Heinrich von Ofterdingen
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Heinrich von Ofterdingen

Novalis

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Heinrich von Ofterdingen

Novalis

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Ein Romanfragment ĂŒber die Entwicklung eines jungen Mannes zum Dichter: Heinrich erscheint in einem Traum im Kelch einer blauen Blume, die ein wichtiges Symbol der Romantik wurde, das Gesicht einer jungen Frau, die er nach einigen Begebenheiten schließlich kennenlernt. Mit vielen MĂ€rchen, TrĂ€umen, Allegorien und Liedern durchsetzt, ist dieses Romanfragment ein Meisterwerk der Romantik.-

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Information

Publisher
Saga Egmont
Year
2020
ISBN
9788726539295

Erster Teil

DIE ERWARTUNG

ERSTES KAPITEL

Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt, vor den klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der JĂŒngling lag unruhig auf seinem Lager, und gedachte des Fremden und seiner ErzĂ€hlungen. „Nicht die SchĂ€tze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben“, sagte er zu sich selbst; „fernab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn’ ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anders dichten und denken. So ist mir noch nie zumute gewesen: es ist, als hĂ€tt ich vorhin getrĂ€umt, oder ich wĂ€re in eine andere Welt hinĂŒbergeschlummert; denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hĂ€tte da sich um Blumen bekĂŒmmert, und gar von einer so seltsamen Leidenschaft fĂŒr eine Blume hab ich damals nie gehört. Wo eigentlich nur der Fremde herkam? Keiner von uns hat je einen Ă€hnlichen Menschen gesehn; doch weiß ich nicht, warum nur ich von seinen Reden so ergriffen worden bin; die andern haben ja das nĂ€mliche gehört, und keinem ist so etwas begegnet. Daß ich auch nicht einmal von meinem wunderlichen Zustande reden kann! Es ist mir oft so entzĂŒckend wohl, und nur dann, wenn ich die Blume nicht recht gegenwĂ€rtig habe, befĂ€llt mich so ein tiefes, inniges Treiben: das kann und wird keiner verstehn. Ich glaubte, ich wĂ€re wahnsinnig, wenn ich nicht so klar und hell sĂ€he und dĂ€chte, mir ist seitdem alles viel bekannter. Ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie da die Tiere und BĂ€ume und Felsen mit den Menschen gesprochen hĂ€tten. Mir ist gerade so, als wollten sie allaugenblicklich anfangen, und als könnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es muß noch viele Worte geben, die ich nicht weiß: wĂŒĂŸte ich mehr, so könnte ich viel besser alles begreifen. Sonst tanzte ich gern; jetzt denke ich lieber nach der Musik.“ Der JĂŒngling verlor sich allmĂ€hlich in sĂŒĂŸen Phantasien und entschlummerte. Da trĂ€umte ihm erst von unabsehlichen Fernen und wilden, unbekannten Gegenden. Er wanderte ĂŒber Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche Tiere sah er; er lebte mit mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege, in wildem GetĂŒmmel, in stillen HĂŒtten. Er geriet in Gefangenschaft und die schmĂ€hlichste Not. Alle Empfindungen stiegen bis zu einer nie gekannten Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes Leben; starb und kam wieder, liebte bis zur höchsten Leidenschaft, und war dann wieder auf ewig von seiner Geliebten getrennt. Endlich gegen Morgen, wie draußen die DĂ€mmerung anbrach, wurde es stiller in seiner Seele, klarer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das grĂŒne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte ĂŒber bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom heruntergerissen hatte. Je höher er kam, desto lichter wurde der Wald. Endlich gelangte er zu einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag. Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Öffnung erblickte, die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu sein schien. Der Gang fĂŒhrte ihn gemĂ€chlich eine Zeitlang eben fort bis zu einer großen Weitung, aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegenglĂ€nzte. Wie er hineintrat, ward er einen mĂ€chtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzĂ€hlige Funken zerstĂ€ubte, die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glĂ€nzte wie entzĂŒndetes Gold; nicht das mindeste GerĂ€usch war zu hören, eine heilige Stille umgab das herrliche Schauspiel. Er nĂ€herte sich dem Becken, das mit unendlichen Farben wogte und zitterte. Die WĂ€nde der Höhle waren mit dieser FlĂŒssigkeit ĂŒberzogen, die nicht heiß, sondern kĂŒhl war, und an den WĂ€nden nur ein mattes, blĂ€uliches Licht von sich warf. Er tauchte seine Hand in das Becken und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdrĂ€nge ihn ein geistiger Hauch, und er fĂŒhlte sich innigst gestĂ€rkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken. Es dĂŒnkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots; eine himmlische Empfindung ĂŒberströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzĂ€hlbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder entstanden, die auch ineinanderflossen und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender MĂ€dchen, die an dem JĂŒnglinge sich augenblicklich verkörperten.
Berauscht von EntzĂŒcken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß. Eine Art von sĂŒĂŸem Schlummer befiel ihn, in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten trĂ€umte, und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte. Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe, lichtblaue Blume, die zunĂ€chst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glĂ€nzenden BlĂ€ttern berĂŒhrte. Rund um sie her standen unzĂ€hlige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfĂŒllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie lange mit unnennbarer ZĂ€rtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nĂ€hern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verĂ€ndern anfing; die BlĂ€tter wurden glĂ€nzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die BlĂŒtenblĂ€tter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein sĂŒĂŸes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte und er sich in der elterlichen Stube fand, die schon die Morgensonne vergoldete. Er war zu entzĂŒckt, um unwillig ĂŒber diese Störung zu sein; vielmehr bot er seiner Mutter freundlich guten Morgen und erwiderte ihre herzliche Umarmung.
„Du LangschlĂ€fer“, sagte der Vater, „wie lange sitze ich schon hier und feile. Ich habe deinetwegen nichts hĂ€mmern dĂŒrfen; die Mutter wollte den lieben Sohn schlafen lassen. Aufs FrĂŒhstĂŒck habe ich auch warten mĂŒssen. KlĂŒglich hast du den Lehrstand erwĂ€hlt, fĂŒr den wir wachen und arbeiten. Indes ein tĂŒchtiger Gelehrter, wie ich mir habe sagen lassen, muß auch NĂ€chte zu Hilfe nehmen, um die großen Werke der weisen Vorfahren zu studieren.“ — „Lieber Vater“, antwortete Heinrich, „werdet nicht unwillig ĂŒber meinen langen Schlaf, den Ihr sonst nicht an mir gewohnt seid. Ich schlief erst spĂ€t ein und habe viele unruhige TrĂ€ume gehabt, bis zuletzt ein anmutiger Traum mir erschien, den ich lange nicht vergessen werde, und von dem mich dĂŒnkt, als sei es mehr als bloßer Traum gewesen.“ — „Lieber Heinrich“, sprach die Mutter, „du hast dich gewiß auf den RĂŒcken gelegt, oder beim Abendsegen fremde Gedanken gehabt. Du siehst auch noch ganz wunderlich aus. Iß und trink, daß du munter wirst.“
Die Mutter ging hinaus, der Vater arbeitete emsig fort und sagte: „TrĂ€ume sind SchĂ€ume, mögen auch die hochgelahrten Herren davon denken, was sie wollen, und du tust wohl, wenn du dein GemĂŒt von dergleichen unnĂŒtzen und schĂ€dlichen Betrachtungen abwendest. Die Zeiten sind nicht mehr, wo zu den TrĂ€umen göttliche Gesichte sich gesellten, und wir können und werden es nicht begreifen, wie es jenen auserwĂ€hlten MĂ€nnern, von denen die Bibel erzĂ€hlt, zumute gewesen ist. Damals muß es eine andere Beschaffenheit mit den TrĂ€umen gehabt haben, so wie mit den menschlichen Dingen.
In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr statt. Die alten Geschichten und Schriften sind jetzt die einzigen Quellen, durch die uns eine Kenntnis von der ĂŒberirdischen Welt, soweit wir sie nötig haben, zuteil wird; und statt jener ausdrĂŒcklichen Offenbarungen redet jetzt der Heilige Geist mittelbar durch den Verstand kluger und wohlgesinnter MĂ€nner und durch die Lebensweise und die Schicksale frommer Menschen zu uns. Unsre heutigen Wunderbilder haben mich nie sonderlich erbaut, und ich habe nie jene großen Taten geglaubt, die unsre Geistlichen davon erzĂ€hlen. Indes mag sich daran erbauen, wer will, und ich hĂŒte mich wohl, jemanden in seinem Vertrauen irre zu machen.“ — „Aber, lieber Vater, aus welchem Grunde seid Ihr so den TrĂ€umen entgegen, deren seltsame Verwandlungen und leichte zarte Natur doch unser Nachdenken gewißlich rege machen mĂŒssen? Ist nicht jeder, auch der verworrenste Traum, eine sonderliche Erscheinung, die auch ohne noch an göttliche Schickung dabei zu denken, ein bedeutsamer Riß in den geheimnisvollen Vorhang ist, der mit tausend Falten in unser Inneres hereinfĂ€llt? In den weisesten BĂŒchern findet man unzĂ€hlige Traumgeschichten von glaubhaften Menschen, und erinnert Euch nur noch des Traums, den uns neulich der ehrwĂŒrdige Hofkaplan erzĂ€hlte, und der Euch selbst so merkwĂŒrdig vorkam.
Aber, auch ohne diese Geschichten, wenn Ihr zuerst in Eurem Leben einen Traum hĂ€ttet, wie wĂŒrdet Ihr nicht erstaunen und Euch die Wunderbarkeit dieser uns nur alltĂ€glich gewordenen Begebenheit gewiß nicht abstreiten lassen! Mich dĂŒnkt der Traum eine Schutzwehr gegen die RegelmĂ€ĂŸigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der gebundenen Phantasie, wo sie alle Bilder des Lebens durcheinanderwirft und die bestĂ€ndige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht. Ohne die TrĂ€ume wĂŒrden wir gewiß frĂŒher alt, und so kann man den Traum, wenn auch nicht unmittelbar von oben gegeben, doch als eine göttliche Mitgabe, einen freundlichen Begleiter auf der Wallfahrt zum heiligen Grabe betrachten. Gewiß ist der Traum, den ich heute Nacht trĂ€umte, kein unwirksamer Zufall in meinem Leben gewesen, denn ich fĂŒhle es, daß er in meine Seele wie ein weites Rad hineingreift und sie in mĂ€chtigem Schwunge forttreibt.“
Der Vater lĂ€chelte freundlich und sagte, indem er die Mutter, die eben hereintrat, ansah: „Mutter, Heinrich kann die Stunde nicht verleugnen, durch die er in der Welt ist. In seinen Reden kocht der feurige welsche Wein, den ich damals von Rom mitgebracht hatte, und der unsern Hochzeitabend verherrlichte. Damals war ich auch noch ein andrer Kerl. Die sĂŒdliche Luft hatte mich aufgetaut, von Mut und Lust floß ich ĂŒber, und du warst auch ein heißes köstliches MĂ€dchen. Bei deinem Vater ging’s damals herrlich zu; Spielleute und SĂ€nger waren weit und breit herzugekommen, und lange war in Augsburg keine lustigere Hochzeit gefeiert worden.“
„Ihr spracht vorhin von TrĂ€umen“, sagte die Mutter, „weißt du wohl, daß du mir damals auch von einem Traume erzĂ€hltest, den du in Rom gehabt hattest, und der dich zuerst auf den Gedanken gebracht, zu uns nach Augsburg zu kommen und um mich zu werben?“ — „Du erinnerst mich eben zur rechten Zeit“, sagte der Alte; „ich habe diesen seltsamen Traum ganz vergessen, der mich damals lange genug beschĂ€ftigte; aber eben er ist mir ein Beweis dessen, was ich von den TrĂ€umen gesagt habe. Es ist unmöglich, einen geordneteren und helleren zu haben; noch jetzt entsinne ich mich jedes Umstandes ganz genau; und doch, was hat er bedeutet? Daß ich von dir trĂ€umte und mich bald darauf von Sehnsucht ergriffen fĂŒhlte, dich zu besitzen, war ganz natĂŒrlich: denn ich kannte dich schon. Dein freundliches holdes Wesen hatte mich gleich anfangs lebhaft gerĂŒhrt, und nur die Lust nach der Fremde hielt damals meinen Wunsch nach deinem Besitz noch zurĂŒck. Um die Zeit des Traums war meine Neugierde schon ziemlich gestillt, und nun konnte die Neigung leichter durchdringen.“
„ErzĂ€hlt uns doch jenen seltsamen Traum“, sagte der Sohn. — „Ich war eines Abends“, fing der Vater an, „umhergestreift. Der Himmel war rein, und der Mond bekleidete die alten SĂ€ulen und Mauern mit seinem bleichen schauerlichen Lichte. Meine Gesellen gingen den MĂ€dchen nach, und mich trieb das Heimweh und die Liebe ins Freie. Endlich ward ich durstig und ging ins erste beste Landhaus hinein, um einen Trunk Wein oder Milch zu fordern. Ein alter Mann kam heraus, der mich wohl fĂŒr einen verdĂ€chtigen Besuch halten mochte. Ich trug ihm mein Anliegen vor; und als er erfuhr, daß ich ein AuslĂ€nder und ein Deutscher sei, lud er mich freundlich in die Stube und brachte eine Flasche Wein. Er hieß mich niedersetzen und fragte mich nach meinem Gewerbe. Die Stube war voll BĂŒcher und AltertĂŒmer. Wir gerieten in ein weitlĂ€ufiges GesprĂ€ch; er erzĂ€hlte mir viel von alten Zeiten, von Malern, Bildhauern und Dichtern. Noch nie hatte ich so davon reden hören. Es war mir, als sei ich in einer neuen Welt ans Land gestiegen. Er wies mir Siegelsteine und andre alte Kunstarbeiten; dann las er mir mit lebendigem Feuer herrliche Gedichte vor, und so verging die Zeit wie ein Augenblick. Noch jetzt heitert mein Herz sich auf, wenn ich mich des bunten GewĂŒhls der wunderlichen Gedanken und Empfindungen erinnere, die mich in dieser Nacht erfĂŒllten. In den heidnischen Zeiten war er wie zu Hause und sehnte sich mit unglaublicher Inbrunst in dies graue Altertum zurĂŒck. Endlich wies er mir eine Kammer an, wo ich den Rest der Nacht zubringen könnte, weil es schon zu spĂ€t sei, um noch zurĂŒckzukehren. Ich schlief bald, und da dĂŒnkte mich’s, ich sei in meiner Vaterstadt und wanderte aus dem Tore. Es war, als mĂŒĂŸte ich irgendwohin gehn, um etwas zu bestellen, doch wußte ich nicht wohin, und was ich verrichten solle. Ich ging nach dem Harze mit ĂŒberaus schnellen Schritten, und wohl war mir, als sei es zur Hochzeit. Ich hielt mich nicht auf dem Wege, sondern immer feldein durch Tal und Wald, und bald kam ich an einen hohen Berg. Als ich oben war, sah ich die Goldne Aue vor mir und ĂŒberschaute ThĂŒringen weit und breit, also daß kein Berg in der NĂ€he umher mir die Aussicht wehrte. GegenĂŒber lag der Harz mit seinen dunklen Bergen, und ich sah unzĂ€hlige Schlösser, Klöster und Ortschaften. Wie mir nun da recht wohl innerlich ward, fiel mir der alte Mann ein, bei dem ich schlief, und es gedeuchte mir, als sei das vor geraumer Zeit geschehn, daß ich bei ihm gewesen sei. Bald gewahrte ich eine Stiege, die in den Berg hinein ging, und ich machte mich hinunter. Nach langer Zeit kam ich in eine große Höhle, da saß ein Greis in einem langen Kleide vor einem eisernen Tische und schaute unverwandt nach einem wunderschönen MĂ€dchen, das in Marmor gehauen vor ihm stand. Sein Bart war durch den eisernen Tisch gewachsen und bedeckte seine FĂŒĂŸe. Er sah ernst und freundlich aus und gemahnte mich wie ein alter Kopf, den ich den Abend bei dem Manne gesehn hatte. Ein glĂ€nzendes Licht war in der Höhle verbreitet. Wie ich so stand und den Greis ansah, klopfte mir plötzlich mein Wirt auf die Schulter, nahm mich bei der Hand und fĂŒhrte mich durch lange GĂ€nge mit sich fort. Nach einer Weile sah ich von weitem eine DĂ€mmerung, als wollte das Tageslicht einbrechen. Ich eilte darauf zu und befand mich bald auf einem grĂŒnen Plane; aber es schien mir alles ganz anders als in ThĂŒringen. Ungeheure BĂ€ume mit großen glĂ€nzenden BlĂ€ttern verbreiteten weit umher Schatten. Die Luft war sehr heiß und doch nicht drĂŒckend. Überall Quellen und Blumen, und unter allen Blumen gefiel mir eine ganz besonders, und es kam mir vor, als neigten sich die andern gegen sie.“
„Ach! liebster Vater, sagt mir doch, welche Farbe sie hatte“, rief der Sohn mit heftiger Bewegung.
„Das entsinne ich mich nicht mehr, so genau ich mir auch sonst alles eingeprĂ€gt habe.“
„War sie nicht ...

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