1. Einleitung
Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Frage der Hölle im 21. Jahrhundert mag auf den ersten Blick nicht nur anachronistisch, sondern geradezu befremdlich erscheinen. Nachdem die Höllenthematik ĂŒber Jahrhunderte hinweg nicht zuletzt im Interesse der Sicherung kirchlicher Macht ĂŒber die GlĂ€ubigen eine zentrale Stellung in Theologie und VerkĂŒndigung eingenommen hatte, setzte in der evangelischen Theologie im 19., katholischerseits dann ab Mitte des 20. Jahrhunderts eine Kehrtwende ein. âVor dem Denkhorizont des 20. Jahrhunderts erweisen sich die ĂŒberkommenen Vorstellungen von der Hölle in zunehmendem MaĂe als nicht mehr mitvollziehbarâ1, und so wĂ€chst die Einsicht in die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Entmythologisierung der Lehre. âDie naive analogielose Anwendung unseres Zeit- und Raumdenkens, eine rein innerweltl(iche) Beurteilung des Ganzen also, die diesem Dogma eine oft kaum zu ertragende Gestalt gibt, muà ⊠als eine Verzerrung seiner eigentl. Bedeutung erkannt werdenâ2, betont in diesem Sinne schon 1960 Joseph Ratzinger. Vor allem aber wĂ€chst mehr und mehr das Bewusstsein fĂŒr die im engeren Sinne theo-logische Problematik der Rede von einer ewigen Bestrafung des unbekehrten SĂŒnders. Immer mehr GlĂ€ubigen erscheint sie als letztlich unvereinbar mit dem christlichen Bild eines dem Menschen in absoluter Liebe zugewandten, zutiefst gĂŒtigen und barmherzigen Gottes.
1.1 Abschied von der Hölle?
âDie groĂen Theologen unseres (= des 20.; S. H.) Jahrhunderts haben versucht, der Hölle die Flammen zu löschenâ3. Mit einer Neubesinnung auf die in Jesus Christus offenbar gewordene absolute Liebe Gottes und seinen unbedingten Heilswillen treten sie an, die Pervertierung der christlichen Frohbotschaft zu einer Drohbotschaft zu ĂŒberwinden. âSo wird heute die Tendenz zu einem gegenlĂ€ufigen Pendelschlag verstĂ€ndlich, daĂ man nĂ€mlich statt von Gericht, Strafe und Hölle zu sprechen, nur noch einlinig Heil, Liebe und ewiges, seliges Leben hervorhebt.â4 Dieser Befund gilt sowohl mit Blick auf die wissenschaftliche Theologie, wie auch hinsichtlich der VerkĂŒndigungspraxis. Elke JĂŒngling kommt in einer breiten Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis, dass in manchen neueren evangelischen aber auch ökumenischen Dogmatiken das Thema der Hölle schlicht vermieden und ausgespart wird.5 Aber auch dort, wo Abhandlungen sich der Frage annehmen, âbrechen (sie) mit dem traditionellen eschatologischen Diskursâ6, indem sie zu AbschwĂ€chungen und Relativierungen der traditionellen Lehre neigen, stellt Michael Ebertz fest.7 Den gleichen Richtungswechsel kann er in einer historisch-empirischen Untersuchung fĂŒr Predigttexte nachweisen. Auch hier ist âHölleâ âzu einem Tabuthema geworden âŠ, worĂŒber man eigentlich sprechen mĂŒĂte, aber nicht mehr angemessen sprechen kannâ8.
Diese Entwicklung entpuppt sich nun zunehmend als zweischneidiges Schwert. Einerseits kann und darf es gar keinen Zweifel daran geben, dass der vollzogene Umbruch des Denkens nicht nur geistesgeschichtlich unausweichlich, sondern auch theologisch unbedingt geboten war. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Rettung und Befreiung der Menschheit durch Jesus Christus. In ihm, in seinem Leben, Wirken und Sterben, zuhöchst aber in seiner Auferweckung ist das Heil Gottes in der Welt angebrochen, der damit zugleich ihre Vollendung in der Teilhabe an der göttlichen Liebe verheiĂen ist. Jede Rede von der Hölle im Sinne der realen Möglichkeit endgĂŒltiger Verfehlung dieser letzten Bestimmung von Mensch und Welt ist damit grundsĂ€tzlich auf eine Hermeneutik der Erlösung verpflichtet. Hinter diese fundamentale Einsicht darf es unter keinen UmstĂ€nden ein ZurĂŒck geben.
Andererseits aber wird man sagen mĂŒssen, dass nicht nur eine Reinigung des Höllentopos von verfehlten und missbrĂ€uchlichen Vorstellungen stattgefunden hat, sondern geradezu ein Umschlag in das Gegenteil vollzogen wurde, indem die Theologie dazu neigt, âsich ausschlieĂlich des ewigen Lebens und der Liebe Gottes zu versichern.â9 In der Eschatologie hat sich so in Ablösung der Rede von der Verwerfung der Vielen ein neues Paradigma durchgesetzt, das âin zugespitzter Kurzform: âWenn Tod, dann Himmelââ10 lautet. Mit dieser Beschneidung der Lehre von den letzten Dingen um ehemalige SchlĂŒsselbegriffe und Grundgedanken11, findet aber nicht nur eine Korrektur der kirchlich-theologischen Tradition, sondern auch eine deutliche VerĂ€nderung der christlichen Botschaft statt.
Wenngleich Jesus auch sicherlich kein Höllenprediger war, so spielt die Warnung vor der Gefahr, das zugesagte Heil endgĂŒltig zu verfehlen doch zweifellos eine unverkennbare Rolle in seiner VerkĂŒndigung.12 Wird diese Dimension in der Gegenwartsdiskussion nun ausgeblendet, so hat dies erhebliche Konsequenzen nicht nur fĂŒr die Eschatologie, sondern fĂŒr die Theologie insgesamt. Indem ein gewisser Heilsoptimismus, wenn nicht gar eine Heilsgewissheit um sich greift, geschieht nĂ€mlich eine regelrechte Zivilisierung des biblischen Gottes13 zu einem partnerschaftlichen Kumpanen.14 âAlles, was den Gott des Evangeliums unbequem, ja Ă€rgerlich machte, wurde strukturell eliminiert.â15 Zur neuen Leitformel und Basisorientierung wurde der âliebe Gottâ16, ein Gott mithin, âĂŒber dessen Haltung man sich getrost hinwegzusetzen vermagâ17, weil nichts Bedrohliches von ihm ausgeht. âDie inflationĂ€re Rhetorik vom lieben Gott aber ist nicht nur langweilig und undramatisch, sie betrĂŒgt auch um den Ernst, der die Liebe in einer lieblosen Welt ans Kreuz gebracht hat.â18 Das biblische Gotteszeugnis wird dergestalt âunter dem Apriori einer âHermeneutik der Harmlosigkeitâ gedeutetâ19. Mit der Reduzierung der zwischengottmenschlichenen Beziehung auf den Zuspruch göttlicher Liebe, wird der Anspruchcharakter der christlichen Botschaft eliminiert.20
Aus dieser EindimensionalitĂ€t ergibt sich aber nicht nur eine neue, gleichsam gegenlĂ€ufige Verzerrung des Gottesbildes. Auch das Bild des Menschen erfĂ€hrt deutliche VerĂ€nderungen in seiner Konturierung, wobei allerdings logisch zwei unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden können. Entweder dem menschlichen Dasein wird ein letzter Sinn und Ernst abgesprochen, weil und indem ohne letztgĂŒltige Ausrichtung und Weisung alles Handeln wie auch jede Entscheidung willkĂŒrlich und beliebig erscheinen, oder aber der Mensch muss antreten, sich und der Welt selber ein Ziel, aber auch MaĂ und Norm zu verleihen. Mit dem Verzicht auf den Höllentopos nĂ€mlich geht notwendig der Verlust des Gerichtsgedankens einher. Ist die Erwartung eines letzten göttlichen Aktes, mit dem jeder Mensch, sei er Opfer oder TĂ€ter, schlieĂlich in sein Recht gesetzt wird, aber erst einmal aufgegeben, so âfĂ€llt die ganze Last der Gerechtigkeitssicherung auf menschliche Instanzen, auf den Menschen ĂŒberhaupt zurĂŒck.â21 Dieser Aufgabe aber kann er als endliches Wesen schlechterdings nicht gerecht werden. Scheinbar aus der Fremdbestimmung eines allgegenwĂ€rtigen, disziplinierenden Gottes befreit, sieht er sich vor die Begrenztheit und UnzulĂ€nglichkeit seines eigenen Daseins gestellt.
In der Auseinandersetzung nicht zuletzt mit dieser Erfahrung kommt nun unversehens die Rede von der Hölle in verĂ€nderter Gestalt vielfach wieder ins Spiel. âSeit dem 19. Jahrhundert sind es paradoxerweise ⊠die atheistischen Dichter und Denker, die sich darum bemĂŒhen, die Hölle neu zu definieren.â22 In Literatur, Kunst und Philosophie findet zunehmend âdas BewuĂtsein von der Existenz von Höllen im Mikrokoskosmos des menschlichen Ich und im Makrokosmos der Gesellschaften und Schöpfung im GroĂen wie der menschlichen Beziehungen im Kleinenâ23 seinen Niederschlag.24 âDer makrokosmische Bereich umfasst alles Entsetzliche, das Menschen einander antun können.â25 Es sind vor allem die Grauen der Weltkriege, aber etwa auch die systematische Vergewaltigung von Frauen zu kriegerischen Zwecken im ehemaligen Jugoslawien oder die ZustĂ€nde in FlĂŒchtlingslagern, die immer wieder mit dem Höllentopos in Zusammenhang gebracht wurden und werden.26 Als Höllenerfahrungen auf mikrokosmischer Ebene werden vielfach innerpsychische Deformationen und Zerrissenheiten interpretiert.
Auf die Herausforderung durch diese Entwicklung hat die Theologie ihrerseits durchaus reagiert. In zunehmendem MaĂe sind in ihrem Raum analoge AnsĂ€tze erkennbar, Erfahrungen von Not und Grauen als Momente des Unheil-Seins auszuweisen und damit in den Horizont der christlichen Heilsfrage zu rĂŒcken. So betrachtet etwa Joachim Gnilka die Hölle durchaus als ein irdisches PhĂ€nomen. âDie Hölle ist die Verweigerung und Umkehrung der Botschaft des Heils, der Liebe, des Gnadenangebotes Gottes. Die RealitĂ€t des Bösen wirkt um uns und unter uns.â27 Mit diesem VerstĂ€ndnis liegt er ganz auf einer Linie mit Karl Rahner, dem die biblischen Aussagen ĂŒber die Hölle ebenfalls als EnthĂŒllung der Situation, in der der Mensch sich jetzt befindet, gelten.28 Wilhelm Maas geht sogar so weit, âHölleâ als âeine exakte âOrtsâ-Beschreibung menschlicher Existenz heuteâ29 zu bezeichnen. Aus einer kultur- und gesellschaftskritischen Perspektive erscheint ihm die Epoche der Moderne insge...