Christliche Hospiz- und Palliativkultur
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Christliche Hospiz- und Palliativkultur

Grundlagen, Erfahrungen und Herausforderungen

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Christliche Hospiz- und Palliativkultur

Grundlagen, Erfahrungen und Herausforderungen

About this book

Was ist "Christliche Hospiz und Palliativkultur"? Die Frage besitzt Bedeutung ĂŒber den Binnenraum von Theologie und Kirche hinaus: Von einer reflektierten IdentitĂ€t christlicher Akteure profitieren letztlich alle Beteiligten in Hospiz und Palliative Care. Es gilt, eine anschlussfĂ€hige Theologie christlicher Praxis in Hospiz und Palliative Care zu formulieren.Aus vier Blickwinkeln ergibt sich ein reichhaltiges Gesamtbild: Biographische Skizzen bedeutender Protagonisten heben die christlichen Wurzeln der neuzeitlichen Hospizbewegung neu ans Licht. Der Blick auf 'weltanschaulich neutrale' Positionen beschreibt allgemein anerkannte Prinzipien palliativer Praxis. Die Auswertung kirchlicher Dokumente ergibt ein differenziertes Bild systematischer Positionen und theologischer Erkenntnisprozesse. Die Analyse von Mitarbeiterinterviews wirft Schlaglichter auf Herausforderungen der Praxis. Am Ende entsteht eine ideale "Leitvision" christlicher Hospiz und Palliativkultur in Form von differenzierten QualitĂ€tskriterien.

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Information

Publisher
Echter
Year
2014
Print ISBN
9783429036928
eBook ISBN
9783429061647

Christliche Hospiz- und Palliativkultur – ZugĂ€nge und Konturen

Was ist „Christliche Hospiz- und Palliativkultur“? ZunĂ€chst ein Begriff, der verschiedenste Assoziationen wecken kann: Von historischen Herbergen ĂŒber befreiende oder bedrĂŒckende Krankenhausbilder bis hin zu möglicherweise eigenen Erfahrungen mit Abschied und Sterbebegleitung. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, christliche Hospiz- und Palliativkultur als theologisches Konzept und praktische RealitĂ€t zu erfassen, charakteristische Fundamente und QualitĂ€tskriterien zu erarbeiten und ihre Bedeutung fĂŒr Kirche und Gesellschaft zu beschreiben. Die Untersuchung bewegt sich dabei auf biographisch-narrativen, deskriptivanalytischen und normativ-kritischen Wegen.
Einleitend sollen zunÀchst Fragestellung und Erkenntnisinteresse der Arbeit nÀher entfaltet werden, gefolgt von der Beschreibung der inhaltlichen und methodischen ZugÀnge zum Thema.

1. EinfĂŒhrung: Fragestellung und Erkenntnisinteresse dieser Arbeit

1.1 „Christliche Hospiz- und Palliativkultur“ – ein ambivalentes Schlagwort

Christliche Hospiz- und Palliativkultur – eine SelbstverstĂ€ndlichkeit?
Christliche Hospiz- und Palliativkultur ist ein Thema, das in Theologie und Kirche zunehmend Aufmerksamkeit gewinnt: In den vergangenen zwei Jahrzehnten beschĂ€ftigen sich allein in Deutschland ĂŒber ein Dutzend Dokumente der großen christlichen Kirchen mit Aspekten der Sterbe- und Trauerkultur. Die theologische Literatur zu Hospiz und Palliative Care wird in den letzten Jahren unĂŒbersehbar, insb. unter den Perspektiven von historischer Entwicklung, Trauerbegleitung und Spiritual Care. Caritasverband und Diakonisches Werk thematisieren auf allen Ebenen die „hospizlich-palliative Kultur in diakonischen Einrichtungen und Diensten“1. In den bayerischen Diözesen (2006-07) und in der Erzdiözese MĂŒnchen und Freising (2009-12) fĂŒhrte der Caritasverband jeweils Implementierungsprojekte unter dem Schlagwort „Christliche Hospiz- und Palliativkultur“ durch. Empirische Untersuchungen belegen die hohe Identifikation hospizlicher und palliativer Praxis mit christlichen Werten und Organisationen: 55% der ambulanten Hospiz- und Palliativdienste in Deutschland bezeichnen sich ausdrĂŒcklich als „christlich“.2 Sogar in der Fremdwahrnehmung der christlichen Religion durch in Deutschland lebende Muslime erscheinen Hospiz und Palliative Care als typisch kirchliches Kulturmerkmal: „Bei denen, die die Hospizbewegung kennen, herrscht die Meinung vor, diese sei ‚eine Sache der Kirche, wo die alten Menschen abgegeben werden‘“3.
Wozu also noch eine weitere Untersuchung zu diesem Thema? Legen die beschriebenen Beobachtungen doch eher den Eindruck nahe, beim Thema „Christliche Hospiz- und Palliativkultur“ handle es sich inzwischen um eine SelbstverstĂ€ndlichkeit, der Begriff selbst sei geradezu zum Pleonasmus geworden.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur – alles andere als selbstverstĂ€ndlich?
Sicher ist: In Hospiz und Palliative Care finden sich weitreichende Überschneidungen mit Christentum und Kirchen. Dass diese Kongruenz jedoch nicht selbstverstĂ€ndlich vorausgesetzt werden kann, zeigt sich bereits an einigen Schlaglichtern:
Die Journalistin Beata Lakotta, die die Hospizbewegung seit langem publizistisch begleitet, stellt fest:
„In Talkshows sitzt dann, je nach aktuellem Anlass, ein Sterbehilfe-BefĂŒrworter, ein Kirchenvertreter, ein unheilbar Kranker, vielleicht noch ein Anwalt und ein Palliativmediziner. Und die deutsche Hospizbewegung? Kommt in all diesen Debatten nicht vor. Hat sie dazu nichts zu sagen? Das sicher nicht. Aber sie leistet sich keine ReprĂ€sentanten und keine breitenwirksame Öffentlichkeitsarbeit. Keine Stimme, die sich einmischt. (
) Es sei denn, ein anderer vertritt sie.“4
UnabhĂ€ngig von ihrer primĂ€ren Stoßrichtung zeigt diese Beobachtung: Der „Kirchenvertreter“ steht in diesem Setting fĂŒr andere Interessen als die der Hospizbewegung. Die christliche Religion und ihre Vertreter werden wie selbstverstĂ€ndlich nicht mit der Hospizidee und deren Vertretern identifiziert, in der öffentlichen Wahrnehmung und medialen Inszenierung ebenso wenig wie im SelbstverstĂ€ndnis der Hospizbewegung selbst. Die historischen und ideellen Wurzeln, die beide Bewegungen verbinden, sind an der OberflĂ€che heutiger Hospiz- und Palliativkultur nicht mehr unmittelbar wahrzunehmen. Cicely Saunders, ĂŒberzeugte Christin und aus dieser Motivation heraus Protagonistin der neuzeitlichen Hospizbewegung, konstatiert rĂŒckblickend:
„Grundsteine sieht man oft nicht.“5
Gleichzeitig mehren sich Hinweise auf eine gewisse Sprachlosigkeit auch innerhalb christlicher Einrichtungen selbst, wenn es um die Frage geht, was denn nun das charakteristisch ‚Christliche‘ der eigenen Praxis sei:
„Das moderne Krankenhaus ist ein guter Ort fĂŒr eine BerĂŒcksichtigung und Umsetzung individueller spiritueller BedĂŒrfnisse. Dem stehen jedoch andere Erfahrungen entgegen: in den Teams, aber auch in den einzelnen KrankenhĂ€usern (auch nicht in vielen HĂ€usern in konfessioneller TrĂ€gerschaft!) gibt es kein einheitliches und kein gemeinsames VerstĂ€ndnis z.B. von Heilung und dessen Ermöglichung oder z.B. ĂŒber das spezifisch Christliche.“6
Diese Beobachtungen widerlegen jede idealisierende Illusion: „Christliche Hospiz- und Palliativkultur“ ist keine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Das Christliche droht außen unsichtbar zu werden – und innen unsagbar.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur – eine Anmaßung kirchlicher Akteure?
Die klassische Frage „Wer hat’s erfunden?“ wird auch in Hospiz und Palliative Care gestellt – und von den einzelnen Professionen und Akteuren durchaus gern zur Profilierung des eigenen Images beantwortet.7 Die Rede von christlicher Hospiz- und Palliativkultur kann daher schnell in den Verdacht kommen, exklusivistische UrheberansprĂŒche der Kirchen proklamieren zu wollen. Ein ĂŒberzeugendes Konzept von christlicher Hospiz- und Palliativkultur muss die Verdienste christlicher Akteure und die Bedeutung christlicher SpiritualitĂ€t und Theologie in diesem Feld keineswegs verschweigen. Gerade deshalb wird es sich inhaltlich aber an einer offenen, integrativen Zielperspektive orientieren:
„Wenn hier von christlichem Profil die Rede ist, dann sicher nicht profilneurotisch mit jener neidvollen ExklusivitĂ€t, die die eigene IdentitĂ€t nur behaupten kann, wenn sie den anderen abgesprochen wird. Vielmehr werden die Kirchen ĂŒber jeden nichtkirchlichen Wohlfahrtsverband froh sein, der Ă€hnliche Ziele im Kontext durchaus anderer konzeptioneller und religiöser ‚Sprachspiele‘ praktisch verfolgt. Nur: Die Kirche selbst kann um ihrer eigenen christlichen IdentitĂ€t willen, auf die sie sich beruft, auf keinen Fall darauf verzichten, diese Ziele selbst vehement zu betreiben.“8
Dezidiert christliche Fundamente zu benennen ist zur Vergewisserung der eigenen IdentitĂ€t unverzichtbar. Dies entspricht jedoch keinesfalls einer HerabwĂŒrdigung anderer Motivationen und ZugĂ€nge, die hospizliches und palliatives Engagement anderer Akteure leiten. Über eine bloß der PluralitĂ€t bzw. der ‚political correctness‘ geschuldete Toleranz hinaus legitimieren sich Kooperationen christlicher mit nichtchristlichen Akteuren hier aus der gemeinsamen Zielperspektive:
„Ein von dem Symbol ‚geheimnisvoller Mehrwert des Menschen‘ geleiteter Helfer wird anders mit dem Patienten umgehen als ein reiner Funktionsberuf. (
) Das ‚Mehr‘ der Palliativ-Perspektive besteht nicht in einem Mehr-Machen, sondern im Anerkennen eines ‚Mehr‘ im Wesen des Menschen und seines Schicksals“9.
Diese teleologische Perspektive fordert geradezu Allianzen christlicher und nichtchristlicher Akteure: Gemeinsamen stehen sie Trends gegenĂŒber, die ihre ursprĂŒnglichen Leitwerte zu instrumentalisieren versuchen oder ihnen direkt widersprechen. Zu nennen wĂ€ren die oft beklagte Re-Medikalisierung palliativer Praxis10 ebenso wie eine bloßer Konsumlogik folgende „Bewirtschaftung des Lebensendes“11.
Christliche Hospiz- und Palliativkultur – Ein Anachronismus, der kirchlichem Wunschdenken entspringt?
Christentum und Kirchen können lĂ€ngst kein Monopol mehr auf Hospizwesen und Sterbebegleitung beanspruchen. Pluralisierung und (vermeintlicher oder tatsĂ€chlicher) Monopolverlust begegnet den Kirchen in diesem speziellen Bereich ebenso wie auf allgemein gesellschaftlicher Ebene.12 Als Reaktion rufen diese Herausforderungen vielfach restaurative Reflexhandlungen innerhalb der Kirchen hervor. Vor diesem Hintergrund kann das Insistieren auf christlicher Hospiz- und Palliativkultur schnell in den Verdacht geraten, Ausdruck eines anachronistischen Wunschdenkens zu sein. Zumal sich mit hospizlichem Engagement nicht nur innerkirchlich „Punkte machen“ lassen:
„Freilich sollten die Kirchen ihr Engagement fĂŒr die Sterbebegleitung auch ein wenig selbstkritisch beleuchten. Darin steckt nĂ€mlich durchaus auch die Versuchung, gesellschaftlichen Relevanzverlust zu kompensieren. (
) Die Volkskirche sollte nicht, um das Diktum von Josuttis abzuwandeln, ihre Lebendigkeit nur noch dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich als MarktfĂŒhrer auf dem neu entstehenden und inzwischen bereits umkĂ€mpften Markt der Sterbebegleitung zu positionieren versucht.“13
Im Hintergrund dieser Zuspitzung – wie auch der anderen genannten Entwicklungen – zeichnet sich eine entscheidende Systemfrage ab: Erlaubt das herrschende Gesundheitswesen prinzipiell die Integration christlicher Werte und Ziele?14 Diese fĂŒr die ganze soziale Arbeit der Kirchen kritische Frage entfaltet sich im kirchlichen Engagement in Hospiz und Palliative Care quasi in Reinkultur – mit einem bemerkenswerten Unterschied: In allgemein-systemischer Perspektive finden sich durchaus negative Antworten, auch unter Theologen.15 Je nĂ€her die Kommentatoren jedoch die konkrete RealitĂ€t in Hospiz und Palliative Care in den Blick nehmen, desto eher neigen sie zu Bewertungen, die fĂŒr positive AntwortansĂ€tze offen sind.16 Einig sind sich die optimistischen Antworten dabei in einem entscheidenden Kriterium: Authentisch und gesellschaftlich relevant kann nur ein Christentum sein, das die Zeichen der Zeit in der Gesellschaft sucht und ernst nimmt, das sich seiner eigenen IdentitĂ€t bewusst ist und permanente Prozesse dieser Bewusstwerdung strukturell in die eigene Glaubens- und Hilfepraxis integriert.
Die bisher angedeuteten ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorbemerkung
  6. Dank
  7. Teil 1: Christliche Hospiz- und Palliativkultur – ZugĂ€nge und Konturen
  8. Teil 2: Historisch-biographische ZugÀnge
  9. Teil 3: Die qualitative Inhaltsanalyse als Methode, Texte zur Hospiz- und Palliativkultur deskriptiv und normativ zu erschließen
  10. Teil 4: Hospiz- und Palliativkultur im Licht weltanschaulich neutraler Texte
  11. Teil 5: Christliche Hospiz- und Palliativkultur im Licht theologischkirchlicher Texte
  12. Teil 6: Zwischenbilanz: Christliche Hospiz- und Palliativkultur im Spiegel der Positionen von GrĂŒnderfiguren, allgemeinen Standards und kirchlichen Dokumenten
  13. Teil 7: Christliche Hospiz- und Palliativkultur im Licht praxisbezogener Texte
  14. Teil 8: Ertrag und Perspektiven
  15. AbkĂŒrzungsverzeichnis
  16. Abbildungsverzeichnis
  17. Literaturverzeichnis
  18. Anmerkungen