Lockdown: Das Anhalten der Welt
eBook - ePub

Lockdown: Das Anhalten der Welt

Debatte zur Domestizierung von Wirtschaft, Politik und Gesundheit

  1. 208 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Lockdown: Das Anhalten der Welt

Debatte zur Domestizierung von Wirtschaft, Politik und Gesundheit

About this book

Diesem richtungweisenden Buch prophezeit Bernhard Pörksen eine "theoriegeschichtliche Brisanz". "Hier wird tatsĂ€chlich diskutiert, hart in der Sache gerungen, polemisiert und dann wieder mit einer Leichtigkeit und einer stilistischen Eleganz nuanciert und differenziert, die mir Bewunderung abnötigt. (
) Streit bietet eine Erkenntnischance eigenen Rechts – das ist die Einsicht, die fĂŒr mich aus der LektĂŒre dieses Buches und dem Disput in all seinen ­Facetten folgt."Die Debatte ĂŒber die Pandemie und die gewaltigen Folgen fĂŒr Individuen und Gesellschaften ist in den Medien in vollem Gange. Man sollte sie aber nicht dem medialen AlltagsgeschĂ€ft ĂŒberlassen. Carl-Auer macht die systemische Debatte wirklich explizit. So kann sie schĂ€rfer beobachtet und wesentlich fruchtbarer werden.Heiko Kleve, Initiator des Projektes, konnte Steffen Roth und Fritz B. Simon gewinnen, sich auf eine Weise miteinander zu streiten, dass der von Bernhard Pörksen dankbar registrierte Effekt eintritt. Die Ausgangsfrage nach dem VerhĂ€ltnis von Politik und Wirtschaft in pandemischen Zeiten fĂŒhrt unweigerlich auch zu Fragen von Moral und Amoral, von Intervention oder Laissez-Faire und zum VerhĂ€ltnis von theoretischer Ausrichtung und praktischer (Nicht-)Einmischung.Prominente GĂ€ste aus Wirtschaft, Sozialwissenschaft, Organisationsberatung, Kunst und Ökologischer Forschung rufen provozierend dazwischen und bringen die Debatte in weitere relevante Kontexte.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Lockdown: Das Anhalten der Welt by Heiko Kleve, Steffen Roth, Fritz B. Simon in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Social Sciences & Social Science Research & Methodology. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.
Richtung Freiheit. Die Regierung muss die EinschrĂ€nkung der Grundrechte mit jedem Tag, der vergeht, besser begrĂŒnden.
Die Zeit, 22. April 2020
3.400.000.000.000 Euro: Das ist die Corona-Quittung, fĂŒr die wir alle zahlen werden
FOCUS Online, 22. April 2020
EU billigt 500-Milliarden-Hilfspaket – Merkel sagt Nein zu Corona-Bonds
FAZ, 23. April 2020
A Coronavirus Death in Early February Was â€șProbably the Tip of an Icebergâ€č
New York Times, 23. April 2020
Who’s Behind the â€șReopenâ€č Protests?
New York Times, 23. April 2020

1Das Anhalten der Welt – oder: Was kommt danach?

von Heiko Kleve
23. April 2020
Wir leben in einer »Wendezeit«,1 in einer Zeit, die zugleich Krise und Neuanfang ist. Derzeit steht die Welt noch still. Der Lockdown löst sich nur sehr langsam. Der Weg in die »neue NormalitÀt« wird bisher schleichend beschritten. Das ist eine gute Zeit, um fundamentale Fragen zu stellen, Fragen, die die Zeit nach dem »Anhalten der Welt«2 in den Blick bringen.
Bei Carl-Auer stellen wir solche Fragen in fundamentaler, grundsĂ€tzlicher und paradigmatischer Weise. DafĂŒr sind wir bekannt und beliebt. Wir schauen systemisch auf die Systeme unserer global vernetzten Gesellschaft. Denn mit uns wollen viele wissen und schon jetzt darĂŒber spekulieren, wie sich die beiden Systeme in Zukunft miteinander ins VerhĂ€ltnis setzen, die unser privates und berufliches Leben in nahezu allen Bereichen bestimmen, und zwar die Wirtschaft und die Politik.
Wir wissen, dass das Medium der Wirtschaft, Geld, nicht alles ist – dass aber alles nichts ist, wenn wir kein Geld haben, um unsere Existenz zu sichern. Aufgrund des Lockdowns, der zahlreiche Wirtschaftsbereiche stillstellt, der fĂŒr viele Menschen extrem existenzgefĂ€hrdend ist, ihre ökonomischen Einkommensquellen versiegen lĂ€sst, springt die Politik mit milliardenschweren Hilfsprogrammen ein. Der politische Staat, der mit seiner Macht kollektiv bindende Entscheidungen treffen kann und aus gesundheitlichen GrĂŒnden den Lockdown verordnet hat, ist zugleich der Retter aus der Not.
Wir fragen, ob diese »neue NormalitĂ€t« ein grundsĂ€tzlich anderes VerhĂ€ltnis von Wirtschaft und staatlicher Politik entstehen lĂ€sst. Gehen wir also auf eine neue Form von Sozialismus zu, in der der Staat die gesamte Gesellschaft finanziert, plant und mit seinen verbindlichen Vorgaben strukturiert? Oder werden wir eine neue Form des Radikalliberalismus erleben, in dem der bald bettelarme Staat, dessen Kassen wieder leer und gebeutelt sind, sich aus den gesellschaftlichen SphĂ€ren zurĂŒckzieht, und zwar drastischer und nachhaltiger als je zuvor?
Um diese Themen zu diskutieren, kommen zunĂ€chst zwei Protagonisten zu Wort, die ihre gegensĂ€tzlichen Positionen aufeinanderprallen lassen: Prof. Dr. Fritz B. Simon, Systemwissenschaftler mit allumfassenden Interessen, sowie Prof. Dr. Dr. Steffen Roth, Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler, der in gleicher Weise allseits interessiert und international bekannt ist, z. B. fĂŒr seine systemtheoretische Expertise. WĂ€hrend Fritz Simon im »Anhalten der Welt« die Chance sieht, das Ende des Marktfundamentalismus einzulĂ€uten, offenbart sich fĂŒr Steffen Roth die Situation anders; fĂŒr ihn war der Staat bereits in den letzten Jahrzehnten das dominante Gesellschaftssystem.
Meine Rolle wird sein, diesen Disput zu moderieren, die Positionen zuzuspitzen, um damit die Diskussion zu fokussieren. Als Sozialwissenschaftler mit der Intention, Systemtheorie und Liberalismus zu vereinen, freue ich mich, dass der Verlag meine Idee aufgegriffen hat, die benannten Fragen mit renommierten Akteuren kontrovers zu diskutieren.

Eine andere Rotation

von Fritz B. Simon
Die Welt steht nicht still, aber im Moment scheint sie die Drehrichtung zu Ă€ndern – nicht zurĂŒck, sondern irgendwie anders (Ende der Metapher). Dass es nicht gut ist, wenn Tausende von Menschen sterben, die Freiheitsrechte des Einzelnen beschrĂ€nkt werden und die Wirtschaft in ein kĂŒnstliches Koma versetzt wird, kann kaum bezweifelt werden. Doch wie meist gibt es Gutes im Schlechten.
Wir sind ja Zeugen und Betroffene eines radikalen Prozesses. Der Staat zeigt seine Muskeln, indem er Grenzen setzt: fĂŒr die Freiheit des Einzelnen, der Unternehmen, des öffentlichen Lebens, der ReligionsausĂŒbung usw. Mit anderen Worten: Es wird regiert.
Die Sorge, dass staatliche Vorgaben und Kontrollen, die einmal eingefĂŒhrt sind, nicht mehr zurĂŒckgedreht werden, ist berechtigt – wenn auch in den etablierten Demokratien weniger als in autoritĂ€r regierten LĂ€ndern des ehemaligen Ostblocks.
Wir leben in der (westlichen) Welt in einer funktionell differenzierten Gesellschaft. Die RadikalitĂ€t der Änderung der Drehrichtung dieser Welt besteht meines Erachtens darin, dass die Beziehung der Funktionssysteme gerade verĂ€ndert wurde. Seit der von Ronald Reagan und Margaret Thatcher beförderten »Revolution« war de facto das Wirtschaftssystem allen anderen Funktionssystemen, d. h. auch dem politischen System, ĂŒbergeordnet. Dabei wurde »Wirtschaft« synonym zu »Markt« verstanden. Die zunehmende Deregulierung der MĂ€rkte fĂŒhrte in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens zur Verabschiedung des Staates aus der Verantwortung fĂŒr ĂŒberlebensnotwendige Infrastrukturen. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass in der gegenwĂ€rtigen Krise gerade in den LĂ€ndern, in denen das Gesundheitssystem am radikalsten privatisiert oder »kaputtgespart« wurde, die meisten Corona-TodesfĂ€lle zu beklagen sind.
Die Chance, die in der gegenwÀrtigen Krise liegt, besteht meines Erachtens darin, dass die Politik (d. h. nicht unbedingt: der Staat) wieder in die Verantwortung geht, wenn es um die Frage geht, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Denn der ungeregelte Markt und seine Mechanismen geben auch eine Antwort auf diese Frage: die zwangslÀufige Spaltung der Gesellschaft.

Fluktuation

von Steffen Roth
Stillstand sieht anders aus. Im Lockdown treibt es uns aus den Löchern. Indem wir die einen Masken aufsetzen, lassen wir die anderen fallen. GrĂŒnen macht das Virus jetzt blauen Himmel und Lust auf mehr. Postwachstumsflagellanten erfreut, dass man im KĂ€fig nicht mehr der Gejagte ist. Liberale lesen wieder Foucault. Und bis hin zum UN-GeneralsekretĂ€r lĂ€sst man keinen Zweifel daran, dass sich »die Wirtschaft« im Gegenzug fĂŒr staatliche Krisenhilfe politischen Zielen unterordnen muss. Erst reinschubsen, dann erpressen. Politik beansprucht einmal mehr den Vorrang vor allen anderen Funktionssystemen.
Das kann feiern wer will, einen grundlegenden Richtungswechsel kann ich darin nicht erkennen. Zum einen ist diese Hybris allen Funktionssystemen gemein. Zum anderen betreiben wir seit einiger Zeit Big-Data-Forschung zum Bedeutungswandel der Funktionssysteme zwischen 1800 und 2000.3 So können wir den RĂŒckgang der Religion, einen Zuwachs der Wissenschaft und den sanften Aufstieg des Informationszeitalters nachvollziehen. Was unsere Daten nicht hergeben: eine dominante Stellung des Wirtschaftssystems. Vielmehr zeigt sich das letzte Jahrhundert als politisches Jahrhundert, und das quer durch alle untersuchten SprachrĂ€ume. »Mehr Politik« wĂ€re demnach kein »new normal«. Mehr Politik wĂ€re einfach nur mehr vom Selben.
Ob mit oder ohne Krise wĂ€re eine andere Gesellschaft somit eine, die neben Politik und dem Indexpatient Wirtschaft andere Funktionssysteme nicht nur kennt, sondern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rĂŒckt. Das Spiel »Andere Gesellschaft« geht demnach nicht ohne Politikblindheit. Nur so wird der Biedermeier zum Brandstifter.
Bis die notwendige Unbeobachtung der Politik gelingt, ist man mit einem multifunktionalen Liberalismus gut beraten. Anders als der aktuell geschmĂ€hte Neoliberalismus wĂŒrde sich diese Spielart des Liberalismus nicht nur auf Wirtschaft, Recht und Politik konzentrieren, sondern sich dem wechselseitigen Interventionsschutz aller Funktionssysteme verschreiben, und somit die reflexive Bescheidenheit, die sowohl dem Liberalismus als auch der Systemtheorie zu eigen ist, konsequent auf die Beobachtung aller Funktionssysteme ausweiten.
Die Stimmung wird kippen
Berliner Zeitung, 24. April 2020
Überfordert der Staat sich selbst – und seine BĂŒrger?
Tagesspiegel, 25. April 2020
Gesellschaft im Hygienestress: HĂ€ndewaschen nie vergessen!
FAZ, 26. April 2020
SchÀuble warnt vor zu hohen Erwartungen an den Staat
Spiegel, 26. April 2020
Reopening Has Begun. No One Is Sure What Happens Next.
New York Times, 26. April 2020
A Few Thousand Protest Stay-at-Home Order at Wisconsin State Capitol
New York Times, 26. April 2020

2Die Welt lÀuft weiter, vielleicht schneller als je zuvor

von Heiko Kleve
26. April 2020
Die Welt steht nicht still. Auch wenn wir alle derzeit unsere physische MobilitĂ€t reduzieren mĂŒssen, ist von sozialer Distanzierung nichts zu merken. Die Kommunikation, also die soziale Grundoperation der Gesellschaft, lĂ€uft auf Hochtouren. Da sind sich beide Diskutanten einig. Der Dissens besteht in der Frage, welches gesellschaftliche Funktionssystem seine Kommunikationen dominant setzt. Derzeit ist es die Politik mit dem Gesundheitssystem im RĂŒcken, das die Frage nach »gesund oder krank« auf die Fundamentaldifferenz von »Leben oder Tod« zuspitzt und damit den politischen Akteuren auf den Leim geht. Aber wie war es vorher: in der PrĂ€-Corona-Zeit? Fritz Simon diagnostiziert, dass das Wirtschaftssystem seine Unterscheidungen der Gesellschaft ĂŒbergestĂŒlpt hat; er sieht eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Steffen Roth widerspricht: Wir lebten und leben in politischen Zeiten, in denen alle Lebensbereiche mit staatlichen Interventionen rechnen mĂŒssen. Beide frage ich nun, wie sich die jeweiligen Behauptungen empirisch unterfĂŒttern lassen. Woran erkennen wir die wirtschaftliche bzw. die politische Dominanz? Ich bitte also um Beispiele.

Selbstkastration des Staates

von Fritz B. Simon
Um herauszufinden, dass Religion als Funktionssystem an Bedeutung verliert, braucht man wahrscheinlich keine Big-Data-Forschung, sondern es reicht der sonntĂ€gliche Kirchgang 
 Offenbar kommt die Gesellschaft ohne Religion ganz gut zurecht (ohne Kunst auch, wie das gegenwĂ€rtige Corona-Großexperiment nahelegt). Anders steht es mit den anderen Funktionssystemen. Weder Politik noch Wirtschaft sind verzichtbar – und Ähnliches gilt in der westlichen Gegenwartsgesellschaft fĂŒr Rechtssystem, Erziehung, Wissenschaft und Gesundheitssystem. Die Frage ist nicht, wessen System-Hybris berechtigt ist, sondern wie die Gesellschaft die Paradoxien bewĂ€ltigt, die daraus resultieren, widerstreitenden, sich logisch gegenseitig negierenden Zielen und Interessen gleichzeitig gerecht werden zu mĂŒssen. Es geht also um das VerhĂ€ltnis der Funktionssysteme zueinander – und zwar nicht auf einer abstrakten theoretischen Ebene, sondern pragmatisch, d. h. bei der Setzung von PrĂ€missen der Entscheidung bzw. dem konkreten Ents...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Das Anhalten der Welt – oder: Was kommt danach?
  7. 2 Die Welt lÀuft weiter, vielleicht schneller als je zuvor
  8. 3 Organisation gesellschaftlicher Aufgaben
  9. 4 Vom FĂŒr und Wider der Politisierung bzw. Ökonomisierung zur Staatskritik
  10. 5 Den Blick weiten
  11. 6 Politik und Wissenschaft dezentrieren sich
  12. 7 Die neuen Symbiosen – oder: Die systemischen Esel
  13. 8 Tief, ganz tief, hinter den Systemen
  14. 9 Schrumpfendes Wachstum
  15. 10 Verschwörung, die Zweite – oder: Selbstreferenz der Wahrheitssuche
  16. 11 Wie aus gemeinsamer Blödheit soziale Klugheit wird
  17. 12 Alles bleibt, wie es ist, weil es sich permanent verÀndert
  18. 13 Umsteuern der Gesellschaft
  19. 14 Die Moralisierung der Corona-Gesellschaft
  20. 15 Der Sternenhimmel der Werte
  21. 16 Die Existenz des Todes
  22. 17 Die »neue NormalitÀt« der Systeme
  23. 18 Eine andere Gesellschaft ist (un)möglich
  24. 19 Die Unterscheidung
  25. 20 Die Verantwortung der Systemtheorie
  26. Das Aushalten der Welt
  27. Fortsetzung folgt 

  28. Anmerkungen
  29. Über die Autoren
  30. Über die Zwischenrufer