Christliche Hospiz- und Palliativkultur â ZugĂ€nge und Konturen
Was ist âChristliche Hospiz- und Palliativkulturâ? ZunĂ€chst ein Begriff, der verschiedenste Assoziationen wecken kann: Von historischen Herbergen ĂŒber befreiende oder bedrĂŒckende Krankenhausbilder bis hin zu möglicherweise eigenen Erfahrungen mit Abschied und Sterbebegleitung. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, christliche Hospiz- und Palliativkultur als theologisches Konzept und praktische RealitĂ€t zu erfassen, charakteristische Fundamente und QualitĂ€tskriterien zu erarbeiten und ihre Bedeutung fĂŒr Kirche und Gesellschaft zu beschreiben. Die Untersuchung bewegt sich dabei auf biographisch-narrativen, deskriptivanalytischen und normativ-kritischen Wegen.
Einleitend sollen zunÀchst Fragestellung und Erkenntnisinteresse der Arbeit nÀher entfaltet werden, gefolgt von der Beschreibung der inhaltlichen und methodischen ZugÀnge zum Thema.
1. EinfĂŒhrung: Fragestellung und Erkenntnisinteresse dieser Arbeit
1.1 âChristliche Hospiz- und Palliativkulturâ â ein ambivalentes Schlagwort
Christliche Hospiz- und Palliativkultur â eine SelbstverstĂ€ndlichkeit?
Christliche Hospiz- und Palliativkultur ist ein Thema, das in Theologie und Kirche zunehmend Aufmerksamkeit gewinnt: In den vergangenen zwei Jahrzehnten beschĂ€ftigen sich allein in Deutschland ĂŒber ein Dutzend Dokumente der groĂen christlichen Kirchen mit Aspekten der Sterbe- und Trauerkultur. Die theologische Literatur zu Hospiz und Palliative Care wird in den letzten Jahren unĂŒbersehbar, insb. unter den Perspektiven von historischer Entwicklung, Trauerbegleitung und Spiritual Care. Caritasverband und Diakonisches Werk thematisieren auf allen Ebenen die âhospizlich-palliative Kultur in diakonischen Einrichtungen und Dienstenâ1. In den bayerischen Diözesen (2006-07) und in der Erzdiözese MĂŒnchen und Freising (2009-12) fĂŒhrte der Caritasverband jeweils Implementierungsprojekte unter dem Schlagwort âChristliche Hospiz- und Palliativkulturâ durch. Empirische Untersuchungen belegen die hohe Identifikation hospizlicher und palliativer Praxis mit christlichen Werten und Organisationen: 55% der ambulanten Hospiz- und Palliativdienste in Deutschland bezeichnen sich ausdrĂŒcklich als âchristlichâ.2 Sogar in der Fremdwahrnehmung der christlichen Religion durch in Deutschland lebende Muslime erscheinen Hospiz und Palliative Care als typisch kirchliches Kulturmerkmal: âBei denen, die die Hospizbewegung kennen, herrscht die Meinung vor, diese sei âeine Sache der Kirche, wo die alten Menschen abgegeben werdenââ3.
Wozu also noch eine weitere Untersuchung zu diesem Thema? Legen die beschriebenen Beobachtungen doch eher den Eindruck nahe, beim Thema âChristliche Hospiz- und Palliativkulturâ handle es sich inzwischen um eine SelbstverstĂ€ndlichkeit, der Begriff selbst sei geradezu zum Pleonasmus geworden.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur â alles andere als selbstverstĂ€ndlich?
Sicher ist: In Hospiz und Palliative Care finden sich weitreichende Ăberschneidungen mit Christentum und Kirchen. Dass diese Kongruenz jedoch nicht selbstverstĂ€ndlich vorausgesetzt werden kann, zeigt sich bereits an einigen Schlaglichtern:
Die Journalistin Beata Lakotta, die die Hospizbewegung seit langem publizistisch begleitet, stellt fest:
âIn Talkshows sitzt dann, je nach aktuellem Anlass, ein Sterbehilfe-BefĂŒrworter, ein Kirchenvertreter, ein unheilbar Kranker, vielleicht noch ein Anwalt und ein Palliativmediziner. Und die deutsche Hospizbewegung? Kommt in all diesen Debatten nicht vor. Hat sie dazu nichts zu sagen? Das sicher nicht. Aber sie leistet sich keine ReprĂ€sentanten und keine breitenwirksame Ăffentlichkeitsarbeit. Keine Stimme, die sich einmischt. (âŠ) Es sei denn, ein anderer vertritt sie.â4
UnabhĂ€ngig von ihrer primĂ€ren StoĂrichtung zeigt diese Beobachtung: Der âKirchenvertreterâ steht in diesem Setting fĂŒr andere Interessen als die der Hospizbewegung. Die christliche Religion und ihre Vertreter werden wie selbstverstĂ€ndlich nicht mit der Hospizidee und deren Vertretern identifiziert, in der öffentlichen Wahrnehmung und medialen Inszenierung ebenso wenig wie im SelbstverstĂ€ndnis der Hospizbewegung selbst. Die historischen und ideellen Wurzeln, die beide Bewegungen verbinden, sind an der OberflĂ€che heutiger Hospiz- und Palliativkultur nicht mehr unmittelbar wahrzunehmen. Cicely Saunders, ĂŒberzeugte Christin und aus dieser Motivation heraus Protagonistin der neuzeitlichen Hospizbewegung, konstatiert rĂŒckblickend:
âGrundsteine sieht man oft nicht.â5
Gleichzeitig mehren sich Hinweise auf eine gewisse Sprachlosigkeit auch innerhalb christlicher Einrichtungen selbst, wenn es um die Frage geht, was denn nun das charakteristisch âChristlicheâ der eigenen Praxis sei:
âDas moderne Krankenhaus ist ein guter Ort fĂŒr eine BerĂŒcksichtigung und Umsetzung individueller spiritueller BedĂŒrfnisse. Dem stehen jedoch andere Erfahrungen entgegen: in den Teams, aber auch in den einzelnen KrankenhĂ€usern (auch nicht in vielen HĂ€usern in konfessioneller TrĂ€gerschaft!) gibt es kein einheitliches und kein gemeinsames VerstĂ€ndnis z.B. von Heilung und dessen Ermöglichung oder z.B. ĂŒber das spezifisch Christliche.â6
Diese Beobachtungen widerlegen jede idealisierende Illusion: âChristliche Hospiz- und Palliativkulturâ ist keine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Das Christliche droht auĂen unsichtbar zu werden â und innen unsagbar.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur â eine AnmaĂung kirchlicher Akteure?
Die klassische Frage âWer hatâs erfunden?â wird auch in Hospiz und Palliative Care gestellt â und von den einzelnen Professionen und Akteuren durchaus gern zur Profilierung des eigenen Images beantwortet.7 Die Rede von christlicher Hospiz- und Palliativkultur kann daher schnell in den Verdacht kommen, exklusivistische UrheberansprĂŒche der Kirchen proklamieren zu wollen. Ein ĂŒberzeugendes Konzept von christlicher Hospiz- und Palliativkultur muss die Verdienste christlicher Akteure und die Bedeutung christlicher SpiritualitĂ€t und Theologie in diesem Feld keineswegs verschweigen. Gerade deshalb wird es sich inhaltlich aber an einer offenen, integrativen Zielperspektive orientieren:
âWenn hier von christlichem Profil die Rede ist, dann sicher nicht profilneurotisch mit jener neidvollen ExklusivitĂ€t, die die eigene IdentitĂ€t nur behaupten kann, wenn sie den anderen abgesprochen wird. Vielmehr werden die Kirchen ĂŒber jeden nichtkirchlichen Wohlfahrtsverband froh sein, der Ă€hnliche Ziele im Kontext durchaus anderer konzeptioneller und religiöser âSprachspieleâ praktisch verfolgt. Nur: Die Kirche selbst kann um ihrer eigenen christlichen IdentitĂ€t willen, auf die sie sich beruft, auf keinen Fall darauf verzichten, diese Ziele selbst vehement zu betreiben.â8
Dezidiert christliche Fundamente zu benennen ist zur Vergewisserung der eigenen IdentitĂ€t unverzichtbar. Dies entspricht jedoch keinesfalls einer HerabwĂŒrdigung anderer Motivationen und ZugĂ€nge, die hospizliches und palliatives Engagement anderer Akteure leiten. Ăber eine bloĂ der PluralitĂ€t bzw. der âpolitical correctnessâ geschuldete Toleranz hinaus legitimieren sich Kooperationen christlicher mit nichtchristlichen Akteuren hier aus der gemeinsamen Zielperspektive:
âEin von dem Symbol âgeheimnisvoller Mehrwert des Menschenâ geleiteter Helfer wird anders mit dem Patienten umgehen als ein reiner Funktionsberuf. (âŠ) Das âMehrâ der Palliativ-Perspektive besteht nicht in einem Mehr-Machen, sondern im Anerkennen eines âMehrâ im Wesen des Menschen und seines Schicksalsâ9.
Diese teleologische Perspektive fordert geradezu Allianzen christlicher und nichtchristlicher Akteure: Gemeinsamen stehen sie Trends gegenĂŒber, die ihre ursprĂŒnglichen Leitwerte zu instrumentalisieren versuchen oder ihnen direkt widersprechen. Zu nennen wĂ€ren die oft beklagte Re-Medikalisierung palliativer Praxis10 ebenso wie eine bloĂer Konsumlogik folgende âBewirtschaftung des Lebensendesâ11.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur â Ein Anachronismus, der kirchlichem Wunschdenken entspringt?
Christentum und Kirchen können lĂ€ngst kein Monopol mehr auf Hospizwesen und Sterbebegleitung beanspruchen. Pluralisierung und (vermeintlicher oder tatsĂ€chlicher) Monopolverlust begegnet den Kirchen in diesem speziellen Bereich ebenso wie auf allgemein gesellschaftlicher Ebene.12 Als Reaktion rufen diese Herausforderungen vielfach restaurative Reflexhandlungen innerhalb der Kirchen hervor. Vor diesem Hintergrund kann das Insistieren auf christlicher Hospiz- und Palliativkultur schnell in den Verdacht geraten, Ausdruck eines anachronistischen Wunschdenkens zu sein. Zumal sich mit hospizlichem Engagement nicht nur innerkirchlich âPunkte machenâ lassen:
âFreilich sollten die Kirchen ihr Engagement fĂŒr die Sterbebegleitung auch ein wenig selbstkritisch beleuchten. Darin steckt nĂ€mlich durchaus auch die Versuchung, gesellschaftlichen Relevanzverlust zu kompensieren. (âŠ) Die Volkskirche sollte nicht, um das Diktum von Josuttis abzuwandeln, ihre Lebendigkeit nur noch dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich als MarktfĂŒhrer auf dem neu entstehenden und inzwischen bereits umkĂ€mpften Markt der Sterbebegleitung zu positionieren versucht.â13
Im Hintergrund dieser Zuspitzung â wie auch der anderen genannten Entwicklungen â zeichnet sich eine entscheidende Systemfrage ab: Erlaubt das herrschende Gesundheitswesen prinzipiell die Integration christlicher Werte und Ziele?14 Diese fĂŒr die ganze soziale Arbeit der Kirchen kritische Frage entfaltet sich im kirchlichen Engagement in Hospiz und Palliative Care quasi in Reinkultur â mit einem bemerkenswerten Unterschied: In allgemein-systemischer Perspektive finden sich durchaus negative Antworten, auch unter Theologen.15 Je nĂ€her die Kommentatoren jedoch die konkrete RealitĂ€t in Hospiz und Palliative Care in den Blick nehmen, desto eher neigen sie zu Bewertungen, die fĂŒr positive AntwortansĂ€tze offen sind.16 Einig sind sich die optimistischen Antworten dabei in einem entscheidenden Kriterium: Authentisch und gesellschaftlich relevant kann nur ein Christentum sein, das die Zeichen der Zeit in der Gesellschaft sucht und ernst nimmt, das sich seiner eigenen IdentitĂ€t bewusst ist und permanente Prozesse dieser Bewusstwerdung strukturell in die eigene Glaubens- und Hilfepraxis integriert.
Die bisher angedeuteten ...