XXL-Pfarrei
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XXL-Pfarrei

Monster oder Werk des Heiligen Geistes?

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XXL-Pfarrei

Monster oder Werk des Heiligen Geistes?

About this book

Strukturwandel, Strukturreform - seit einiger Zeit bestimmt dies das Reden und Handeln in der Kirche, oft ohne Einbindung der Betroffenen und als reine Vorgabe. Andreas Unfried und sein Team haben mit ihren Gemeinden den Prozess hin zu einer "Pfarrei neuen Typs" - einer "XXL-Pfarrei" - vor Ort selbst gestaltet. Im vorliegenden Band beschreiben sie, worum es ihnen dabei geht: um Beteiligung und Transparenz, um die Gewinnung von Ressourcen für die Pastoral, um das Aufbrechen der "Verkernung" der Gemeinden und darum, dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust von Kirche und Glaube entgegenzusteuern. Ziel sind selbsttragende Gemeindestrukturen, die weniger abhängig von hauptamtlicher Führung und damit zukunftsfest sein sollen. Ein Buch aus der Praxis für die Praxis, das einen konkreten Weg beschreibt, reflektiert und Material für Wege anderer Gemeinden bietet.

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Information

Publisher
Echter
Year
2012
Print ISBN
9783429034863
eBook ISBN
9783429060503

Teil I:

Grundlegende Überlegungen

1. Warum nicht alles bleiben kann, wie es ist.
Und warum es besser ist, den Wandel zu gestalten, als ihn zu erleiden

Von Andreas Unfried
Alle vier Jahre ist in unserem Bistum Visitation. Bischof oder Weihbischof ziehen dann durch den Bezirk und besuchen die Gemeinden und Pastoralen Räume. In der Regel wird dies begleitet durch eine Konferenz zu Beginn der Visitationsreise und einer zum Abschluss derselben. Mit schöner Regelmäßigkeit werden dabei auch die aktuellen statistischen Zahlen vorgestellt: zum sonntäglichen Kirchgang, zur Mitgliederbilanz, zur Sakramentenspendung – seit neuestem auch zu den gesellschaftlichen Milieus, wie sie in der SINUS-Studie beschrieben werden. Und jedes Mal zur großen Überraschung aller sind die Zahlen wieder schlechter geworden. Es sind mehr gestorben und ausgetreten, als getauft werden wollten. Es sind wieder weniger geworden, die sonntags zur Kirche gehen, und sogar weniger, die ihr Kind zur Erstkommunion anmelden. Von den Eheschließungen ganz zu schweigen. Ich erlebe das jetzt (nehme ich meine Ausbildungszeit hinzu) seit beinahe 25 Jahren so. Immer sind alle tief betroffen. Immer sagen alle, so könne es nicht weitergehen und man müsse ganz grundlegend etwas ändern. Fragt man dann aber genauer nach, was man denn zu ändern gedenke respektive was man in den letzten vier Jahren geändert habe, dann hört man (wenn überhaupt) meistens Rezepte vom Schlage: Da müssen wir uns eben mehr anstrengen und uns mehr Mühe geben. Da wird dann der Firmkurs zum Katechumenat für Jugendliche ausgebaut und aus der Erstkommunionvorbereitung wird eine mystagogisch-missionarische Glaubensschule für glaubensferne Eltern. Nichts gegen Anstrengung in der Pastoral. Nichts gegen neue Konzepte. Aber mit Verlaub: Sie laufen bei uns meist nach dem Prinzip: „Mehr vom Gleichen“. Es ist aber sehr fraglich, ob man ein Konzept, das die Erwartungen nicht erfüllt hat, tatsächlich verbessert, wenn man es einfachhin fortschreibt. Dem Fußball-Trainer, der angesichts einer Niederlagenserie seines Teams sein Spielsystem nicht überprüft und Varianten ausprobiert, wirft man spätestens nach der fünften Niederlage in Folge vor, die Mannschaft nicht mehr zu erreichen. Der goldene Handschlag ist dann meist nicht mehr weit. Enthebt uns aber unsere Arbeitsplatzsicherheit der Notwendigkeit, nach echten Reformen zu suchen? Das würde wohl niemand auch nur heimlich denken.
Verbreitet höre ich auf die Frage, warum man nicht versuche, etwas zu ändern in der Gemeindeseelsorge, auch die Antwort, das würde sowieso nichts nützen, da das Problem viel tiefer greife. Im Grunde hinge die Misere an der grundsätzliche Reformunfähigkeit der Kirche selbst. Und solange nicht tiefgreifende kirchliche Reformen, wie die Aufhebung des Pflichtzölibats, die Ermöglichung des Zugangs zum Weiheamt für die Frau, die Korrektur von offenkundig dem modernen Menschen nicht mehr zumutbaren Dogmen wie der Unfehlbarkeit des Papstes usw. usw., solange dies alles nicht in Sicht sei, sei der Versuch, vor Ort etwas zu reformieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Diese These hat natürlich etwas für sich: Erstens beweist sie sich sozusagen selbst. Denn ihre Anhänger brauchen nichts weiter zu tun, als untätig zu bleiben und zuzusehen, wie alles immer schlimmer wird. Zweitens hat sie den Vorteil, dass man selber an nichts schuld ist. Die Verantwortung liegt ja anderswo. Und man selbst hat ja oft genug gewarnt. Der gravierende Nachteil der Theorie ist allerdings, dass es den Schiffspassagieren auf der Titanic nicht wirklich etwas genutzt hätte, wenn sie schon beim Auslaufen aus dem Heimathafen den Kapitän auf die grundsätzliche Gefährlichkeit winterlicher Überquerungen des Atlantiks und die Unberechenbarkeit von Eisbergen aufmerksam gemacht hätten. Erhobenen Hauptes hätten sie zwar am Ende sagen können, dass sie es ja schon immer gewusst hatten. Untergegangen wären sie aber genauso wie alle anderen.
Wenn uns also etwas liegt an dieser Kirche, in der die meisten von uns von Kind auf groß geworden sind, dann sollten wir schleunigst zusehen, dass wir tatsächlich etwas ändern an den Zuständen, wie sie derzeit herrschen und sich immer weiter verschlimmern. Machen wir dazu einfach ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, der Papst würde morgen feierlich erklären, dass ab sofort der Zölibat für Neupriester nicht mehr obligatorisch verlangt würde und das Diakonenamt künftig für Frauen geöffnet werde. Was würde passieren? Es gäbe natürlich einen medialen Rummel sondersgleichen. Nehmen wir den optimalen Fall, dass es darüber zu keiner Kirchenspaltung käme, sondern im Gegenteil eine Hinwendung der Jugend zur Kirche geschehe, dann würden in den Folgejahren sicherlich die Zahlen der Studierenden auf das Diplom in Theologie erheblich steigen. In fünf Jahren hätten wir dann die ersten Absolventen (und Absolventinnen), die anschließend in die zweijährige praktische Ausbildung übernommen werden könnten – natürlich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Bistümer und mit dem Blick darauf, eine ungünstige Altersverteilung im pastoralen Personal insgesamt zu vermeiden. Will sagen: Im besten Fall hätten wir mit einer spürbaren Linderung der Personalnot in der Seelsorge in etwa zehn Jahren zu rechnen. Und mit jedem Tag, an dem die Voraussetzungen für unser Gedankenexperiment nicht vorliegen, verschiebt sich der Silberstreif am Horizont weiter nach hinten. Wie gesagt, wenn Sie der Auffassung sind, ohne die große kirchliche Reform sei nichts zu retten, dann ist das eben so. Konsequenterweise sollten Sie dann aber Ihr Engagement in der Kirche gänzlich einstellen, weil es ja sowieso letztendlich für die Katz ist.
Bei aller Sympathie für die prophetische Kritik an der Kirche und ihrer, meiner Ansicht nach, unbestreitbaren Reformbedürftigkeit ist mir aber meine Kirche viel zu lieb und teuer, als dass ich einfachhin zuschauen möchte, wie sie vor sich hin darbt. Ich habe auch grundsätzlich ein Problem damit, Dinge und Entwicklungen einfachhin zu erleiden, ohne versucht zu haben, das Geschehen auch zu beeinflussen. Schließlich sagt mir meine Lebenserfahrung, dass ich schon vielfach das Potential für echte Veränderung gröblich unterschätzt habe. Weder habe ich mir den Fall der Berliner Mauer vorstellen können noch hätte ich geglaubt, dass man Diktatoren gewaltfrei vertreiben kann oder dass eine wirtschaftsliberale Regierung aus der Atomkraft aussteigt. All dies aber ist geschehen – und noch eine Menge anderer unglaublicher Dinge. Dagegen wirkt das Projekt, unsere Gemeinden so zu reformieren, dass sie lebensfähig bleiben (oder wieder werden), ein bisschen wie Kindergeburtstag.
Eines dürfte dabei allerdings klar sein: Bei dem Wandel, der gegenwärtig ansteht, geht es um tatsächlichen Wandel, um echte Veränderung. Es ist die Schwachstelle jeder echten Veränderung, dass das Neue gegenüber dem Alten immer eigenartig farblos bleibt. Es liegt eben erst in der Zukunft. Und wenn man die rosig malt, setzt man sich völlig zu Recht dem Vorwurf der Schönfärberei aus. Man kann schließlich das Gegenteil nicht beweisen. Es liegt ja noch nicht vor. Demgegenüber haben die Kritiker, die vor allem vor den negativen Folgen einer Veränderung warnen, alle Plausibilität für sich, denn alle haben schon soundso oft erlebt, dass prognostizierte Folgen nicht eingetreten sind, während man anschließend mit unvorhergesehenen Nebenwirkungen seine liebe Not hatte. Das Alte, so miserabel und kritikwürdig es auch immer sein mag, hat den unbestreitbaren Vorteil, dass man es kennt. Man hat sich damit arrangiert. Es macht keine Angst mehr. Und wer sich lange genug mit dem Alten herumgeschlagen hat, der hat auch einen Weg gefunden, sich damit zu arrangieren. Denken Sie doch: Kaum waren die Israeliten einst nach dem Exodus in der Wüste Sinai angekommen, da sehnten sie sich bereits nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Wie oft sie wohl vorher tatsächlich an diesen gesessen hatten? Aber in der Rückschau verklärte sich das Bild. Und die Gegenwart war karg genug, als dass die ferne Verheißung des Gelobten Landes ihre Stimmung nachhaltig hätte heben können.
Rechtfertigen solche Einsichten aber das Nichtstun? Ist auf diesem Hintergrund der Exodus ein Irrtum historischen Ausmaßes gewesen? Doch wohl nicht. Es ist unbestreitbar wahr: Es gibt keine Wandlung zum Nulltarif. Alle Veränderung bedeutet auch Kosten, beinhaltet Abschied und Trauerarbeit. Aber ist es wirklich ein Zukunftskonzept, im Wissen um diesen Sachverhalt und im Versuch, dies alles möglichst zu vermeiden, die Probleme nonchalant auf die nächste Generation weiterzuschieben? Ist solches „Uns trägt es ja noch“ nicht einfach Feigheit, einmal ganz abgesehen davon, dass man sich durchaus die Frage zu stellen hat, was der Geist Gottes von uns erwartet und wozu er uns heute ruft? Es ist doch nicht nur die Erde, die wir von unsern Kindern nur geborgt haben. Das gilt doch auch gleichermaßen von der Kirche.

2. Gemeinde, Pfarrei, Pfarrgemeinde – eine
babylonische Sprachverwirrung

Von Andreas Unfried
Mit dem Konzil und mit der Synode haben die Katholiken die Gemeinde entdeckt. Spät genug möchte man aus evangelischer Perspektive sagen. Aber dafür immerhin nachhaltig, können wir dagegenhalten! Der Pastoraltheologe Ferdinand Klostermann stand im und nach dem Konzil für den Slogan: „Wo Pfarrei war, soll Gemeinde werden“. Und das entsprechende pastorale Programm war erfolgreich wie kaum eines in der deutschen Kirchengeschichte. Weder haben wir je einen so hohen Grad an ehrenamtlicher Mitarbeit in der Kirche gesehen wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, noch stand uns je eine differenziertere Theologie der Gemeinde zur Verfügung als im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und seines regionalen Appendix, der Würzburger Synode von 1972 bis 1975.
Die Würzburger Synode entwickelt klarer, als das dem Konzil möglich war, das Programm der Gemeindetheologie: Wo bisher das Milieu die Kirchenmitgliedschaft prägte, sollte nun die bewusste Entscheidung für den Glauben stehen. Der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein, sekundierte dazu der führende Dogmatiker jener Zeit, Karl Rahner, und meinte damit einen Christenmenschen, der selber etwas erfahren hat mit seinem Gott. Allerdings muss man konstatieren, dass die mystagogische Erschließung der christlichen Botschaft in jenen Jahren faktisch eher unterentwickelt blieb und die Umsetzung des Prinzips der Gemeinde weniger unter dem Fokus der Nachfolge Jesu als unter dem Fokus der Gemeinschaftsbildung geschah.
Ohne verantwortungsvollen Projekten der Gemeindeentwicklung zu nahe treten zu wollen, behaupte ich, dass der Prozess der Neuorientierung vielfach nach dem Muster verlaufen ist: Wo „Pfarrei“ war und nun „Gemeinde“ werden soll, da gründen wir „Pfarrgemeinde“. Ich will damit sagen, dass das neue Paradigma das alte nicht einfach ablöste, sondern dass man den alten Idealen die neuen einfach an die Seite stellte. Die Fronleichnamsprozession sollte so feierlich wie immer sein, aber dafür jetzt mit begleitendem Kinderwortgottesdienst und Neuem Geistlichem Lied von der Jugendband. Bei alledem gab man sich wenig Mühe um die Definition der Begrifflichkeiten. Pfarrei, Gemeinde, Pfarrgemeinde – letztlich sollte sich alles gleich anfühlen, mit dem deutlichen Akzent auf den Primat der Gemeinde vor Ort. Sie war die maßgebliche Sozialgestalt der Kirche Jesu Christi auf Erden. An manchen Orten wurde das ideologisch so weit getrieben, dass die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst in einer Nachbarpfarrei als unsolidarischer Akt gegenüber der eigenen Gemeinde gewertet wurde. Aber auch wenn das seltene Überzeichnungen gewesen sein mögen, so ist doch aufs Ganze festzuhalten, dass sich über die Jahre und Jahrzehnte vielfach und vielerorts eine sehr selbstbewusste (und teilweise sehr eigene) Identität als Gemeinde herausprägte.
Dabei gab man sich wie gesagt häufig wenig Rechenschaft über die konkrete Bedeutung des Begriffs „Gemeinde“. Vielfach schillert der Begriff zwischen theologischer Norm (vgl. die Aussagen der Apostelgeschichte zur Urgemeinde in Jerusalem), der Bezeichnung für die Gruppe der regelmäßigen Kirchgänger oder auch der Umschreibung für den Kreis der ehrenamtlich Engagierten. Kann man die Pfarrei soziologisch einigermaßen präzise erfassen (als Gesamtheit der in einem territorial umschriebenen Gebiet wohnhaften Katholikinnen und Katholiken), so ist dies für den Begriff „Gemeinde“ ungleich schwieriger. Was ist ein „regelmäßiger Kirchgänger“? Zählen jene, die einmal im Monat gehen, auch schon dazu? Und was ist mit denen, die regelmäßig immer Weihnachten kommen (allerdings nur da)? Vermeintlich einfacher ist es dann schon, den Gemeindebegriff auf die Mitarbeit in gemeindlichen Gruppen und Kreisen zu beziehen – freilich mit der schwierigen Konsequenz: Wie fasst man jene treuen Katholiken, die jeden Sonntag in die Kirche gehen, aber – aus welchen Gründen auch immer – sich nicht in der Gemeinde engagieren wollen oder können? Der Begriff der Gemeinde bleibt daher neben der theologischen Norm („Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“) ein eher emotionaler.
Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn sich nicht vieles, was man unter „Nähe“ in der Seelsorge versteht, auf diesen Gemeindebegriff bezöge. Eines der Hauptargumente gegen die „XXL-Pfarreien“ äußert ja die Befürchtung, durch diese ins Riesenhafte aufgeblähten Strukturen ginge die Nähe in der Seelsorge verloren. Im Blick ist dabei das alte Bild von der Herde und ihrem Hirten, der jedes seiner Schafe kennt und dem jedes einzelne mit seinem Schicksal am Herzen liegt – ein Bild, das übrigens auch kirchlich hochoffiziell im can. 529 des kirchlichen Rechtsbuchs CIC als Aufgabenumschreibung des Pfarrers beschworen wird. Aber gleichgültig ob diese Art der Hirtenspiritualität traditionell vom Pfarrer oder nachkonziliar-modern etwa vom Pfarrgemeinderat wahrgenommen werden soll, immer wird man soziologisch auf die Wahrheit stoßen, dass dies jenseits einer Gemeindegröße von, sagen wir, 300 Mitgliedern ein unerfüllbarer Wunsch bleiben wird. Schon in den sich jetzt langsam verklärenden angeblich goldenen Zeiten der frühen siebziger Jahre konnte der Pfarrer also nicht alle Gemeindemitglieder persönlich kennen, viel weniger konnte er allen nahe sein. Zuzugeben ist, dass viele Pfarrer aber nach wie vor genau diesen Anspruch an sich selbst haben und dies auch ihren Gemeinden signalisieren – häufig auch bei Übernahme weiterer Pfarreien in Personalunion. Vielfach wurde und wird dann versucht, durch effiziente Terminplanung und geschickte Organisation zumindest den Anschein zu erwecken, jederzeit und für alle da sein zu wollen.
Auf diese Weise wurde die Vorstellung genährt, persönliche Nähe durch den Seelsorger (im Idealfall der Priester, wenn es nicht anders geht, aber eben auch die Pastoralreferentin oder der Gemeindereferent) sei der gemeindliche Normalfall. Wenn sie als defizitär erfahren wurde, dann handelte es sich um das persönliche Defizit des jeweiligen Seelsorgers. Und so sitzt es auch, glaube ich, in der Selbstwahrnehmung vieler Priester und pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest. Allenfalls wurde zur Entlastung der einzelnen Personen die These vertreten, dass in Wahrheit Rom Schuld habe, weil es aus bekannten Gründen der Reformunfähigkeit eine angemessene Ausstattung der Gemeinden mit Seelsorgern verhindere. Jetzt hielte ich die Eröffnung neuer Zugangswege zum Weihesakrament durchaus für sinnvoll, ja für notwendig, ebenso wie eine Öffnung der Kirche für die Gleichberechtigung der Frau. Auf einem anderen Blatt steht für mich allerdings, dass es eine seelsorgliche Betreuung, wie im Hirtenbild der eben beschriebenen Gemeindetheologie vorgestellt, in der ganzen Kirchengeschichte wohl nie gegeben hat und aus eigentlich nachvollziehbaren Gründen auch nicht geben kann. Selbst die urgemeindlichen Verhältnisse dürften andere gewesen sein – sicher jedenfalls die Wirklichkeit der paulinischen Gemeinden, die ihren Gründer und Seelsorger oft nur wenige Monate in ihrer Mitte hatten und ansonsten nur per Bote oder brieflich mit ihm in Beziehung stehen konnten.
Die Erfahrung von Nähe ist sicherlich andererseits die entscheidende Kategorie, an der sich eine erfolgreiche Pastoral von einer misslingenden unterscheiden lässt. Es muss aber präziser gefragt werden: Von wem geht diese Nähe aus? Und wem ist man nahe? Letzteres ist die Frage danach, wer zur Gemeinde gehört mit all den bereits erörterten Unsicherheiten der Definition. Ersteres ist die Frage danach, wer Subjekt der Seelsorge ist. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben wir dazu heftig die These der Befreiungstheologie diskutiert, dass jeder Getaufte und Gefirmte in dieser Weise Subjekt der Seelsorge werden solle. Die gesamtkirchliche Zurückweisung der Befreiungstheologie bezog sich meines Wissens nie auf diese Einsicht, die für sich in Anspruch nehmen kann, dass sie fest auf der Lehre von der Kirche, wie sie auf dem Konzil entwickelt worden ist, aufruht. Wenn dies aber stimmt, dann kommt für die Antwort auf die Frage, wer denn Nähe in der Seelsorge vermitteln kann, ein sehr viel größerer Personenkreis in Frage, als von uns bisher gemeinhin vorgestellt. Das ist auch nur gut und richtig so, denn der Kreis der seelsorglichen Zielgruppe wird sich ja auch erheblich weiten müssen, wenn wir uns nicht einfachhin zufriedengeben wollen mit der zunehmenden „Verkernung“ unserer Gemeinden und ihrer Verengung auf nur wenige gesellschaftliche Milieus.
Für problematisch halte ich dabei den gängigen Sprachgebrauch der „Pfarrgemeinde“, auch wenn er ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. TEIL I: Grundlegende Überlegungen
  7. TEIL II: Wie es trotz allem gehen kann: Ein Praxisbericht
  8. TEIL III: Materialsammlung