Der fremde Gott
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Der fremde Gott

Glaube in postsäkularer Kultur

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Der fremde Gott

Glaube in postsäkularer Kultur

About this book

Angesichts der Krisen und Defizite säkularer Gesellschaften wird die Relevanz der Religion für zentrale und elementare Fragen menschlichen Miteinanders zunehmend wieder entdeckt. Zugleich bestreitet ein "Neuer Atheismus", dass die Berufung auf Gott im Denk- und Erfahrungshorizont der Welt noch Geltung beanspruchen kann. Allenfalls eine Gott los gewordene Religiosität will er noch zulassen. Wie man angesichts dieser widerstreitenden Tendenzen und den damit verbundenen intellektuellen und existenziellen Herausforderungen angemessen von Gott sprechen kann, ist die Grundfrage dieses Buches. Darin greift Hans-Joachim Höhn auf die "theologia negativa" zurück - eine Denkform, welche im Bewusstsein des vielfachen Missbrauchs des Wortes "Gott" die "Entleerung" eines dogmatisch und moralisch überfrachteten Glaubens betreibt und ebenso die Fremdheit und Unverfügbarkeit wie die verborgene Gegenwart Gottes zu wahren sucht.

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Information

Publisher
Echter
Year
2001
Print ISBN
9783429030438
eBook ISBN
9783429061074
Edition
1
Subtopic
Religione

I.

Abschied von Gott?
Theologie an den Grenzen
der Moderne

Theologie ist Rede von Gott. Selbstverständlich! Aber versteht man deswegen auch, wovon sie spricht? Selbstverständlich nicht! Denn es versteht sich heute keineswegs von selbst, wer oder wie Gott ist. Darum müssen Theologen viele Worte machen, um verstanden zu werden. Sie erwecken damit den Eindruck, gut Bescheid zu wissen über Gott. Und zugleich wird ihnen diese Beredsamkeit zur Gefahr. Es kommt zu einer unseligen Redseligkeit. Gedankenlose Geschwätzigkeit macht sich breit. Die Theologie vermag trotz ihres Redeflusses nicht mehr, Gott oder das „Wort Gottes“ zur Sprache zu bringen. Beide werden totgeredet. Auf diese Weise bereitet sich die Theologie ihr Ende selbst. Es bedarf keiner religionskritischen Vehemenz, um ihr Ableben zu befördern. Das Ende der Theologie fängt dort an, wo sie geschwätzig wird und viele Sätze über Gott schneller gesagt als gedacht sein lässt.1 Auf diesem Wege wird sie letztlich nichtssagend. Den Nichtssagenden aber gehen die Worte niemals aus. Darum setzt sich theologisches Gerede einstweilen fort, auch wenn es nichts und niemandem mehr etwas sagt.
Aber was wäre die Alternative? Ihre Sache zu verschweigen, im Diskurs der Wissenschaften zu verstummen, sich aus dem Stimmengewirr der Öffentlichkeit zurückzuziehen, nicht mehr von Gott, sondern nur noch über „Religion“ zu reden würde ebenfalls ihr Ende bedeuten. Ein solches Schweigen wäre nicht beredt, sondern ein betretenes und verschämtes Verstummen. Da sie nicht schweigen will und darf, setzt die Theologie ihr Geschäft fort, viele und große Worte von Gott zu machen. Ihr kommt dabei die Hoffnung zu Hilfe, dass sich dort, wo die Worte sind, auch die Sache einstellt, die sie bezeichnen. Allerdings ist diese Hoffnung trügerisch. Im Reich der Worte werden viele Dinge oft unbedacht ausgesprochen. Hier lässt das Reden das Denken hinter sich. Wo aber das Denken das Reden nicht mehr einholt, droht die Gefahr, dass man gedankenlos daherredet. Das gilt auch für „Berufschristen“, für Religionslehrer/innen, Pfarrer und Theologieprofessoren. In ihrem Worteifer kann es passieren, dass sie sich nichts mehr dabei denken, wenn sie von Gott reden. Dann aber sind sie erst recht nicht mehr bei ihrer Sache. Und sie verfehlen auch das, was an der Zeit ist.

1. Provokationen:
Die Passion des Wortes „Gott“

Das Ende der Theologie beginnt dort, wo sie nur noch redet, aber nicht mehr hinhört auf das, was ihr die Zeit aufträgt. Das Wort „Gott“ gibt in dieser Zeit mehr zu denken als zu reden. Es ist ein in höchstem Maße „bedenkliches“ Wort geworden. Für den jüdischen Religionsphilosophen MARTIN BUBER (1878–1965) ist es das am meisten belastete aller Menschenworte: „Welches Wort der Menschensprache ist so mißbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses! All das schuldlose Blut, das um es vergossen wurde, hat ihm seinen Glanz geraubt. All die Ungerechtigkeit, die zu decken es herhalten mußte, hat ihm sein Gepräge verwischt. Wenn ich das Höchste ‚Gott‘ nennen höre, kommt mir das zuweilen wie eine Lästerung vor.“2 Dennoch will M. Buber auf dieses Wort nicht verzichten – um des Menschen willen. Die Blutspur, die sein Missbrauch in der Geschichte hinterlassen hat, erzählt von der Passion des Menschen. Für dieses Wort wurden Menschen getötet und mit diesem Wort auf den Lippen haben Menschen getötet. An diesem Wort klebt Blut. Bereits um der Erinnerung an die Passion des Menschen willen darf dieses Wort nicht vergessen werden. Was das Wort „Gott“ bedenklich macht, ist aber nicht allein die Leidensgeschichte des Menschen und die Kriminalgeschichte einer Religion, sondern auch die Passion Gottes.
die passion des wortes GOTT
das blutet aus allen wunden
das wird vergewaltigt noch und noch
das ist verraten zertrampelt zerschossen geköpft
gerädert gevierteilt gezehnteilt
verlorene glieder wurden durch monströse prothesen ersetzt
das ist sich selber und uns und allem entfremdet
ist schizo und neuro und psycho
zerstochen über und über von nadeln mit denen
fremde substanzen injiziert worden sind
das agonisiert ohne ende
ist vielleicht schon tot oder noch nicht oder
das consilium der ärzte diskutiert noch zur zeit
und ALSO wurde das wort GOTT
zum letzten der wörter
zum ausgebeutetsten aller begriffe
zur geräumten metapher
zum proleten der sprache3
Dem Wort, das in der Geschichte der Menschen dazu verwandt wurde, dem höchsten Wert, dem Grund allen Seins und dem Ziel der Geschichte einen Namen zu geben, ist Gewalt angetan worden, weil mit ihm Menschen vergewaltigt wurden. Der Missbrauch des Wortes „Gott“ ist aber nicht nur ein Vergehen am Menschen und an seiner Sprache, sondern auch ein Fall von „Gottesmissbrauch“. Mit dem Wort „Gott“ vergeht sich der Mensch an Gott. Gott selbst wird hintergangen, betrogen, ausgenutzt, wo man das Wort „Gott“ zum Bedeutungsträger für reichlich „gottlose“ Unternehmen macht. Dabei handelt es sich um ein doppeltes Vergehen, denn es führt in die religiöse Blasphemie und ist ebenso ein Akt der Unvernunft: Es ist ein Akt der „Gotteslästerung“, ihn zum Erfüllungsgehilfen menschlicher Vorhaben zu machen – erst recht dann, wenn sie die Inhumanität des Menschen bezeugen.4 Es bedeutet einen Anschlag auf die Vernunft, wenn ihr Fragen, die grundsätzlich in die Kompetenz rationaler Weltauslegung und Weltgestaltung gehören, entzogen und in den Bereich des Glaubens überwiesen werden. Zwar gilt, dass man das, was man glaubt, auch widerspruchsfrei denken können muss. Aber daraus folgt nicht, dass man Glauben und Denken gleichsetzen darf oder dass der Glaube das Denken ersetzen kann.
Gegen diesen doppelten Grundsatz ist von den Glaubenden immer wieder verstoßen worden – vom Ruf „Gott will es“ als Auftakt der Kreuzzüge über das so genannte „Gottesgnadentum“ feudaler Herrscher bis hin zur Inschrift „Gott mit uns“ auf dem Koppel deutscher Weltkriegs-Soldaten. Blasphemisch war auch die ausdrückliche Berufung auf eine göttliche Mission seitens der sich zum Islam bekennenden Terroristen vom 11. September 2001. Die von evangelikalen Predigern in den USA aufgebotene Rhetorik für einen Kreuzzug gegen den Terrorismus war es nicht minder.5 Man muss sich nicht wundern, dass angesichts dieses Gottesmissbrauchs viele Menschen das Wort „Gott“ für ein korrumpiertes und kontaminiertes Wort halten.
Dies gilt auch für die zahllosen Versuche, Gott als „Moralverstärker“ ins Spiel zu bringen. Wenn der kategorische Imperativ der praktischen Vernunft in seiner Verbindlichkeit nicht überbietbar ist, welchem Ziel dienen dann Versuche, eine solche autonome Moral bzw. Moral der Autonomie mit religiösen Mitteln in Frage zu stellen? Kritische Beobachter dieser Bemühungen fragen an, ob es überhaupt eine moralisch gute Tat gibt, die exklusiv religiösen Motiven zugeschrieben wird, ohne dass sie auch von „gottlosen“ Menschen vollbracht werden könnte. Verhält es sich nicht eher umgekehrt, dass auch ohne Gott anständige Menschen anständig und unanständige Menschen unanständig sind, aber dass es der Berufung auf Gott bedarf, um anständige Menschen dazu zu bringen, andere zu unterdrücken, zu bespitzeln, zu tyrannisieren?6
Jedes Reden von Gott birgt in der Tat ein Verführungspotential. Dagegen ist es nur gefeit, wenn es sich erhebt gegen jeden „Gottesmissbrauch“ im Sprechen und Handeln unserer Zeit – gleichgültig ob in seinen zynisch-politischen oder fromm-bigotten Versionen, die sich auch in Christentum und Kirche eingenistet haben. Denn nicht wenige „Gottesgläubige“ haben auf ihre Weise dazu beigetragen, Menschen- und Gottesverachtung im Namen Gottes zu praktizieren. Aus einem Wort, das etwas zu bedenken gibt, hat auch die Kirche zu oft ein Wort gemacht, das etwas beglaubigt. Sie benutzte dieses Wort bedenkenlos zur Rechtfertigung ihrer Selbstbehauptungsinteressen, die sie als Sache Gottes ausgab.7 Die Theologie hat dabei oft mitgespielt oder tatenlos zugesehen. Sie hatte keine Einwände, weil ihr in der Rolle als Pflichtverteidigerin der Kirche keine Einspruchsmöglichkeit blieb. Eine starre Dogmatik ließ zudem kaum mehr etwas übrig, was es theologisch noch zu bedenken gab. An die Stelle des Streitgespräches und des Diskurses trat der Kommentar, das Selbstzitat, die willfährige Unterweisung.
Jedes Reden von Gott hat heute verspielt, das nicht in Opposition steht zu einer Einstellung, die nicht mehr – im positiven Sinn – „begriffsstutzig“ sein will. Auch die Theologie muss immer wieder stutzig werden, Anstoß nehmen an den vielen Formen, Gott für eine irritationsresistente Praxis in religiösen und säkularen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen und die eigentliche Zumutung dieses Wortes auszuschlagen, die jeglichen Redefluss unterbricht und in Frage stellt. Theologinnen und Theologen sollten es als Ehrentitel auffassen, wenn sie von kirchlichen Würdenträgern als „Bedenkenträger“ kritisiert werden, womit in der Regel eine unwirsche Beschreibung für unbequeme und nachdenkliche Mitmenschen verbunden ist. Man hält sie für Nörgler, Beckmesser und Querulanten. Viele ihrer Kritiker können gar nicht verstehen, warum es etwas zu kritisieren gibt. Sie halten ihre Sache für eine große Selbstverständlichkeit. Bedenkenträger aber erinnern daran, dass sich keineswegs alles von selbst versteht. Das ahnen auch ihre Kritiker unter den Kirchenfürsten und im Kirchenvolk. Sie merken, dass die traditionelle Gottesrede auf Probleme stößt. Aber sie reagieren meist anders – jedenfalls selten mit Nachdenklichkeit und Selbstkritik. Denn für sie ist die Wirklichkeit Gottes etwas Fragloses, Unstrittiges, Unbezweifelbares. Gott ist für sie über jeden Zweifel erhaben. Diese Überzeugung ist heute jedoch immer schwerer vermittelbar. Das wissen auch die Überzeugten und darum bekräftigen sie immer wieder das, wovon sie überzeugt sind. Das ist auf den ersten Blick auch verständlich: Wer auf Anhieb nicht verstanden wird, obwohl er/sie meint, etwas Selbstverständliches zu sagen, sieht sich genötigt, dasselbe noch einmal zu sagen. Man wiederholt sich. Wiederholungen aber langweilen. Und wer sich langweilt, schaltet ab.
Genauso ergeht es der Kirche seit geraumer Zeit mit ihrer Rede von Gott. Sie versteht nicht, warum sie nicht verstanden wird. Und darum wiederholt sie das oft Gesagte, sie fasst zusammen, sie beschwört, sie schärft ein, sie droht – und am Ende gibt sie für das gleichwohl fortbestehende Unverständnis den Anderen die Schuld. Man macht den Anderen, den Religions- und Kirchenfernen jene Vorwürfe, die man an sich selbst adressieren müsste. Ein solches Reden von Gott ist unkommunikativ. Kommunikation lebt davon, dass man sich Fragen stellen lässt. Die besten Fragen sind stets die unbequemen. Ihnen aus dem Weg zu gehen ist ebenso unklug wie feige. Es ist unklug, weil man bekanntlich durch Fragen klug wird. Und es ist feige, denn wo nicht gefragt wird, wird nichts riskiert. Und wo nichts riskiert wird, gibt es auch nichts zu gewinnen. Wer all dem aus dem Weg gehen will, ist in der Theologie fehl am Platz. Theologie beginnt mit unbequemen Fragen, die sie sich stellen lässt und die sie anderen stellt.
Jedes Reden von Gott hat in dieser Zeit verspielt, das sich nur noch an jene richtet, die noch etwas mit dem Wort „Gott“ anfangen können oder wollen. Theologie, die ernst genommen werden will, braucht das Gespräch mit jenen Zeitgenossen, die dieses Wort aus ihrem Vokabular gestrichen haben. Sie muss die Ursachen und Gründe erfragen, dass es zum „Gottesverdruss“, zur Aversion oder Gleichgültigkeit gegenüber diesem Menschheitswort gekommen ist. Die Theologie muss solidarisch sein mit den Nachdenklichen – sowohl unter den „Frommen“ als auch unter den „Ungläubigen“ – und auf beiden Seiten um wechselseitiges Verständnis werben. Nur so ebnet sie dem Verständnis ihrer Sache einen Weg.
Den Anfang des Verstehens bildet gleichwohl das Nicht-Verstehen. Erst das Klarwerden über das, was unklar ist, ebnet den Weg zu Einsichten.8 Dazu gehört auch die Prüfung, ob das, was jeweils selbstverständlich erscheint, auch wirklich der kritischen Nachfrage standhält. Erkenntnis beginnt mit dem Problematisieren des scheinbar Selbstverständlichen. Darum kommt es der Theologie zu, dass sie gegenüber dem Umgang mit dem Wort „Gott“ zunächst Bedenken anmeldet. Anders kann sie ihrer Zeit und ihrer Sache nicht gerecht werden. Sie hat mit der Frage zu beginnen, ob das, was in dieser Zeit „Gott“ genannt wird oder mit diesem Wort bestritten wird, in Wahrheit verdient, so genannt und bestritten zu werden. Sie hat den Schwierigkeiten nachzugehen, welche das Reden von Gott in der Moderne in die Krise gebracht haben, und sie muss die großen Enteignungen des Christentums im Blick behalten. Diese betreffen den Nachweis der Entbehrlichkeit Gottes für die Erklärung der Welt und ihres Entstehens, den Nachweis der Verzichtbarkeit Gottes für die Begründung einer menschendienlichen Moral und den Nachweis für den fehlenden Bedarf des Wortes „Gott“ in unserer Sprache. Eine der Wahrheitsfrage verpflichtete Wissenschaft...

Table of contents

  1. Cover
  2. Title
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. I. Abschied von Gott? Theologie an den Grenzen der Moderne
  6. II. Biblische Aufklärung: Offenbarung als Bestreitung
  7. III. Philosophischer Kontext: Gott denken im Widerstreit von Sein und Nichts
  8. IV. Ästhetische Kontroversen: Wahre Bilder? – Bilder der Wahrheit?
  9. V. Epilog: Gott – bestritten und vermisst