Anhang
Grundlagen des Muskeltests
Der Muskeltest ist ein prinzipiell einfaches und logisch herzuleitendes körpereigenes Instrument, das uns Zugang verschafft zu un(ter)bewussten Informationen des Körpersystems. Das gilt sowohl fĂŒr körperliche ZusammenhĂ€nge â bei denen es durch den Muskeltest möglich wird, individuell auf Ursachen von Krankheiten zu schlieĂen und auf dieser Basis optimale Behandlungswege zu finden â wie auch fĂŒr seelische Belange. Indem geprĂŒft wird, ob die Muskelspannung (beispielsweise am ausgestreckten Arm) vom Patienten auch gegen den Druck des Untersuchenden aufrechterhalten werden kann, lĂ€sst sich ermitteln, ob ein bestimmter Reiz bei einem Menschen Stress auslöst. Damit Sie fĂŒr die in dieser Anleitung beschriebenen VorgĂ€nge ein erstes Bild vor Augen haben, male ich hier kurz aus, was Sie bei einem solchen Test als auĂenstehender Beobachter sehen wĂŒrden:
â Mein Patient sitzt auf einem bequemen Sessel, der es â wie schon beim Stress Release beschrieben â dank einer verstellbaren RĂŒckenlehne dem Patienten ermöglicht, die Position einzunehmen, in der er sich wohlfĂŒhlt (und in der ich gut arbeiten kann). Ich sitze seitlich neben ihm, sodass wir bei Bedarf Blickkontakt aufnehmen können. Der Patient streckt den mir zugewandten Arm mit ein wenig Spannung, aber ohne Anstrengung etwa waagerecht vor sich aus, so, als ob er auf etwas in der Ferne Sichtbares zeigen wolle. Eine meiner HĂ€nde liegt auf seinem Unterarm, knapp oberhalb des Handgelenks, meine andere Hand ruht locker auf seiner Schulter.
â Ich konfrontiere den Patienten mit einem Reiz, indem ich ihm beispielsweise ein Nahrungsmittel oder eine Arznei in die freie Hand gebe oder indem ich ein Wort oder einen Satz ausspreche. Gleich darauf beginne ich langsam und kontinuierlich, von meiner Schulter ausgehend, mein Gewicht in Richtung auf seinen ausgestreckten Arm zu verlagern. Dadurch entsteht ein zunehmender Druck von oben auf den Arm. Sie können dann beobachten, dass â wie es ĂŒblicherweise zu erwarten ist, wenn man keine âbrachiale Gewaltâ anwendet â der Arm des Patienten in dieser Position verbleibt, er âhĂ€ltâ also. Ein andermal werden Sie, vielleicht ĂŒberrascht, sehen, dass sich ohne VerstĂ€rkung meines Drucks der Arm des Patienten â trotz seiner Absicht, ihn zu halten â leicht nach unten drĂŒcken lĂ€sst.
Die Testhaltung
In diesem Unterschied zwischen âArm halten könnenâ und âArm nicht halten könnenâ liegt eine enorme Aussagekraft von hohem therapeutischem Nutzen. Das möchte ich im Folgenden nĂ€her erklĂ€ren.
Dieser Muskeltest basiert auf zwei physiologischen Prinzipien. Das erste ist eine Reaktion auf einen Reiz (in meinem abkĂŒrzenden Sprachgebrauch: eine reine Reizreaktion), das zweite ist eine âprogrammierbare Steuerungâ.
ZunĂ€chst zu der unmittelbaren Reizreaktion: Sobald ein Gefahrenreiz von unseren Wahrnehmungssystemen registriert wird, verlieren wir fĂŒr einen kurzen Moment die Kontrolle ĂŒber unsere willkĂŒrliche Muskelsteuerung (â das kennen Sie von der âSchrecksekundeâ) â die begonnene oder beabsichtigte Handlung wird unterbrochen, um reflektorischen AktivitĂ€ten wie Flucht oder Angriff Raum zu geben und schnellen automatischen Reaktionen nicht in die Quere zu kommen.
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass unser Organismus ĂŒber Sensoren verfĂŒgt, die schon auf kleinste âGefahrenâ (auch âStressorenâ genannt) ansprechen, die wir mit unserem Bewusstsein gar nicht als bedrohlich einstufen wĂŒrden, etwa auf den Kontakt mit SĂŒĂigkeiten (Zucker). Im Umkehrschluss wird es dadurch möglich, den Muskeltest zu benutzen, um derartige unterschwellige NegativeinflĂŒsse ausfindig zu machen, denn das Körpersystem und damit auch der Muskeltest sind da sensibler und schneller als unser intellektuelles Einsichtsvermögen. Schon allein diese Tatsache ist erstaunlich.
Die zweite physiologische Grundlage des Tests ist eine idiomotorische Steuerung, und diese mĂŒssen wir uns etwas ausfĂŒhrlicher anschauen. Idiomotorik bedeutet zunĂ€chst einmal nur, dass Bewegungen ohne willentlichen Einfluss vollzogen werden, so, wie die unbewusste Mimik. FĂŒr unseren Zusammenhang ist jedoch von besonderem Wert, dass solche âunbewusstenâ muskulĂ€ren AblĂ€ufe auch âbewusstâ genutzt, sozusagen programmiert werden können. So kann man dem Unterbewusstsein beziehungsweise dem vegetativen Nervensystem willentlich den Auftrag oder die Erlaubnis geben, âaus sich herausâ mit einer bestimmten (vereinbarten) Bewegung zu antworten.
Dieses Prinzip ist aus der Hypnotherapie bekannt, die auf diesem Weg Informationen aus dem Unterbewusstsein an die OberflĂ€che holt: Bei einer Sitzung wird eingangs vereinbart â oder âprogrammiertâ â, dass der Klient innerhalb des hypnotischen âZwiegesprĂ€chsâ ohne weiteren eigenen Willenseinfluss beispielsweise die rechte Hand hebt, wenn die Antwort des Unterbewusstseins auf eine Frage des Therapeuten âjaâ lautet, und die linke Hand, wenn die Antwort âneinâ lautet (oder umgekehrt). Diese einmalige Absprache macht den Weg dafĂŒr frei, dass unbewusste innere Informationen âper Handzeichenâ abgerufen werden können. So gesehen wird auch in der Hypnose ein âMuskeltestâ benutzt, hier durch Handzeichen, in unserer Anwendungsweise durch âHaltenâ oder âKontrollverlustâ. Und letztlich ist es unerheblich, ob der Auftrag an das neuromuskulĂ€re System lautet: âHebe die linke / die rechte Hand!â oder wie bei unserem Muskeltest: âDie Muskelkontrolle bleibt erhalten / wird unterbrochen.â Eine hypnotische Trance ist dafĂŒr nicht erforderlich.
Durch die Idiomotorik wird der Muskeltest weit mehr als ein mechanistischer Stressindikator. Aus der Hypnotherapie und auch aus dem Autogenen Training ist bekannt, dass sich durch Ansprechen des Organismus physiologische AblĂ€ufe nachweislich beeinflussen lassen (Heilhypnose). Das heiĂt, dass gehörte Worte ĂŒber das Bewusstsein (ZNS) ins Unterbewusstsein dringen und dort ĂŒber das vegetative Nervensystem (VNS) auf eine Schnittstelle zu Organen treffen, wo sie Wirkungen auslösen. Wenn dieser Weg in die eine Richtung begehbar ist, liegt auch der umgekehrte Weg nahe, nĂ€mlich Informationen aus dem Organismus via VNS ins ZNS abzurufen; die Skelettmuskulatur, die ja sowohl vom bewussten wie vom vegetativen Nervensystem gesteuert wird, ist dann bei der Anwendung des Muskeltests Schnittstelle oder âĂbersetzerâ dieser Informationen.
WĂ€hrend die reine Reiz-Stress-Reaktion der Muskelphysiologie nur ein sehr eingeschrĂ€nktes Untersuchungsspektrum erlaubt, öffnen sich mit der Idiomotorik ungeahnte Möglichkeiten der âProgrammierungâ â Ă€hnlich wie die physikalische Grundlage der EDV zunĂ€chst simpel ist, aber geniale Anwendungen wie Internet und Datenbanken ermöglicht. Wenn wir uns diesen Vergleich zunutze machen, könnte man sagen, die reine Reiz-Stress-Reaktion (die Physiologie) sei die âHardwareâ des Muskeltests, wĂ€hrend die Idiomotorik die Programme schreibe, die Software. So wird der Muskeltest ein Anzeiger höchst individueller und spezifischer Informationen, die weit ĂŒber das Ermitteln von StressphĂ€nomenen hinausgehen.
Falls Ihnen von den theoretischen und etwas abstrakten HintergrĂŒnden der Kopf ein wenig raucht, lassen Sie sich davon bitte nicht stressen; wir werden des Ăfteren darauf zurĂŒckkommen, sodass sich manches, was noch wenig plastisch wirkt, weiter erschlieĂen wird. Nun kommen wir zur praktischen Umsetzung.
Die Technik des Muskeltestens
Eine Untersuchung per Muskeltest muss konsequenterweise dessen physiologische Grundlagen berĂŒcksichtigen, um korrekte Ergebnisse zu erhalten. Sie beabsichtigt die PrĂŒfung der Muskelkontrolle, nicht das Messen von Muskelkraft, und das erfordert eine entsprechende Untersuchungstechnik. (Zwar ist â als Summe von âKontrollverlustenâ â auch die Muskelkraft bei einer Stressreaktion reduziert, aber sie ist nicht so zuverlĂ€ssig eichbar wie beispielsweise die ĂberprĂŒfung eines willentlichen Halteimpulses.)
Theoretisch kann der Muskeltest an jedem willkĂŒrlich gesteuerten Muskel vorgenommen werden, doch ist nicht jede Muskelpartie und jede Körperhaltung gleichermaĂen praktisch in der Anwendung. Besonders bewĂ€hrt hat sich der Armhaltetest, von dem Sie sich oben schon ein erstes Bild machen konnten. Noch einmal zur Erinnerung, aber diesmal genauer:
â Die zu untersuchende Person sitzt also möglichst bequem auf einem Stuhl und streckt einen Arm mit ein wenig Spannung, aber ohne Anstrengung waagerecht vor sich aus. Der untersuchende Tester sitzt seitlich von der Testperson und legt die testende Hand knapp oberhalb des Handgelenks der Testperson locker auf, ohne den Arm zunĂ€chst mit Gewicht zu belasten. ErfahrungsgemÀà wird es von beiden Beteiligten als angenehm empfunden, wenn die freie Hand des Testers auf der Schulter des Getesteten ruht (nicht auf dem Oberarm!).
â Nach der Aufforderung âBitte halten!â beginnt der Tester, mit der testenden Hand langsam (!) Druck aufzubauen, am gĂŒnstigsten durch leichtes Verlagern des Körpergewichts in Richtung dieser Hand. Der allmĂ€hliche Druckaufbau (etwa ĂŒber 2 bis 3 Sekunden â anfangs empfiehlt es sich, mitzuzĂ€hlen!) macht es möglich, an einem bestimmten Punkt im getesteten Muskel und darĂŒber hinaus im gesamten Körper so etwas wie ein âEinrastenâ oder eine âSperreâ zu spĂŒren. Dieser stabile Tonus ist die Eichung fĂŒr das neuromuskulĂ€re System, der Ausgangspunkt fĂŒr jede weitere Untersuchung.
Ăbrigens: Je besser der Testende im Laufe der Zeit verinnerlicht, wie es funktioniert, desto leichter ĂŒbertrĂ€gt sich das auf den zu Testenden (Ă€hnlich wie ein guter TĂ€nzer eine TĂ€nzerin fĂŒhren kann, auch ohne dass sie die einzelnen Tanzschritte kennt).
Die korrekte Testtechnik ist eine entscheidende Voraussetzung fĂŒr klar ablesbare Ergebnisse und wenig ermĂŒdendes Testen!
Mechanisiertes Testdruck-Training
Da die korrekte Testtechnik eine entscheidende Arbeitsgrundlage fĂŒr verlĂ€ssliche Ergebnisse ist, muss diese Technik trainiert werden. Eine einfache, aber wirkungsvolle âTrockenĂŒbungâ gelingt mit einer analogen KĂŒchenwaage, möglichst mit einer Tragkraft bis 5 kg. (Notfalls geht es auch mit Waagen bis gut 2 kg.)
â Stellen Sie die Waage vor sich auf, in einem Abstand, der etwa Ihrer UnterarmlĂ€nge entspricht, und in einer Höhe zwischen Nabel und Schulter. Am besten testen Sie im Sitzen â die Waage kann dann auf einem Tisch vor Ihnen stehen.
â Ăben Sie auf dieser Waage eine so langsame Drucksteigerung bis zur Markierung von etwa 1 kg (oder auch 700â800 g), dass Sie die Zeigerbewegung wĂ€hrend des Druckaufbaus stetig verfolgen können, und halten Sie den Druck bei dem angesteuerten Gewicht fĂŒr einige Sekunden ohne nennenswerte Schwankungen. So funktioniert es auch am Testmuskel!
Im Sinne eines Biofeedbacks können Sie unter UmstĂ€nden sogar feststellen, dass bei einem bestimmten Testdruck Ihre eigene Muskulatur âeinrastetâ. Bei den meisten Testenden liegt der sorgsam aufgebaute Enddruck zwischen 700 und 1000 g.
â Als NĂ€chstes probieren Sie, durch langsame Gewichtssteigerung den Zeiger zunĂ€chst bis 2 kg, dann bis 4 kg zu bewegen (sofern die Waage dies ermöglicht): SpĂŒren Sie, wie viel Krafteinsatz dazu schon benötigt wird?
â Wenn Sie dann den Zeiger beobachten, wĂ€hrend Sie kurz und schnell, das heiĂt: mit einem Impuls, auf die Waage drĂŒcken â wie weit geht der Zeiger in diesem Fall? (Meistens kurzfristig deutlich ĂŒber 4 kg hinaus.) Beobachten Sie auch, wie weit der Zeig...