Neue Arbeit, neue Kultur
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Neue Arbeit, neue Kultur

Frithjof Bergmann, Stephan Schuhmacher

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  1. 426 pages
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Neue Arbeit, neue Kultur

Frithjof Bergmann, Stephan Schuhmacher

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Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen -das Grundlagenwerk zur New-Work-BewegungWie kann die Zukunft der Arbeit aussehen? Frithjof Bergmann beschreibt in diesem Buch die neuen Perspektiven derArbeitsgesellschaft, die als "New-Work"-Konzept bekannt wurden und heute aktueller sind denn je. Im Vordergrund seiner Arbeit steht die Frage, was wir wirklich wirklich wollen, wo Talente und Stärken liegen, und wie diese mit der Arbeitswelt verknüpft und Neue umgesetzt werden können.Frithjof Bergmann, in Sachsen geboren, ist Philosoph und Anthropologe. Er wanderte als 19-Jähriger nach Amerika aus und lehrte als Philosophieprofessor in Princeton, Standford, Chicago, Berkeley und Ann Arbor.Als Erfinder der "New Work" berät er seit Jahrzehnten Wirt- schaftsverbände, Unternehmen, Regierungen und Kommunen in aller Welt. Ausgehend von der Untersuchung des Freiheits- begriffs entwickelte er die Vision einer humaneren und lebens- werten Zukunft, durch den intelligenten Gebrauch innovativer Technologien.

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Information

Publisher
Arbor
Year
2020
ISBN
9783867812849
Kapitel IV
Die Wirtschaftsform der Neuen Arbeit
Es wird keine Alternative zu unserer gegenwärtigen Kultur geben, solange wir keine alternative Wirtschaftsform schaffen, auf deren Basis sich die neue Kultur entwickeln kann.
Nicht selten spricht mich jemand an, lädt mich zu einer Party zu sich nach Hause ein und fragt mich dann im Laufe des Gesprächs, ob ich wohl am Beispiel von drei oder vier Gästen zeigen wolle, was genau ich tue, wenn ich Menschen helfe herauszufinden, was sie wirklich, wirklich wollen. Das ist beinahe so, als bäten sie einen Amateurzauberkünstler, bei einer Party einigen Geburtstagsgästen Münzen oder Eier aus der Nase zu ziehen. Bevor ich fortfahre, möchte ich in aller Bescheidenheit sagen, dass Menschen zu helfen herauszufinden, was sie wirklich, wirklich wollen, auch nicht das Geringste mit „Eiern aus der Nase ziehen“ zu tun hat. Hat sich jemand ein paar chiropraktische Kunstgriffe erhofft, ein einfaches und kurzes Rezept, ist es für ihn enttäuschend zu hören, dass es oft ein langsamer und anstrengender Prozess mit unerwarteten Wendungen ist, vielleicht ein Unterfangen, für das man bedeutend mehr als zwei Wochenendseminare in einer idyllischen ländlichen Umgebung braucht. Es hilft vielleicht, sich daran zu erinnern, dass es nicht unser Ziel ist, Menschen dabei zu helfen, einen Job zu finden, der nicht allzu lästig ist und vielleicht sogar Spaß macht. Ohne arrogant oder überheblich sein zu wollen: Wir wollen einfach sehr viel höher hinaus! Wir packen das gern in folgende Formulierung: Spaß ist beliebig, reichlich vorhanden und leicht zu bekommen. Was jemand wirklich, wirklich will, ist selten, exklusiv und anspruchsvoll. Und viel mehr als das: Wir versuchen nicht, für die Menschen einen Job zu finden, der sozusagen in einem aufreizenden Minirock daherkommt. Nichts käme uns weniger in den Sinn. Ganz im Gegenteil. Unser Ziel ist allmählich eine Form der Arbeit zu etablieren, die den herkömmlichen Jobs völlig entgegengesetzt ist und von ihnen so verschieden wie nur möglich. Was wir anbieten, ist Hilfestellung bei diesem Übergang, beim Aufstieg vom Lohnarbeitssystem zu einem nächsten, intelligenteren und menschlicheren System der Arbeit.
Allein aus der Tatsache, dass wir den Menschen helfen, Arbeit zu finden, die sie sich zutiefst wünschen, folgt, dass die Gesprächssequenzen, die wir mit diesen Menschen, unseren Associates, führen, höchst persönlich und individuell sind. Diese Reihe von Gesprächen erstreckt sich manchmal über viele Monate, ja vielleicht sogar über ein ganzes Leben, manchmal sind sie auch sehr viel kürzer. Auf jeden Fall berühren sie verschiedenste Bereiche und springen zwischen vielen verschiedenen Themen hin und her, weil es darum geht, rasch auf eine Intuition, einen Vorschlag, eine Assoziation einzugehen. Spontaneität und Reaktionsschnelligkeit gehören zu ihrem Wesen, und vor allem folgen sie mit größtmöglichem Feingefühl den Konturen des jeweiligen Individuums. Ich will hier einige Phasen, die üblicherweise in einer solchen Gesprächssequenz vorkommen, umreißen. Die Art und Weise, wie diese Phasen aufeinander folgen, ist kohärent und logisch, im Einzelfall halten wir uns jedoch keineswegs sklavisch an diese Abfolge. Die Benennung dieser Phasen hilft uns vor allem, darzustellen und zu erklären, wie man Neue-Arbeit-Gespräche im Nachhinein überschauen und strukturieren kann. In den tatsächlichen Gesprächssituationen werden sie nicht unterschieden.
Nach einem öffentlichen Vortrag werde ich oft gebeten, wenigstens auf die Schnelle eine Vorstellung davon zu vermitteln, was der Prozess, jemandem zu helfen herauszufinden, was er oder sie wirklich, wirklich will, beinhaltet. Aus der Art und Weise, wie diese Frage gestellt wird, ist zumeist ersichtlich, dass ein konkretes Beispiel, eine erhellende kurze Geschichte erwartet wird. Es wäre dumm und überheblich, sich dieser Bitte zu entziehen. Aber ich weise zuvor stets darauf hin, dass der wirkliche Prozess sehr komplex und persönlich sein kann. In den zwei Jahrzehnten des Experimentierens mit der Neuen Arbeit haben sich viele denkwürdige Geschichten ereignet, und es haben sich selbstverständlich einige typische Ansätze herauskristallisiert, die man auch ohne Kontext und viel Erklärung anführen kann. Einer dieser Ansätze ist, die Woche, die jemand gerade durchlebt hat, rückwärts durchzugehen, vom Freitag zum Donnerstag, vom Donnerstag zum Mittwoch und so weiter. Dabei fordern wir die Menschen auf, dies mit viel Aufmerksamkeit und Konzentration zu tun und sich dabei wirklich echte Mühe zu geben, einen Punkt ausfindig zu machen, an dem sie einen Moment intensiver „Lust“ erfahren haben. Gewöhnlich erkläre ich dann noch in einigen Sätzen, welche Art von Lust wir in diesem Falle meinen und dass in diesem Kontext keinesfalls die Lust im Bett oder am Esstisch gemeint ist. (Wenn ich in Deutschland bin, betone ich, dass es sich nicht um „Freude“ handelt, denn Freude wird zu oft augenblicklich mit Schiller und Götterfunken und Beethoven in Verbindung gebracht, während wir im Gegensatz dazu nach etwas suchen, was wir im Englischen mit „pleasure“ bezeichnen, einer sehr impulsiven, körperlich spürbaren und plötzlich aufbrechenden „Lust“.) Aber einen Moment intensiver Lust bloß aufzuspüren ist nicht genug. Das Wichtigste ist, dass es sich dabei um eine Überraschung handelte, man einen solchen Moment überhaupt nicht erwartet hatte. Idealerweise sollte man im Rückblick darüber erstaunt und geradezu verwundert sein, dass die Reaktion in diesem Moment und unter diesen Umständen in intensiver Lust bestand. Wir versuchen einen ersten Hinweis darauf zu finden, welche Art von Arbeit ihnen ein überraschendes Gefühl freudiger Erregung vermitteln könnte.
Es gibt natürlich Fälle, in denen man damit keinen Erfolg hat, aber im Großen und Ganzen hat es viele Situationen gegeben, in denen das Resultat spannend, vielsagend und hilfreich war. Hier einige Beispiele. Stellen Sie sich den Fall einer außerordentlich schüchternen und zurückhaltenden Sekretärin vor, die gleich zu Beginn darauf bestand, dass ihr „calling“ etwas außerordentlich Zurückgenommenes und Stilles sein müsse, das sich möglichst abseits in einer Ecke abspiele, vorzugsweise hinter einer Trennwand. Zu ihrer größten Überraschung entdeckt sie nun, dass in der vergangenen Woche der Moment intensivster Lust der Moment gewesen war, in dem sie völlig die Kontrolle verloren und einen Taxifahrer in einem Ausbruch ungebremster Wut drei Minuten lang angeschrieen hatte. Die Tatsache, dass sie sich bei genauerem Hinsehen davon überzeugen konnte, dass sie bei dieser Begebenheit eine plötzliche und unerwartete Woge echter Lust erfahren hatte, ist natürlich ein Hinweis. Geht man diesem Hinweis und etlichen anderen nach, dann könnte man vielleicht herausfinden, dass die schüchterne Sekretärin in Wirklichkeit ein brennendes Verlangen danach hat, beachtet zu werden, mitten im gleißenden Rampenlicht zu stehen und vielleicht Managerin zu sein oder auf einer Bühne aufzutreten.
Im Laufe der Jahre bin ich natürlich sehr vielen ähnlichen Beispielen begegnet, und es trifft zu, dass die Geschichten einzelner Menschen, welche die Arbeit entdeckten, die sie wirklich, wirklich tun wollten, das, was wir anstreben, oft mit größerer Kraft und Klarheit zu kommunizieren vermögen als jede sorgfältig durchdachte theoretische Diskussion. (Die ungewöhnlichsten und seltsamsten Entdeckungen, an denen ich auf diese Weise teilnehmen durfte, möchte ich noch in einem Buch zusammenfassen.)
Gewöhnlich erzähle ich in diesem Zusammenhang noch zwei oder drei andere Dinge: Das eine ist die Anekdote über einen Klienten, der seit drei Jahren in Therapie ist und seinem Therapeuten voller Begeisterung erzählt, er habe am vergangenen Mittwoch gegen vier Uhr nachmittags endlich einmal etwas getan, das er wirklich, wirklich tun wollte. Wir haben diese kleine Geschichte schon benutzt, um die Armut der Begierde zu illustrieren, aber sie hat noch einen anderen Aspekt. Wenn wir über einen langen Zeitraum, vielleicht über Jahre hinweg etwas tun, treffen wir natürlich Entscheidungen. Allerdings laufen viele dieser Entscheidungen, wenn wir sie genauer unter die Lupe nehmen, auf eine Kapitulation hinaus. Wir tun das, was Eltern oder Lehrer von uns erwarten. Häufig unterwerfen wir uns auch einfach nur einem Stereotyp, einer Vorstellung davon, wie ein „wirklicher Mann“ oder eine „wahre Frau“ sich zu verhalten hat. Es ist also von entscheidender Bedeutung, dass wir einen deutlichen Unterschied machen zwischen einer solchen Kapitulation und einer Handlung, in der wir voller freudiger Begeisterung „genau das tun, was ich selbst wollte, und nicht das, was irgendjemand anderer wollte“. Das verhilft vielen Menschen dazu, etwas zu begreifen, denn ich erkläre, dass viele ihr Leben lang eine Arbeit leisten, um irgendeiner an sie gestellten Erwartung zu entsprechen. Und diese Arbeit ist, wie in der Therapie-Geschichte, eben nicht das, was sie selbst wirklich tun möchten.
Oft ziehe ich auch eine Metapher heran, die die meisten Leser vielleicht schon kennen, da sie in vielen grundlegenden Einführungen in die Neue Arbeit auftaucht: Wir nennen sie sarkastisch die „Wahl des Vegetariers“. Was wir damit meinen, ist, dass man einem Vegetarier die Wahl zwischen Schweinefleisch und Rindfleisch, also zwischen zwei Dingen, die er überhaupt nicht will, geben kann. Das soll den Punkt illustrieren, dass ein großer Unterschied besteht zwischen „eine Wahl haben“ (was viele Philosophen fälschlicher Weise mit „Freiheit“ gleichsetzen) und einer Situation, in der man tun kann, was man „wirklich, wirklich will“. Und das ist natürlich der Unterschied, den wir in Bezug auf die Arbeit machen.
Da es vielen Menschen, die sich ehrlich um ein Verständnis der Neuen Arbeit bemühen, schwer fällt, diesen Unterschied zu begreifen, greife ich manchmal zu folgender Parabel. Stellen Sie sich einen schon sehr betagten Diener vor, dessen Rücken und Hände von Arthritis stark verkrümmt sind. Fast sein ganzes Leben lang hat er einem überaus anspruchsvollen und nörglerischen Herrn gedient. Wenn etwa die Blumen auf dem Klavier dieses Meisters nicht frisch waren, dann pflegte er einen Wutausbruch zu bekommen, und er war auch sehr empfindlich, was Sonnenlicht und Schatten anging. Sobald die Sonne durch die Wolken brach, musste der Diener augenblicklich die Vorhänge schließen, verschwand die Sonne dann wieder, wollte der Herr, dass die Vorhänge augenblicklich wieder geöffnet wurden. Eines Tages starb der Meister, der noch älter war als sein Diener, plötzlich und unerwartet. Aber der Diener machte weiter. Er erfüllte seine Pflichten so penibel, wie er es zu Lebzeiten seines Herren getan hatte. Viele Jahre vergingen, und er wechselte immer noch jeden Tag die Blumen und beeilte sich immer noch, rechtzeitig die Vorhänge zu schließen und zu öffnen. An diesem Punkt halte ich dann inne und sage: Wie die Geschichte nun weitergeht, müssen Sie sich selbst ausdenken, und zwar jeder für sich. Aber natürlich können Sie sich alle vorstellen, wie die Neue Arbeit in diese Geschichte passt. Die Neue Arbeit ist der Fremde, der Bewegung in das Leben des Dieners bringt – der Diener, das sind wir alle –, indem er ihm sagt, dass er nicht mehr seinem Herrn gefällt, wenn er die Blumen wechselt und die Vorhänge schließt und öffnet. Sein Herr, so sagt ihm der Fremde, ist schon seit vielen Jahren unter der Erde, und er müsse nun herausfinden, was er auf sich allein gestellt tun wolle.
Diese Beispiele sollen darauf hinweisen, dass wir alle viel braver, viel ängstlicher sind, als wir uns die im Allgemeinen vorstellen, und dass die Aufforderung, endlich das zu tun, was wir wirklich, wirklich wollen, im Grunde ein Weckruf ist. Es geht um die Entscheidung, in der Zukunft weniger lauwarm, weniger wie ein folgsames Kaninchen zu leben, wobei im Unterton dieser Geschichten mitschwingt, dass dieses neue und kraftvollere Verhalten keineswegs auf Ablehnung stoßen, sondern für alle Beteiligten etwas Befreiendes und Beglückendes haben wird, das man feiern wird.
Nun, zu keinem dieser Gespräche kommt es natürlich gänzlich aus dem Blauen heraus und ohne Kontext. Das heißt, niemand sieht in den Gelben Seiten nach und klingelt plötzlich an unserer Tür. Bevor jemand sich darauf einlässt, mit uns eine Reihe intensiver Gespräche über seine oder ihre Strebungen zu führen, hat er oder sie schon auf andere Weise mit uns Bekanntschaft gemacht. Diese Menschen haben durch Zeitungen, Rundfunk oder Fernsehen, aber auch durch Vorträge und Seminare schon ein ungefähres Bild von unserer Geschichte gewonnen, kennen unsere Ziele und was wir bisher geleistet haben. All das ist vorausgesetzt und steht im Hintergrund, bevor sich etwas Persönliches abspielt. Tatsächlich zögern wir den Eintritt ins Persönliche und noch viel mehr den ins Psychologische oft absichtlich hinaus. Das kommt für viele, die bis dahin eine sehr begrenzte und enge Vorstellung von der Neuen Arbeit hatten, ziemlich überraschend. Ich lege diesen Menschen nahe, dass die Neue Arbeit etwas viel Weiteres und Umfassenderes ist, als sie wahrscheinlich vermutet haben, und ich deshalb zu Beginn einige der allgemeinen Ideen umreiße, welche die Neue Arbeit definieren, um damit ihre Ausrichtung zu verdeutlichen.
Als allerersten Schritt lege ich den Menschen (am Beispiel der gebundenen Füße der Chinesinnen) die sehr grundlegende Idee vor, dass die Arbeit die Menschen in der Vergangenheit verunstaltet hat und wir deshalb versuchen, ein neues System der Arbeit zu etablieren, das die Menschen stärkt und ihre Entwicklung fördert. In den meisten Fällen führe ich auch das Konzept des Lohnarbeitssystems und seiner pathologischen Entwicklung an und lasse auch die überwältigende Macht der Kopplung von Business und Arbeitsplätzen nicht unerwähnt. Mit großer Wahrscheinlichkeit umreiße ich außerdem bei dieser Gelegenheit unsere Vorstellung von den zwei Kulturen und erkläre, dass sich die Neue Arbeit als eine umfassende Mobilisierung versteht, der es darum geht, den Übergang von einer Kultur, die heute im Niedergang begriffen ist, zu einer grund-anderen Kultur, die noch in den Geburtswehen liegt, zu erleichtern.
Als Nächstes versuche ich dann begreiflich zu machen, dass es erst in einem späteren Stadium Übungen und praktische Anleitungen geben wird und sich die Zuhörer erst einmal darauf gefasst machen müssen, dass es zuerst eine Menge zu verstehen und zu lernen gibt. Es ist eines der größeren Hindernisse, mit denen die Neue Arbeit sich von Anfang an auseinander setzen musste, dass man sie nicht auf ein paar Slogans reduzieren kann. Sie ist etwas viel Komplexeres, und zu ihrem wirklichen Verständnis muss man einiges an Zeit und Geduld investieren.
Ziemlich früh konfrontiere ich die Versammelten auch einigermaßen abrupt mit den Ergebnissen eines informellen und begrenzten privaten Forschungsprojekts, dem ich von 1988 bis 1992 nachgegangen bin. Ich fragte dabei sehr viele verschiedene Menschen nach den Beweggründen, aus denen sie sich für ihren damaligen Beruf oder ihre damalige Arbeit entschlossen hatten. Das Resultat war traurig, bestürzend und in gewisser Weise schmachvoll. Zuerst einmal war die Zahl derjenigen, die keine wirkliche Wahl getroffen hatten, sondern die durch einen winzig kleinen Schubs in den Kanal hineingestoßen wurden, in dem sie dann für den Rest ihres Lebens abwärts trieben, außerordentlich groß (in meiner kleinen Studie lag sie bei 70 Prozent). Da gab es einen sympathischen Lehrer, ein unerwartetes Angebot, eine zufällige Bemerkung. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele dieser Menschen ihr Essen im Restaurant mit mehr Sorgfalt und in größerem Bewusstsein der Alternativen wählen, als es bei der Wahl ihrer Arbeit der Fall war. Zum Zweiten ging es um die Palette an Möglichkeiten, derer sich die Befragten bewusst waren. Oft gab es da nicht mehr als den Arzt, den Anwalt, den Prediger und den Feuerwehrmann. Diesen besonderen Mangel zu beheben wurde in den folgenden Jahren eines der Hauptziele der Neuen Arbeit. Einer der wesentlichen Gründe hierfür hatte mit Zeit und Wandel zu tun.
In der Vergangenheit, so versuche ich dann zu verdeutlichen, war die Arbeit etwas ziemlich Stabiles. Es gab nur eine eng begrenzte Zahl von Berufen und Möglichkeiten, und viele davon waren einander recht ähnlich. Diese Zeiten sind vorbei. Seit einigen Jahren verschwinden immer mehr Bereiche der Arbeit wie sinkende Schiffe, und gleichzeitig tauchen neue, zuvor unbekannte Möglichkeiten der Arbeit auf. Sich der Totalität dieses Wandels bewusst zu werden ist keine Aufgabe, die man so nebenbei bewältigen könnte. Es bedarf dauernder, hochkonzentrierter und intelligenter Beobachtung, um in dieser Entwicklung auf dem Laufenden zu bleiben.
Ich habe zahlreiche Vorträge vor Berufsberatern gehalten, mehrmals auf nationalen Kongressen, und mein Thema war nicht gerade schmeichelhaft. Ich behauptete, dass ein neuer Studienzweig, eine neue Disziplin aufgetaucht sei. Die evolutionären Tendenzen im Bereich der Arbeit seien in jeder Hinsicht so komplex und schwer zu verstehen wie die in der Biologie. Deshalb besäßen Menschen, die diese Disziplin nicht studiert hätten, nicht die Kompetenz, andere in Fragen der Berufswahl zu beraten. Es dennoch zu tun sei verantwortungslos, eine Schande. Es wäre etwa so, als beantworte man die Fragen von Touristen, die sich verlaufen haben, ohne die geringste Ahnung vom Stadtplan zu haben – mit dem gravierenden Unterschied, dass hier nicht nur ein Urlaubstag, sondern lebenslange Arbeit auf dem Spiel steht. Dieser ganz neue Aspekt der Struktur der Arbeit hat einige der Projekte hervorgebracht, in die wir involviert waren. So haben zum Beispiel Gruppen mit Verbindung zur Neuen Arbeit Lehrpläne für Kurse ausgearbeitet, in denen künftige Berufsberater sich diese Information aneignen können. Wir haben ähnliche Lehrpläne auch für Schulen geschrieben und diese als Grundlage für den Unterricht als Hauptfach auf Mittel- und Oberschulen vorgestellt. Das war absolut notwendig geworden. Studenten können sich heute nicht mehr an drei Abenden oder in einem Seminar über die Arbeitmöglichkeiten, zwischen denen sie wählen können, informieren. Die Fülle des Materials lässt sich in solch kurzem Zeitraum einfach nicht behandeln.
Die meisten Gruppen beginnen an diesem Punkt zu begreifen, dass der Prozess des Herausfindens, was sie wirklich, wirklich wollen, etwas ganz anderes ist als das, was sie sich zu Beginn vorgestellt hatten. Ich habe ihnen keineswegs nur tief in die Augen geschaut, um ihre verborgenen Wünsche zu erraten, sondern es wird ihnen klar, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt schon einiges an Vorbereitung präsentiert habe. Diese Dinge trage ich mit Absicht immer in einem eher undramatischen und beiläufigen Tonfall vor, um die Atmosphäre zu lockern, denn es dauert nicht lange, bis sich der unvermeidliche Schock und die daraus resultierenden Spannungen einstellen.
Wenn ich das Gefühl habe, dass diese Vorbereitung gegriffen hat, dann gehe ich weiter und mache den ersten etwas schwierigeren und schwieriger zu verkraftenden Schritt. Das geschieht meistens, wenn ich eines der Markenzeichen der Neuen Arbeit ins Gespräch bringe, nämlich den Satz von der Arbe...

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