Die Anwendung
erkenntnistheoretischer
Grundlagen im
Alltag
WELCHEM WISSEN SOLLTEN SIE
VERTRAUEN?
Nach all diesen Ausführungen fragen Sie sich vielleicht, welchem Wissen Sie überhaupt noch vertrauen können. Optische Täuschungen kennen wir alle, doch sollten die Sinne wegen eines Fehlers verworfen werden und ist die Erkenntnis allein mit dem Verstand wirklich sinnvoll? Oder kann Ihr Verstand vielleicht auch getäuscht werden?
Selbst wenn die Sinne keine klare Erkenntnis über die Welt an sich bringen würden, so lebt der Mensch in seiner eigenen Realität und in dieser ist es vollkommen legitim, die Sinne als Quelle der Erkenntnis ebendieser eigenen Welt zu verwenden. Dabei sollten Sie sich bewusst machen, dass Ihre Wahrnehmung keine objektive Darstellung der Realität ist, genauso wenig, wie die der Menschen, die Sie umgeben. Um sich an der Erkenntnistheorie im Alltag zu orientieren, ist folglich Kants Theorie als Mischung des Rationalismus und Empirismus das Mittel der Wahl.
Denn bei der subjektiven Wahrnehmung der Realität geht es nicht nur um wahrhaftige Täuschung der Sinne, vielmehr, so der Oxford Experimentalpsychologe Robin Murphy, wird unsere Realität durch einen Wahrnehmungsfilter wahrgenommen. Dieser besteht beispielsweise aus Vorurteilen. Somit wäre die Idee der Empiristen, dass wahre Erkenntnis nur durch vorurteilsfreie, sinnliche Erfahrung erlangt werden kann, sehr schwer umsetzbar. Für eine solche Erfahrung müsste sich der entsprechende Empirist zunächst von allen Vorurteilen befreien. Dies ist zwar möglich, aber ein sehr langer Weg, der in empiristischen Erkenntnistheorien keine Erwähnung findet. So sehen Sie Ihre eigenen Vorurteile immer wieder in Ihrer Realität bestätigt, da Sie diese bereits als wahr angenommen haben.
Ein sehr weitverbreitetes Vorurteil in der heutigen Gesellschaft ist der Rassismus. So besitzen einige Menschen das Vorurteil, alle Geflüchteten seien kriminell. Dabei führen sie als Argumentation einen Artikel an, in dem von einer Vergewaltigung durch einen Geflüchteten berichtet wird. Dabei ist es egal, ob sie noch am selben Tag eine nette Konversation mit einem Geflüchteten hatten, diese wird von der entsprechenden Person als Ausnahme abgespeichert, anstatt das Vorurteil zu revidieren. Dafür kann die entsprechende Person gar nicht viel. Vorurteile entspringen dem Unterbewusstsein und können somit nicht einfach gelöscht werden. Es ist jedoch Ihre bewusste Entscheidung, sich aktiv gegen dieses Vorurteil zu stellen und Ihrem Verstand nicht blind zu vertrauen.
Um das Problem, dass Ihre Handlungen durch das Unterbewusstsein beeinflusst werden, zu umgehen, sollten Sie sich Ihrer eigenen Vorurteile bewusst werden. Das ist ein Schritt, der nicht sehr angenehm ist, denn Vorurteile sind ein Teil des Lebens, der nicht gern gesehen ist und häufig abgestritten wird. Doch wenn Sie sich umschauen, sehen Sie um sich herum viele Menschen, die von Ihren Vorurteilen geleitet werden. Es ist ein Mechanismus, der das Denken im Alltag reduziert und diesen somit einfacher macht. Denn eine stigmatisierte Zuordnung Ihres Gegenübers verbraucht weniger Kraft, als sich aktiv mit der Person auseinanderzusetzen.
Allerdings können Sie sich durch diese kategorische Sichtweise auch selbst im Weg stehen. Wenn Sie beispielsweise in Ihrer Kindheit einen Mitschüler aus guten Verhältnisse hatten, der sich mit dem Reichtum seiner Eltern profiliert und sich zudem abschätzig Ihnen gegenüber verhalten hat, so formt sich in Ihrem Unterbewusstsein das allbekannte Vorurteil „Geld verdirbt den Charakter“. Aus diesem Vorurteil hinaus schaffen Sie es womöglich nie, eine gesunde Beziehung zum Geld aufzubauen. Sie sabotieren sich selbst, damit Ihre Realität in dieses Vorurteil passt. Somit sollten Sie nicht nur die Sinne, sondern auch Ihren eigenen Verstand hinterfragen.
Kritisches Denken ist sehr wichtig, jedoch sollte dies nicht willkürlich geschehen. Theorien zu hinterfragen ist ein wichtiger Teil des wissenschaftlichen Fortschritts. Allerdings sollten die Beweise einer Theorie hinterfragt, jedoch nicht grundlos abgestritten werden. Denn unbegründete Kritik kann sehr viel Schaden anrichten. So kann beispielsweise die Chemophobie verheerende Folgen mit sich ziehen. Chemophobie ist definiert als die irrationale Angst vor Chemikalien.
Dabei ist die Irrationalität der Angst meist auf die Überschätzung der Gefahrenlage der Chemikalie, trotz gegensätzlicher Beweise, zurückzuführen. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die Kritik an der Krankheit Covid-19. So ist es wichtig, dass eine neue Theorie kritisch zu hinterfragen und getestet wird, doch sie schlichtweg abzulehnen, kann sehr gefährlich enden. Bei der Kritik wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie im Beispiel der Impfung, sollte sich die Frage gestellt werden, was passiert, wenn jemand an dieser Krankheit stirbt.
Die möglichen Folgen der Krankheit sollten also bei der kritischen Betrachtung des Impfstoffes berücksichtigt werden. Sollten Sie die Wirksamkeit dieser Impfung anzweifeln, so sollten Sie sich fragen, welcher Beweis erbracht werden müsste, damit Sie von der Wirkung überzeugt wären. Im Beispiel der Masernimpfung gibt es auch nach jahrelanger Bewährung des Impfstoffes und einer deutlichen Eindämmung der Krankheit immer noch Eltern, die sich vehement gegen eine Impfung ihres Kindes wehren. Diese Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die auf Beweisen beruhen, ist nicht nur keine sinnvolle Art, eine Theorie zu hinterfragen, sondern kann auch die eigene Gesundheit und die anderer gefährden.
Folglich ist kritisches Denken eine wichtige Methode, um Erkenntnis zu erlangen, es sollte jedoch nicht stur auf einer Kritik beharrt werden. Somit sollte Poppers Prinzip der Falsifikation nicht mit unbegründeter Skepsis gleichgesetzt werden. Es ist wichtig, eine bereits bewährte Impfung weiterhin zu überprüfen. Dies sollte allerdings nicht zu einer irrationalen Angst führen. Im Gegenteil: Die fortlaufende Überprüfung der Impfung ist ein wichtiger Teil, um diese noch sicherer zu machen, als sie ohnehin ist.
Abschließend sollten Sie sich selbst vertrauen, jedoch nicht blind. Dabei ist die Reflexion der eigenen Aussagen, genauso wie die anderer Personen, ein bedeutender Schritt, um Vorurteile oder unlogische Argumentation zu entlarven.
KAUSALITÄTEN UND
KORRELATION
Haben Sie auch schon einmal eine Aussage gehört wie „Ein erhöhter Käsekonsum tötet”? Meist unterstrichen mit einer Studie, die den Käsekonsum pro Kopf und die Todesrate durch einen bestimmten Unfall nebeneinandersetzt. Dies ist bei einer Zusammensetzung zweier Studien des U.S. Departments of Agriculture und dem Center for Disease Control and Prevention der Fall, wobei erstere die Entwicklung des Käsekonsums von 2000 bis 2009 betrachtet und letztere den Tod durch Verheddern in ihren Bettlaken. In diesem Beispiel ist es recht auffällig, dass es sich um keinen kausalen Zusammenhang handelt. Jedoch gibt es viele solcher absurden Beispiele, in denen genau das geschieht. Eine reißerische Überschrift, die statt einer Korrelation eine Kausalität verspricht.
Die Kausalität ist eine Beziehung zweier oder mehrerer Variablen, die auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung beruht. Also bedingen sich die Variablen gegenseitig. Eine Kausalität kann allerdings nicht nur aufgrund einer mutmaßlichen Behauptung angenommen werden. Sie muss empirisch, also durch Experimente, belegt werden. Dabei muss ausgeschlossen werden, dass die Wirkung durch irgendeine andere Ursache als die zu untersuchende hervorgerufen wurde. Ein Beispiel für einen kausalen Zusammenhang wäre: Bei erhöhter Außentemperatur tragen die Mensch...