Erziehung des Herzens
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Erziehung des Herzens

Buddhistisches Geistestraining als Weg zu Liebe und Mitgefühl

Chögyam Trungpa, Ulli Olvedi

  1. 224 pages
  2. German
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Erziehung des Herzens

Buddhistisches Geistestraining als Weg zu Liebe und Mitgefühl

Chögyam Trungpa, Ulli Olvedi

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59 herausfordernde Losungen stehen im Mittelpunkt dieses Buches - Losungen, die seit acht Jahrhunderten von tibetischen Lehrern in der Unterweisung von Meditationsschülern genutzt werden. Den Schülern dienen sie - noch heute - vor allem als Erinnerungshilfe und als Fokus: Auf die wichtigen Prinzipien und Praktiken der buddhistischen Geistesschulung.Achtung! Die Nutzung dieses Buches könnte Ihrem Ego gefährlich werden, denn die Anleitungen in diesem Buch zielen darauf, Liebe und Mitgefühl gegenüber anderen zu kultivieren.Chögyam Trungpa versteht es, uns die alten Überlieferungen und grundlegenden Unterweisungen in einer zeitgemäßen und lebendigen Form nahe zu bringen. Uns sagen diesen Unterweisungen heute vor allem eines: "Begegne den alltäglichen Situationen des Lebens mit Intelligenz und Mitgefühl!"Stimmen zum Buch: "Auch Menschen, die nicht mit der Meditationspraxis vertraut sind, bekommen durch die Lojong-Lehren die Möglichkeit, ihr Verhalten grundlegend zu verändern. Sie können sich mitfühlend mit allem auseinandersetzen, was sie normalerweise gern verdrängen, und sie werden erfahren, was es heißt, wirklich zu lieben."Pema Chödrön

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Information

Publisher
Arbor
Year
2018
ISBN
9783867812542
Punkt zwei
Die zentrale Praxis,
die Schulung in Bodhicitta
2
Absolutes und relatives Bodhicitta
Absolutes Bodhicitta und
die Paramita Großzügigkeit
Das eigentliche oder absolute1 Bodhicitta-Prinzip basiert auf der Entwicklung der Paramita Großzügigkeit, symbolisiert durch ein Wunsch erfüllendes Juwel. Das tibetische Wort für Großzügigkeit, jinpa, bedeutet „geben“, „öffnen“ oder „teilen“. Großzügigkeit beinhaltet also die Idee, nicht zurückzuhalten, sondern ständig zu geben. Großzügigkeit ist aus sich selbst heraus existierende Offenheit, vollständige Offenheit. Man ist nicht mehr damit beschäftigt, die eigenen Vorstellungen oder Projekte zu päppeln.
Und es gibt kein besseres Mittel, um sich zu öffnen, als wenn man mit sich selbst und anderen Freundschaft schließt.
Entsprechend der Tradition gibt es drei Arten von Großzügigkeit. Die erste ist die gewöhnliche Großzügigkeit, die darin besteht, dass man materielle Güter hergibt oder eine angenehme Situation für andere schafft. Die zweite ist das Geschenk der Furchtlosigkeit. Man beruhigt andere, gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit und macht ihnen deutlich, dass sie sich nicht völlig ausgeliefert und vom Schicksal geschlagen fühlen müssen. Man hilft ihnen zu erkennen, dass es grundlegende Gutheit und die spirituelle Praxis gibt und dass jeder die Möglichkeit hat, sein Leben auszuhalten. Das ist das Geschenk der Furchtlosigkeit. Die dritte Art der Großzügigkeit ist das Geschenk des Dharma. Man zeigt anderen, dass es einen Pfad gibt, der aus Disziplin, Meditation und Intellekt oder Wissen besteht. Mit Hilfe der drei Arten von Großzügigkeit kann man den Geist anderer Menschen öffnen. So lassen sich Enge, Elend und Kleinherzigkeit in eine viel weiträumigere Sicht der Dinge verwandeln.
Dies ist die grundlegende Vision des Mahayana – dass die Menschen größer, weiträumiger denken. Wir können es uns leisten, uns zu öffnen, uns auf den Rest der Welt mit einem Gefühl enormer Großzügigkeit, enormer Gutheit und enormen Reichtums einzulassen. Je mehr wir geben, desto mehr bekommen wir – obwohl das, was wir vielleicht bekommen mögen, nicht der Grund für das Geben sein sollte. Es ist eher so, dass wir uns umso inspirierter fühlen, immer weiter zu geben, je mehr wir geben. Und das Bekommen wiederum ergibt sich ganz natürlich, automatisch, zu jeder Zeit.
Das Gegenteil von Großzügigkeit ist Geiz, Festhalten – deshalb, weil man eine Armutsmentalität hat, um es auf den Punkt zu bringen. Das Grundprinzip der Slogans des absoluten Bodhicitta ist das Ruhen im achten Bewusstsein oder alaya, anstatt den diskursiven Gedanken zu folgen. alaya ist ein Sanskrit-Wort und bedeutet „Basis“ oder manchmal auch „Wohnsitz“ oder „Heim“, wie etwa in Himalaya, „Wohnsitz des Schnees“. Damit ist die Vorstellung von weiter Ausdehnung verbunden. Es ist der fundamentale Zustand des Bewusstseins, bevor es sich in „Ich“ und „andere“ oder in die diversen Emotionen aufgespalten hat. Es ist der Boden, auf dem die Erfahrungen verarbeitet werden – wo sie existieren. Um in der Natur des Alaya zu ruhen, müssen Sie Ihre Armutsmentalität hinter sich lassen und erkennen, dass Ihr Alaya genauso gut ist wie jedermanns Alaya. Sie haben das Gefühl, reich zu sein und sich selbst zu genügen. Sie können das wirklich und Sie können es sich auch leisten zu geben. Die Slogans des absoluten Bodhicitta (2 – 6) enthalten die grundlegenden Bezugspunkte, mittels derer wir uns mit dem absoluten Bodhicitta vertraut machen.
Das absolute Bodhicitta entspricht dem absoluten Shunyata-Prinzip. Wenn wir von einem absoluten Shunyata-Prinzip sprechen, müssen wir auch das Prinzip des absoluten Mitgefühls verstehen. Shunyata ist wörtlich mit „Offenheit“ oder „Leerheit“ zu übersetzen. Grundsätzlich bedeutet Shunyata das Verstehen der Nichtexistenz. Wenn Sie beginnen die Nichtexistenz zu verstehen, können Sie es sich leisten, mitfühlender zu sein, eine größere Bereitschaft zum Geben zu haben. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass wir üblicherweise an unserem Hoheitsgebiet festhalten möchten und uns auf diesen Standort fixieren. Doch wenn wir das tun, haben wir keine Möglichkeit mehr zu geben. Shunyata verstehen bedeutet einzusehen, dass man keinen Standort finden kann, dass wir grundlegend frei, unaggressiv und offen sind. Wir erkennen, dass wir selbst in Wirklichkeit nichtexistent sind. Wir sind nicht – oder eher: Nein2. Dann können wir geben. An diesem Punkt haben wir viel zu gewinnen und nichts zu verlieren. Das ist etwas sehr Grundlegendes.
Mitgefühl beruht auf einem gewissen Gefühl einer „weichen Stelle“ in uns. Es ist, als hätten wir eine kleine Pustel an unserem Körper, die sehr wund ist – so wund, dass wir sie nicht reiben oder kratzen mögen. Beim Duschen geben wir Acht, nicht zu viel Seife damit in Berührung zu bringen, weil das wehtut. Ein wunder Punkt oder eine weiche Stelle, die schmerzt, wenn man daran reibt oder heißes oder kaltes Wasser darauf tut.
Diese wunde Stelle an unserem Körper ist eine Analogie für Mitgefühl. Warum? Weil wir sogar inmitten gewaltiger Aggression, Empfindungslosigkeit oder Faulheit immer eine weiche Stelle haben, einen Punkt, den wir kultivieren können – oder den wir zumindest nicht verletzen wollen. Jedes menschliche Wesen hat diese Art von grundlegender weicher Stelle und die Tiere ebenfalls. Auch wenn wir völlig außer uns sind, dumpf, aggressiv, auf dem Egotrip oder was sonst noch, so gibt es doch immer diese weiche Stelle in uns. Eine offene Wunde wäre eine noch anschaulichere Analogie. Sie ist immer da. Diese offene Wunde ist im Allgemeinen sehr unerfreulich und problematisch. Wir mögen sie nicht. Wir möchten knüppelhart sein. Wir möchten kämpfen, um stark dazustehen, um nicht einen einzigen Aspekt unserer selbst verteidigen zu müssen. Wir möchten unseren Feind angreifen, jetzt sofort, mit bloßen Händen. Wir möchten alle und jeden ganz und gar in der Hand haben, sodass wir nichts zu verstecken brauchen. Wenn dann jemand auf die Idee kommt zurückzuschlagen, werden wir nicht verwundet. Doch hoffentlich schlägt keiner auf diese wunde Stelle, diese Wunde, die wir in uns tragen. Unser grundlegendes Make-up, die grundlegenden Bestandteile in unserem Geist basieren auf Mitgefühl und Aggression zugleich. Doch wie verwirrt wir auch sein mögen, was für ein kosmisches Monster wir sein mögen – immer gibt es eine offene Wunde, eine wunde Stelle in uns. Es wird immer eine wunde Stelle geben.
Manche Leute interpretieren diese wunde Stelle oder offene Wunde als „religiöse Überzeugung“ oder „mystische Erfahrung“. Aber lassen wir das lieber sein. Sie hat nichts mit Buddhismus zu tun, auch nichts mit Christentum und mehr noch: nichts mit irgendetwas anderem überhaupt. Es ist einfach nur eine offene Wunde, eine ganz einfache offene Wunde. Das ist schön – wenigstens sind wir irgendwo zugänglich. Wir sind nicht ständig von oben bis unten in eine Rüstung gehüllt. Wir haben irgendwo eine weiche, zarte Stelle, eine offene Wunde. So eine Erleichterung! Der Erde sei Dank!
Dank dieser speziellen wunden Stelle können wir uns verlieben, selbst wenn wir ein kosmisches Monster sind – Mussolini, Mao Tse-tung oder Hitler. Wir können Schönheit, Kunst, Dichtung oder Musik wertschätzen. Der Rest von uns mag mit einer eisenbeschlagenen Rüstung bedeckt sein, doch eine wunde Stelle ist immer da – und das ist fantastisch. Diese wunde Stelle nennt man „Embryo-Mitgefühl“, potenzielles Mitgefühl. Wenigstens haben wir eine Art Lücke, eine gewisse Diskrepanz in unserem Seinszustand, die es ermöglicht, dass grundlegende Gesundheit durchscheint.
Unsere Ebene geistiger Gesundheit kann recht primitiv sein. Unsere wunde Stelle kann einfach nur eine Liebe für Knödel oder Spagetti sein. Doch das reicht schon. Wir haben eine gewisse Öffnung. Es spielt keine Rolle, auf was sich die Liebe richtet, solange nur eine wunde Stelle, eine offene Wunde da ist. Das ist gut. Das ist die Stelle, wo alle Keime eindringen und uns befruchten können, uns in Besitz nehmen und unser System beeinflussen können. Auf dieselbe Weise kommt es zur mitfühlenden Einstellung.
Und nicht nur das, es gibt auch eine innere Wunde, die man Tathagatagarbha oder „Buddha-Natur“ nennt. Tathagatagarbha ist wie ein Herz, das von Weisheit und Mitgefühl verletzt und zerstückelt ist. Wenn die äußere und die innere Wunde zusammentreffen und miteinander zu kommunizieren beginnen, erkennen wir, dass unser ganzes Wesen aus einer einzigen wunden Stelle besteht, die man „Bodhisattva-Fieber“ nennt. Diese Verletzlichkeit ist Mitgefühl. Wir wissen überhaupt nicht mehr, wie wir uns verteidigen sollen. Eine gigantische kosmische Wunde hat sich überall ausgebreitet – eine innere Wunde und eine äußere Wunde zugleich. Beide sind sie empfindlich gegenüber kalter Luft und kleinen Störungen der Atmosphäre und das beginnt sich äußerlich und innerlich auszuwirken. Er ist die lebendige Flamme der Liebe, wenn Sie es so nennen wollen. Wir sollten allerdings sehr vorsichtig mit unseren Aussagen über die Liebe sein. Was ist Liebe? Kennen wir Liebe? Es ist ein vages Wort. Im vorliegenden Fall nennen wir es nicht einmal Liebe. Niemand kann sich vor der Pubertät eine Vorstellung von Sexualität oder Liebesaffären machen. Und solange wir nicht zu einem Verständnis durchgedrungen sind, was es mit unserer weichen Stelle auf sich hat, können wir nur über Leidenschaft reden. Es könnte allzu grandios klingen, von Mitgefühl zu sprechen. Es klingt fantastisch, aber genau genommen nicht so fantastisch wie Liebe. Liebe klingt sehr gewichtig. Mitgefühl hingegen ist eine Art von Leidenschaft3, und damit kann man leicht umgehen.
Da ist also ein Riss in unserer Haut, eine Wunde. In gewisser Hinsicht ist Mitgefühl eine sehr raue Behandlung; doch andererseits ist es auch sehr sanft. Die Absicht ist sanft, aber die Praxis ist rau. Wenn Sie die Absicht und die Praxis miteinander verbinden, werden Sie „geraut“, aber Sie werden auch „gesanftet“, sozusagen – beides zusammen. Das macht Sie zu einem Bodhisattva. Sie müssen diese Prozedur durchlaufen. Sie müssen in die Mischmaschine springen. Es ist wichtig, dass Sie das tun. Einfach in die Mischmaschine springen und mit dieser Situation umgehen. Dann werden Sie bemerken, dass Sie in der Mischmaschine schwimmen. Sie finden vielleicht sogar ein bisschen Vergnügen daran, nachdem Sie gut verarbeitet worden sind. Ein echtes Verständnis des absoluten Bodhicitta erwächst also nur aus dem Mitgefühl. Mit anderen Worten, eine lediglich logische, professionelle oder wissenschaftliche Schlussfolgerung bringt uns nicht so weit. Die fünf Slogans des absoluten Bodhicitta beschreiben Schritte zu einer mitfühlenden inneren Einstellung.
Viele von Ihnen sind offensichtlich – und das ist sehr schockierend – nicht sonderlich mitfühlend. Sie retten Ihre Oma nicht vor dem Ertrinken und Sie bewahren Ihren Schoßhund nicht davor, getötet zu werden. Deshalb müssen wir uns mit dem Thema „Mitgefühl“ befassen. Mitgefühl ist ein sehr, sehr großes Thema, ein ganz außerordentlich großes Thema, und dazu gehört auch, wie man wirklich mitfühlend ist. Genau genommen ist das absolute Bodhicitta die Vorbereitung für das relative Bodhicitta. Bevor wir Mitgefühl entwickeln können, müssen wir verstehen, wie wir in der richtigen Weise sein sollen. Wie Sie Ihre Oma lieben sollen und wie Sie Ihren Floh oder Ihren Moskito lieben sollen – wie Sie das tun sollen, kommt später. Der relative Aspekt des Mitgefühls kommt viel später. Solange wir das absolute Bodhicitta nicht verstehen, haben wir keine Arbeitsgrundlage dafür, mitfühlend und liebevoll zu irgendjemandem zu sein. Wir werden bestenfalls ein Mitglied beim Roten Kreuz, gehen anderen auf die Nerven und produzieren zusätzlichen Müll.
Entsprechend der Mahayana-Tradition heißt es, dass wir das zweifache Bodhicitta wecken können – das relative Bodhicitta und das absolute Bodhicitta. Wir können beide wecken. Wenn wir Bodhicitta geweckt haben, können wir weitergehen und es nach dem Beispiel des Bodhisattva praktisch umsetzen. Wir können aktive Bodhisattvas sein.
Um das absolute oder eigentliche Bodhicitta zu wecken, müssen wir uns auf Shamatha und Vipashyana einlassen. Wenn wir die grundlegende Genauigkeit des Shamatha und das völlige Gewahrsein des Vipashyana entwickelt haben, fügen wir beide zusammen, sodass sie unsere gesamte Existenz durchdringen – unsere Verhaltensmuster, unser Alltagsleben, alles. Auf diese Weise sind Achtsamkeit und Gewahrsein sowohl während der Meditation als auch während der Nachmeditation ständig präsent. Ob wir schlafen oder wach sind, essen oder herumlaufen – immer sind Genauigkeit und Gewahrsein damit verbunden. Das ist eine wundervolle Erfahrung.
Außer dieser wundervollen Erfahrung entwickeln wir auch ein Gefühl der Freundlichkeit allem gegenüber. Die frühere Ebene der Irritation und Aggression wurde sozusagen mittels Achtsamkeit und Gewahrsein verarbeitet. Stattdessen haben wir nun eine Ahnung von grundlegender Gutheit, in den Kadampa-Texten als die natürliche Fähigkeit des Alaya beschrieben. Es ist wichtig, dass wir diesen Punkt verstehen. Alaya ist der fundamentale Zustand der Existenz oder des Bewusstseins, bevor es sich in „Ich“ und „andere“ oder in die diversen Emotionen aufspaltet. Und sein grundlegender Stil oder sein natürlicher Stil ist Gutheit. Er ist überaus wohltuend. Es gibt einen grundlegenden Zustand der Existenz, der grundsätzlich gut ist und auf den wir uns verlassen können. Da gibt es Raum zum Entspannen, Raum, um uns zu öffnen. Wir können mit uns selbst und mit anderen Freundschaft schließen. Das ist die fundamentale gute Eigenschaft oder grundlegende Gutheit und es ist die Basis der Entwicklungsmöglichkeit des absoluten Bodhicitta.
Sind wir erst einmal von der Genauigkeit des Shamatha und der Wachheit des Vipashyana inspiriert worden, stellen wir fest, dass es Raum gibt und damit die Möglichkeit totaler Naivität im positiven Sinn. Das tibetische Wort für Naivität ist pak-yang, „sorglos“ oder „gelöst“. Mit unserer grundlegenden Gutheit können wir sorglos sein. Wir brauchen nicht mit allen Mitteln untersuchen und überprüfen, ob es nicht vielleicht Moskitos oder deren Eier in unserem Alaya gibt. Man kann die grundlegende Gutheit des Alaya kultivieren und sich mit ihm verbinden, ganz natürlich und uneingeschränkt, in einer pak-yang-Weise. Wir können ein Gefühl der Entspannung und Befreiung von unseren Qualen entwickeln – und überhaupt von allem Diesem-und-Jenem.
Relatives Bodhicitta und die Paramita Disziplin
Das führt uns zur nächsten Stufe. Anstatt uns bei der theoretischen, konzeptuellen Ebene aufzuhalten, wenden wir uns auch hier wieder der praktischsten Ebene zu. Im Mahayana geht es vor allem darum, wie wir uns selbst aufwecken können. Wir beginnen zu verstehen, dass wir gar nicht so gefährlich sind, wie wir dachten. Wir entwickeln ein Gefühl der Herzenswärme, Maitri, und nachdem wir Maitri entwickelt haben, befassen wir uns mit Karuna, Mitgefühl.
Die Entwicklung des relativen Bodhicitta ist mit der Paramita Disziplin verbunden. Es heißt, dass man ohne Disziplin einem Menschen gleicht, der ohne Beine zu gehen versucht. Ohne Disziplin ist die Befreiung nicht möglich. Im Tibetischen heißt Disziplin tsültrim; tsül bedeutet „richtig“ und trim bedeutet „Disziplin“ oder wörtlich „die Regeln beachten“. Man kann also trim auch mit „Regel“ oder „Recht“ übersetzen. Diese grundlegende Vorstellung von tsültrim geht über das Geben allein hinaus; es bedeutet „gutes Verhalten“. Außerdem beinhaltet es einen Sinn für Leidenschaftslosigkeit und den Verzicht auf ein persönliches Territorium. All das ist sehr eng mit dem relativen Bodhicitta verbunden.
Relatives Bodhicitta erwächst aus der einfachen und fundamentalen Erkenntnis, dass man in jeder Situation ein weiches Herz haben kann. Selbst die bösartigsten Tiere haben ein weiches Herz – sie kümmern sich um ihre Jungen und sie kümmern sich auch um sich selbst. Mit Hilfe unseres Trainings in Shamatha und Vipashyana lernen wir unsere grundlegende Gutheit verstehen und wie sie es uns ermöglicht loszulassen. Wir beginnen, uns in der Natur des Alaya niederzulassen, ohne Sorgen, sehr naiv und normal, sogar irgendwie beiläufig. Wenn wir uns loslassen, entsteht dadurch in uns das Gefühl einer guten Existenz. Man könnte das als die ganz gewöhnliche und triviale Vorstellung von Lassen-wir’s-uns-gut-Gehen auffassen. Doch wenn wir den Wunsch haben, gut mit uns selbst umzugehen, rührt das nicht daher, dass wir etwas zu erreichen versuchen; wir versuchen einfach nur wir selbst zu sein. An diesem Punkt haben wir das natürliche Gefühl, dass wir es uns leisten können, uns selbst Freiheit zu gewähren. Wir können es uns leisten, uns zu entspannen. Wir können es uns leisten, uns selbst besser zu behandeln, uns mehr zu vertrauen und uns wohl zu fühlen. Die grundlegende Gutheit des Alaya ist immer da. Dieses Gefühl von Gesundheit und Heiterkeit und Naivität ist es, das uns zur Verwirklichung des relativen Bodhicitta führt.
Relatives Bodhicitta hat damit zu tun, dass wir lernen, einander und uns selbst...

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