IdentitÀt Persönlichkeit Rollen im Netz: Wer bin ich und wo bin ich?
// Von Simone Janson
Jeder Mensch ist eine multiple Persönlichkeit. Jedenfalls was die Wirkung auf sein Umfeld angeht. Je nachdem mit wem wir kommunizieren, ĂŒbernehmen wir andere Rollen.
Jeder Mensch hat verschiedene Rollen
Ein Mann zum Beispiel wird sich in der Regel mit Kumpels beim abendlichen Bier anders verhalten als gegenĂŒber seiner Frau â und sein Auftreten im Berufsalltag und gegenĂŒber seinem Chef ist wieder etwas ganz anderes. Bei dem einen mögen diese Rollenwechsel stĂ€rker ausgeprĂ€gt sein als bei anderen, doch es ist vergleichweise normal, das der selbe Mensch im gesellschaftlichen Umgang mit anderen unterschiedlichen Rollenbildern entspricht â und das nicht erst seit der Erfindung des Internets. Neu ist allerdings die Anzahl der Möglichkeiten, die uns durch das Internet zu VerfĂŒgung stehen. Wir können uns anonym bewegen und eine fremde IdentitĂ€t mit einem andere Geschlecht oder Alter annehmen. Wir können unter Pseudonym in Chats oder Foren auftreten, uns witzige Avatare zulegen und ungeschminkt unsere Meinung zum besten geben â oder eben genau das Gegenteil tun.
Und selbst wenn wir unter unserem richtigen Namen im Netz erscheinen, so passen wir oft unser Verhalten auch dem jeweiligen Netzwerk an â zum Beispiel bei Xing etwa betont seriös, bei Facebook betont cool und bei Twitter betont witzig. Dieses Spiel mit einer Vielzahl unterschiedlicher IdentitĂ€ten verunsichert viele Menschen, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Nutzt jemand nun Twitter privat oder beruflich? Und kann man beruflichen Kontakten bei Facebook Freundschaftsanfragen stellen oder wird das doch als zu privat empfunden? Es werden neue Kommunikations-Regeln notwendig, weil die Grenzen zwischen privater und öffentlicher IdentitĂ€t immer mehr verwischen.
Authentisch oder idiotisch?
Viele Internetnutzer sind Idioten! Zumindest wenn man nach der griechischen Ursprungsbedeutung des Wortes geht. Denn im Antiken Griechenland war Idiot ein Mensch, der Privates nicht vom Ăffentlichen trennt. Und genau das tun viele Menschen, wenn sie sich im Internet prĂ€sentieren. Denn wie die Studie âFacebook Profiles Reflect Actual Personality, Not Self-Idealizationâ der Johannes-Gutenberg-UniversitĂ€t Mainz zeigt, wollen die meisten Mensch in sozialen Netzwerken möglichst ganz sie selbst sein und der eigenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen.
In Kooperation mit deutschen und amerikanischen Kollegen untersuchten die Mainzer Psychologen insgesamt 236 deutsche (studiVZ/meinVZ) und US-amerikanische (Facebook) Nutzerprofile. Mit Fragebögen wurden die tatsĂ€chlichen Persönlichkeitseigenschaften der Profilbesitzer sowie ihre idealisierten Selbstbilder (d.h. die Vorstellungen davon, wie sie gerne wĂ€ren) erhoben. Als Persönlichkeitseigenschaften wurden die sogenannten Big Five erfasst: Extraversion, VertrĂ€glichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit fĂŒr Erfahrungen. AnschlieĂend sahen fremde Beurteiler die Nutzerprofile und gaben ihren Persönlichkeitseindruck an. Die Fremdurteile wurden dann mit der tatsĂ€chlichen Persönlichkeit sowie dem Selbstideal der Profilbesitzer verglichen. Es zeigt sich, dass die spontanen EindrĂŒcke der fremden Beurteiler mit den tatsĂ€chlichen Eigenschaften der Profilbesitzer ĂŒbereinstimmen und nicht durch deren Selbstidealisierung verfĂ€lscht werden. Die Ergebnisse widersprechen damit der weitverbreiteten Meinung, dass Online-Profile nur dazu verwendet werden, ein Ideal der eigenen Person, sozusagen eine idealisierte virtuelle IdentitĂ€t, zu kreieren.
Zu viel Offenheit macht Angst
Diese Offenheit macht vielen Leuten Angst. Denn, so die gĂ€ngige Meinung, es mag ja schön und gut sein, sich im Privatleben zu geben wie man ist. Doch in der Ăffentlichkeit und gar im beruflich-professionellen Umfeld hat zu viel Offenheit nichts verloren. Sie wirkt gewissermaĂen idiotisch. Oder doch nicht?
Im Oktober 2010 erhielt Uwe Knaus, Blogmanager von Daimler, eine denkwĂŒrdige Bewerbung fĂŒr ein Social Media Praktikum: âIch bin Social-Media-sĂŒchtig⊠ja, ich bekenne mich hiermit offiziell. Nichts kann mir meinen Tag mehr versĂŒĂen, als das goldige Klingeln einer neuen Nachricht bei Facebook und ein erhoffter Retweet⊠Ja, so ist es⊠Ich erhalte wiederholt Anzeigen wegen BelĂ€stigung, weil ich Leuten auf der StraĂe folge. Und am aller Schlimmsten:⊠Mein Freund spricht mich mittlerweile nur noch mit @Schatzi an⊠Einzig und allein der strukturierte Umgang mit Social Media kann mir jetzt noch helfen. Ich zĂ€hle auf Ihre UnterstĂŒtzung.â
Absenderin war die Regensburger Absolventin Natascha MĂŒller, die damit fĂŒr heftige Diskussionen unter Personalern und Social-Media-Experten sorgte. Denn Knaus hatte die Bewerbung, zunĂ€chst anonym, in seinem privaten Blog veröffentlicht â nicht ohne seinen eigenen Eindruck wiederzugeben: âZuerst dachte ich: Das geht gar nicht! Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt, oder ein anderer hat eine Fake-Bewerbung abgegeben. Gehen wir mal davon aus, das Anschreiben ist kein Fake. Dann ist es amĂŒsant, offen, ehrlich, witzig, herausstechend und die Bewerberin bleibt in Erinnerung. Aber es passt nicht zu Daimler â oder doch? Wenn Die Dame sich damit bei einer Agentur beworben hĂ€tte, dann hĂ€tte sie vermutlich gleich morgen anfangen können. Gedanken ĂŒber Gedanken. Eins hat sie zumindest erreicht: Ich beschĂ€ftige mich ĂŒberdurchschnittlich lange und intensiv mit ihrer Bewerbung.â Und genau darin bestand der Erfolg von MĂŒllers Bewerbung: Mit ihrer frechen, unkonventionellen Art brachte sie nicht nur den Blogmanager eines weltweiten Automobilkonzerns zum Nachdenken, sondern erreichte u.a. via Twitter auch groĂe, meist zustimmende Aufmerksamkeit. Offenheit und AuthenzitĂ€t also als Erfolgsstrategie unserer Zeit?
Nicht jede Offenheit kommt gut an
Die Sache ist ungleich komplizierter und vielschichtiger. Denn nicht jede Form von Offenheit kommt auch gut an. Der Managementberater Olaf Hinz warnt sogar davor, es mit der AuthenzitĂ€t zu ĂŒbertreiben: âWas es braucht ist ein stimmiges Auftreten bzw. eine stimmige Inzenierung. Und gerade Inszenierung hat auch die Rollenbilder / -erwartungen der Mitarbeiter, Kollegen oder des Publikums im Blick. Denn wer hoch persönlich authentisch und âehrlichâ daher kommt, wird von seinem professionellen Umfeld schnell als âzu nahâ und âzu privatâ empfunden. Ich denke, es braucht ein professionelles Auftreten, dass durch das âWaage haltenâ zwischen AuthentizitĂ€t und RollenausĂŒbung weder angepasst noch zu privat daherkommt: eine stimmige Inszenierung eben.â
Die Politkwissenschaftlerin Eva Horn, die frĂŒher u.a. im Landtag von Baden-WĂŒrttemberg arbeitete, beherrscht diese Inszenierung in ihrem bevorzugten Social-Media-Kanal, Twitter, perfekt: Mit ihren GrĂŒnen Haaren, dem eher zufĂ€lligen Schnappschuss und dem frechen Spruch âich bleibe oft lange auf, trinke viel und schĂ€me mich fĂŒr uns alleâ nimmt man ihr Profil eher als privaten und damit besonders authentischen Kanal war. Dennoch ĂŒberlegt auch sie genau, was sie twittert und was nicht, denn sie weiĂ sehr genau, wer alles mitliest â und zu welchen MissverstĂ€ndnissen die Verzahnung und Privat und Ăffentlich fĂŒhren kann:
âMit der Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken ist das wie ĂŒberall sonst auch: Einige tun es mehr als andere, es gehört einfach dazu. Allerdings wĂŒrde ich nie irgendwelchen Mist twittern, um mehr Follower zu bekommen. Das wĂ€re unehrlich. Was man scheibt, muss zu einem passen. Ganz private Dinge wie mein Liebesleben behalte ich fĂŒr mich. Dass ich aber ein ausgemachter Missanthrop bin und manchmal etwas mehr trinke, dĂŒrfen die Leute ruhig wissen. Spontane GefĂŒhlsĂ€uĂerungen auch, selbst wenn das manchmal Irritationen hervorruft: Einmal habe ich getwittert âversehentlich angefangen zu heulenâ â darauf dachten viele Leute, es mĂŒsse mir total schlecht gehen, weil ich das öffentlich mache. Dabei handelt es sich nur um kurze Momentaufnahmen. Es gibt eben viele Leute, die die Ironie und den Zynismus nicht verstehen, mit denen man bei Twitter Themen in 140 Zeichen auf die Spitze treibt. Das muss einem liegen. Durch Twitter habe ich auch schon viele berufliche Kontakte und Jobangebote bekommen und twittere auch offiziell fĂŒr die GrĂŒnen â die haben auch schon gemerkt, dass ich gut formulieren kann. In dem offiziellen Account einer Partei oder eines Unternehmens haben private ĂuĂerungen allerdings nichts verloren, das muss man strikt trennen, sonst wirkt es unprofessionell!â
Ungewollt berĂŒhmt â und nun?
Wer am 02. Juli 2011 das Rheinkultur-Festival in Bonn besuchte, hatte gute Chancen berĂŒhmt zu werden. Nicht etwa, weil er plötzlich als Musiker entdeckt worden wĂ€re. Aber Der WDR hat ein Foto gemacht und das, hochauflösend vergröĂert, so dass man jedes Gesicht gut heranzoomen und erkennen konnte, und das ganze als âgröĂtes deutsches Festivalpanoramaâ mit 25.000 Menschen veröffentlicht. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Der WDR rief unter http:/rheinkulturpanorama.de/ dazu auf, sich selbst oder Freunde und Bekannte auf dem Foto zu Markieren â wahlweise mit oder ohne Facebook, wo man Personen auf Fotos schon lĂ€nger taggen und so Kontakten zuordnen kann. Genau deshalb hielt man beim WDR die Aktion wohl fĂŒr einen gelungenen Gag â doch Blogger und RechtsanwĂ€lte sahen das etwas anders.
âDiese Konzepte sind, gemessen an deutschem Recht, nicht zulĂ€ssig,â notiert etwa Thomas Stadler, Fachanwalt fĂŒr IT-Recht in seinem Internet-Law-Blog. Und John F. Nebel, Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, schreibt: âDie SpielrĂ€ume fĂŒr das Individuum werden kleiner, die Freiheit, unbeobachtet zu handeln schrumpft und im Hinterkopf bildet sich so langsam ein Denken, das dem Rechnung trĂ€gt.âImmerhin rĂ€umt der WDR Nutzern die Möglichkeit ein, ihre Gesichter verpixeln zu lassen. DafĂŒr mĂŒssen sie nur man einen Screenshot des Ausschnitts, auf dem sie zu sehen sind, einschicken, ihre Telefonnummer angeben und nachweisen, dass sie auch eben diese Person ist, etwa mit einem FĂŒhrerscheinfoto. Um also wieder Anonym zu werden, mĂŒssen Sie noch weitere Daten preisgeben!
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte
Zugegeben, vielen Leuten mag es egal sein, ob jemand weiĂ, dass Sie am 02. Juli 2011 auf dem Rhein-Kultur-Festival waren. Manchen aber auch nicht. Doch genau die mĂŒssen nun damit leben, dass man nach Eingabe ihres Namens in die Suchmaschine vielleicht bei Eingabe ihres Namens genau jenes Bild findet. Doch das taggen und markieren von Fotos ist erst der Anfang: Mittlerweile kann Software Menschen auf Fotos auch automatisch erkennenund einem vorher eingegebenen Namen zuordnen. Das ist nicht wirklich neu: Bildverarbeitungsprogramme wie Picasa, iPhoto oder Photoshop Elements verfĂŒgen bereits ĂŒber diese Funktion. Neu ist allerdings, dass man sie nun nichtt mehr offline fĂŒr sich und seine eigenen Fotosammlung anwenden kann, sondern online â und damit in der Regel auch fĂŒr alle sichtbar.
Denn Facebook verfĂŒgt jetzt ĂŒber eine Gesichtserkennung â seit Ende 2010 in den USA, seit FrĂŒhjahr 2011 auch in Deutschland aktiv. Wenn Nutzer neue Fotos hochladen, vergleicht Facebook diese mit bereits bestehenden Fotos, auf denen bereits Personen markiert sind. Wenn das System ausreichend hohe Ăhnlichkeiten findet, schlĂ€gt das System vor, das neue Bild ebenfalls mit diesem Namen zu markieren. Nun kann man zur allgemeinen Beruhigung sagen, dass Gesichtserkennungssysteme noch nicht wirklich gut funktioniert und nur wenige Menschen wirklich gut erkennen. Auch dass zum Beispiel Strandfotos, die irgendjemand mit seinem Handy zufĂ€llig von uns geschossen hat, auf diese Weise unter unserem Namen im Netz auftauchen, ist noch wirklich unwahrscheinlich. Allerdings könnte sich das bald Ă€ndern, denn solche Systeme werden stetig verbessert.
Google beispielsweise bietet mit Goggles eine App, dank der Smartphones Fotomotive Informationen im Netz zuordnen soll. Einen CNN-Bericht ĂŒber eine mögliche mobile Gesichtserkennung dementierte Google allerdings umgehend: Technisch wĂ€re so eine Funktion machbar, die Datenschutzbedenken seien dem Unternehmen jedoch zu groĂ. Es könnte also in Zukunft kein Problem, dass wir alle mit einer kleinen Mini-Gesichtserkennung herumlaufen und so gleich andere Menschen auf der StraĂe oder bei Party persönlichen Informationen im Netz zuordnen. Und mehr noch: Bei einer gut funktionierenden Gesichtserkennung wĂ€re es ohne weitere möglich, dass Daten von Ăberwachungskameras mithilfe der Facebook-Bilder abgeglichen werden. Namen, Adressen, persönliche Vorlieben und auch die Bewegungsprofile von ahnungslosen BĂŒrgern wĂ€ren so nur noch einen Mausklick entfernt. Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, schlagen DatenschĂŒtzer heute schon Alarm. Denn auch wenn nach deutschem Recht das Erheben von biometrischen Daten nur dann erlaub...