Wandel als Chance oder Katastrophe
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Wandel als Chance oder Katastrophe

Markus Vogt

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Wandel als Chance oder Katastrophe

Markus Vogt

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Deutschlands Flüchtlingspolitik, Digitalisierung, Änderungen in der Demografie - all diese und viele weitere Umstände führen zumindest gefühlt zu einem Wandel. Aber was ist das überhaupt? Und ist er positiv oder negativ? In seinem Essay erklärt Markus Vogt, mit welcher inneren Haltung wir dem Wandel begegnen sollten, um ihn als Chance zu begreifen, und warum wir eine Ethik der Solidarität benötigen, um niemanden abzuhängen.

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Information

Year
2018
ISBN
9783831269945
1.
EPISTEMOLOGIEN DES WANDELS
»Große Transformation«: Eine epochale Gegenwartsdiagnose
Der Terminus »Transformation« hat im politischen, ökonomischen und ökologischen Diskurs seit einigen Jahren Konjunktur als Leitbegriff der Gegenwartsdiagnose. Im Rückgriff auf einen 1944 von dem ungarisch-österreichischen Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886–1964) geprägten und bei diesem auf die industrielle Revolution bezogenen Begriff sprechen viele von der »Großen Transformation«. Gemeint ist damit ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel, der nahezu alle Bereiche betreffe und an Tiefen- und Breitenwirkung mit den im frühen 19. Jahrhundert durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelösten Veränderungen vergleichbar sei (so das Jahresgutachten »Gesellschaft im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation«, das der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen [WBGU] 2011 veröffentlicht hat). Auch heute sei die tief greifende Transformation der Wirtschafts- und Lebensformen durch einen Wandel der Energiegewinnung ausgelöst: das diagnostizierte oder postulierte Ende des fossilen Zeitalters.
Die ethische Pointe dabei ist, dass der Wandel entweder katastrophisch erlitten oder vorausblickend gestaltet werden könne. »Transformation by desaster« oder »transformation by design« nennen Harald Welzer und Bernd Sommer die Alternativen. Allerdings ist der Begriff des »designs« hier nicht besonders glücklich gewählt, denn es geht gerade nicht um einen designermäßig planbaren Veränderungsprozess, sondern um eine Transformation, die nur begrenzt im Einzelnen vorhergesagt und geplant werden kann. Paradebeispiel eines solchen überraschenden, gleichwohl von Entscheidungen und Handlungen der Menschen abhängigen Wandels ist der Mauerfall 1989: Viele haben jahrzehntelang an die Wiedervereinigung geglaubt und dafür gekämpft. Dennoch hat auch kurz zuvor kaum jemand geahnt, dass die Wende tatsächlich so bald kommen würde. Die Zuspitzung der Konflikte hätte auch ganz anders ausgehen können.
Das Überraschungsmoment ist typisch für komplexe Systeme und historische Umbrüche: Diese setzen sich aus vielen einzelnen Elementen zusammen, deren Zusammenspiel nicht ex ante erkennbar und planbar ist. Dennoch kommt der historische Wandel nicht einfach als Schicksal. Er erfordert vielmehr ein aktives Erwarten und Darauf-Hinarbeiten, ebenso jedoch auch die Fähigkeit, auf den rechten Augenblick warten zu können und dann entschlossen auf das Überraschende zu reagieren.
Der Begriff »Transformation« unterscheidet sich von »Revolution« – er zielt nicht auf eine gewaltsame Änderung oder einen totalen Bruch mit der Vergangenheit, sondern auf einen Prozess des Wandels, der vorhandene Potenziale aufgreift, sie jedoch neu zur Entfaltung bringt. Das Präfix »Trans« meint das Überschreiten, also eine Abkehr von den bekannten Mustern der Ordnung oder Problemlösung in Politik, Wirtschaft und Lebensformen. Es geht um einen Wandel, der die kulturelle Identität verändert. Meist lässt sich erst im Nachhinein sagen, ob und gegebenenfalls welche Potenziale dieses Wandels bereits vorher unter der Oberfläche vorhanden waren.
Transformation lässt sich umschreiben als »Häufigkeitsverdichtung von Veränderungen«, die zu einem Epochenumbruch führen (so der Historiker Jürgen Osterhammel in seiner 2009 unter dem Titel Die Verwandlung der Welt erschienenen Geschichte des 19. Jahrhunderts).
Analytisch liegt dem Singular »Große Transformation« die These zugrunde, dass es sich bei den Wandlungsprozessen der Gegenwart nicht um isolierte Einzelphänomene handelt, sondern um Elemente einer umfassenden Veränderung. Der Zusammenhang dieser Elemente bedarf jedoch einer exakten Beschreibung und Analyse: Wie können Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Ressourcenknappheit, Finanzkrise, Arbeitsunsicherheit oder demografischem Wandel – um nur einige Aspekte der gegenwärtigen Umbruchprozesse zu nennen – angemessen beschrieben werden? Lassen sich daraus Erkenntnisse über die Unterscheidung von Ursachen und Symptomen ableiten? Wie lässt sich in Bezug auf zentrale Wandlungsprozesse das Zusammenspiel globaler, kontinentaler, nationaler und regionaler Veränderungen beschreiben?
Nüchtern betrachtet, ist es keineswegs erwiesen, ob die verschiedenen Transformationsprozesse tatsächlich in einem kausalen Zusammenhang stehen oder ob wir diesen nur in unserer Wahrnehmung konstruieren und dann daraus das Lebensgefühl einer »Megakrise« machen. Der Zusammenhang, der zwischen so unterschiedlichen Ereignissen wie Klimawandel, Finanzcrash, Digitalisierung oder politischer Destabilisierung konstruiert wird, ist in der Regel ein systemtheoretischer: Die Veränderungen werden als typische Phänomene der Disruption komplexer adaptiver Systeme gedeutet. Es geht eher um Analogien in der theoretischen Darstellung und Modellierung als um den Nachweis kausaler Wirkungszusammenhänge. Wie Wandel beschrieben, erlebt und bewertet wird, scheint im historischen und globalen Vergleich ganz wesentlich eine Sache der Wahrnehmung zu sein. Die entscheidende Frage ist, ob – und wenn ja inwiefern – die gegenwärtig erlebte Beschleunigung und Risikobehaftetheit der Veränderungen wirklich singulär ist. Nötig ist vor diesem Hintergrund eine Epistemologie des Wandels im Sinne einer erkenntnistheoretischen Selbstaufklärung hinsichtlich der gegenwärtigen Formen des Erlebens gesellschaftlicher und biografischer Umbrüche, Übergänge und Krisen.
Moderne im Umbruch
Zwei eher neutrale, oft in bewusster Antithese zu Katastrophenerwartungen gebrauchte Begriffe zur Beschreibung von Epochen der Transformation sind »Übergang« und »Umbruch«. Ein Übergang ist etwas »dazwischen«, nicht mehr das Alte und noch nicht das Neue. Man kann ihn zeitlich verstehen als einen Prozess des Wandels, der Veränderung, der Metamorphose oder räumlich als eine Grenzüberschreitung – wie z. B. eine Türschwelle. Übergänge sind Zwischenräume, in denen sich etwas ändert und in Bewegung ist, an einen anderen Ort oder in einen anderen Kontext gelangt oder sich selbst ändert.
Umbrüche sind im Unterschied hierzu eher gewaltsam, jedenfalls weniger sanft: Etwas zerbricht, geht »zu Bruch«, verliert seinen Bestand, vielleicht seine Identität, macht Neuem Platz. Umbrüche markieren das Ende von etwas, wonach dann Neues anfängt. Brüche sind in der Regel schmerzhaft, ihnen fehlt der verheißungsvolle Klang eines »Übergangs«. Brüche werden erlitten, Übergänge oft aktiv angestrebt.
Der Begriff »Umbruch« wird gern im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Verunsicherung des Projekts der Moderne gebraucht: Die Moderne mit ihren Leitideen von Aufklärung, Fortschritt und Demokratie, um nur drei Aspekte zu nennen, ist nicht vorbei (damit grenzt sich der Terminus »Moderne im Umbruch« von dem der »Postmoderne« ab), der Glaube an sie erscheint jedoch zugleich irgendwie »gebrochen«, jedenfalls nicht linear fortsetzbar und einer grundlegenden Revision bedürftig zu sein. Die ethischen Grundlagen des Gesellschaftsmodells der Moderne stehen vor einer tief greifenden Bewährungsprobe mit offenem Ausgang. Der Glaube an eine universale Vernunft wird »postmodern«, »posteuropäisch«, »postdemokratisch«, »postchristlich«, »posthumanistisch« – oder wie die Schlagworte alle lauten – zur Disposition gestellt. Das Projekt der Aufklärung ist ins Stocken geraten, nicht nur durch ökologische Grenzen, auch durch das gegenwärtig wachsende Misstrauen gegen die universale Vernunft, in deren Schatten sich »postfaktische« Kommunikation sowie »Neonationalismus« breitmachen.
Nach einer Phase der relativ stabilen, durch das Machtgleichgewicht bzw. die Abgrenzung zwischen West und Ost geprägten Nachkriegsepoche ist die geopolitische Lage gegenwärtig durch eine Verschiebung von Machtzentren geprägt, ohne dass schon erkennbar wäre, was die neue Weltordnung sein könnte. Dies ist mit vielfältigen Konflikten verbunden. Insofern kann man hier mit Fug und Recht von »Umbrüchen« sprechen: Statt sanfter Übergänge dominieren eher katastrophenartige Ereignisse. Auch in Bezug auf die politische Kommunikation in zahlreichen Ländern sprechen viele derzeit von einem »Wandel des Politischen« im Sinne einer grundlegenden Formveränderung der Art und Weise, wie politische Konflikte ausgetragen werden. Diese wurde nicht zuletzt durch digitale Medien ausgelöst, die Stimmungen als den »Gefühlen der Gesellschaft« (Heinz Bude) zu weitreichender Macht verhelfen können. Das Vertrauen in die deliberative Demokratie, bei der sich das bessere Argument durchsetzt, ist tief greifend verunsichert.
Die Aufklärungsidee des Glaubens an die universale Vernunft muss sich in neuer Weise gegenüber Bedürfnissen nach Abgrenzung, Unterscheidung, ...

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