Im DienstleistungsÂmodus: Die WissenschaftsÂkommunikation
Wie steht es um die Wissenschaftskommunikation der Hochschulen? Insbesondere die Kommunikationsabteilungen der grossen Hochschulen sind grundsĂ€tzlich zufrieden mit ihrer Arbeit. Ihr Ausstoss wie ihr Portfolio sind denn auch beeindruckend. Die ETH ZĂŒrich (ETHZ) und die ETH Lausanne (EPFL) warten mit vielen starken News von der Forschungsfront auf. Manche Wissenschaftskommunikatoren indes sind mit der Auswahl des Stoffs nicht zufrieden, wie sie bemerkenswert freimĂŒtig bekennen. Sie sehen sich mit einem grossen Themenangebot konfrontiert, das sie nicht ĂŒberblicken, oder sie haben zu viel vom Gleichen vorliegen. Einige wissen zwar, wovon sie gerne mehr hĂ€tten, aber nach eigenen Angaben fehlt das kompetente Personal, das die Themen ausfindig macht und aufbereitet. Die Wissenschaftskommunikatoren wissen: Theoretisch könnten sie aufgrund des vorhandenen Fundus eine bessere Wissenschaftskommunikation machen, das heisst journalistischer arbeiten: vielfĂ€ltiger, kontroverser, aktueller.
Genf sagt, die Abteilung brĂ€uchte mehr Kompetenzen, um fundiert ĂŒber die Rechtswissenschaften und die Ăkonomie berichten zu können. Die beiden Disziplinen sind in der Tat je auf ihre Weise ausgesprochen abstrakt, abstrakter als beispielsweise die ArchĂ€ologie, die im Boden die alten Mauern eines Palastes findet, der dann spekulativ restauriert wird, oder als eine technische Wissenschaft, die einen neuen Roboter konstruiert, den man vorfĂŒhren kann. Das heisst: Die Ăbersetzung eines rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnisses ist aufwendig und nicht einfach. Ein Neuling schafft dies nicht ohne Weiteres. Und ĂŒberlĂ€sst der Wissenschaftskommunikator bei der Erstellung der Medienmitteilung der Wissenschaftlerin die FederfĂŒhrung, die davon ĂŒberzeugt ist, einen unprĂ€zisen, nicht von ihr verfassten Entwurf berichtigen zu mĂŒssen, wird am Ende ein zu komplizierter und eben auch zu abstrakter, umstĂ€ndlich formulierter Text herauskommen. Er bleibt fĂŒr das Zielpublikum, die breite Ăffentlichkeit, schwer verstĂ€ndlich.
St. Gallen hĂ€tte gerne mehr Personal, das in den einzelnen «Schools» den genauen Ăberblick ĂŒber die laufenden Forschungen hĂ€tte, stuft diesen Wunsch aber als unrealistisch ein. Basel findet selbstkritisch, die Auswahl des Stoffs folge keiner Strategie, sondern erfolge oft zu pragmatisch; man nimmt, was vorhanden ist beziehungsweise was man aus institutionspolitischen GrĂŒnden nehmen sollte. Die USI meint, die Auswahl des Stoffs hĂ€nge letztlich von der ProaktivitĂ€t der Professoren ab: Es liegt also wenig Stoff vor, wenn diese passiv bleiben und die Kommunikationsabteilung nicht kontaktieren. Die Abteilung produziere zudem deutlich mehr News zur Biomedizin als zu den Sozialwissenschaften. Das sei bedauerlich, aber es sei nun einmal schwieriger, zu «female narratives on literature» eine gute Medienmitteilung zu verfassen als zu einem neuen Medikament gegen Malaria. ZĂŒrich wĂŒnscht sich eine bessere Planung der Themen, damit diese zielkonformer ausfallen. Es versucht, Schwerpunkte in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und BiodiversitĂ€t zu setzen. Das Unbehagen ĂŒber eine von ZufĂ€llen abhĂ€ngige Stoffauswahl wird deutlich geĂ€ussert. Luzern hĂ€tte gerne einen «Newsroom mit Spezialisten», welche die «Ăbersetzungsarbeit von den Wissenschaften in die Medien» besser meistern könnten. Ohnehin will Luzern die Forschung besser zeigen: deren Ergebnisse, aber auch, wie sie gemacht wird, etwa in PortrĂ€ts.
Viele Kommunikationsabteilungen fĂŒhlen sich also fĂŒr eine ihrer Kernaufgaben, nĂ€mlich die Kommunikation der Wissenschaften und besonders der Sozial- und Geisteswissenschaften, nicht kompetent genug, weil ihnen die geeigneten Leute fehlen. Das ist ein erstaunlicher Befund, erstaunlicher jedenfalls als der ebenfalls hĂ€ufig geĂ€usserte Wunsch nach mehr und kompetenterem Personal, das die KanĂ€le der sozialen Netzwerke betreut. Der Wunsch zeigt, dass die Wissenschaftskommunikation nicht ĂŒberall höchste PrioritĂ€t geniesst und zuweilen im Wissen darum praktiziert wird, dass sie besser gemacht werden könnte. Besser heisst auch: konzentrierter. Wie St. Gallen aber andeutet, ist es wohl tatsĂ€chlich illusorisch, mit beschrĂ€nkter Personalzahl den totalen Ăberblick ĂŒber alle laufenden Forschungsprojekte haben zu können. Was die viertkleinste universitĂ€re Hochschule konstatiert, dĂŒrfte in noch höherem Mass fĂŒr die vielen grösseren Hochschulen und VolluniversitĂ€ten gelten. Und tatsĂ€chlich dĂŒrfte oft der Fall sein, was unter anderen Basel, die USI und sogar die EPFL andeuten: Dass die Kommunikation, eine Dienstleistungseinheit, nehmen muss, was ihr angeboten und vorgesetzt wird, weil sie den Professor, die Forschungsgruppe oder vielleicht sogar die Hochschulleitung nicht brĂŒskieren will. Diese nĂ€mlich will das Forschungsprojekt, das einen Exzellenzausweis erhalten hat oder dessen Autoren als KoryphĂ€en gelten, weil sie in renommierten Journalen publizieren und preisgekrönt sind, kommuniziert wissen.
Nur: Als exzellent gelabelte Forschung ist oft nicht kommunikationsgeeignet. Und umgekehrt ist vielleicht die mediokre oder gar biedere Forschung viel spannender zu kommunizieren. Sowieso aber ist die Kommunikationsabteilung der Professorin, die sich die MĂŒhe macht, ihr Projekt schon mal auf fĂŒnf Seiten zusammenzufassen, dankbar. Im Gegensatz zu anderen engagiert sie sich immerhin fĂŒr die Ăffentlichkeitsarbeit. Das heisst dann zuweilen im Ergebnis: QuantitĂ€t vor QualitĂ€t. Zu kommunizieren gibt es immer etwas. Einige Kommunikationschefs deuten es an: Es wĂ€re besser, wenn die Kommunikation auf keine Befindlichkeiten und AutoritĂ€ten RĂŒcksicht nehmen mĂŒsste und nur das kommunizieren könnte, was in ihren Augen die breite Ăffentlichkeit wirklich interessiert.
DER NUTZEN DER ORGANISATION
Wie jede Organisationseinheit eines Unternehmens oder einer Institution sind die Kommunikationsabteilungen angehalten, den Erfolg ihrer Arbeit auszuweisen. Es reicht selbstredend nicht aus, auf die neu gestaltete Webseite mit ihren Interaktionsmöglichkeiten zu verweisen oder auf einen gut besuchten öffentlich zugĂ€nglichen Anlass. Der Erfolg sollte mit Zahlen belegt werden. Und die Abteilungen mĂŒssen nicht nur belegen können, was sie produzieren, sondern auch, ob die Produkte ihrer Arbeit dazu fĂŒhren, dass die gesetzten Ziele erreicht werden. Wenn etwa das Ziel lautet, den Nutzen der UniversitĂ€t aufzuzeigen oder deren Legitimation zu stĂ€rken, ist allerdings die Erfolgskontrolle nicht einfach durchzufĂŒhren. Diese erfolgt in den einzelnen Kommunikationsabteilungen unterschiedlich. Wahrscheinlich alle benutzen das einfachste Mittel: den klassischen Medienspiegel. Wie oft werden Medienmitteilungen in der Presse und im Internet aufgegriffen? Die Hochschulen nehmen dafĂŒr die Dienste des 1896 in Genf gegrĂŒndeten Medienbeobachtungsunternehmens Argus â neuerdings Argus Data Insights â in Anspruch, das seit 2004 auch die sozialen Netzwerke nach den Namen ihrer Kunden durchforstet.
Ăberraschend entpuppt sich die EPFL, eine der potentesten Wissenschaftskommunikatorinnen der Schweiz, als bekennende Minimalistin: Sie wĂŒrden nicht viel machen, um den Erfolg zu messen, nur Statistiken zu ihren verschiedenen KanĂ€len fĂŒhren, sagt die Kommunikationsleiterin. Basel sagt, sie mĂ€ssen den «Output», also die Anzahl der von der Abteilung produzierten BeitrĂ€ge und News, und mit Argus den «Outcome», also die Rezeption in den Medien, im Internet und die Interaktionen mit der Aussenwelt. Den weitergehenden Erfolg zu bestimmen, sei schwierig. Die UniversitĂ€t Lausanne gibt sich skeptisch: Sie schaue sich den Medienspiegel an und die Besucherzahlen bei den Tagen der offenen TĂŒren, fĂŒhre aber keine grossen quantitativen Messungen durch, das ergebe keinen Sinn. Vielmehr setzt Lausanne auf «qualitative GesprĂ€che», zum Beispiel mit Parlamentariern. Genf sagt, man mĂŒsse die Messungen vorsichtig beurteilen und die Ausrichtung auf möglichst hohe Zahlen kritisch hinterfragen. Die UniversitĂ€t sei kein privates Unternehmen, sondern habe einen öffentlichen Auftrag; sie informiere auch dann, wenn es sich nicht rentiere, also wenn ein Medienunternehmen die Arbeit einstellen wĂŒrde.
Was man messen könne, das messe man. Gerade die Kommunikation in den sozialen Netzwerken könne man extrem gut messen; es gebe fast unendlich viele Indikatoren. Luzern sagt, es benutze das Argus-Medienmonitoring und beobachte, in welchen Kontexten und wie die UniversitĂ€t und ihre Forschenden erwĂ€hnt wĂŒrden. Das sei aber mit Vorsicht zu geniessen. Die Anzahl der Nennungen in den Medien und auf Plattformen nehme stets zu, es werde immer unĂŒberschaubarer. Ăhnlich Ă€ussert sich Freiburg.
Alle diese Institutionen beobachten also die Medien, zĂ€hlen die Veröffentlichungen und fĂŒhren unter UmstĂ€nden auch GesprĂ€che. Sie sind mit diesem Zustand zufrieden. Sie sagen, was sie machen â und was sie nicht machen: Reputation messen. Ohne dass sie nach ihr gefragt worden wĂ€ren, fĂŒhren sie die «Reputation» ins Feld; eigentlich ging es in den Interviews um den Erfolg der Arbeit. Der Erfolg könnte auch anders formuliert werden, zum Beispiel in der Gesellschaft das Reflexionswissen erhöht zu haben. Bern sagt, es nehme keine Reputationsmessung vor, wĂŒrde das aber gerne tun, und sowieso brĂ€uchte es eine Wirkungsforschung und ein Instrument, um den Erfolg der Arbeit zu messen. Eine kleine Gruppe von Hochschulen bedient sich fĂŒr die Erfolgskontrolle explizit der Reputationsmessung. St. Gallen sagt, es mache klassisches Medienmonitoring und benutze das Medienreputationsmanagement des Forschungsinstituts Ăffentlichkeit und Gesellschaft der UniversitĂ€t ZĂŒrich. Gleiches gilt fĂŒr ZĂŒrich, die ETHZ und die FHNW. Die USI benutzt neben Argus und einem weiteren Medienbeobachtungsdienst ein Instrument fĂŒr die quantitative und qualitative Reputationsmessung. Die Frage nach dem Erfolg der Arbeit fĂŒhrt also in den meisten FĂ€llen zur Frage nach der Reputation. Wenn St. Gallen und die USI betonen, sie wĂŒrden strikt zwischen Marketing und Wissenschaftskommunikation trennen, wirkt das wie eine Schutzbehauptung, denn Reputationspflege ist kaum vom Marketing in einem erweiterten Sinn zu trennen. Luzern sagt denn auch, die Arbeit der Kommunikationsabteilung sei nicht immer einfach, weil im SelbstverstĂ€ndnis mancher Wissenschaftler das Marketing der UniversitĂ€t keinen Platz habe, als ob Marketing etwas Verwerfliches wĂ€re. Die Luzerner Kommunikationsabteilung sieht sich also mit marketingfeindlichen Professoren konfrontiert.
Was ist das Ziel der Wissenschaftskommunikation? Ein Begriff taucht in Interviews und Dokumenten immer wieder auf, explizit oder implizit: der Nutzen â der Wissenschaften, der Forschung, der UniversitĂ€t. Nutzen meint definitionsgemĂ€ss den Vorteil, Gewinn und Ertrag, den eine TĂ€tigkeit oder FĂ€higkeit abwirft. Bern sagt, die Forschungskommunikation habe den Auftrag, den Nutzen der UniversitĂ€t fĂŒr die Gesellschaft stĂ€rker sichtbar zu machen. Die UniversitĂ€t solle selbstbewusst ihre Leistungen aufzeigen; stark sei sie insbesondere in den Bereichen Astrophysik, Zahnmedizin, Klima und Weltraum. In der Ăffentlichkeit werde viel zu wenig diskutiert, was eine UniversitĂ€t alles leiste, was der Judaistik-Student mache und wie die Geisteswissenschaftlerinnen lernten, ĂŒber eine Sache nachzudenken. Die UniversitĂ€t bilde kreative und kritische Geister aus. Auch Luzern sagt, die Kommunikationsabteilung wolle einem breiten Publikum die Wichtigkeit und den Nutzen der UniversitĂ€t vermitteln. Die UniversitĂ€t Luzern sei eine Institution, deren Forschung sich um die Menschen drehe, wie sie glaubten, handelten, VertrĂ€ge abschlössen, wirtschafteten und sich um die Gesundheit kĂŒmmerten. Diese «Menschbezogenheit» der UniversitĂ€t sei zugleich ihr Image: Dass sie eine persönliche und ĂŒberschaubare Institution sei, wo man einander kenne und aufeinander zugehe.
Die ETHZ betont, die Hochschulen mĂŒssten beweisen, dass sie nĂŒtzlich seien. Die Kommunikation zeige, dass die ETHZ kein Elfenbeinturm sei, sondern fĂŒr die Ăffentlichkeit eine grosse Relevanz habe. Ăhnlich Ă€ussert sich St. Gallen: Die Kommunikationsabteilung mĂŒsse aufzeigen, wie die UniversitĂ€t zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitrage. Einer der in dieser Hinsicht wichtigen SĂ€tze laute: «Aus einem macht die HSG fĂŒnf Franken.» Lausanne sagt, alle Menschen in der Region Genfersee mĂŒssten wissen, dass die Hochschulen diesem Raum etwas brĂ€chten. Hingegen sei es â das ist bemerkenswert â kein Ziel, dass sie etwas von Wissenschaft verstĂŒnden. Die Wissenschaften seien fĂŒr die meisten Personen zu kompliziert. Die Botschaft der Kommunikation sei einfach: Die UniversitĂ€t rentiere fĂŒr den Kanton, die Hochschulen wĂŒrden Unternehmen schaffen, die Dynamik sei tĂ€glich sichtbar. Die heute so stark entwickelte Region sei vor noch nicht allzu langer Zeit reines Landwirtschaftsland gewesen.
Andere sprechen den Nutzen eher indirekt an. FĂŒr ZĂŒrich besteht die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation darin, die Legitimation der UniversitĂ€t zu stĂ€rken. Das bedeute, dass die Kommunikation positiv sein mĂŒsse. Und das bedeutet auch, den gesellschaftlichen Nutzen der UniversitĂ€t aufzuzeigen. Die EPFL greift quasi nach den Sternen: Man berichte neutral ĂŒber Dinge, welche die Gesellschaft vorwĂ€rtsbrĂ€chten, aber am Ende gehe es darum, dass die Hochschule zu einer besseren Welt beitrage, damit wir alle besser leben könnten und die Umwelt besser behandelten. Alle Personen, die an der EPFL arbeiteten, glaubten an dieses Ziel und teilten diese Idee. Und man mĂŒsse auch zeigen, dass unser Wohlstand von der offenen Forschung fĂŒr eine bessere Welt abhĂ€nge. Weil Forschung so wichtig sei, sei sie auch so teuer. Das mĂŒsse man zeigen. Freiburg sagt, die Kommunikation habe drei Ziele: Wissensvermittlung, Imagebildung, Reputationssteigerung. Reputation ist also auch fĂŒr Institutionen zentral, die sie nicht messen lassen. FĂŒr die Imagebildung diffundiert Freiburg drei Kernbotschaften: die NĂ€he der Menschen, die NĂ€he zwischen Dozierenden und Studierenden, der ĂŒberschaubare Campus, die Mehrsprachigkeit und die Exzellenz. Die Marke UniversitĂ€t Freiburg mĂŒsse gestĂ€rkt werden. Basel verfolgt sowohl globale als auch regionale Ziele. Zur Erreichung Letzterer werden die Forschungsprojekte mit regionaler Verankerung hervorgehoben: invasive Pflanzen, Geothermie, Bitcoin. Die Bevölkerung soll merken, dass die UniversitĂ€t etwas zu ihrer Lebenswelt zu sagen hat, und die Institution, die von der Politik unter Spardruck geraten ist, auch in Zukunft unterstĂŒtzen. FĂŒr die globale Ebene fĂŒttert Basel einschlĂ€gige Forscher-Communitys mit Wissenschaftsmeldungen, damit die Institution im GesprĂ€ch bleibt und in den Rankings gute Noten erhĂ€lt. Das Tessin hat, wie bereits angemerkt, seine IdentitĂ€t zu seinem Image erkoren, dass nĂ€mlich die USI ein Ort der realen Chancen sei. Die Kommunikation soll dieses Image stĂ€rken.
Auffallend zurĂŒckhaltend Ă€ussern sich in Bezug auf die Ziele Genf und Neuenburg. Beide berufen sich auf die gesetzlich vorgegebene Aufgabe der Wissensvermittlung. Die beiden Institutionen erwecken den Eindruck, sie wĂŒrden letztlich einer ganz einfachen TĂ€tigkeit nachgehen: das an der UniversitĂ€t produzierte Wissen in der Ăffentlichkeit verbreiten. Genf sagt, alle Meldungen mĂŒssten «wissenschaftlich fundiert» sein, so bekĂ€mpfe man Fake News. Da ist keine Rede von Reputationsbewirtschaftung, Imagepflege, NutzenĂŒberlegungen und dergleichen; die schnöde Welt des Marketings und die sich konkurrierenden Hochschulen sind weit weg. Genf und Neuenburg beschwören quasi die ideale Welt der Wissenschaftskommunikation â auch wenn sie einrĂ€umen, dass bei «heiklen Themen», also vorab bei Tierversuchen und der Ausbildung fĂŒr Imame, ein von oben verordneter Kommunikationsplan vorliege â das Issue Management.
Die Wissensvermittlung an die Ăffentlichkeit geben â ausser die UniversitĂ€t Lausanne â alle Hochschulen als Ziel an, aber bei den meisten Hochschulen steht diese im Dienst der Reputation, des Images, der Akzeptanz und Legitimation der Institution. In der Praxis dĂŒrften die Unterschiede wegfallen: Auch Neuenburg und Genf veröffentlichen keine Medienmitteilungen, die auf sie ein schlechtes Licht werfen oder von Teilen der Ăffentlichkeit als Provokation aufgefasst werden könnten. Die Kommunikation dreht sich immer wieder um die Reputation der Institution, ob nun der konkrete wirtschaftliche Nutzen ins Feld gefĂŒhrt wird, den diese angeblich hat, oder ihr Beitrag zur Verbesserung der Welt.
Das Nutzenargument ist anschlussfĂ€hig an den Innovationsdiskurs, aber das macht es nicht besser. Die Innovation, von der in der Bildungspolitik, in der Wirtschaft und auch in der Wissenschaftskommunikation gesprochen wird, reduziert die wissenschaftliche Neuerung gewöhnlich auf das aus einer Erfindung gewonnene marktfĂ€hige Produkt. Innovativ ist also ein neues NavigationsgerĂ€t, das von einem Start-up-Unternehmen erfolgreich verkauft wird, oder eine leicht handhabbare Software, die einem Spital die Anzahl und den Standort der aktuell verfĂŒgbaren leeren Betten anzeigt, nicht aber das Reflektieren unreflektiert eingesetzter Begriffe wie Innovation und Nutzen. Aber der Grossteil der Grundlagenforschung ist keineswegs ökonomisch nĂŒtzlich, vor allem nicht teure Forschung wie die unterirdischen Cern-Experimente oder astrophysikalische AusflĂŒge ins Weltall. Was nĂŒtzlich ĂŒberhaupt bedeuten könnte, wĂ€re zu diskutieren. Und profitiert die Gesellschaft wirklich von Latein und Kunstgeschichte? Justin Stover, Lecturer fĂŒr Mittellatein, hat kĂŒrzlich in einem provokanten Artikel geschrieben, die Geisteswissenschaften seien vor allem selbstbezĂŒglich und sollten das endlich zugeben. Ihre Legitimierungsversuche seien so hilf- wie nutzlos.50 Das ist ĂŒberzogen. Markus ZĂŒrcher, der GeneralsekretĂ€r der Schweizerischen Akademie fĂŒr Geistes- und Sozial-wissenschaften, hĂ€lt dagegen, dass die Geisteswissenschaften die mittels Modellen und Experimentalanordnungen gewonnenen Erkenntnisse der Naturwissenschaften in ein alltagstaugliches und damit wirksames Wissen fĂŒr die reale Welt transformierten.51 Das ist die offensive Gegenposition.
Bescheidener wĂ€re, mit Max Weber folgenden Nutzen der Wissenschaften zu erörtern â mit dem EingestĂ€ndnis, dass er keineswegs der Normalfall ist.52 Erstens verschaffen sie uns Kenntnisse ĂŒber die Technik: Wie man das Leben, die Ă€usseren Dinge wie das Handeln, beherrscht und mit welchen Mitteln man zu welchen Zielen gelange. Zweitens vermitteln die Wissenschaften Methoden des Denkens. Wer einmal in der Forschung tĂ€tig war, wird die Dinge nicht nur seines Fachgebiets fortan mit anderem, systematischerem und vielleicht auch reflektiertem Blick sehen. Und drittens bringen die Wissenschaften den Einzelnen dazu, sich selbst Rechenschaft zu geben ĂŒber den letzten Sinn seines eigenen Tuns. Und dazu gehört die Einsicht, so Webers philosophische Pointe, dass Wissenschaft an sich sinnlos sei. Sie gebe keine Antwort auf die Frage, was wir tun und wie wir leben sollten. Der Weg zum richtigen Sein, zur schönen Kunst, zum perfekten Staat, zur echten Natur â er fĂŒhre nicht ĂŒber die Wissenschaft.
Kommt dazu: Wissenschaft und Technik haben, wie Niklas Luhmann schrieb, auch dĂ€monische Wirkungen.53 In der Tat: Man denke an Atombomben, chemische Gifte, das Klonen, an den toxischen Abfall der forschungsgetriebenen Digitalindustrie. Der von der Gesellschaft installierte Ethiktank sei nicht gross genug, um genug ethische Gesinnung an alle Schwachstellen unserer Gesellschaft zu leiten, sagt Luhmann sarkastisch. Und mit den LehrstĂŒhlen fĂŒr Ethik, die zu Luhmanns Zeit noch nicht en vogue waren, delegieren Gesellschaft und Politik ihre Verantwortung an die Wissenschaften. Auch die selbstfahrenden Autos haben sich bisher nicht als Segnung erwiesen. Angesprochen auf die zahlreichen, von den Entwicklern provozierten und meist vertuschten UnfĂ€lle, gab ein Programmierer in Kalifornien kĂŒrzlich im New Yorker zu Protokoll: «If is your job to advance technology, safety cannot be your No. 1 concern. If it is, youâll never do anything.»54
SOCIAL MEDIA: KEINE WUNDERWAFFE
Die sozialen Netzwerke sind fĂŒr alle Hochschulen ein grosses Thema: Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, LinkedIn, Snapchat. Sie halten die Kommunikationsabteilungen auf Trab. In den Augen der meisten Befragten gehören sie zu den Desideraten ihrer Abteilungen, zusammen mit Videos, Multimedia, Datenvisualisierung und interaktiven Webseiten. Selbstredend sind die sozialen Netzwerke davon nicht zu trennen. Wer ĂŒber ein neues Video verfĂŒgt, lĂ€dt es auf YouTube hoch, bettet es in Facebook ein, bewirbt es mit Twitter und Instagram. Alle Kommunikationsabteilungen verfolgen die Strategie, möglichst viele Follower und Likes zu sammeln. Meine gemĂ€ss dem VerhĂ€ltnis der Anzahl Facebook-Likes zur Anzahl Studierender erstellte Reihenfolge sieht so aus (Stand 2018): An erster Stelle liegt die EPFL (72 600 Likes), gefolgt von der USI (1200 bei nur 3000 Studierenden), St. Gallen und der ETHZ â wobei ich nur die HauptkanĂ€le berĂŒcksichtigte, nicht die KanĂ€le einzelner Institute, die je nach Betreuung des Kanals und der Gemeinschaftsbildung hohe Werte aufweisen. Zuhinterst auf der Facebook-Rangliste liegt Freiburg. Es hat als einzige Institution weniger Likes als Studierende.
Generell gilt: Je grösser eine Kommunikationsabteilung ist, desto grösser sind ihr Social-Media-Output und desto zahlreicher ihre Social-Media-Fans und -Follower. Allerdings: Je höher deren Zahl ist, desto schwieriger wird es selbst fĂŒr eine grosse Abteilung, diese noch weiter zu erhöhen. Es ist einfacher, schnell einen stattlichen Grundstock anzusammeln. Eine kleine Hochschule kommt einfacher zu einer relativ hohen Zahl als eine grosse Hochschule. So hat die UniversitĂ€t ZĂŒrich, die grösste Hochschule, nicht die meisten Fans. Die Social-Media-Königin ist die EPFL. Die Anzah...