IV. Das Praxishandbuch
Im letzten Teil des Buchs ging es zunächst mehr um die Grundsätze der Lösungen, die ich vorschlage. Nun folgen in diesem letzten Buchteil drei „Crashkurse“ zu dem, was ich als Kernkompetenzen identifiziert habe: Coaching, als Haltung, aber auch als Instrumentarium; zunächst von anderen Menschen (1) und anschließend als „Selbstcoaching“ (2) sowie Mindfulness (Achtsamkeit) (3). So erhalten Sie wichtiges Handwerkszeug auf dem Weg zur Arbeitswelt 4.0.
Eine Coaching-Haltung fördert die Achtsamkeit und Achtsamkeit bringt eine Coaching-Haltung fast als „Nebenwirkung“ mit sich. Beide Kompetenzen – Haltungen – begünstigen und bestärken sich gegenseitig.
Der Weg zum optimalen Zugang zu Ihren inneren Ressourcen hat System: Zuerst empfehle ich Ihnen Reflektionen zur Haltung im Allgemeinen; im zweiten Schritt schlage ich vor, den Schwerpunkt auf Stärken und Talente zu legen; und der letzte Schritt ist die Auseinandersetzung mit den eigenen begrenzenden Mustern des Denkens, Verhaltens und der Emotionen. Ich biete Ihnen zu allen Aspekten eine Reihe praktischer Übungen an, damit Sie zusätzlich einen „Werkzeugkoffer“ mitbekommen. Die Vielfalt der Übungen soll Ihnen ermöglichen, die Methoden auszuwählen, die für Sie natürlich erscheinen, damit Sie Freude und Motivation am „Experimentieren“ und Ausprobieren haben. Ich empfehle Ihnen auch, sich nicht zu viel für die Umsetzung vorzunehmen. Deshalb habe ich für den „Umsetzungsplan“ immer maximal drei Dinge vorgesehen. Auch das sind selbstverständlich nur Empfehlungen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Spaß beim Experimentieren!
IV. 1 „Crashkurs“ Coaching: Wie eine Führungskraft die Coaching-Haltung umsetzen kann
Was ist Coaching?
Dazu haben Sie schon einiges gelernt: Sie haben die Hypothese der International Coach Federation kennengelernt, die davon ausgeht, dass ein Coachee die inneren Ressourcen, die er zum Meistern seiner Herausforderung braucht, bereits in sich trägt, nur noch keinen Zugang zu ihnen hat. Zudem wissen Sie aus Teil III, was die dazu passende Coaching-Haltung ist. Im Zusammenhang mit Führung ist Haltung aus meiner Sicht das Kernelement von Coaching. Zur Umsetzung dieser Haltung biete ich einige Techniken an, wobei einige davon lediglich hilfreiche Beispiele sind. Letztlich ist jedes Mittel recht, als Führungskraft eine Coaching-Haltung zu leben, mit oder ohne Linienführung, im Unternehmen oder außerhalb, im Hobby, im Sportverein oder im Privatleben.
Es geht hier nicht um einen fundamental neuen Ansatz in der Führung. Was sprach jemals dagegen, einen Mitarbeiter als Menschen zu schätzen, ihm zu vertrauen, aus ihm das Beste herauszuholen, dabei auf die nachhaltige Leistungsfähigkeit zu achten und ihn Dinge eigenständig machen zu lassen? Gut, besonders autonome Mitarbeiter haben wahrscheinlich am Fließband und am Hochofen vor 100 Jahren aus Sicht des Arbeitgebers noch vehement gestört, weil sie nicht mit den Bedingungen am Arbeitsplatz einverstanden waren. Und wahrscheinlich haben sie mit ihren Protesten nicht viel erreicht. Das spricht aber nicht prinzipiell gegen den Führungsansatz. Ich glaube, dass diese Art zu führen heute deshalb so aktuell ist und mehr und mehr Akzeptanz findet, weil sich die Art der Arbeit immer weniger dafür eignet, den Mitarbeiter durch schlechte Führung zu dominieren. Und ein weiteres Argument dafür, dass wir uns heute dringend mit Führung befassen müssen, ist, dass die Generation der Digital Natives sich einfach nicht mehr so führen lassen wird – wenn man sie so führt, dann machen sie lieber ihren eigenen Laden auf. Das ist die Sicht von Sascha Wolff, dem Gründer des Beratungsunternehmens Dark Horse aus der Generation Y. Sein Unternehmen kommt ohne formelle Hierarchien aus. Jeder übernimmt dort Führung. Die Generation Y scheint angstfreier aufgewachsen zu sein und sich mehr auf Lebensqualität zu fokussieren als frühere Generationen. Wer wenig Überlebensangst hat, kann nicht mit Methoden geführt werden, die sich Ängste zunutze machen. Wenn ein Unternehmen es doch versucht, werden die Mitarbeitenden dazu tendieren, zu gehen, und zwar die besten und selbstbewusstesten Experten zuerst. Davon profitieren wiederum Wettbewerber mit guten Führungskräften. Denn diese Spezialisten entscheiden, wie und von wem sie geführt werden wollen: von Führungskräften, die Vertrauen, Eigenverantwortung und Einzigartigkeit fördern und ausstrahlen. Wer jetzt schon an diese Prinzipien glaubt und Freude daran hat, diesen Anspruch leben zu wollen, wird einen immensen Vorsprung im Wettbewerb um die anspruchsvollsten Führungsaufgaben haben, auch wenn ihn heute noch manche Kollegen als Weichei oder als inkonsequent sehen.
Verhalten folgt Haltung oder umgekehrt?
Ich habe viele Jahre damit verbracht, zu experimentieren, wie eine „Arbeit an der inneren Haltung“ aussehen kann. Es gibt dabei immer Vertreter zweier Grundprinzipien: das eine ist „Haltung folgt Verhalten“. Eines der bekanntesten Beispiele dazu ist der Gesinnungswandel von Autofahrern durch die Gurtpflicht. Erst war es uncool, sich anzuschnallen, später war es dumm, es nicht mehr zu tun. Die Vertreter des anderen Prinzips sagen: Wir können eine Haltung gar nicht über Verhalten steuern, da die Haltung auf einer tieferen Ebene liegt. Beispiele dazu kommen regelmäßig aus dem Bereich Führungskräftetraining: Man trainiert dort Rollenspiele, um Führungskräfte dazu anzuregen, mehr bekräftigendes Feedback zu geben oder in schwierigen Gesprächen wirkungsvoller zu kommunizieren, aber nach dem Training gehen sie mit ihren gleichen Einstellungen zurück in den Alltag und es ändert sich nichts. Es braucht mehr als Verhaltensübungen, etwa Reflektion oder Mindfulness, um an der inneren Haltung direkt arbeiten zu können.
Aus dieser jahrelangen faszinierenden Beobachtung leite ich für die Umsetzung einer Coaching-Haltung einen Mix aus beiden Ansätzen ab, denn immer, wenn Trainingsteilnehmer in Coaching-Gesprächen versuchten, die Techniken zu üben, stießen sie automatisch auf ihre eigenen Glaubensmuster und Haltungen: Sie wollten den Kollegen über gezielte Fragen zur Ist-Situation zu einem Perspektivwechsel einladen (was dem Vertrauen in die Kompetenzen des Coachee entspricht), und konnten sich aber kaum zurückhalten, die für sie selbst so „offensichtliche“ eigene Lösung gleich anzubieten (was einem Misstrauen in die Kompetenzen des Coachee entstammt); sie wollten den Kollegen über Fragetechniken inspirieren, Alternativen zu suchen, und kämpften dabei regelmäßig mit dem Impuls, selbst Vorschläge machen zu wollen. Der innere Kampf zwischen der Methode und dem gewohnheitsmäßigen, automatischen eigenen Muster wird auf diese Weise so stark, dass uns unsere Einstellungen sofort bewusst werden. Eine Reflektion der Haltung auf dieser Ebene ist eine nachhaltige Erfahrung. Sie ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer „echten“ Coaching-Haltung.
Warum die Führungskraft nie ein Coach der eigenen Mitarbeiter werden kann
Die Rolle eines „professionellen“ Coach ist „allparteilich“, das heißt, er nimmt nicht Partei für seinen Coachee, denn Parteinehmen ist ungeeignet dafür, die Ressourcen des Coachee zu stärken. Ein Coach richtet sich außerdem einzig nach den vom Coachee vorgegebenen Zielen aus. Nun kann es einen Zielkonflikt geben, wenn die Führungskraft versucht, Coach ihrer Mitarbeitenden zu sein: wenn nämlich die Ziele des Coachee im Widerspruch zu den Zielen stehen, die die Führungskraft für das Unternehmen zu erreichen hat. Vielleicht noch herausfordernder: Stellen Sie sich vor, Sie sind Chef eines Mitarbeiters, den Sie zwar als jemanden sehen, der Leistung bringt, dessen Verhalten im Team Sie aber gern ändern möchten. Der Mitarbeiter sieht das aber anders. Er sieht sich vielleicht als wichtigen „Andersdenker“. Diese Art von Konflikt erlebe auch ich regelmäßig in meinem Tagesgeschäft als Coach, wenn ich etwa den Eindruck habe, eine Führungskraft versuche ihren Mitarbeiter durch Coaching so zu verändern, dass sie ihn „besser führen kann“. Es kann sein, dass ich den Auftrag dann ablehne, weil Coaching für mich nur dann wirksam ist, wenn der Coachee motiviert ist, sich zu entwickeln. Aus diesem Grund bitte ich Kunden, vor Beginn des Coaching ein Vorgespräch zur Klärung der Ziele zwischen Auftraggeber (Vorgesetztem) und Coachee zu führen, bei dem ich anwesend bin.
Der Vorgesetzte kann auch dann nicht coachen, wenn Mitarbeiter und Vorgesetzter sich nicht vertrauen oder wenn der Vorgesetzte den Mitarbeiter in eine bestimmte Richtung entwickeln möchte, der Mitarbeiter aber keinen Sinn in dieser Entwicklung sieht.
Deshalb poche ich auf die Wichtigkeit der Coaching-Haltung. Sie sehen, dass in den vorgenannten Beispielen die innere Einstellung immer eine Rolle spielt. Es nützt nichts, Rollendefinitionen zu revidieren, wenn das Vertrauen fehlt. Wenn der Vorgesetzte die Stärken seiner Mitarbeiter nicht sieht, weil ihm ihre Persönlichkeiten nicht gefallen, helfen keine Techniken. Wenn ein Mitarbeiter mit einer starken Persönlichkeit und einem eigenwilligen Stil für die Führungskraft ein „schwieriger Mitarbeiter“ ist, dann sollte sich eher der Chef coachen lassen. Denn beim Führen geht es nicht darum, homogene Beziehungen zu haben, sondern das Beste aus seinen Leuten herauszuholen. Und das kann man nachweislich besser in einem heterogenen Team erreichen als in einem homogenen, weil unterschiedlichere Charaktere in einem komplexen Umfeld wirksamer sind als sehr ähnliche Typen.
Führung in der Coaching-Haltung
Warum sind Qualitäten wie das Loslassen bzw. das Zulassen, dass man komplexe Sachverhalte nicht verlässlich verstehen kann oder bedingungsloses Vertrauen in die Kompetenzen der Mitarbeitenden so schwierig, obwohl der Bedarf dafür theoretisch verständlich ist? Das Erste, was eine Führungskraft in der Coaching-Haltung erfährt, ist ein Kontrollverlust. Das hat nichts mit der Kontrolle der Arbeitsergebnisse von Mitarbeitern zu tun, sondern es geht um Kontrollverlust auf einer fundamentaleren Ebene. Stellen Sie sich vor, Sie erfüllen als Chef folgende Voraussetzungen (was in meiner Sprache heißt, dass Sie „in einer „Coaching-Haltung“ führen):
•Sie schätzen alle Mitarbeiter als Menschen.
•Sie glauben fest daran, dass jeder seine Stärken, Talente und Kompetenzen hat.
•Wenn Sie diese nicht sehen, gehen Sie zunächst von einem Führungsfehler aus. Sie unternehmen alles, um diese Stärken gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu verstehen und zu prüfen, ob die Aufgaben des Mitarbeiters seinen Stärken entsprechen.
•Zwischen Ihnen und dem Mitarbeiter besteht Klarheit über die zu erreichenden Ziele.
•Sie haben den Mitarbeiter gefragt, ob er von Ihnen weitere Unterstützung braucht, und erlauben ihm, diese auf seine Art zu erledigen. Das gilt auch, wenn Sie ...