tatsächlichen Handelns zu werden. In einer solchen »Politik« geht es mehr und mehr um persönliche Bestätigung, sie bemäntelt das Ausbleiben strategischer Erfolge.
Zwar gelingt politischen Bewegungen auch manchmal ein Durchbruch, doch die Niederlagen überwiegen, und das ist das wirklich Deprimierende. In Großbritannien etwa waren lokale Proteste gegen die Schließung kleinerer Krankenhäuser in vielen Fällen erfolgreich. Doch die Erfolge stehen in keinerlei Verhältnis zu den Plänen, die Leistungen des National Health Service zusammenzustreichen und zu privatisieren. Ein anderes Beispiel: In jüngster Zeit gelang es verschiedentlich einzelnen gegen Fracking aktiven Gruppen, Probebohrungen zu verhindern – gleichwohl halten die verantwortlichen staatlichen Stellen daran fest, Schiefergasvorkommen explorieren zu lassen, und unterstützen deshalb die in der Branche tätigen Unternehmen.9 In den USA wiederum waren es insbesondere Initiativen gegen eine Welle von Zwangsräumungen im Gefolge der Hypothekenkrise, die in den vergangenen Jahren des Öfteren erfolgreich waren und verhindern konnten, dass Menschen auf die Straße gesetzt wurden.10
Und dennoch: Die Verantwortlichen für das Subprime-Debakel machen weiterhin Kasse, Zwangsvollstreckungen sind landauf, landab an der Tagesordnung, und in den Metropolen steigen die Mieten unvermindert. Kleine Erfolge – die ohne Zweifel wichtig sind, nähren sie doch die Hoffnung – verblassen angesichts deprimierender Niederlagen, und ständige Fehlschläge bringen selbst im Grunde unerschütterliche Aktivisten ins Grübeln. Gut gemeinte Projekte wie die »Rolling Jubilee«-Kampagne sind bisweilen darum bemüht, den Bann des neoliberalen Common Sense zu durchbrechen.11 Doch hinter dem vordergründig radikalen Ziel, durch Crowd­sourcing Geld zusammenzubekommen, um verschuldeten Menschen unter die Arme zu greifen, steht letztlich ein Glaube an Wohltätigkeit und Umverteilung, der die Legitimität von Schulden zu keinem Zeitpunkt in Frage stellt. So reiht sich diese Kampagne in eine Vielzahl von Initiativen ein, die nichts weiter sind als Reaktionen auf das Versagen staatlicher Institutionen in der Krise. Als bloße Überlebensstrategien eröffnen sie keine erstrebenswerten Zukunftsperspektiven.
Welches Fazit lässt sich aus all dem ziehen? Der jüngs­te Zyklus von Kämpfen und Auseinandersetzungen ist im Großen und Ganzen durch Scheitern bestimmt, trotz einer Vielzahl kleinerer Erfolge und auch ungeachtet einzelner Momente groß angelegter Mobilisierung. Die Frage, mit der sich die Analyse linker Politik heute auseinandersetzen muss, lautet daher schlicht: Was ist schief gelaufen? Verschärfte staatliche Repression und die zunehmende Macht großer Konzerne sind zweifellos Momente, die für die Schwächung der Linken nicht unerheblich waren. Doch lässt sich durchaus fragen, ob die behördliche Unterdrückung, die Prekarität der Massen oder die Macht der Kapitalisten wirklich stärker sind als Ende des 19. Jahrhunderts. Damals mussten die Arbeiter noch um grundlegende Rechte kämpfen, und das häufig gegen eine Staatsmacht, die keine Skrupel kannte, Proteste blutig niederzuschlagen.12 In jenen Jahren kam es häufig zu Massenauseinandersetzungen, Generalstreiks und andere Aktionen militanter Gewerkschaften oder der radikalen Frauenbewegung waren an der Tagesordnung, und sie konnten tatsächlich nachhaltige Erfolge erringen; die Gegenwart hingegen ist gekennzeichnet durch deren Ausbleiben. Die Schwäche der Linken in jüngster Zeit geht nicht einfach aufs Konto zunehmender Repression durch Staat und Kapital: Ehrlicherweise muss man anerkennen, dass die Probleme ebenso in der Linken selbst zu finden sind. Und ein Hauptproblem ist eine weithin akzeptierte und unkritische Vorstellung von Politik, die wir »folkloristisch« nennen.

Der Alltagsverstand der Politik

Was heißt Folk-Politik? Wir bezeichnen damit eine in der Linken gegenwärtig anzutreffende Konstellation von Vorstellungen, die geprägt sind durch einen intuitiv geteilten Common Sense darüber, wie Politik zu denken, zu organisieren und praktisch umzusetzen ist. Dazu gehören eine Reihe strategischer Annahmen, die der Linken jegliche Kraft zu nehmen drohen und sie daran hindern, gesellschaftlich auszustrahlen und jenseits von Partikular­interessen dauerhafte Veränderungen herbeizuführen. Linke Bewegungen mit einem solchen folkloristischen Politikverständnis werden vermutlich erfolglos bleiben – jedenfalls sind sie nicht dafür gerüstet, den Kapitalismus umzuwälzen. Der Ausdruck »Folk-Politik« selbst verweist in kritischer Absicht auf zweierlei: zum einen auf die aus der Kritik der Alltagspsychologie resultierende Einsicht, dass unsere intuitiven Vorstellungen der Welt sowohl historisch bedingt als auch häufig irreführend sind; zum anderen auf die »volkstümliche« Verortung im Überschaubaren und Authentischen, Traditionellen und natürlich Gegebenen.13 Beide kritisierten Dimensionen finden sich in der Vorstellungswelt folkloristischer Politik wieder.
In einer ersten Annäherung lässt sich Folk-Politik dementsprechend als ein gemeinsamer, historisch konstruierter politischer Alltagsverstand definieren, der den Blick für die tatsächlichen Mechanismen der Macht verloren hat. Während sich unsere Welt politisch, ökonomisch, sozial und technologisch wandelt, verlieren Taktiken und Strategien an Wirksamkeit, die früher einmal in der Lage waren, kollektive Stärke in emanzipatorische Errungenschaften zu transformieren. Folk-Politik gehört zum Alltagsverstand der heutigen Linken, und häufig agiert sie intuitiv, unkritisch und bewusstlos. Aufgrund seiner his­torischen Bedingtheit ist dieser Common...

Table of contents

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Einleitung
  4. 1. Unser politischer Common Sense: Folk-Politik
  5. 2. Eine Kritik der Linken heute
  6. 3. Die Machart neoliberaler Hegemonie
  7. 4. Linke Moderne
  8. 5. Die Zukunft arbeitet nicht
  9. 6. Nach der Arbeitsgesellschaft
  10. 7. Ein neuer Common Sense
  11. 8. Macht aufbauen
  12. Schluss
  13. Danksagung
  14. Über die Autoren
  15. Über den Verlag
  16. Impressum
  17. Anhang