III. Hauptteil: Aktuelle Perspektiven des âVolk Gottesâ-Begriffs
7. Kirche als âcommunioâ â ein ekklesiologischer Paradigmenwechsel und seine Folgen fĂŒr den Begriff âVolk Gottesâ
Der zweite Hauptteil hat anhand dreier ausgewĂ€hlter Fragestellungen Beispiele fĂŒr den Rezeptionsprozess der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils unter dem Vorzeichen der Leitmetapher âVolk Gottesâ vorgestellt. Die Breite der Diskussion zeigt die StĂ€rken wie auch SchwĂ€chen dieses Begriffs. In der Demokratisierungsdebatte erscheint âVolk Gottesâ als Begriff zur Reform des kirchlichen SelbstverstĂ€ndnisses und der kirchlichen Struktur. Ein Hauptkritikpunkt ist dabei die Ăbertragung demokratischen Denkens aus dem profanen in den kirchlichen Bereich. Die Befreiungstheologie bemĂŒht sich um einen theologischen und pastoralen Neuansatz einer inkulturierten Ekklesiologie fĂŒr Lateinamerika. Die teilweise erbittert gefĂŒhrte Auseinandersetzung mit dem Lehramt um das richtige âVolk Gottesâ-VerstĂ€ndnis resultiert aus der kritischen Hinterfragung der Anwendung soziologischen, politischen und philosophischen Instrumentars fĂŒr die Reflexion theologischer Fragen. Das Ausloten des VerhĂ€ltnisses von Israel und Kirche hinterfragt den âVolk Gottesâ-Begriff als angemessenen Kirchenbegriff. Angesichts der kritischen Auseinandersetzung mit der âVolk Gottesâ-Ekklesiologie versucht der dritte Hauptteil Perspektiven fĂŒr die weitere Verwendung des Begriffs aufzuzeigen. Ist das Leitwort vom âVolk Gottesâ aktuell fĂŒr eine weitere Rezeption tauglich und wenn ja, in welcher Weise? Hierzu ist zunĂ€chst der Blick auf die Entwicklung Mitte der 1980er Jahre zu richten. Angeregt durch die AuĂerordentliche Bischofssynode von 1985 vollzieht sich in der Folgezeit ein durch die Auseinandersetzungen um den Begriff âVolk Gottesâ verursachter ekklesiologischer Paradigmenwechsel. Die Kirche wird unter der Leitkategorie âcommunioâ betrachtet. Ist damit der âVolk Gottesâ-Begriff abgelöst? Das Kapitel schildert zunĂ€chst das Ereignis der Bischofssynode und die Entwicklung seiner inhaltlichen Schwerpunkte. AnschlieĂend stellt es exemplarisch vier AnsĂ€tze einer Ekklesiologie vor, die sich besonders dem Leitwort âcommunioâ verpflichtet weiĂ. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem âcommunioâ-Begriff und seinem VerhĂ€ltnis zur Notion âVolk Gottesâ bildet den Abschluss.
7.1 Die AuĂerordentliche Bischofssynode 1985
Die AuĂerordentliche Bischofssynode von 1985 anlĂ€sslich des zwanzigsten Jahrestages des II. Vatikanums ist fĂŒr die Rezeptionsgeschichte des Konzils eine bedeutende Wegmarke. Die Absicht Papst Johannes Pauls II. ist es bei Einberufung der Synode am 25. Januar 1985, das GemeinschaftsgefĂŒhl, das auf dem Konzil spĂŒrbar geworden war, wieder lebendig werden zu lassen, Erfahrungen ĂŒber die bisherigen FrĂŒchte und Schwierigkeiten des Konzils in den Diözesen auszutauschen und zu einem vertieften VerstĂ€ndnis des Zweiten Vatikanums zu gelangen.1298 Mit der AnkĂŒndigung der Synode entsteht eine breite Diskussion ĂŒber das Erbe des Konzils. Zu ihr gehört auch die Frage nach dem konziliaren KirchenverstĂ€ndnis. Hatte insbesondere in der ersten Phase des kirchlichen Aufbruchs der 1970er Jahre der âVolk Gottesâ-Begriff im Mittelpunkt des Interesses gestanden, sucht man nun nach einer neuen ekklesiologischen Synthese.1299 Die folgenden Darstellungen der Situation vor der Bischofssynode und des Verlaufs und Ergebnisses derselben konzentrieren sich daher im Wesentlichen auf diesen Aspekt.
7.1.1 Im Vorfeld der Synode
1981 erscheint in mehreren Sprachen ein mit âQuellen der Erneuerungâ betiteltes Werk Johannes Pauls II., welches dieser als Erzbischof von Krakau bereits 1972 verfasst hatte.1300 Ziel dieser âStudie zur Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzilsâ ist es, die Texte des Konzils auf ihren Tiefengehalt zu befragen, um so Erkenntnis ĂŒber das Programm des II. Vatikanums und seine Umsetzung zu erhalten (358). Johannes Paul II. legt hier seine persönliche Konzilshermeneutik vor. Es ist schwer zu sagen, ob das Werk einen Einfluss auf die Vorbereitungen und den Verlauf der Bischofssynode von 1985 gehabt hat, zumal betont wird, dass sich der Papst mit eigenen Interventionen in der Synodenaula bewusst zurĂŒckgehalten habe. Deutlich ist zumindest, dass Papst und Synode im Ergebnis zu Ă€hnlichen Schlussfolgerungen kommen. Der damalige Krakauer Erzbischof nimmt zum Ausgangspunkt seiner ekklesiologischen Ăberlegungen die individuelle Berufung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott, die sich in der Gemeinschaft mit den anderen Menschen verwirklicht (vgl. GS 23) (106f). Gott ruft und erwĂ€hlt den Menschen nach LG 2â4 zur Teilhabe an seinem göttlichen Wesen. Aus dieser Berufung heraus entsteht die Kirche (57). Das personale Wesen Gottes bildet die personale Gemeinschaft der Menschen vor. Der Mensch ist Gott Ă€hnlich (GS 22) (59f). Dies bezieht sich sowohl auf die individuelle Persönlichkeit, die vom göttlichen Wesen ihre PrĂ€gung erfĂ€hrt, als auch auf die Gemeinschaft der Kirche (58). Das Mysterium Gottes, sein geoffenbartes Wesen, spiegelt sich in der Gestalt des Einzelnen, wie auch der Kirche wieder (vgl. GS 24) (55, 60f). An dieser Abbildhaftigkeit nimmt die kirchliche Gemeinschaft als âcommunioâ ihr MaĂ an der göttlichen Gemeinschaft:
âDas lateinische Wort âcommunioâ besagt eine Beziehung zwischen den Personen, die nur ihnen eigen ist, und ĂŒberdies das Gut, das diese Personen in wechselseitigem Geben und Empfangen miteinander austauschen.â (60)
Gott ist somit Prinzip der kirchlichen Gemeinschaft, insofern diese von ihm sowohl ihren Ursprung, als auch ihre Gestalt erhĂ€lt. âCommunioâ ist das Kirchenbild des Konzils (124). In diesem Begriff ist die Vereinigung und Einheit des âVolkes Gottesâ in Ăhnlichkeit zur Einheit der göttlichen Personen ausgesagt. Von dieser Bestimmung her leitet sich dann die innere Struktur der Kirche ab (124ff):
ââCommumoâ bedeutet, möchte ich sagen, eine bestĂ€ndig der Gemeinschaft innewohnende dynamische Kraft der Gemeinschaft, die von der Vielfalt der KomplexitĂ€t zur Einheit nicht nur des Volkes, sondern sogar des Leibes [Christi] dringt, und gleichzeitig mit der gleichen Kraft und Wirksamkeit die KomplexitĂ€t und Vielfalt in der Einheit des Volkes und des Leibes aufrechterhĂ€lt.â (126)
In diesem Zusammenspiel der vielfĂ€ltigen Berufungen, Dienste und Ămter der Kirche ist es entscheidend, durch sie zur Einheit beizutragen (316). So sind die verschiedenen Berufungen durch die Gleichheit aller Glieder des âVolkes Gottesâ miteinander verbunden (128f). Sie fĂŒhlen sich der von Christus verkĂŒndeten BrĂŒderlichkeit verpflicht...