Fake News
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Fake News

Ein Handbuch fĂŒr Schule und Unterricht

Armin Himmelrath, Julia Egbers

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  1. 184 pages
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Fake News

Ein Handbuch fĂŒr Schule und Unterricht

Armin Himmelrath, Julia Egbers

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Dieses E-Book enthĂ€lt komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.Soziale Netzwerke als grundsĂ€tzlich seriöse Nachrichtenquellen? FĂŒr viele Jugendliche ist das ĂŒberhaupt keine Frage. Sie blicken eher skeptisch auf traditionelle journalistische Medien. Umso wichtiger, dass die Jugendlichen lernen, LĂŒgen und Fake News von Wahrheit zu unterscheiden. Die Schule kann das Informationsverhalten von Kindern und Jugendlichen prĂ€gen mit PrĂ€ventionsmassnahmen und dem Fördern von Medienkompetenz. Dieses Buch bietet eine EinfĂŒhrung in die Thematik, ergĂ€nzt durch zahlreiche Anregungen und ÜbungsvorschlĂ€ge fĂŒr Unterricht und Schulalltag.

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Information

Publisher
hep verlag
Year
2018
ISBN
9783035510867

Kapitel 1: Hate Speech, Fake News, Hass im Netz
Zum Umgang mit einem neuen PhÀnomen

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Was sind Fake News?

Seit Herbst 2017 hilft bei der Suche nach einer ersten Definition fĂŒr den Begriff «Fake News» ein Blick in den Duden. Fake News werden dort beschrieben als «in den Medien und im Internet, besonders in den Social Media, in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen»[4]. Das ist richtig – und dennoch eine VerkĂŒrzung. Denn so einfach ist es leider nicht, weil der Begriff auf ganz unterschiedliche Art und Weise genutzt wird.
Gezielte Falschmeldungen
Da sind zunĂ€chst die in der Duden-Definition schon angesprochenen komplett erfundenen Falschmeldungen, die verbreitet werden, um die Meinung oder das Handeln anderer zu manipulieren oder zu beeinflussen. Dies kann aus politischen, aber auch aus ökonomischen GrĂŒnden geschehen: SpĂ€testens, seit viele Klicks im Netz auch zu einer Beteiligung an Werbeeinnahmen fĂŒhren können, ist der Erzeugen von Fake News, die von anderen geliket und weiter verbreitet werden, auch aus ökonomischer Sicht interessant. Doch es geht nicht nur um Social-Media-Reichweite: Fake News können auch fĂŒr die Verbreitung in klassischen Medien konzipiert sein – mit dem Ziel, professionell arbeitende Journalisten in die Irre zu fĂŒhren und zur Publikation der falschen Meldung zu verleiten.
Ein Beispiel fĂŒr einen solchen Versuch, die Öffentlichkeit aus finanziellen Interessen heraus mit falschen Informationen zu fĂŒttern und deren Verbreitung anzukurbeln, ist der Fall der niederlĂ€ndischen Aidsforscher Henk Buck und Jaap Goudsmit. Die beiden hatten Ende der 1980er-Jahre mit ihren Forschungsergebnissen in Sachen Aids zwar solide Arbeit geleistet, der erhoffte Durchbruch in der Medikamentenentwicklung war ihnen aber nicht gelungen. Doch die Wissenschaftler waren darauf angewiesen, öffentlichkeitswirksame Ergebnisse zu prĂ€sentieren, weil sonst die KĂŒrzung von Forschungsgeldern drohte. Henk Buck entschloss sich deshalb im April 1990 zu einer Regelverletzung. Er habe, ließ der Chemiker im Rahmen einer Fernsehsendung kurz vor der Veröffentlichung neuer Forschungsergebnisse bei «Science»[5] verlauten, ein Aids-Gegenmittel entdeckt: Aids werde auf absehbare Zeit der Vergangenheit angehören. Das war eine bewusste LĂŒge, eine solche Topnachricht bewirkte aber natĂŒrlich, dass sich die Medien sofort auf die Forscher stĂŒrzten und ihre angeblich erfolgreiche Arbeit in den höchsten Tönen lobten. «Von der Fachwelt gedrĂ€ngt, seine Entdeckung unter Beweis zu stellen, musste er eingestehen, daß er ĂŒbertrieben hatte», schildert Peter Weingart, Bielefelder Mediensoziologe, den weiteren Verlauf des Falls: «Zur BegrĂŒndung erklĂ€rte er, nur mit Übertreibungen dieser Art könne man die gewĂŒnschte Aufmerksamkeit und entsprechende UnterstĂŒtzung in der Öffentlichkeit erlangen»[6]. SpĂ€ter argumentierte Buck, er sei von Journalisten zu der Aussage provoziert worden. Im Rahmen der AffĂ€re trat Buck von seiner Professur zurĂŒck.
Aus einem ganz anderen Kontext stammen die Fake-Aktionen der Polit-Art-Gruppe «The Yes Men»[7]. Sie haben hĂ€ufig zum Ziel, falsche Nachrichten zu produzieren und in Umlauf zu bringen. Dahinter steht das politische Ziel, Fehlverhalten von Konzernen oder Einzelpersonen dadurch sichtbar zu machen, dass man diesen eine Meinung unterschiebt, die sie gar nicht vertreten – um damit in der Öffentlichkeit Irritationen auszulösen und auf diese Weise die allgemeine Aufmerksamkeit fĂŒr den zu kritisierenden Sachverhalt zu verstĂ€rken. Das Verbreiten der Fake News ist dabei nur der erste Teil einer erfolgreichen Yes-Men-Aktion; die Bekanntgabe des Fakes und die anschließende Debatte ĂŒber die Inhalte und den TĂ€uschungsprozess gehören ebenso dazu.
Ein Beispiel fĂŒr diese Vorgehensweise ist die Aktion vom 3. Dezember 2004, die von den Yes Men als «Dow Chemical Hack» bezeichnet wird. Dieser Tag war der 20. Jahrestag der Chemiekatastrophe im indischen Bhopal, bei der aus einer Pestizidfabrik des Chemieunternehmens Union Carbide eine Giftgaswolke austrat. Bei diesem vermutlich grĂ¶ĂŸten Chemieunfall der Geschichte kamen mindestens 3 800, möglicherweise aber auch bis zu 25 000 Menschen ums Leben; die Anzahl der Verletzten wird auf bis zu eine halbe Million Menschen geschĂ€tzt. Viele von ihnen erblindeten und erlitten LĂ€hmungen, HirnschĂ€den, Lungenödeme und andere Verletzungen bis hin zu chronischen Leiden und Unfruchtbarkeit, und es gab zahlreiche Fehlbildungen bei Neugeborenen. Die Zahlen ĂŒber die Betroffenen sind so ungenau, weil niemand weiß, wie viele Personen seinerzeit in den Elendsvierteln rund um die Chemiefabrik lebten und bei dem UnglĂŒck vergiftet wurden.
Weil Dow Chemical zwischenzeitlich EigentĂŒmer von Union Carbide geworden war und die EntschĂ€digung der Opfer und Hinterbliebenen mit 500 Dollar pro Person nach Meinung der Aktivisten von The Yes Men ĂŒberhaupt nicht zufriedenstellend behandelte, trat an diesem Jahrestag des UnglĂŒcks der Yes Man Andy Bichlbaum als Dow-Chemical-Sprecher Jude Finisterra auf und gab der britischen BBC in dieser Rolle ein Fernsehinterview. «Ich bin sehr, sehr glĂŒcklich, heute mitteilen zu können, dass Dow erstmals die volle Verantwortung fĂŒr die Katastrophe in Bhopal ĂŒbernimmt», sagte der angebliche Unternehmenssprecher in dem rund fĂŒnfminĂŒtigen GesprĂ€ch[8]. Ein zwölf Milliarden Dollar schwerer Fonds sei eingerichtet worden, um die Opfer der Katastrophe «vollstĂ€ndig zu entschĂ€digen» – damit werde der Gewinn aus der FirmenĂŒbernahme von Union Carbide komplett den Opfern zur VerfĂŒgung gestellt. Und der Sprecher fuhr fort: «Wir haben beschlossen, Union Carbide zu liquidieren, diesen Albtraum fĂŒr die Welt, der Dow Kopfschmerzen bereitet.» Erstmalig wolle man auch die genaue chemische Zusammensetzung der Gaswolke veröffentlichen, kĂŒndigte «Jude Finisterra» an, um die Ärzte in Indien endlich bei der Behandlung der Langzeit-Opfer zu unterstĂŒtzen. Außerdem werde man dafĂŒr sorgen, dass das gesamte, immer noch verseuchte FirmengelĂ€nde in Bhopal saniert und entgiftet werde. In Schlips und Anzug und mit ein paar ĂŒblichen PR-Floskeln versehen, erzielte der falsche Sprecher die gewĂŒnschte Wirkung: Die BBC meldete sofort die spektakulĂ€re Neuigkeit, dass der Chemiekonzern die volle Verantwortung fĂŒr das UnglĂŒck 20 Jahre zuvor ĂŒbernommen habe. «Unsere AktionĂ€re werden das vielleicht als RĂŒckschlag wahrnehmen», orakelte der vermeintliche Sprecher noch. Und er sollte Recht behalten: Die Meldung fĂŒhrte zu einem Kursabsturz der Dow-Chemical-Aktie, der Wert des Unternehmens an der Börse ging um zwei Milliarden Dollar zurĂŒck – bevor die BBC die eigene Meldung vom Sinneswandel des Chemiekonzerns dementierte, weil sie den Fake der Yes Men schließlich doch durchschaut hatte.
Trotz der spektakulĂ€ren Aktion im Jahr 2004 gelang es den Yes Men bereits ein Jahr spĂ€ter erneut, als Dow-Chemical-ReprĂ€sentanten aufzutreten und falsche Neuigkeiten zu verbreiten. Bei einer Bankenkonferenz in London am 28. April 2005 prĂ€sentierten zwei Aktivisten die angeblich von dem Chemiekonzern entwickelte Software namens «Acceptable Risk Calculator»[9], mit dem sich «vertretbare Risiken» bei profitorientierten Unternehmungen mit Hilfe mathematischer Verfahren ermitteln lassen sollen. Damit könnte man, so die Redner, herausfinden, an welchen Unternehmensstandorten weltweit die Bevölkerung bereit sei, ein hohes Unfallrisiko zu tragen und wie viele Tote fĂŒr einen angenommenen lukrativen Gewinn X akzeptabel seien. So ließen sich die fĂŒr die Firmen profitabelsten Standorte fĂŒr gefĂ€hrliche und risikobehaftete Produktionsverfahren finden. Die anwesenden Bankvertreter sparten anschließend nicht mit Applaus und positivem Feedback fĂŒr das «neue» Instrument – und ließen sich sogar mit «Gilda, dem goldenen Skelett» fotografieren, das als angebliches Maskottchen des Programms vorgestellt wurde.
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Abbildung 3: Gilda, das goldene Skelett (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/The_Yes_Men#/media/File:Yesmen_gilda.webp)
Die Fake News waren hier, anders als bei der ersten Dow-Chemical-Kritik, nicht an die breite Öffentlichkeit gerichtet, sondern wurden nur innerhalb eines kleinen Kreises von Entscheidern kommuniziert – und die Auflösung spĂ€ter dann natĂŒrlich auch wieder ĂŒber Social-Media-KanĂ€le und auf der Webseite der Gruppe verbreitet.
Ganz anders wiederum, nĂ€mlich mit Blick auf eine grĂ¶ĂŸtmögliche öffentliche Wirkung, gingen die Yes Men am 12. September 2008 vor: Sie verteilten in Manhattan einhunderttausend Mal eine komplett gefĂ€lschte Ausgabe der New York Times[10], in der der Irakkrieg fĂŒr beendet erklĂ€rt wird, die Anklage gegen den (damals noch amtierenden) US-PrĂ€sidenten George W. Bush wegen Hochverrats gemeldet wird und in der sich US-Außenministerin Condoleezza Rice öffentlich fĂŒr ihre LĂŒgen ĂŒber den Irakkrieg entschuldigt.
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Abbildung 4: Cover der falschen NYT-Ausgabe (Quelle: http://www.spiegel.de/media/media-19346.pdf)
Das Motto der Ausgabe: «All the news we hope to print». Die Yes Men wollten nach eigener Aussage zeigen, wie sie sich eine bessere, gerechtere Welt vorstellen – und dass diese guten Nachrichten grundsĂ€tzlich möglich sind. Wer die Ausgabe aufmerksam betrachtete, konnte allerdings schnell feststellen, dass es sich nicht um echte Nachrichten handeln konnte: Das Exemplar war auf den 4. Juli 2009 vordatiert. Dennoch berichteten zahlreiche seriöse Medien ĂŒber die Aktion: zwar nicht ĂŒber die falschen Nachrichten, aber ĂŒber das ganze Projekt. Auch so erreichten die Aktivisten damit ihr Ziel: Aufmerksamkeit.
Urban Legends
Die so genannten Urban Legends, die Großstadtmythen, gehören ebenfalls zu den Fake News. Es handelt sich dabei um Geschichten und ErzĂ€hlungen, die hĂ€ufig mit vagen Herkunftsangaben verifiziert werden: «Ein Bekannter meines Bruders hat eine Geschichte erzĂ€hlt, die seine Schwester selbst erlebt hat  » Diese modernen Legenden wurden von Kulturwissenschaftlern seit den 1980er-Jahren zunĂ€chst in den USA untersucht; auch auf Deutsch erschienen dazu einige BĂŒcher mit gesammelten ErzĂ€hlungen[11]. Urban Legends verfolgen kein direktes manipulatives Ziel, sondern setzen vor allem auf die Lust am WeitererzĂ€hlen und sprechen dafĂŒr hĂ€ufig vorhandene Ängste, Vorurteile oder Stereotype an. So gehört die Angst vor unbekannten Situationen und dem Fremden zu einem der hĂ€ufig wiederkehrenden Grundmuster bei dieser Art von Fake News. Und immer wieder schaffen es solche Meldungen und Legenden – im Englischen auch als «Hoax» bezeichnet – in die journalistischen Medien und erhalten dadurch eine erhöhte GlaubwĂŒrdigkeit und Verbreitung.
Eine dieser Großstadtlegenden ist die Geschichte des New Yorker Angestellten George Turklebaum. Der Korrektor, seit 30 Jahren in Diensten eines New Yorker Verlagshauses, starb angeblich Ende 2000 mit 51 Jahren an einem Herzinfarkt wĂ€hrend der Arbeitszeit an seinem Schreibtisch. Erst fĂŒnf Tage spĂ€ter wurde er von einer Putzfrau entdeckt – was angesichts der Tatsache, dass der Verstorbene die ganze Woche ĂŒber zusammen mit 23 anderen Angestellten in einem gemeinsamen GroßraumbĂŒro saß, so bemerkenswert war, dass unter anderem der Guardian, die Londoner Times und der Berliner Tagesspiegel darĂŒber berichteten.
«Sadly, George Turklebaum didn’t live to enjoy the drama of the US election. He died of a heart attack on Monday October 23 while sitting at his desk in an open-plan office he shared with 23 others in the New york publishing house where he worked for 30 years as a proofreader. He can’t be accused of going out with a bang: it was not until the next Saturday that anyone noticed. â€čGeorge was always the first guy here in the morning and the last to leave at nightâ€ș, explains his boss, Elliot Wachiaski. â€čSo no one found it unusual he was in the same position all that time.â€ș May he contiue to rest in peace.»
Abbildung 5: Turklebaum-Legende (Quelle: The Guardian vom 15. 12. 2000)[12]
Eine spektakulĂ€re Geschichte, keine Frage. Und eine, die schnell die Runde machte – schließlich sorgte sie fĂŒr wohliges Gruseln angesichts der AnonymitĂ€t in den modernen GroßraumbĂŒros. Wenn dann auch noch der Chef des armen Toten, Elliot Wachiaski, mit den Worten zitiert wird: «George war immer der Erste am Morgen und der Letzte am Abend. Er redete nie viel und war immer in seine Arbeit versunken. Deshalb wunderte sich niemand, dass er die ganze Zeit einfach so dasaĂŸÂ», dann ist klar: Daraus lĂ€sst sich etwas lernen, fĂŒr jeden von uns. Diesen Bericht mĂŒssen wir unbedingt weitererzĂ€hlen. Nur: Die Geschichte ist frei erfunden, einen George Turklebaum gab es in New York nicht. Das hat der Journalist Uwe Buse nachrecherchiert[13]. Er fand heraus: Turklebaums angeblich so einsamer Tod mitten unter seinen unaufmerksamen Kollegen beruhte ursprĂŒnglich auf einer Meldung der Zeitung «Weekly World News» aus den USA – und die berichtete auch schon mal ganz ernsthaft darĂŒber, dass in der Schweiz 960 Mitglieder einer Sekte an Bord eines Ufos gebeamt worden seien. Eine Scherzmeldung also? Eine gut gemachte, allerdings frei erfundene Geschichte mit Klatsch-und-Tratsch-Potenzial? Eine gezielte Desinformation oder gar eine geplante LĂŒgenkampagne? Das bleibt unklar. Sicher ist nur, dass ein freier Journalist in England die Story aufgriff, unter anderem an mehrere englische und sĂŒdafrikanische Medien weitergab und sie von da an ihren Siegeszug durch die Redaktionen antrat. Eine Geschichte, zu traurig und zu schön, um wahr zu sein. Aber weil sie das unspezifische Unbehagen an der anonymen Welt da draußen auf den Punkt bringt, wollten die Journalistinnen und Journalisten und ihre Leserinnen und Leser sie einfach glauben.
Zum Kosmos der modernen Großstadtlegenden gehört auch die Geschichte des Mannes, der – je nach ErzĂ€hlung mal in Las Vegas, mal in Amsterdam, mal in Hongkong – auf GeschĂ€ftsreise in einem Hotel war und nach mehreren Drinks an der Hotelbar mit einer verfĂŒhrerischen jungen Frau ins GesprĂ€ch kam. «Das NĂ€chste, woran sich der Mann erinnerte, war, dass er in seinem Hotelzimmer aufwachte. Er lag in seiner Badewanne, welche mit Eis gefĂŒllt war. Auf dem Spiegel im Badezimmer stand mit Lippenstift geschrieben: â€čWir haben eine Ihrer Nieren entnommen! Rufen Sie den Notarzt an!â€ș Das Telefon hatte jemand in der NĂ€he der Wanne platziert»[14]. Angeblich habe der Telefonist in der Notrufzentrale dann gestöhnt: «Nicht schon wieder!» und sofort einen Rettungswagen vorbeigeschickt. Hintergrund sei, «dass es anscheinend einen großen Schwarzmarkt fĂŒr menschliche Organe gibt». Auch hier spielt wieder die Lust am Gruseln eine entscheidende Rolle dafĂŒr, dass die gefĂ€lschte Geschichte immer wieder neu erzĂ€hlt und verbreitet wird.
Ein weiteres Beispiel fĂŒr eine solche Urban Legend ist die Geschichte von Katzenbabys, die in GlĂ€ser gestopft werden, um sie in eine bestimmte Form zu bringen – so genannte Bonsaikitten. Eine ganze Webseite[15] beschĂ€ftigt sich mit diesem Thema und propagiert die grausam erscheinende Vorgehensweise: Wenn junge Katzen in GlasbehĂ€lter gepresst werden und dort einige Zeit verbringen mĂŒssen, nehmen sie die Form dieser BehĂ€lter an. So sei beispielsweise die Herstellung quadratischer Tiere möglich. «NatĂŒrlich ist das völliger Blöd...

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