Scheitern und Glauben als Herausforderung
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Scheitern und Glauben als Herausforderung

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Scheitern und Glauben als Herausforderung

About this book

Der gesellschaftliche und kirchliche Umgang mit dem PhĂ€nomen "Scheitern" steht im Mittelpunkt des Sammelbands. Bislang wird die Problematik des Scheiterns hĂ€ufig fragmentarisch in den Blick genommen. Die Autoren ermöglichen nun einen umfassenden Überblick ĂŒber das Thema, dessen Bedeutung aktuell immer weiter zunehmen dĂŒrfte.Die beiden BeitrĂ€ge "Zur Soziologie des Scheiterns. AnsĂ€tze, Perspektiven, Fakten" (Matthias Junge, Rostock) und "Gott am Ende? Das gebrochene Perfekt des Glaubens" (Gotthard, Fuchs, Wiesbaden) erhellen die soziologische und theologische Perspektive des Themas.Der glaubensgeschichtliche Zugang erörtert die Spannung von Kirchenliebe, Kirchenkritik und Fruchtbarwerden von Scheitern in der Kirche am Beispiel von Mary Ward (Igna Kramp, St. Georgen), Christoph Blumhardt (Corinna DahlgrĂŒn, Jena) und Teilhard de Chardin (Gotthard Fuchs).Ergebnisse einer empirischen Studie werden unter der Frage "Scheitern auf dem Glaubensweg? Krise und Neu anfang am Beispiel von Ordensbiographien" (Katharina Karl, MĂŒnchen) vorgestellt.

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Information

Publisher
Echter
Year
2013
eBook ISBN
9783429061500

Die Heilung der Gottliebin Dittus und die Erweckung in Möttlingen – Geschichte eines Scheiterns? Über das Verstehen und Bewerten von Erfahrungen

Corinna DahlgrĂŒn
Die Seelsorge Christoph Blumhardts des Älteren (1805–1880) war zu ihrer Zeit berĂŒhmt, wegen ihrer erwecklichen und wegen ihrer heilenden Wirkung. Die Ratsuchenden verließen ihn nicht nur getröstet und aufgerichtet mit einem Impuls zu geistlichem Neuanfang, sondern oft geheilt von seelischen und körperlichen Leiden. Beides zog Menschen an, im Laufe der Amtszeit Blumhardts kamen Tausende in das wĂŒrttembergische Dorf, und auch die Dorfbewohner fanden zu neuer Frömmigkeit. Dennoch (oder deswegen?) war er bei seinen Zeitgenossen umstritten, und er ist es heute noch. Sein Wirken konnte und kann unterschiedlich beurteilt werden, als großer missionarischer und seelsorglicher Erfolg – und als mindestens partielles Scheitern, je nachdem, wie die Geschichte erzĂ€hlt wird. Einige dieser Deutungen werde ich knapp vorstellen. Zuvor gebe ich einen möglichst wenig deutenden Bericht ĂŒber die Geschehnisse1, darauf folgen AusfĂŒhrungen zu den theoretischen Voraussetzungen meines Vorgehens.

1. Eine Chronik der Möttlinger Ereignisse

Blumhardt, das Kind einer einfachen, frommen schwĂ€bischen Familie besucht das Gymnasium in seinem Geburtsort Stuttgart, dann das Theologische Seminar Schöntal und schließlich das Stift in TĂŒbingen. Theologisch geprĂ€gt wird er zunĂ€chst durch die Bibel2, doch auch der schwĂ€bische Pietismus Bengels und Oetingers kosmologische Spekulationen sind von großem Einfluss. Die Rezeption spĂ€tromantischen Gedankenguts tritt hinzu: Jung Stillings Geisterlehre, Oberlins Geistererlebnisse, Eschenmayers und Justinus Kerners AusfĂŒhrungen zum Magnetismus. Nach dem ersten Examen 1829 absolviert er sein Vikariat in DĂŒrrmenz. Von 1830 bis 1837 lehrt er am Missionshaus in Basel, danach ist er fĂŒr ein gutes Jahr Pfarrverweser (Hilfsgeistlicher) in Iptingen. Mit 33 Jahren bezieht er im Juli 1838 seine erste regulĂ€re Pfarrstelle in Möttlingen, wo er 14 Jahre bleibt. Im Jahr 1852 scheidet er aus dem kirchlichen Dienst aus und ĂŒbernimmt das wĂŒrttembergische Bad Boll, das er bis zu seinem Tod im Februar 1880 leitet.
Die ersten Jahre in seiner als „totgepredigt“ geltenden Möttlinger Pfarrei verlaufen ruhig, doch im Herbst 1841 beginnt der sogenannte Kampf in Möttlingen, der bis Ende 1843 andauert. Im Mittelpunkt der Erscheinungen steht eine verarmte und krĂ€nkliche, doch intelligente junge Frau aus dem Ort, Gottliebin Dittus, zu diesem Zeitpunkt ist sie 24 Jahre alt. Die Erscheinungen begannen 1840, nach ihrem und ihrer Geschwister Einzug in ein Haus, das sich sofort als Spukhaus zu erweisen beginnt: unheimliche GerĂ€usche, Lichter, ein Ohnmachtsanfall beim ersten Tischgebet, auch taktile EindrĂŒcke von gewaltsamem Handeln. Als die Erscheinungen immer weiter zunehmen, sucht sie im Herbst 1841 den Pfarrer auf, der sich aber aus ihren allgemeinen Andeutungen keinen Reim machen kann, wie er notiert, und dem sie ĂŒberdies unsympathisch ist. Im Dezember des Jahres erkrankt sie gefĂ€hrlich an einer Gesichtsrose, die bis zum FrĂŒhjahr andauert. Das Gepolter im Spukhaus wird nun auch von den Nachbarn bemerkt. Gottliebin sieht Erscheinungen, die sie zu versteckten Zauberuntensilien leiten. Immer wieder sind Zeugen anwesend, darunter auch ihr Arzt, die ihre Wahrnehmungen bestĂ€tigen.
Im Juni 1842 wird eine amtliche Spukuntersuchung durch acht Personen vorgenommen, unter ihnen Blumhardt, die feststellen, dass die Unruhe – SchlĂ€ge, Bewegungen, SchlurfgerĂ€usche ohne sichtbare Ursache – von der Kammer Gottliebins ihren Ursprung nimmt. Am folgenden Tag wird Blumhardt zu der Bewusstlosen gerufen; nach dem Erwachen teilt sie eine weitere Erscheinung mit, die zum Fund eines TongefĂ€ĂŸes mit kleinen Knochen fĂŒhrt, eingegraben unter Bodenbrettern – offenbar weitere Zauberutensilien.
Die KrampfanfĂ€lle Gottliebins nehmen zu. Blumhardt vermutet jetzt dĂ€monische EinflĂŒsse; er reagiert schließlich mit einem laut gesprochenen Gebet, das den Krampf sofort löst. Noch in derselben Nacht beginnen die AnfĂ€lle erneut. Jedes Mal wird der Pfarrer geholt, der oft Stunden am Bett der Kranken verbringt, stets im Beisein von Zeugen. Schließlich kommt es zu einem GesprĂ€ch Blumhardts mit dem DĂ€mon. Die Zeugen beobachten in den folgenden Tagen das Ausfahren von DĂ€monen in immer grĂ¶ĂŸerer Zahl, die ihnen StĂ¶ĂŸe und FaustschlĂ€ge versetzen. Nach einem Ausfahren von 425 DĂ€monen tritt kurz Ruhe ein.
Im Juli 1842 beginnt eine neue Phase. Gottliebin leidet an heftigen Blutungen aus Brust und Unterleib, sie unternimmt – offenbar nicht bei vollem Bewusstsein – Selbstmordversuche. Die DĂ€monen teilen Blumhardt mit, dass ihrer 1067 seien. „Niemand in der Welt hĂ€tte uns vertrieben; nur du mit deinem ewigen Beten und Anhalten setzest es durch“, sagen sie3. Die Blutungen nehmen zu, zusĂ€tzlich kommt es zu starkem Nasenbluten und Bluterbrechen, doch bewirkt Blumhardts Gebet jedes Mal einen Stillstand. Er beginnt, dem Hinweis in Mk 9,29 folgend, zu fasten.
Die KĂ€mpfe dauern unverĂ€ndert an. Im Februar 1843 kommt es zu weiteren Verschlechterungen. Die DĂ€monen verhandeln mit dem Pfarrer, ob sie nach dem Verlassen Gottliebins in sein Haus, seine Kirche, seinen Garten kommen dĂŒrften. Als er Letzteres zugesteht, verlassen sie die Frau. Es treten Ferngesichte auf, bei denen DĂ€monen die Urheberschaft fĂŒr (tatsĂ€chlich aufgetretene) Naturkatastrophen in Indien und den Brand in Hamburg beanspruchen. Gottliebin sieht, dass einige in AbgrĂŒnde versenkt, andere erlöst werden. Aus ihrem Körper treten nun GegenstĂ€nde hervor. Nadeln sind in Nase, Mund und Augen zu sehen und zu tasten, ebenso unter der Haut, Stricknadeln scheinen durch den Kopf gezogen, von einem Ohr zum anderen, NĂ€gel werden erbrochen, Glasscherben und grĂ¶ĂŸere StĂŒcke Metalls, DrahtstĂŒcke sind unter der Haut zu spĂŒren und zu sehen, Heuschrecken und FledermĂ€use kommen aus ihrem Mund. Blumhardt reagiert wiederum mit Gebet, meist still und oft in Abwesenheit, woraufhin die GegenstĂ€nde nach außen treten, ohne grĂ¶ĂŸere Wunden zu hinterlassen. HĂ€ufig hilft er dem auch manuell nach.
Die Blutungen dauern an, schlimmer als zuvor, bis Blumhardt Gottliebin im Dezember 1843 völlig von Blut ĂŒberzogen vorfindet, „das Blut rieselte lebhaft aus beiden Ohren, aus beiden Augen, aus der Nase und sogar oben auf dem Kopfe in die Höhe.“4 In den Weihnachtstagen greift die Besessenheit auf Gottliebins Bruder und auf ihre Schwester Katharina ĂŒber. Um zwei Uhr nachts fĂ€hrt aus Letzterer – unter Blumhardts stillen Gebeten – ein DĂ€mon oder, wie Blumhardt notiert, ein „vornehmer Satansengel“, mit dem weithin hörbaren Schrei „Jesus ist Sieger!“ aus. Damit ist der zweijĂ€hrige Kampf zu Ende. Gottliebin arbeitet als KindergĂ€rtnerin in der Gemeinde, zwei Jahre spĂ€ter wird sie endgĂŒltig Mitglied des Blumhardtschen Haushalts.
Ab Januar 1844 kommt es in Möttlingen zu einer Erweckung, die MĂ€nner, Frauen und Kinder, zunehmend auch aus den Nachbarorten, einbezieht. Sie alle beichten beim Pfarrer und werden unter Handauflegung losgesprochen; viele werden von Krankheiten geheilt. Bei allen Gottesdiensten ist die Kirche ĂŒberfĂŒllt, es bilden sich zahlreiche Hauskreise.
Immer mehr Fremde kommen in den Ort. Die benachbarten Pfarrer machen beim Konsistorium Meldung: Die Parochiegrenzen werden missachtet; Blumhardt katholisiert (Handauflegungen); er setzt Magnetismus ein; er missachtet den Ärztestand; er kritisiert die Hinzuziehung von Ärzten. In Erlassen von Juni und August 1844 bittet die vorgesetzte Behörde Blumhardt erstmals um ErlĂ€uterung der Geschehnisse. Der folgende Briefwechsel mĂŒndet im November 1845 in einen Erlass, dass Blumhardt die TĂ€tigkeit von Ärzten nicht behindern und nicht in die Rechte anderer Pfarrer eingreifen solle; er möge zudem die Handauflegungen unterlassen. Sein Dekan bekrĂ€ftigt dies in einem Schreiben vom Januar: Er möge sich nunmehr als Seelsorger, nicht als Heiler betĂ€tigen.
Dennoch zieht die Erweckung immer weitere Kreise. Der Zustrom Fremder nach Möttlingen nimmt weiter zu. Im Oktober 1846 wird erneut ein Verweis erteilt: Blumhardt möge keine fremden Kranken empfangen, sich an die Praxis der evangelischen Kirche halten und keine „Gottesdienste bei Licht“ mehr durchfĂŒhren – wovon die sehr gut besuchten sonntĂ€glichen Abendgottesdienste ebenso betroffen sind wie die abendlichen Versammlungen der Kreise. Auf den Einspruch der Gemeinde werden zwar die Gottesdienste am Sonntagnachmittag spĂ€ter wieder erlaubt, aber auf den engsten Kreis der Gemeindeglieder beschrĂ€nkt.
In den folgenden Monaten kommt die Erweckung ins Stocken, im Ort sammeln sich Kritiker. Angriffe in der Presse hĂ€ufen sich. Ab Ende 1848 formt sich in Blumhardt der Wunsch, Möttlingen zu verlassen, ab 1850 bemĂŒht er sich ernstlich um eine andere Pfarrstelle. Doch dies stĂ¶ĂŸt auf Schwierigkeiten. Ende 1851 beschließt er, sich nicht weiter zu bewerben, sondern, den kirchlichen Dienst verlassend, eine Krankenanstalt zu grĂŒnden. Er erwirbt das schwĂ€bische Bad Boll. Am 23. April 1852 bittet er den König von WĂŒrttemberg um die Entlassung aus dem Pfarramt, zugleich jedoch um die Zusicherung, „dass mir der RĂŒcktritt in die Dienste der evangelischen Kirche in spĂ€terer Zeit offen stehen solle.“5 Im Juni 1852 erfolgt sein Umzug nach Bad Boll.

2. Vom ErzĂ€hlen – methodische Überlegungen

Erst durch individuelles oder kollektives ErzĂ€hlen wird aus der Abfolge von Ereignissen ein Geschehen, das am Ende als Erfolg oder als Scheitern bewertet werden kann. Diese Erkenntnis verschiedener Disziplinen, von der Sozialpsychologie ĂŒber die neuere Geschichtsforschung bis zur Kulturphilosophie, baut auf Einsichten des Konstruktivismus auf, ohne jedoch die Wahrheitsfrage zu dispensieren6. Deutlich ist, dass eine „objektive“ Wahrheit der Erkenntnis nicht zugĂ€nglich ist, denn ErzĂ€hlungen sind notwendig parteilich. Doch das narrative Reflektieren des Erlebten kann zu einer erweiterten, vollstĂ€ndigeren Vorstellung von Wahrheit verhelfen7.
UnabhĂ€ngig von der Frage nach der Wahrheit einer ErzĂ€hlung legen Menschen durch das – unvermeidliche – AuswĂ€hlen der erlebten EindrĂŒcke und ihre Kontextualisierung, ihre Anordnung in einem ErzĂ€hlzusammenhang, den kontingenten Ereignissen einen Sinn bei. Dieser Vorgang lĂ€...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. EinfĂŒhrung
  6. Scheitern und ScheiternsbewÀltigung vor dem Hintergrund empirischer Daten
  7. Scheitern hat nicht das letzte Wort 
 Radikale Brucherfahrungen als theologisch-ethische Herausforderung
  8. Half women are not for such turns Vom weißen Martyrium Mary Wards
  9. Die Heilung der Gottliebin Dittus und die Erweckung in Möttlingen – Geschichte eines Scheiterns? Über das Verstehen und Bewerten von Erfahrungen
  10. Scheitern auf dem Glaubensweg? Krise und Neuanfang am Beispiel von Ordensbiografien
  11. Literatur