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Psychiatrische Differenzialdiagnostik
Vom Befund zur Diagnose - Eine EinfĂŒhrung
Ulrich Seidl
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- 178 pages
- German
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Psychiatrische Differenzialdiagnostik
Vom Befund zur Diagnose - Eine EinfĂŒhrung
Ulrich Seidl
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The basis for clinical work in psychiatry consists of collecting findings, recognizing and naming phenomena and diagnostic assessment. For those starting out in the field, however, it is usually difficult at first to develop a clear enough view in order to make distinctions and reach diagnoses. This book provides basic knowledge in an understandable form and provides both beginners and also more experienced clinicians with advice on terminology and diagnostic procedures. It discusses not only common diagnoses in acute psychiatry, but also potential pitfalls, difficult differential diagnoses, and therapeutic implications. Numerous clear examples provide connections with practical clinical work.
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Information
1 Grundlagen
1.1 Vorbemerkung
Psychiatrische Differenzialdiagnostik ist eine Kunst fĂŒr sich und selbst erfahrene Untersucher können gelegentlich ihre Schwierigkeiten haben, zu einer genauen EinschĂ€tzung zu kommen. Da ist die Vielzahl der klinischen Erscheinungen, da sind die oft kryptischen und nicht immer klar zuzuordnenden Angaben der Patienten. Manchmal fehlt schlicht die Zeit, sich ausreichend lange mit ihnen zu beschĂ€ftigen, um einen klaren Blick auf die Problematik zu bekommen, manchmal zeigt das GegenĂŒber sich verschlossen oder lehnt ein GesprĂ€ch gĂ€nzlich ab, manchmal gelingt es erst im Verlauf, die Facetten einer Erkrankung zu erfassen. Erforderlich fĂŒr die Entwicklung differenzialdiagnostischer Kompetenz ist neben einer gewissen theoretischen Grundlage mit Kenntnis der wichtigsten Krankheitsbilder und deren Symptomatik auch eine gute Anleitung durch einen erfahrenen Untersucher und natĂŒrlich die permanente Ăbung im klinischen Kontext.
Im Bereich der Psychiatrie lauern einige diagnostische Fallstricke. So besteht die Gefahr, dass Diagnosen vorschnell, sozusagen aus dem Bauch heraus gestellt werden. Oder der diagnostische Blick ist davon beeinflusst, aus welcher der unterschiedlichen Schulen ein Untersucher kommt. Ein biologisch orientierter Psychiater wird einen Patienten möglicherweise ganz anders beurteilen als ein Psychoanalytiker oder ein Verhaltenstherapeut. Selbst wenn eine Diagnose der gĂ€ngigen Klassifikation gemÀà korrekt gestellt wurde, kann die nachfolgende Entscheidung ĂŒber den therapeutischen Schwerpunkt individuell sehr unterschiedlich getroffen werden. Die einschlĂ€gigen Leitlinien geben hier zwar eine Orientierung, aber das Vorgehen wird dennoch davon geprĂ€gt sein, welche Hypothese bezĂŒglich der Erkrankung und ihrer Entstehung gebildet wird und was vom Behandler im allgemeinen oder speziellen Falle als wirksam angesehen wird. NatĂŒrlich kann auch ganz pragmatisch ein an den Symptomen orientiertes Vorgehen gewĂ€hlt werden. Hier jedoch besteht die Gefahr, dass zugrunde liegende Prozesse ĂŒbersehen und folglich nicht behandelt werden, dass die Therapie also an der OberflĂ€che bleibt und nicht an der Wurzel ansetzt.
Wenn wir uns mit dem menschlichen Seelenleben in Gesundheit und Krankheit auseinandersetzen und versuchen, das, was wir sehen, zu verstehen, so tun wir dies also immer unter bestimmten Grundvoraussetzungen und Annahmen, selbst wenn uns diese nicht explizit bewusst sind. Es ist deshalb interessant, sich mit den unterschiedlichen Sichtweisen und Konzepten zu befassen, die uns zu unseren Erkenntnissen fĂŒhren â und sei es, dass wir uns kritisch mit unserer eigenen Vorgehensweise auseinandersetzen oder diese bewusst weiterentwickeln.
Vor der Therapie steht die Diagnose. Dieser Umstand leuchtet selbst dem medizinischen Laien ein, denn es ist offensichtlich, dass erst gehandelt werden kann, wenn klar ist, was dem Patienten fehlt, ob er erkrankt ist und, wenn ja, an welcher Erkrankung er leidet. Wenn eine Diagnose noch nicht sofort gestellt werden kann, sollte es zumindest eine Arbeitshypothese geben, die leitend fĂŒr das weitere Vorgehen ist. In den FĂ€llen, in denen ich ĂŒberhaupt nicht weiĂ, woran ich bin, muss ich mir zumindest Rechenschaft ĂŒber mein Unwissen geben, den Fall bewusst in der Schwebe halten und zunĂ€chst einmal an den Symptomen orientiert vorgehen. Dabei darf nicht unterschĂ€tzt werden, dass Diagnosen, einmal gestellt, ein Eigenleben entwickeln können. Aus einer leichthin geĂ€uĂerten Verdachtsdiagnose wird ohne entsprechenden Hinweis rasch eine vermeintlich gesicherte Tatsache, die ohne kritische ĂberprĂŒfung von Mal zu Mal ĂŒbernommen und tradiert wird. Umso wichtiger sind ein genauer Blick und eine zuverlĂ€ssige Diagnostik.
VielfĂ€ltige GrĂŒnde können zu diagnostischen FehleinschĂ€tzungen fĂŒhren. Einer davon sind Selbstzuschreibungen von Patienten, die unkritisch ĂŒbernommen werden. Auf den ersten Blick mag diese Möglichkeit erstaunen, denn wer möchte schon selbst fĂŒr psychisch krank gelten? Doch psychiatrische Diagnosen können natĂŒrlich auch mit einem Krankheitsgewinn verbunden sein, also mit einem (objektiven oder subjektiven) Vorteil, der fĂŒr einen (vermeintlich) Erkrankten aus seiner Krankheit hervorgeht. Wenn allgemeine Lebensprobleme zu einer Störung des Befindens fĂŒhren und dies im Folgenden zur Krankheit erklĂ€rt und sozusagen psychiatriert wird, dann bedeutet das, dass die Verantwortung fĂŒr deren Lösung an Ărzte, Therapeuten oder allgemein an das Gesundheitswesen delegiert werden. Der verstĂ€ndliche Wunsch nach einfachen Lösungen von schwierigen Problemen kann so stark sein, dass bereitwillig Medikamente genommen oder sogar biologische Verfahren wie die elektrokonvulsive Therapie (EKT) eingefordert werden, obwohl keine Erkrankung im eigentlichen Sinne vorliegt. Leitend ist möglicherweise der trĂŒgerische Gedanke, dass es dem Betroffenen danach schon in irgendeiner Form besser gehen wird und sich die Schwierigkeiten im Folgenden quasi von selbst lösen. Hinzu kommt, wie bei allen Erkrankungen, die Möglichkeit der Entlastung von alltĂ€glichen Aufgaben, etwa durch Krankschreiben oder sogar Berentung. Aus diesem Grunde ist es von groĂer Wichtigkeit, dass Diagnosen zuverlĂ€ssig gestellt oder eben auch nicht gestellt werden (auch wenn die zweite Möglichkeit nicht jedem gelegen kommt). In der Psychiatrie ebenso wie in anderen Bereichen der Medizin ist es unmöglich, eine allgemein gĂŒltige Krankheitsdefinition zu geben und in jedem Falle klar zwischen »noch gesund« und »schon krank« zu unterscheiden. Ein wesentlicher Kritikpunkt der psychiatrischen Klassifikationssysteme ist von daher die oftmals willkĂŒrlich erscheinende Grenzziehung. Auch hier liegen GrĂŒnde fĂŒr FehleinschĂ€tzungen und IrrtĂŒmer, denn wo die Grenzen nicht klar sind, kommt es leicht zu fragwĂŒrdigen Zuordnungen. Im folgenden Abschnitt soll es deshalb, bevor wir uns nĂ€her mit der Differenzialdiagnostik beschĂ€ftigen, um den Krankheitsbegriff im Allgemeinen und im Speziellen gehen.
1.2 Gesundheit und Krankheit
Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) definiert 1946 in ihrer Verfassung Gesundheit als einen »Zustand des vollstĂ€ndigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.« (Weltgesundheitsorganisation 1946, S. 1). In diesem Sinne wĂ€re wohl niemand ĂŒber eine lĂ€ngere Zeit vollstĂ€ndig gesund, denn wann befinden wir uns schon im Zustand des völligen Wohlergehens?
Wenn wir Krankheit allein als einen Zustand des Unwohlseins begreifen, so ist diese Auffassung wenig hilfreich. Die Erfahrung von seelischem â mehr noch als körperlichem â Schmerz und Leid ist grundsĂ€tzlicher Bestandteil des Lebens und kann eine durchaus angemessene menschliche Reaktion auf widrige Ereignisse und Erfahrungen sein. Eine verbindliche Festlegung, ab wann und unter welchen UmstĂ€nden welcher Grad von Unwohlsein als pathologisch zu gelten hat, ist schwierig. Umgekehrt geht Krankheit nicht immer mit subjektivem Leiden einher und selbst schwer psychisch Erkrankte, etwa Patienten mit Psychosen, leiden unter ihren Symptomen nicht immer direkt oder in dem zu erwartenden AusmaĂ. Dies gilt erst recht dann, wenn die Symptomatik chronifiziert ist und der Betroffene sich gut adaptieren konnte. Leidensdruck alleine reicht also nicht aus, um Gesundheit oder Krankheit zu definieren.
Ein Krankheitsbegriff, der rein auf Normabweichung zielt, ist ebenfalls problematisch. Normen beziehen sich auf den Durchschnitt einer Population. DemgemÀà wĂŒrden selbst auf Dauer schĂ€digend wirkende Faktoren ihren Krankheitswert verlieren, wenn nur ein genĂŒgend groĂer Teil einer Gruppe davon betroffen ist. Hat zum Beispiel der gröĂte Teil der Bevölkerung faule ZĂ€hne, so mĂŒssten diese dieser Auffassung gemÀà al...