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Kompetenzorientierung und Lernortkooperation in der beruflichen Grundbildung

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Kompetenzorientierung und Lernortkooperation in der beruflichen Grundbildung

About this book

In der beruflichen Grundbildung ist es seit einigen Jahren zu einem Paradigmenwechsel gekommen: weg von Inhaltskatalogen, hin zu beruflichen Handlungskompetenzen. Eine der zentralen Herausforderungen des Reformprozesses war und ist die Umsetzung der Kompetenzorientierung. Eine Grundbildung zu revidieren, ist jedoch kein Spaziergang. Was bedeutet die Kompetenzorientierung fĂŒr die Lernorte? Welche VerĂ€nderungen werden durch die neue Ausrichtung verursacht? Welche Faktoren tragen entscheidend zum Gelingen einer Reform bei? Dieses Buch dokumentiert an einem konkreten Beispiel den Reformprozess vom Auftrag der Organisation der Arbeitswelt ĂŒber die Umsetzung an den drei Lernorten bis zur Neugestaltung des Qualifikationsverfahrens. Erfolgsfaktoren wie auch Stolpersteine bei der Umsetzung eines neuen Bildungsplans werden praxisnah aufgezeigt.

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Information

Publisher
hep verlag
Year
2017
Print ISBN
9783035508260
eBook ISBN
9783035509076
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1 Eine zeitgemÀsse Ausbildung als zentrale Aufgabe jedes Berufsverbands
Eine Grundbildung zu revidieren, ist kein Spaziergang – schon gar nicht, wenn es sich um ein Berufsfeld mit fĂŒnf verschiedenen Berufen handelt, wie dies im Verkehrswegbau der Fall ist. Wie es zu diesem Vorhaben gekommen ist, wie es in Angriff genommen wurde und was dabei zum Erfolg beigetragen hat, erfahren Sie in diesem Kapitel.
Die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) tragen die Hauptverantwortung fĂŒr die Revision von Bildungsverordnungen und BildungsplĂ€nen. Sie mĂŒssen den Prozess anfĂŒhren und vorantreiben. Bei der Revision der Bildungsverordnungen und BildungsplĂ€ne fĂŒr das Berufsfeld Verkehrswegbau hat Infra Suisse wertvolle Erfahrungen sammeln können. Davon handelt dieses Buch.
Wettbewerb ist ein elementares Prinzip unserer Wirtschaft. Unternehmen streben nach den besten Ideen, den tiefsten Kosten, den treuesten Kunden und – mehr denn je – nach den besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Personen zu finden, die kompetent sind und zur Unternehmenskultur passen, ist indessen gerade in traditionellen handwerklichen Berufen nicht immer einfach. Firmen können das notwendige Personal entweder bei der Konkurrenz abwerben oder selbst aus- und weiterbilden. Beide Wege haben ihre Vor- und Nachteile; die Erfahrung aus der Praxis dĂŒrfte aber klar dafĂŒr sprechen, dass sich eine Unternehmung in der Aus- und Weiterbildung der eigenen Mitarbeitenden engagiert – ganz nach dem Motto von Benjamin Franklin (1706–1790), einem der GrĂŒndervĂ€ter der Vereinigten Staaten: «Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen.» Wer gute Mitarbeitende will und sie auch halten möchte, muss sich anstrengen und um den Ruf eines attraktiven Arbeitgebers bemĂŒht sein – dazu gehört auch Engagement in der Aus- und Weiterbildung.
Das Gebot der AttraktivitĂ€t gilt in Zeiten des FachkrĂ€ftemangels nicht nur fĂŒr einzelne Unternehmungen, sondern auch fĂŒr ganze Wirtschaftszweige. Eine Branche muss dem Personal gute Arbeitsbedingungen, konkurrenzfĂ€hige Löhne und vor allem Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Der Schweizer Infrastrukturbau steht diesbezĂŒglich gut da. Die Aus- und Weiterbildungen im Bauhauptgewerbe sind klar strukturiert und seit Langem etabliert. In einer Baufirma findet sich fĂŒr jeden, unabhĂ€ngig von seinen technischen, organisatorischen oder kaufmĂ€nnischen FĂ€higkeiten, eine Aufgabe, sei es als Bauarbeiter ohne Fachkenntnisse, als Facharbeiter, Vorarbeiterin, Polier, BaufĂŒhrerin, Kalkulator, Abteilungsleiterin oder als GeschĂ€ftsfĂŒhrer.

1.1 Eine Branche Àndert sich

Infra Suisse ist die Branchenorganisation der Schweizer Infrastrukturbauer. Die Berufsbildung ist fĂŒr sie eine zentrale Aufgabe. Auch wenn der Verband in seiner heutigen Form erst seit dem Jahr 2007 existiert, blickt er dank seiner VorgĂ€ngerorganisationen doch auf eine lange Berufsbildungstradition zurĂŒck. Aber auch eine lange Tradition entbindet nicht von der Pflicht, fĂŒr Aus- und Weiterbildungen auf der Höhe der Zeit zu sorgen. VerbĂ€nde, die das nicht tun, haben je lĂ€nger, desto mehr MĂŒhe, ihre Existenz zu legitimieren.
Die Anforderungen an das Baustellenpersonal haben sich auch im Infrastrukturbau in den letzten Jahrzehnten deutlich verĂ€ndert. FrĂŒher beschĂ€ftigte die Branche ein Heer von grösstenteils ungelernten Bauarbeitern. Die meisten Arbeiten wurden von Hand ausgefĂŒhrt. Heute werden, wo immer möglich, Maschinen eingesetzt. Die Konsequenz: WofĂŒr frĂŒher zehn MĂ€nner nötig waren, reichen heute ein Bagger und ein BaggerfĂŒhrer. Die reine Muskelkraft hat auf der Baustelle an Bedeutung verloren. Entscheidend fĂŒr den wirtschaftlichen Erfolg einer Bauunternehmung sind heute vielmehr die FĂ€higkeiten ihrer Mitarbeitenden – und zwar nicht mehr nur auf der Baustelle selbst, sondern vor allem bei der Vorbereitung der Arbeiten, deren Organisation und FĂŒhrung.
Mit der technischen Entwicklung haben sich die Aufgaben eines Verkehrswegbauers gewandelt. Sie sind vielfĂ€ltiger, spannender und anspruchsvoller geworden. Strassenbauer beispielsweise bauen BelĂ€ge ein, heben GrĂ€ben aus, erstellen RandabschlĂŒsse, versetzen SchĂ€chte oder bedienen und warten ihre GerĂ€te und Maschinen. Entsprechende Kompetenzen sind fĂŒr ihre TĂ€tigkeiten elementar und mĂŒssen darum auch in der Bildungsverordnung und im Bildungsplan abgebildet sein.

1.2 Wir revidieren unsere Grundbildung

Zum Berufsfeld Verkehrswegbau gehören die fĂŒnf Berufe Strassenbauer/-in, Gleisbauer/-in, Grundbauer/-in, Industrie- und Unterlagsbodenbauer/-in und PflĂ€sterin/PflĂ€sterer. FĂŒr alle diese Berufe werden heute zum einen Grundbildungen mit eidgenössischem FĂ€higkeitszeugnis (EFZ), zum andern zweijĂ€hrige Berufslehren mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) angeboten. Das Berufsfeld Verkehrswegbau wurde vor rund zwanzig Jahren geschaffen. Davon profitierten insbesondere die Berufe, die pro Lehrjahr nur ein paar wenige Lernende ausbildeten. Sie erhielten so eine strukturierte Grundbildung mit einem national anerkannten Abschluss.
Vorstellungen, wie eine Berufsbildung auszusehen hat, sind einem steten Wandel unterworfen. Noch bei der letzten Revision der Bildungsverordnungen im Berufsfeld Verkehrswegbau im Jahr 2007 standen die Gemeinsamkeiten der fĂŒnf Berufe im Vordergrund. Man wollte den Lernenden eine möglichst breite Ausbildung anbieten. Das war zwar spannend, doch vieles, was gelernt und geprĂŒft wurde, hatte spĂ€ter bei der Arbeit auf der Baustelle keinen echten Nutzen. Dies wurde mit der jĂŒngsten Revision seit 2012 berĂŒcksichtigt: Die Kernaufgaben der einzelnen Berufe wurden wieder stĂ€rker betont.
Nach den Vorgaben des Bundes mĂŒssen Bildungsverordnungen regelmĂ€ssig – aber mindestens alle fĂŒnf Jahre – ĂŒberprĂŒft und den wirtschaftlichen, technologischen und didaktischen Entwicklungen angepasst werden (vgl. www.sbfi.admin.ch → Themen → Berufsbildung → Berufliche Grundbildung → Berufsentwicklung [Zugriff: 19.4.2017]. Die Bildungsverordnung fĂŒr das Berufsfeld Verkehrswegbau war seit 2008 in Kraft, eine nĂ€chste Evaluation war also spĂ€testens im Jahr 2013 angesagt. Doch neue Anforderungen vonseiten der Branche wie des Gesetzgebers waren ein Grund, die Sache schon frĂŒher anzugehen.
‱Beim Staatssekretariat fĂŒr Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) galt neu die Devise: Nicht die Ausbildung, sondern deren Ergebnis strukturiert die Bildungsverordnung und den Bildungsplan. Die bisherigen Leit- und Richtziele sollen durch Handlungskompetenzen ersetzt werden.
‱Bei der Revision von 2007 hatte die Gleisbau-Branche auf eine Attestausbildung verzichtet. Nun war der Wunsch da, eine zweijĂ€hrige EBA-Ausbildung auch fĂŒr Gleisbaupraktiker/-innen zu schaffen.
‱Der Bedarf an qualifizierten BaumaschinenfĂŒhrern wird insbesondere bei Firmen des Tief- und Strassenbaus immer grösser. Verschiedene Unternehmen forderten daher, das Berufsfeld Verkehrswegbau um den Beruf «BaumaschinenfĂŒhrer/-in EFZ» zu erweitern.
Den Steilpass der Branche und des SBFI hat die Infra Suisse gerne aufgenommen und sich zusammen mit den Partnerorganisationen Pavidensa – Abdichtungen Estriche (Industrie und Unterlagsbodenbauer/-in) Schweiz, Verband Schweizerischer PflĂ€sterermeister VSP (PflĂ€sterin/PflĂ€sterer) sowie «Login Berufsbildung» (Gleisbauer) an die Reform der Grundbildung im Berufsfeld Verkehrswegbau gemacht.

1.3 Eine Revision in Rekordzeit

Die Reform einer Grundbildung ist komplex und braucht viel Zeit. Relevante Aspekte aus dem Arbeitsalltag mĂŒssen ermittelt, rechtliche Fragen geklĂ€rt, pĂ€dagogische Vorgaben eingehalten, politische Aspekte beachtet und verschiedene Interessengruppen angehört werden. Die Revision der beiden Bildungsverordnungen und BildungsplĂ€ne EFZ und EBA wurde in nur zwölf Monaten geschafft – eine extrem kurze Zeit in Anbetracht dessen, dass wir fĂŒnf EFZ-Ausbildungen und vier EBA-Ausbildungen neu aufzubauen und eine EBA-Ausbildung fĂŒr Gleisbaupraktiker von Grund auf neu zu entwickeln hatten. Die dreijĂ€hrige Lehre fĂŒr BaumaschinenfĂŒhrer EFZ wurde zwar vollstĂ€ndig entwickelt, konnte aber aufgrund brancheninterner WiderstĂ€nde schliesslich doch nicht eingefĂŒhrt werden.
Wenn wir die Revision in Rekordzeit gemeistert haben, dann nur dank einem schlanken und effizienten Projektteam, einer prÀzisen Projektplanung mit klaren Meilensteinen und realistischen Bearbeitungsfristen, ausreichend personellen Ressourcen und einer professionellen pÀdagogischen Begleitung.
Dass die Berufsfachschule Verkehrswegbauer (BFS VWB) in Sursee fĂŒr sĂ€mtliche Deutschschweizer Kantone und das FĂŒrstentum Liechtenstein die Fachkurse, die ĂŒberbetrieblichen Kurse und die Qualifikationsverfahren im Berufsfeld Verkehrswegbau anbietet, hat wesentlich zu einer raschen und effizienten Revision beigetragen. Die wichtigsten Akteure kannten sich bereits und arbeiteten schon vorher eng zusammen. So waren Informationsaustausch und ZustĂ€ndigkeiten rasch geregelt. Zudem konnten ausgewĂ€hlte Lehrpersonen und PrĂŒfungsexperten zu konkreten Fragestellungen direkt konsultiert werden, was nicht nur zu guten Resultaten, sondern bereits in einer frĂŒhen Phase zu einer hohen Akzeptanz der getroffenen Entscheide gefĂŒhrt hat.

1.4 Klare Strukturen und ZustÀndigkeiten

Eine transparente Struktur mit klaren ZustĂ€ndigkeiten erleichterte die Revisionsarbeit wesentlich. Als Steuerungsgremium wurde die bereits existierende Schweizerische Kommission fĂŒr Berufsentwicklung und QualitĂ€t (B&Q) fĂŒr das Berufsfeld Verkehrswegbau eingesetzt. Die operative Leitung der Revision wurde an ein Projektteam aus vier Personen delegiert. Ihnen stand ein professionelles Beratungsunternehmen zur Seite, die Ectaveo AG ZĂŒrich, der vor allem die pĂ€dagogischen, formellen und administrativen Aufgaben ĂŒbertragen wurden.

1.4.1 Kommission fĂŒr Berufsentwicklung und QualitĂ€t

Oberstes Organ der Totalrevision von Bildungsverordnungen und BildungsplĂ€nen ist gemĂ€ss Berufsbildungsverordnung (Art. 12 BBV) die erwĂ€hnte Kommission fĂŒr Berufsentwicklung und QualitĂ€t fĂŒr das Berufsfeld Verkehrswegbau (Kommission B&Q). Sie setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Organisationen der Arbeitswelt (OdA), der Sozialpartner, der Fachlehrerschaft, der Kantone und des Bundes zusammen. Bei einem Berufsfeld ist es besonders wichtig, dass sĂ€mtliche Berufe und alle Sprachregionen in der Kommission B&Q angemessen vertreten sind. Weil die Kommission ein gros­ses, reprĂ€sentatives und breit abgestĂŒtztes Gremium ist, eignet sie sich vorzĂŒglich als oberstes Steuerungsorgan eines Revisionsprojekts. Zudem hat sie die notwendigen Kompetenzen, um strategische Entscheide zu fĂ€llen.
Der wichtigste Beschluss stand ganz am Anfang des Revisionsprojekts. Die Kommission B&Q muss nĂ€mlich jeweils entscheiden, ob eine Revision der Bildungsverordnung und des Bildungsplans aufgrund wirtschaftlicher, technologischer, ökologischer oder didaktischer Entwicklungen ĂŒberhaupt notwendig ist. Falls ja, ersucht sie die involvierten Organisationen der Arbeitswelt (OdA), dem Staatssekretariat fĂŒr Bildung, Forschung und Innovation SBFI einen entsprechenden Änderungsantrag zu stellen. Der zweite wichtige Entscheid ist dann die Genehmigung der Bildungsverordnung und des Bildungsplans zuhanden des SBFI. Sitzungen in regelmĂ€ssigen AbstĂ€nden wĂ€hrend der Revision dienen dazu, die involvierten Kreise zu informieren, Arbeiten genehmigen zu lassen und das weitere Vorgehen zu bestimmen.

1.4.2 Projektteam

Das Projektteam, das die Revision operativ leitete, wurde auf möglichst wenige Personen beschrĂ€nkt. Dazu gehörte je eine Vertretung der beteiligten OdA, der Fachlehrerschaft, der Kantone und des Bundes. Die Vertreter der Kantone und des Bundes stellten sicher, dass die BeschlĂŒsse den gesetzlichen Vorgaben entsprachen und von den Behörden mitgetragen wurden. Die OdA-Vertreter kannten die Aufgaben und Kompetenzen, die ihre Firmen von ausgebildeten Fachleuten erwarten. Nur mit diesem Wissen konnten die TĂ€tigkeits- und Qualifikationsprofile erarbeitet werden.
Die Leitung des Projektteams musste unserer Ansicht nach ein OdA-Vertreter innehaben. Er fĂŒhrte das Projekt operativ, leitete die Teamsitzungen, tauschte sich intensiv mit der pĂ€dagogischen Beratung aus und pflegte einen direkten Kontakt zu Personen der Branche und der praktischen Ausbildung.

1.4.3 PĂ€dagogische Beratung

Das Projektteam wusste dank der OdA-Vertreter, welches Fachwissen in der Grundbildung vermittelt werden muss. Über spezifisches Wissen, wie eine Bildungsverordnung und ein Bildungsplan heutzutage entwickelt und geschrieben werden, verfĂŒgten die OdA-Vertreter nicht. Aus diesem Grund wurde eine spezialisierte Beratungsfirma beigezogen. Sie wurde mit grosser Sorgfalt ausgewĂ€hlt, denn es war wichtig, dass sie zum einen ĂŒber Erf...

Table of contents

  1. Ausbilden
  2. Vorwort
  3. Ein paar Hinweise, bevor es losgeht 

  4. 1 Eine zeitgemÀsse Ausbildung als zentrale Aufgabe jedes Berufsverbands
  5. 2 Von Inhaltskatalogen zu beruflichen Handlungskompetenzen
  6. 3 Erste Überlegungen der Schulleitung zum Umsetzungsprojekt
  7. 4 Methodische Steuerungsgrundlagen
  8. 5 Den VerÀnderungsprozess gestalten
  9. 6 Lernortkooperation und Kompetenzorientierung an den drei Lernorten realisieren
  10. 7 Kompetenzorientierte PrĂŒfungen
  11. 8 Ausbilden aus der Sicht der Lehrbetriebe
  12. 9 Schlusswort
  13. Literaturverzeichnis