II.
… bisschen wie ein Schlagersänger auf dem Kreuzfahrtschiff „Aida“
ich will wieder zurück/ zurück in unsere hütte mit den mücken und dem einen ofen
Fritz Kater, „düsterer spatz am meer/ hybrid“
HANS-DIETER SCHÜTT: Haben Sie manchmal Angst, auf die Probe zu gehen?
ARMIN PETRAS: Ein einziges Mal habe ich Jürgen Gosch getroffen, ich glaube, es war aus Anlass einer Gesprächsrunde mit Regisseuren, für ein Theater-Magazin. Ich fragte ihn, ob ihn auch manchmal vor den Endproben Angst überkomme. Er sah mich verwundert an. „Angst? Manchmal? Endproben? Junger Mann, ich habe vor jeder Probe Angst.“ Ich nicht. Respekt empfinde ich vor der Konzeptionsprobe, und Befürchtungen beschleichen mich vor der ersten Hauptprobe, also eher Schockzustände und die Angst, dass alles falsch war. Aber ansonsten – wie gesagt – ist die Probe der angstfreieste Raum in meinem Leben. Da habe ich eher Angst beim Gang über jede verkehrsbelebte Straße. Für einen Boxer ist zum Beispiel der Ring die angstfreieste Zone.
Sind wir also wieder beim Boxen. Boxen tut weh!
Ach, was! Es ist eine Art Gymnastik. Du musst nicht mal die Zähne zusammenbeißen. Geht gar nicht – der Mundschutz lässt das nicht zu (lacht). Du kriegst garantiert was auf die Fresse, ja, aber es gibt Regeln, drei Runde, eine klar abgesteckte Gewichtsklasse, den Schiedsrichter, den Arzt, in jeder Ecke einen Trainer, und der Gegner ist ein Sportfreund, der nur dort hinschlägt, wo es erlaubt ist. Nein, ich habe keine Angst. Ich versuche in meiner Arbeit zu organisieren, dass die Probe nie aufhört – deshalb und daraus entstehen meine Inszenierungen.
Armin Petras: „Mein Lieblingsboxklub in Moldawien“
Wer brennt, der überfordert andere.
Dass andere nicht genügen, diese Furcht habe ich nicht. Nein, dieses Notstandsgefühl betrifft nur mich selbst. Genüge ich dem, was nötig ist? Ich befürchte mitunter, nicht Energien genug zu entwickeln. Der große Schauspieler André Jung hat mal zu mir gesagt: „Weißt du, ich mag dich, und ich glaube dir, dass du was vorhast, aber deine Lautstärke macht mich müde.“ Führte zum Umdenken, zeitweise.
Stürmen Sie ins Stück hinein oder geht’s vorsichtig zu?
Ab zweiter Probe gibt es Kostüm und Bühne. Es wird geredet – und dann sofort probiert. Natürlich in dauernder Veränderung. Nächstes Bühnenmodell, neue Kostümvarianten, ein fortwährender Austausch. Arbeitspartnerschaft bedeutet freilich, unterschiedliche Behauptungskräfte auszuhalten, anzunehmen. Olaf Altmann zum Beispiel ist jemand, der möglichst mit dem ersten Bühnenmodell, das er mir zeigt, ins Schwarze treffen will. Die Ehrgeize sind verschieden, deren Zusammenspiel, ihre Konfrontation, ihr Fluss, ihre Balance.
Das Erlebnis Probe. Es gibt dazu einen schönen Text von Ihnen: „kaum etwas ist schöner, als an einem freitagabend, von irgendeiner probebühne am rande der stadt zurückzufahren, den mond zu sehen und sich zu sagen, vielleicht war das ja was, vielleicht war der weg heute auf der probe gar nicht so falsch, und dieser kollegin hätte man das gar nicht zugetraut, so genau, so berührend war sie heute auf der probe. und die angst begleitet einen auch, ob sie das jemals wieder hinkriegt, was sie da heute gemacht hat und was wohl die dramaturgin sagen wird am montag, ob das so geht und gegenüber an der bushaltestelle unterhalten sich zwei teenies über den romeo und sie gucken im programmheft nach, ob noch mehr bilder von ihm drin sind oder seine handynummer. und man überlegt sich dann, ob man jetzt nach hause geht oder doch noch mal ins theater, wo die kollegen den dreißigsten der darstellerin der julia feiern. und dann geht man eben doch ins casino, nur auf ein bier, bestimmt, und, und um zwölf fragt der mercutio, wie es denn nächstes jahr mit ihm weitergeht und dass er wüsste, dass der gastregisseur im nächsten jahr, dieser dino, dass der nur mit ihm erfolg haben würde. um viertel nach eins beschwert sich die darstellerin der mutter des romeo: ‚dass immer von sparen gesprochen wird, dieses jahr, aber zwei damen als gäste in ihrem fach engagiert wurden‘, und wirft ihr rotweinglas demonstrativ an die wand, um halb drei flüstert einem das geburtstagskind, die darstellerin der julia, dann unter tränen ins ohr, ob sie nicht längst zu alt sei für die julia. und man sagt was und denkt sich, ich bin zu alt für diese party jedenfalls heute, und dann geht man wieder durch diese stadt, in die man niemals wollte und die einen längst geschluckt hat, vorbei an der spielhölle, dem waschcenter und dem mulitplexkino und freut sich auf die probe morgen, naja genauer gesagt heute.“
Letztlich gibt es kein Rezept.
Obwohl Sie gern ins Theater gehen – Premieren eigener Inszenierungen schauen Sie sich also nicht an.
Wer sich als Regisseur in die Premiere seiner eigenen Inszenierung setzt, ist ein mutiger Mensch. Mir fehlt dieser Mut. Vorhang hoch? Nur raus aus dem Theater! Ich bin schon froh, wenn ich pünktlich zum Schlussapplaus komme. Meistens werde ich per SMS benachrichtigt. Einmal, bei Camus’ „Die Gerechten“ am Deutschen Theater, kam ich zu spät. Die Kritik bemerkte, ich hätte mich wohl – zu Recht! – von meiner eigenen Arbeit distanziert. Auch wenn die Aufführung dann im Repertoire läuft, sitze ich ungern in Vorstellungen. Die gehören dem spielenden Ensemble. Ich möchte nicht in die Gefahr geraten, da hineinzureden.
Es fiel schon der Name Einar Schleef. Sie haben fast alle seine Erzählungen für die Bühne aufbereitet. Wo liegt die Faszination?
In den späten Achtzigern hörte ich den Namen Schleef zum ersten Mal. Seine Werke kannte ich nicht. Ich hab später mal einen Text darüber geschrieben, dass ich ihn nicht leiden kann. Nicht als Kollegen. Nicht als Dramatiker, denn er war er mir zu tendenziös. Auch seine Rücksichtslosigkeit gegenüber allen, auch gegenüber den allernächsten Menschen, mochte ich nicht. Nicht seine verstiegenen Theorien, nicht sein Verhältnis zu Sangerhausen, wie konnte man nur derart abhängig und hasserfüllt auf so eine dreckige Stadt blicken. Sein Verhältnis zu seiner Mutter mochte ich auch nicht, so übertrieben wie das Chor-Geschrei auf der Bühne. Schon gar nicht mochte ich die Schleef-Epigonen, die noch hündischer sein wollten als die Müller-Epigonen. So eine Suada habe ich in dem Text losgelassen, die wollte gar kein Ende finden – alles aufgehäuft und losgelassen für das einzig denkbar Fazit: „ich danke einar schleef er von allen zeitgenössischen hat mein theaterleben am stärksten verändert“.
Wobei? Auf der Suche nach dem, was an Allgemeinem noch in der scheinbar kleinsten, banalsten, gleichförmigsten Biografie steckt?
Es gibt keine kleinen, banalen, gleichförmigen Biografien! Auch „Gertrud“, sein Mutter-Roman, war für mich eine zentrale Erfahrung: wie dieser Schleef in sich geht, wie er sich in alles verbeißt, was sein Leben ausmacht. Das Mansfelder Land, Sangerhausen, Nordhausen, das kenne ich ja alles, dieses Gefühl von Fremdsein, dieses Leben mit ständigen Fluchtgedanken, dieses Weggehen und Wiederkommen und doch niemals Ankommen. Das Harzer Vorland, aus dem Schleef kommt, der Südharzer Mutterboden, das ist Nässe, feuchte Erde, klamme Luft, die Kleingärten hucken frierend aneinander.
Der Deutsche aus Sangerhausen, ein Wundgelebter durch und durch. Schon der Name: Einar. Wer 1944 seinen Sohn so germanisch nennt, verrät ihn, und sei es unbewusst, an den totalen Krieg. An den Kampf mit Gespenstern. Der Kyffhäuser liefert dazu die dunkle Kulisse. Früh ist Schleef darauf vorbereitet, dass ihm alle Welt ein Sangerhausen bliebe.
Dieses trübe Germania.
Vor 1961 fährt sein Vater mit dem Jungen (der trägt Pionierabzeichen) nach Westberlin, man will Einar drüben „in gute Hände“ geben, ein Abschiebeversuch wie im Märchen von Hänsel und Gretel, Westberlin ist der dunkle Wald. Der drüben ausgesuchten Familie schien dies doch ein zu großes Risiko zu sein – aber der Trauma-Stempel drückt lebenslang. Er schreit nach Sinn und Kunst, als könne er damit den Schrei nach Halt überdröhnen. Die Kunsthochschule Berlin-Weißensee, der Rauswurf, die Schülerschaft bei den Bühnenbildnern Heinrich Kilger und Karl von Appen, die Jahre am Berliner Ensemble, 1976 dann Dienst-Reisen ans Burgtheater, keine Rückkehr in den Osten („mit Gepäck für vier Tage“).
In Wien schläft er hinter Bahnhöfen, „ich konnte das Problem nicht wegfressen, dass ich hier nichts zu suchen hatte“. Es gibt Abarten der Freiheit, die ins Gegenteil eines freien Lebens führen. Etwa die Keimfreiheit. Schleef kämpfte gegen die Keimfreiheit. Das Gemüt dieses Regisseurs, Bühnenbildners, Malers, Schriftstellers und Fotografen war ein schmutziges Gemüt; Schmutz verstanden als philosophische Kategorie. So einer singt die Liebe anders als andere. Er fand das befremdlich, dass man sich im Westen nicht schlug, nicht biss, wenn man Liebe machte, nicht mit Männern, nicht mit Frauen. Kann man nachlesen, in den Tagebüchern, zweitausend Seiten.
Solchen Leuten geht man gern aus dem Weg.
Auf Wegen trifft man sie ja gar nicht, nur auf Geröllpfaden, im Unwegsamen, an Steilhängen, in Straßenschluchten, „ich gehe gern, bis ich keuche, ich muss die Welt zurücklassen, das ist der schöne Lohn für blutende Füße“. Ich hab ihn mal mit dem Taxi, von der Probebühne in Berlin-Rummelsburg, ins Stadtzentrum mitgenommen, da ist er kurz vorm Ziel, dem BE, bei geringer Geschwindigkeit des fahrenden Autos, hinausgesprungen. Ich dachte, der bricht sich alle Knochen. Am nächsten Tage sagten die Kollegen, das kennen wir, das war sein hoch entwickelter Geiz, er wollte nicht in die Gefahr kommen, bezahlen zu müssen.
Jutta Hoffmann hat das bestätigt, eine „seiner“ grandiosen Schauspielerinnen: Dies sei der Geiz all jener, die von ganz, ganz unten kommen. Ein Mann, oft in Sandalen und einschnürend umgehängter Reisetasche. Der Motor, der ihn von der Welt abstieß, war genau so stark wie jener andere Motor, der ihn auf eine Sache zurasen ließ.
Kunst nicht als Produkt, sondern als Golgathaweg.
Schleefs Chöre waren seine Musen. Wenn die sangen, durfte man schon mal daran denken, dass die Musen einst in Griechenland wilde, kräftige Wesen waren, die als Haarschmuck die Schwungfedern der Sirenen trugen. Wenn diese Musen sangen, standen die Sterne still, und die Berge begannen zu wachsen und reckten sich höher, so dass die obersten Götter Angst bekamen um ihren Himmel. In der stillen Mitternacht konnte man in ganz Griechenland das ferne Stampfen ihrer tanzenden Füße vernehmen. So wogten, peitschten Schleefs Chöre. Oder waren auf geradezu bohrende Weise zärtlich.
Szene die baugrube, Regie: Armin Petras, Berliner Ensemble 1995
Wobei mich dieser Drill auch abstieß, oder sagen wir’s milder: Ich konnte nicht viel damit anfangen. Ich war lang genug bei der Armee. Aber er hatte schon was Magisches und Magnetisches.
Für Schleef war die Existenz als Künstler sehr hart.
Immer wieder die Aggressivität aufzubringen, um die herrschenden Zustände zu attackieren, das geht nur, wenn man gleichzeitig daraus Energie für das eigene Lebe...