Sozialfirmen
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Sozialfirmen

Plädoyer für eine unternehmerische Arbeitsintegration

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Sozialfirmen

Plädoyer für eine unternehmerische Arbeitsintegration

About this book

Sozialfirmen sind Unternehmen, die mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten soziale Ziele verfolgen.Am Beispiel der von ihnen geführten Sozialfirma zeigen die Autorinnen, dass die unternehmerische Arbeitsintegration für Langzeitarbeitslose ein enormes volkswirtschaftliches und sozialpolitisches Potential hat. Und sie erläutern, welche Relevanz dieses Modell für den gesamten deutschsprachigen Arbeitsmarkt in sich birgt.Inhaltsverzeichnis: Vorwort: Citoyens und EntrepreneursMarktwirtschaftlich geführte Sozialfirmen als ChanceArbeitsintegration - eine unternehmerische Herausforderung- Job, Geld, Leben - nichts ist mehr sicher- Die Schere: Vermehrung der arbeitsfreien Einkommensquellen für die einen, nichts als prekäre Arbeit für die anderen- Der Staat kann es sich nicht leisten, Arbeitslosigkeit nur zu verwalten- Partnerschaft zwischen Staat und SozialunternehmernVom Beschäftigungsprogramm zur Sozialfirma- Das St.Galler Modell- Unterschätzte Punkte bei der Neuausrichtung- Unternehmerische Fähigkeiten benennen- Geschäftsidee formulieren- Das Verhältnis zur Wirtschaft klären- Neuausrichtung wie ein Start-up planen- Art der Unternehmung- Produkte und Dienstleistungen- Der Markt- Konkurrenz- Marketing- Standort und Logistik- Maschinen- Organisation und Management- RisikoanalyseFührung einer Sozialfirma- Das Menschenbild- Methoden der Integration- Die Interkulturagenda- Schlichterinnen- Personalführung und Rekrutierung- Qualitätsmanagement- Planung- Auftragsplanung- Personalplanung- Strategische PlanungFinanzen- Sozialpolitische Ziele sozialunternehmerischen Handelns- Organisatorische und rechtliche Voraussetzungen- Sozialversicherungen für Sozialfirmen- Weitere Versicherungen für Sozialfirmen- Mehrwertsteuer- Kapitalisierung- Erfolgsrechnung- Bilanz- Kennzahlen und Controlling- Kennzahl 1: Durch beeinträchtige und nicht beeinträchtigte Arbeitnehmende geleistete Arbeitsstunden- Kennzahl 2: Wertschöpfung am Markt pro geleistete Arbeitsstunde der langzeitarbeitslosen oder beeinträchtigten Arbeitnehmenden- Kennzahl 3: Wertschöpfung am Markt durch langzeitarbeitslose oder beeinträchtigte Arbeitnehmende- Kennzahl 4: Lohnaufwand beeinträchtigte Arbeitnehmende total- Kennzahl 5: Mitarbeiterkosten und Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter- Kennzahl 6: Mitarbeiterlohnkosten pro geleistete Arbeitnehmerstunde- Kennzahl 7: Erträge von öffentlicher Hand oder Sozialversicherung pro gearbeitete ArbeitnehmerstundeFragen an Daniela MerzFragen an Andreas Bächler, Geschäftsführer, Thomas und Marcel Giger, AbteilungsleiterUnternehmerische Arbeitsintegration - eine Herausforderung für die ZukunftAnhang- Anmerkungen- Literaturverzeichnis- Dank

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Vom Beschäftigungsprogramm
zur Sozialfirma
Beschäftigungsprogramme stehen heute unter einem höheren finanziellen Druck und unter Legitimationszwang. Darum spielen viele von ihnen mit dem Gedanken, sich stärker am Markt auszurichten und ihr Angebot unternehmerischer zu organisieren. Einige tun dies aus Gründen des Kostendrucks, andere, weil sie sich für den unternehmerischen Ansatz interessieren und die Methode für zukunftsfähig halten. Oft werden jedoch der Aufwand und das Ausmaß der notwendigen Veränderungen von den Verantwortlichen massiv unterschätzt. Der Weg zur Sozialfirma erfordert mehr als nur eine gründliche Reorganisation eines Betriebs; er verlangt ein konsequentes Um- und Neudenken von Prozessen und Abläufen und ein Überdenken von jahrelangen Betriebskulturen, verbunden mit einem konsequenten Verzichten auf Sicherheiten und einer mutigen Hingabe an die Fährnisse des Marktes. Das Unterfangen erfordert grundsätzliche Überlegungen und Entscheide zur Frage, ob die bestehende Form und Art der Unternehmung für ein gewähltes Ziel geeignet ist. Sämtliche Produkte und Dienstleistungen müssen unter der Prämisse der Marktnähe und der Sinnfrage neu überdacht werden. Das eigene Selbstverständnis und das Verhältnis zur Konkurrenz müssen definiert und konsequent gelebt werden.
Wer nahe an den Markt will, muss auch das Marketing tiefgreifend verstehen und darf es nicht bei kosmetischer Verkaufsförderung bewenden lassen. Selbst Fragen des Standorts und der Logistik bekommen plötzlich einen ganz neuen Stellenwert, und die Anschaffung von Maschinen muss unter ganz anderen Gesichtspunkten bewertet werden als bisher. Es stellt sich sogar die Frage, ob die erfolgreiche Crew eines Arbeitsintegrationsprogramms für eine Neuausrichtung zur Sozialfirma überhaupt geeignet ist.
Diesen Fragen soll in diesem Kapitel vor dem Hintergrund der in St. Gallen gemachten Erfahrungen kritisch nachgegangen werden.
Das St. Galler Modell
Die Stadt St. Gallen gründete 1997 zusammen mit den Kirchen, den Parteien, den Gewerkschaften und dem Gewerbeverband unter dem schlichten und pragmatischen Namen »Stiftung für Arbeit« eine Organisation, die sich anfänglich kaum von unzähligen anderen Arbeitsintegrationsprogrammen unterschied. Auch die Ausgangslage glich jener in vielen Schweizer Städten: In St. Gallen gab es eine wachsende Zahl von ausgesteuerten Langzeitarbeitslosen. Man befürchtete, dass sich diese vermehrt im öffentlichen Raum aufhalten würden und es sich herumsprechen würde, dass man in der Stadt St. Gallen anonymer und dadurch einfacher zu finanzieller Sozialhilfe kommen kann als in den umliegenden kleinen Gemeinden. Aus diesem Grund wollte man Beschäftigungsmöglichkeiten für ausgesteuerte arbeitsfähige Sozialhilfeempfangende schaffen, die keine vordergründige Suchtproblematik aufwiesen. Es entstand ein Taglohnprogramm für Ausgesteuerte, in dem etwa 30 bis 40 Personen unregelmäßige Arbeit im Bereich von Umgebungsarbeiten fanden. Dem Programm lag der Gedanke zugrunde, dass sich jeder, der arbeiten konnte, auch im Rahmen seiner Kräfte und Möglichkeiten betätigen sollte und die Sozialhilfe nur subsidiär und nach einem Gegenleistungsprinzip ausbezahlt werden würde.
Dieses Prinzip ist keine St. Galler Eigenart, es ist typisch für das Prinzip der öffentlichen Sozialhilfe und prägt auch die Sozialhilfegesetze anderer Kantone und Länder. Die Verankerung der Sozialhilfe als letzte Anlaufstelle in der Not ist sodann auch in Artikel 12 der Schweizer Bundesverfassung verankert. Um die Jahrtausendwende zeigte es sich, dass diese Not oft nicht mehr nur vorübergehend war, sondern sich in vielen Fällen zu einer Arbeitslosigkeit auf unabsehbare Zeit ausweitete. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass im Zweiten Arbeitsmarkt vermehrt Arbeitsmöglichkeiten für Sozialhilfebeziehende geschaffen werden sollten. Die Realität zeigte jedoch, dass nur sehr wenige Gemeinden tatsächlich Beschäftigungsmaßnahmen für Sozialhilfebeziehende einführten oder in Auftrag gaben. Der Grund dafür lag in den Kosten und in der kleinräumigen Organisationsstruktur der Sozialhilfe in der Schweiz. Jede Gemeinde muss für die in ihr ansässigen Sozialhilfebeziehenden aufkommen. Viele Gemeinden sind zu klein, um eigene Arbeitsintegrationsinstrumente für Ausgesteuerte zu entwickeln.
Um die Jahrtausendwende begann die Schweiz zu realisieren, dass auch das kleine Alpenland mit einer wachsenden Sockelarbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, gegen die es kein Rezept gab. Das statistische Zahlenmaterial zur Fallzahlenentwicklung in der Sozialhilfe war damals sehr dürftig und die Zählweise uneinheitlich. Man ging davon aus, dass in der Schweiz knapp 3% der Bevölkerung von finanziellen Zuwendungen der Sozialhilfe lebten, Tendenz steigend.16 Auch die Bezugsdauer verlängerte sich. Diese Entwicklung war zwar zahlenmäßig noch nicht besorgniserregend, dennoch begann sie die sozialpolitische Debatte zu prägen. Nach Jahrzehnten des Wohlstands verunsicherte die Vorstellung einer wachsenden Anzahl arbeitsloser Personen, die nicht mehr über eine Arbeitslosenversicherung bezahlt wurden, sondern direkt der Allgemeinheit, den Steuerzahlern, zur Last fielen. Wer während mehr als zwei Jahren von der Arbeitslosenversicherung Taggelder bezogen hatte, wurde ausgesteuert und verschwand somit aus der Statistik. Wer ausgesteuert wurde, musste beim Sozialamt seiner Wohngemeinde seine Bedürftigkeit anmelden. Dort wurde der Bedarf ermittelt und finanzielle Sozialhilfe ausbezahlt.
Die Sozialämter versuchten mit allen Kräften zu verhindern, dass sich eine feste Gruppe von Sozialhilfebeziehenden bildete, die auch mittel- oder längerfristig nicht mehr von der staatlichen Unterstützung abgelöst werden konnten. Ein solches Mittel war die Anmeldung zur Prüfung einer Invalidenrente. Um die Jahrtausendwende zeichnete sich ein deutlicher Fallzahlenanstieg in der IV ab. 1999 bezogen 4,24% der Schweizer Bevölkerung eine IV-Rente, 2008 waren es 5,27%.17 In absoluten Zahlen wurden noch 1999 rund 188 000 Personen von der IV unterstützt, 2008 waren es 252 000 Personen. Es zeigt sich also, dass der Trend zur häufigeren IV-Anmeldung auch einen deutlichen Anstieg der gesprochenen IV-Renten nach sich zog. Besonders markant war der Anstieg derjenigen Renten, die aus psychischen Gründen gesprochen wurden; dieser betrug zwischen 2002 und 2008 rund 35%.18 Die IV geriet dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Durch die 2008 in Kraft getretene 5. IV-Revision wurde die Hürde für eine Rentensprechung erhöht und so der Ball wieder vermehrt an die Sozialämter zurückgespielt.
Auch die Stadt St. Gallen stand 2002 mitten in dieser Entwicklung. Die ehemalige Textilstadt hatte in den 1990er Jahren schmerzhafte Strukturbereinigungen durchgemacht, die zu einem Verschwinden der traditionellen St. Galler Textilindustrie geführt hatten. Im Raum St. Gallen hatte sich die traditionelle Nähe zwischen der Politik und dem Unternehmertum länger gehalten als in anderen Regionen der Schweiz, dies mochte den Schritt in Richtung einer unternehmerischer ausgerichteten Arbeitsintegration erleichtert haben. Aus den Protokollen und Unterlagen der damaligen Zeit geht hervor, dass die Überlegungen, die damals tatsächlich den Ausschlag gaben für einen Kurswechsel, der sich später als sehr innovativ herausstellen sollte, von allen Beteiligten grundsätzlich begrüßt wurden. Die Aussicht, mit einem größeren Eigenfinanzierungsgrad die gebeutelte Staatskasse zu entlasten, überzeugte jedenfalls den Stiftungsrat der St. Galler Stiftung für Arbeit so weit, dass er sich auf das Projekt einer unternehmerischeren Arbeitsintegration einließ.
Die Voraussetzungen für das Experiment waren besser, als den Beteiligten bewusst war: Der besondere Umstand, dass die Schweiz (neben Österreich) als einziges Land Europas nicht über ein nationales Sozialhilfegesetz verfügt, führt einerseits dazu, dass die Gewährung von Sozialhilfe von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich geregelt ist und auch die Leistungen der Sozialhilfe punkto Betreuung und Geld in der Praxis erheblich variieren können. Andererseits schafft diese Besonderheit auch den nötigen Freiraum für innovative Experimente; das St. Galler Modell der Stiftung für Arbeit ist ein deutliches Beispiel dafür.
Als die St. Galler ihr Experiment begannen, hatten sie keinen Namen für das, was sie taten, aber sie hatten im Rahmen ihrer Stiftung für Suchthilfe schon erste Erfahrungen gesammelt und wollten deshalb die Marktorientierung in diesem Fall noch konsequenter anwenden. Sie bewiesen den nötigen Mut und Durchhaltewillen, um das anfangs immer wieder umstrittene Unterfangen einer unternehmerischen Neuausrichtung der Arbeitsintegration von Ausgesteuerten um die politischen Klippen herumzusteuern. Als heikelster Punkt erwies sich auch in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sich die gewerblichen Betriebe der freien Wirtschaft durch den entschiedeneren Marktauftritt der Sozialfirma konkurrenziert fühlten.
Unterschätzte Punkte bei der Neuausrichtung
Wer ein Beschäftigungsprogramm stärker betriebswirtschaftlich ausrichten will, kann nicht einfach das betriebswirtschaftliche Lehrbuch konsultieren und betriebswirtschaftliche statt soziale Methoden anwenden. Betriebswirtschaftliches Wissen ist jedoch zweifellos von Vorteil. Folgerichtig verlangte der Stiftungsrat bei der Neubesetzung der Geschäftsführung der operativen Stiftung für Arbeit im Jahr 2002 denn auch ausdrücklich ein betriebswirtschaftliches Profil; fast gleichwertig wurden in der Ausschreibung auch sozialpädagogische Fähigkeiten gefordert.
Daran zeigt sich bereits ein markanter Punkt, den es beim Aufbau von Sozialfirmen zu berücksichtigen gilt: Sozialfirmen müssen soziale Ziele gleichrangig mit betriebswirtschaftlichen verfolgen, das heißt, sie umfassen immer das Sowohl-als-auch, und zwar besonders dort, wo sich Entscheidungen scheinbar gegenseitig ausschließen und zu einem paradoxen Ergebnis führen. Die größte Herausforderung liegt darin, dass dieser paradoxe Zustand des gleichzeitigen Verfolgens zweier Ziele auf gleicher Ebene verinnerlicht werden und man lernen muss, mit dieser besonderen Situation umzugehen. Das Management von Sozialfirmen muss es wagen, konsequent auf zwei Ebenen gleichzeitig zu denken und dabei flexibel und unternehmerisch zu handeln. Die Anforderungen, diese »Double Bottom Line«, wie die Unternehmensziele in der englischsprachigen Literatur genannt werden, werden immer wieder klar unterschätzt. Es geht nicht darum, zwei gleichwertige Ziele gegeneinander auszuspielen, sondern sie wirklich miteinander denken und anwenden zu können.
Ein solcher Zielkonflikt zeigt sich schon in der Belegschaft einer Sozialfirma. Sozialfirmen für Ausgesteuerte können ihr Personal nicht selbst rekrutieren; sie arbeiten mit sogenannt »schwachen« und »schwierigen« Leuten, die anderswo keine Stelle finden, und zahlen dafür leistungsangepasste Löhne. Da sie mit nicht arbeitsmarktfähigen Leuten am Markt bestehen und sich mit Aufträgen begnügen müssen, die in der Regel schlechter abgegolten werden als im Ersten Arbeitsmarkt, erhalten sie mindestens 50% des Umsatzes von der öffentlichen Hand oder von einer Sozialversicherung.
Das höchste Ziel von Sozialfirmen liegt in der Reintegration ihrer Belegschaft in den Ersten Arbeitsmarkt. Sie arbeiten also mit aller Kraft daran, Langzeiterwerbslose leistungsfähiger zu machen und sie wieder an die Anforderungen des Ersten Arbeitsmarktes heranzuführen. Wenn sie dies geschafft haben, müssen sie ihr Personal per sofort wieder loslassen können. Im Fall der Stiftung für Arbeit oder der Dock Gruppe, wie die Sozialfirma heute heißt, bedeutet dies, dass jeder, der eine Stelle im Ersten Arbeitsmarkt gefunden hat, per sofort freigestellt werden muss. Diese Bedingung im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms einzuhalten, ist etwas ganz anderes als Arbeitsintegration mit einem Betrieb zu gewährleisten, der am Markt operiert. Eine Sozialfirma zu führen, bedeutet, Kundenaufträge mit einem Unternehmen zu erfüllen, das eine Belegschaft hat, deren Leistungen stark schwanken und die einer hohen Fluktuation unterworfen ist. Zum plötzlich möglichen Verlust der besten und zuverlässigsten Mitarbeitenden kommt der Umstand, dass das Personal oft sehr arbeitsungewohnt ist. Viele ausgesteuerte Langzeiterwerbslose sind seit mehreren Jahren keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen. Häufige Fehlzeiten ohne Abmeldungen oder lange Krankheitsperioden wegen Überforderung sind besonders am Anfang der Beschäftigung die Regel. Hinzu kommt, dass es gelingen muss, Arbeitnehmende zu guter Arbeit zu motivieren, die unter Androhung von Leistungskürzungen der Sozialhilfe in die Sozialfirma zur Arbeit geschickt worden sind; verständlicherweise ist dies nicht immer ganz einfach. Gerade in Betrieben mit wenig Arbeitnehmenden können diese Faktoren dazu führen, dass die Firma immer mal wieder nicht in der Lage ist, Kundenaufträge termingerecht auszuführen.
Dem ist auch bei der Akquisition von Aufträgen in genügendem Maße Rechnung zu tragen. Anspruchsvollere Aufträge,die Einarbeitungszeit benötigen, sind heikel, denn die überwiegende Zahl der Ausgesteuerten hat keine Berufsausbildung, und selbst diejenigen mit einer Berufsausbildung sind oft nicht mehr in der Lage, Facharbeiten zu erledigen.
Bei der Zielgruppe der ausgesteuerten Langzeitarbeitslosen kommt erschwerend hinzu, dass Sozialfirmen, die ausschließlich Ausgesteuerte beschäftigen, finanziell oft nicht auf Rosen gebettet sind. Sie können sich keinen Maschinenpark leisten, wie er für eine Industrie- oder Gewerbefirma üblich ist. Zusammengefasst heißt dies, wer eine Sozialfirma für Ausgesteuerte erfolgreich näher an den Markt bringen will, muss Arbeiten suchen, die mit wenigen Maschinen bewältigt werden können und wenig anspruchsvoll sind, damit sie auch von einer stark wechselnden Belegschaft in zufriedenstellender Qualität erledigt werden können.
Um die Kundenaufträge in der erforderlichen Qualität und Zeit erfüllen zu können, muss es möglich sein, die Belegschaft emotional an die Firma zu binden und ihr das Gefühl zu vermitteln, gebraucht zu werden. Gleichzeitig darf aber der Wille und die Motivation für eine Stellensuche im Ersten Arbeitsmarkt nicht geschmälert werden. Dieses Unterfangen gelingt nicht immer und erfordert von den Vorgesetzten eine große Offenheit und Ehrlichkeit. Unsere Erfahrungen in der Dock Gruppe haben gezeigt, dass dem Führungsverhalten der Vorgesetzten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für den langfristigen Erfolg einer Sozialfirma zukommt. Es gibt keine allgemeine Regel, wie mit langzeiterwerbslosen Arbeitnehmenden umzugehen ist. Jede Person muss dort abgeholt werden, wo sie steht. Es ist von zentraler Bedeutung, die Arbeitnehmenden nie zu überfordern, sie aber immer so zu fordern, dass sie einsteigen und mitmachen. Dies kann nur individuell geschehen, und es ist unerlässlich, dass eine Sozialfirma über ein transparentes, nachvollziehbares Qualifikationsinstrument verfügt, in das alle Arbeitnehmenden individuell eingereiht werden können. Einige verharren lange auf der untersten Stufe, andere zeigen einen kometenhaften Anstieg ihrer Leistungen und lassen dann nach wenigen Monaten in ihrem Engagement und ihren Leistungen wieder nach. Es ist essentiell, in solchen Fällen verbindlich, klar und überprüfbar zu führen und nötigenfalls auch Rückstufungen vorzunehmen.
Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zu einem Programm, in dem die Teilnehmenden (schon die Bezeichnung »Teilnehmende« deutet auf den Unterschied hin) betreut werden. In den Arbeitsintegrationsprogrammen wird denn auch sozialpädagogisch geschultes Personal eingesetzt, das die Betreuungsaufgabe übernimmt. Betreuung verstanden als methodisch geplanter Hilfeprozess und Begleitung ist etwas völlig anderes als klare Führung in der Rolle und Funktion eines Vorgesetzten. Dieser Unterschied wird immer wieder unterschätzt. Wir sind der festen Überzeugung, dass beides zusammen nicht geht; man kann nicht führen und betreuen. Das ist eine Überforderung. Mit einem eindeutigen Bekenntnis zur Führung schafft man Klarheit, nicht zuletzt auch zugunsten der Arbeitnehmenden, die dann wissen, woran sie sind.
Wer von der Sozialhilfe lebt, hat in der Regel schon einige Erfahrung mit Sozialinstitutionen, ist schon lange Zeit betreut worden, hat seine Lebensgeschichte schon oft erzählt und kann manchmal verblüffend genau über seine Defizite Auskunft geben. Nur hilft dies im Unterfangen der Reintegration in den Ersten Arbeitsmarkt oft nicht weiter. Auch deshalb haben wir uns für eine klare Aufgabenteilung zwischen uns und den Sozialämtern entschieden. Wir führen die Arbeitnehmenden im Rahmen eines guten, sozialen Arbeitgebers, und die Sozialämter betreuen sie im Rahmen der sozialarbeiterischen Anforderungen.
Das Bekenntnis zur Führung bedeutet, dass man als Firma die Finger von der Betreuung lassen muss. Im Falle der ausgesteuerten Langzeiterwerbslosen ist die Betreuung durch die Sozialämter sichergestellt. Bei anderen Zielgruppen können andere Betreuungs- und Beratungsstellen zur engen Zusammenarbeit gefunden werden. In der Sozialfirma soll jeder am gleichen Punkt beginnen können, unbelastet von seiner Vorgeschichte. Damit wird in der Sozialfirma Chancengleichheit in einer besonderen Form gewährleistet: Jeder kann noch einmal von vorne anfangen und alles besser machen.
Alle Arbeitnehmenden beginnen gleich, beispielsweise mit 50 Stellenprozenten im Stundenlohn, das heißt 20 Stunden pro Woche für 13 CHF (rund 8.50 EUR) pro Stunde. Die Arbeitszeit kann gewählt werden, entweder immer vor- oder nachmittags oder in der ersten oder zweiten Wochenhälfte. Die Wahl ist fix. Von Anfang an geht es in der Führungsmethodik darum, so viel Eigenverantwortung wie möglich verbindlich zu verankern und die Bedingungen für einen Aufstieg aus eigener Kraft verständlich zu machen. Wer einen Monat lang tatsächlich 20 Stunden pro Woche arbeitet, bekommt vom Sozialamt nicht nur die Aufstockung zum Existenzminimum der Sozialhilfe, sondern zusätzlich einen Bonus von 200 CHF (rund 130 EUR). Einige Arbeitnehmende wenden jeweils ein, dass sie nicht für 200 CHF im Monat 50% arbeiten würden. Selbstverständlich stimmt diese Rechnung nicht ganz, da die Sozialhilfe ja um den durch die Arbeit erwirtschafteten Lohn sinkt, also weit mehr als 200 CHF erarbeitet werden. Unter dem Strich ist die Rechnung für die Arbeitnehmenden jedoch richtig: Wer 50% arbeitet, bekommt 200 CHF pro Monat mehr als derjenige, der nicht arbeitet und nur von der Sozialhilfe lebt. Diese Rechnung fällt für Arbeitnehmende aus bestimmten Gemeinden sogar noch ungünstiger aus, denn wer ohne Arztzeugnis weniger als 80 Stunden pro Monat arbeitet, bekommt in vielen Gemeinden gar keinen Bonus, hat also Ende Monat nicht mehr Geld in der Tasche, wie wenn er gar nicht gearbeitet hätte.
An diesem Punkt setzt nun die Führung ein. Die Vorgesetzten haben die Aufgabe, deutlich zu kommunizieren, dass diese Situation keine perfide Falle eines menschenverachtenden Systems ist, sondern eine Gelegenheit, die es zu nutzen gilt. Sie müssen zeigen, dass es sich lohnt, Leistung zu bringen; dass die Arbeitnehmenden in der Sozialfirma nicht zur Zwangsarbeit verdammt sind, sondern ihnen eine Chance geboten wird – eine Möglichkeit, wieder arbeiten zu können und sich aus eigener Kraft aus der Sozialhilfe herauszuarbeiten. Es ist enorm wichtig, glaubwürdig zu vermitteln, dass dies mit Würde zu tun hat; denn selbst aktiv zu werden und mit eigener Kraft wieder den zum Leben nötigen Lohn zu erwirtschaften, hat mit Würde zu tun.
Hierzu ist es hilfreich, auf Vorgesetztenstufe auch...

Table of contents

  1. Inhalt
  2. Vorwort: Citoyens und Entrepreneurs
  3. Marktwirtschaftlich geführte Sozialfirmen als Chance
  4. Arbeitsintegration – eine unternehmerische Herausforderung
  5. Vom Beschäftigungsprogramm zur Sozialfirma
  6. Führung einer Sozialfirma
  7. Finanzen
  8. Fragen an Daniela Merz
  9. Fragen an Andreas Bächler, Geschäftsführer,Thomas Würz und Marcel Giger, Abteilungsleiter
  10. Unternehmerische Arbeitsintegration – eine Herausforderung für die Zukunft
  11. Anhang