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Frei Lernen
Unterstützung zum selbstbestimmten Lernen mit individuellen Bildungsplänen
- 252 pages
- English
- ePUB (mobile friendly)
- Available on iOS & Android
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About this book
Bedürfnisorientierte liebevolle Eltern mit Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten sowie Vertrauen in den Sohn. Mutproben und Kraftanstrengungen spiegeln sich in diesem Buch wieder. Ein Abenteuer mit Homeschooling in Belgien und Freilernen in den Niederlanden.Die Beispiele für individuelle Bildungspläne der Autorin dienen dem Nachahmen und beflügeln zum Nachmachen.Zielgruppe sind Eltern, die sich fragen wie das ohne akademische Bildung oder Lehrerfahrung gehen kann. Natürliche Lernprozesse beeindruckten auch den ehemaligen Rektor des Couven-Gymnasiums in Aachen, Adolf Bartz: "Das im Buch dargestellte Freilernen und die Haltung der Eltern sind die Lösung für Kinder, die sich in dem derzeitigen Bildungssystem nicht wohlfühlen können!"
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Information
1. WAS WIR VON UNSEREM SOHN GELERNT HABEN
Hätte die Grundschullehrerin unseres Sohnes die erste Kompetenzerwartung am Ende der Schuleingangsphase im Grundschullehrplan Sachunterricht von NRW zum Thema „Mensch und Gemeinschaft“ ernst genommen, wären wir vielleicht keine Freilerner-Eltern geworden:
„Die Schülerinnen und Schüler formulieren eigene Bedürfnisse, Gefühle und Interessen.“
Für mich ist diese Kompetenz für ein gutes Zusammenleben in der Familie, der Schule und de Gesellschaft grundlegend.
Viele meiner Generation haben erst – wenn überhaupt - als Erwachsene gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu äußern. Für mich war es als Kind normal, dass Kinder ruhig sind, wenn Erwachsene sich unterhalten. Ein Mädchen hat lieb und brav zu sein. Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen. Dass war das Motto.
Meine Eltern waren für die damalige Zeit recht bemühte Eltern. Beide haben Vollzeit gearbeitet. Zu dieser Zeit in den 70ern waren wir also eine moderne Familie. Wir Kinder waren meist professionell betreut und hatten dadurch ausreichende Spiel und Lernangebote. Doch unsere Bedürfnisse und Wünsche deutlich mitzuteilen, das haben wir nicht gelernt. Viele Fragen zu stellen, war oft nicht gewünscht. So war ich das wohlerzogene Kind, das mit fünf Jahren die Spaghetti besser als viele Erwachsene aufrollte, Gespräche nicht störte, brav stillsitzen konnte und meist geduldig wartete, bis ich mal dran war. Ich störte nicht, war sittsam, das perfekte KiTa- und Schulkind.
In der Schule brauchten sich die Lehrer nicht um mich zu kümmern, ich lief einfach mit. Lediglich nach einem Schulwechsel zum letzten Grundschuljahr wurde ich auffällig, weil ich ein Jahr lang kein einziges Wort sprach. Meine Lehrerin war sehr barsch und mit Worten verletzend. Da ich nicht störte und nichts sagte, musste ich dies selbst nicht oft erleiden. Doch genau wie Max litt ich in diesem einen Jahr, wenn meine Mitschüler und Mitschülerinnen erniedrigt wurden.
Von einer Einser-Schülerin wurde ich von einem Tag zum andern zu einer Schülerin, die nach der Empfehlung der Pädagogin im Weiteren eine Hauptschule besuchen sollte. Wenn überhaupt, vielleicht auch lieber eine Sonderschule. Mein Vater setzte sich zum Glück für mich ein, so konnte ich eine Realschule besuchen. Mit meinem schnellen Prozessor im Kopf und meiner sensiblen Art wäre ich vermutlich ansonsten nicht glücklich geworden.
Was deutlich wird: Ich habe nicht rebelliert. Ich habe mich zurückgezogen. Habe in zwölf Monaten kein einziges Wort gesagt. Max ist anders. Er sagt und zeigt deutlich seine Befindlichkeiten. Er sagt, was er will und was nicht, und er schafft es dabei, bereits mit sechs Jahren Wege aufzuzeigen, die viele Erwachsene nur nicht sehen wollten. Auch durch meine berufliche Tätigkeit weiß ich, dass eigene Befindlichkeiten, Gefühle und Bedürfnisse nicht ausdrücken zu können ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist. Wenn Menschen nicht zu sprechen lernen, dann wird der innere Druck nicht selten immer größer und größer, bis sie förmlich explodieren und überreagieren oder psychisch krank werden, weil sie sich selbst und ihre Bedürfnisse stets zurückstellen, anstatt deutlich und selbstverständlich zu sagen, was sie wollen und was nicht.
Das Elternhaus und die frühen Betreuungseinrichtungen sind gefragt. Fordere ich junge Menschen auf, ihre Bedürfnisse und Befindlichkeiten mitzuteilen, dann reicht dies alleine nicht aus. Wir müssen sie auch hören und uns mit den Bedürfnissen auseinandersetzen wollen.
Ich denke da an die Aufgaben, die die Lehrerin zum Schulbeginn stellte: 300 Mal auf einem Arbeitsblatt die 3 oder die 4 schreiben. Max wollte das nicht. Er wollte Rechenaufgaben lösen, um dann nach der Rechnung das Ergebnis in Zahlen aufzuschreiben.
Max sagte, dass diese Wiederholungen ihn quälten. Er schrieb die gewünschte Zahl fünf Mal, er schrieb sie zehn Mal. Aber dann wollte er rechnen. Er teilte sehr deutlich seine Befindlichkeiten mit. Dennoch sollte er die vielen Wiederholungen ausführen.
Zwischen den Zeilen wurde also mitgeteilt:
„Deine Befindlichkeiten sind mir egal! Wenn ich sage, du schreibst, dann schreibst du. Es gilt, was ich will, nicht das, was du willst!“
Wird sich dann ein junger Mensch erneut in die Diskussion begeben um seine Befindlichkeiten mitzuteilen? Eher nicht. Denn nun ist die persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten gestört.
Dies sah die junge Lehrerin nicht. Sie wollte, dass alle Kinder das Gleiche machen, die gleichen Aufgaben bearbeiten und lernen, dass sie ihre Anweisungen zu befolgen haben. Das ist schade. Doch dürfte die junge Lehrerin auch kein Einzelfall sein. Lehrende müssen gestärkt werden um eine Klasse nicht als Bedrohung wahrzunehmen.
Nach dem Motto:
„Da musst du hart durchgreifen. Du bist der Chef.“
Sie brauchen die innere Sicherheit, dass ohne Machtausnutzung ein gesundes Lernklima für alle entstehen kann. Andere Lehrende hätten eventuell nachgedacht und Max einfach zugestanden, Rechenaufgaben zu lösen. Oder sie hätten allen Lernenden der Klasse angeboten, entweder die Zahlen zu wiederholen oder Rechenaufgaben zu bearbeiten. Viele Wege hätte es gegeben. Wenn es lediglich um die Zielerreichung, nämlich die
Steigerung der Schreibfertigkeit sowie die der Aufgabenerledigung gegangen wäre.
Gleichzeitig sollen junge Menschen lernen, dass sie mitentscheiden können, es auf die Argumentation ankommt, wie Kompromisse gefunden werden um Ziele zu erreichen und es oft mehrere Wege gibt, anstatt stur eine Sackgasse weiter zu begehen.
Wenn ich mir anschaue, dass selbst in unserer Demokratie viele Menschen das Gefühl haben, den Entscheidungen der Staatsoberen willkürlich ausgesetzt zu sein, dann erschreckt mich dies.
Dann erkenne ich noch deutlicher, dass es eine Sache ist, mit jungen Menschen über die Säulen der Demokratie zu sprechen. Eine andere, mindestens gleichwertige Sache ist aber ebenfalls unabdingbar, nämlich junge Menschen anzuhören und zu beteiligen, insbesondere wenn es um ihre Belange geht.
Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention beschäftigt sich mit der Berücksichtigung des Kindeswillens.
Im Abs.1 heißt es
„Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“
Max konnte auch mit seinen sechs Jahren verstehen, dass die Wiederholungen stumpfer Zahlen die Schreibfertigkeit steigern sollten. Aus diesem Grund hat er geschaut, was er gerne machen würde, um dieses Ziel zu erreichen. Max wollte rechnen. Das teilte er mit meiner Unterstützung der Lehrerin mit, aber er hätte seine Meinung auch einem Sack Reis gegenüber äußern können. Die Konsequenz wäre die gleiche gewesen. Seine Meinung wurde nicht berücksichtigt.
Werden Meinungen junger Menschen missachtet, wird das Desinteresse an demokratischen Prozessen bereits in jungen Jahren gefördert. Darum ist wichtig, dass auch in Schulen junge Menschen angehört und ernst genommen werden und Recht auf Beschwerde und Mitbestimmung in den sie betreffenden Bereichen ausüben können.
Für mich ist ein individueller Bildungsplan in etwas abgeänderter Form auch in Schulen denkbar. So stärken wir nicht nur die jungen Menschen, wir stärken auch unsere Demokratie. Damit das Bildungsrecht im Mittelpunkt steht. Auch in der Familie ist es für mich selbstverständlich, dass ich meine Glaubenssätze immer wieder hinterfrage. Bestehen Regeln aus einem guten Grund, wie beim Zähneputzen, oder nur, weil es schon immer so war?
Bevor Max geboren war, stand für mich fest, dass ein Kind sein eigenes Bett in seinem eigenen Zimmer benötigt. Schlaf ist wichtig, nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern.
Dann war Max geboren. Meine Nachsorgehebamme kam eines Tages zur Tür herein und fragte erstaunt:
„Wo ist Max?“
Er schlief gerade zum ersten Mal in der ersten Etage im Familien-Stubenwagen. Viele Babys der Familie schliefen zuvor schon in diesem Wagen. Als ich sagte, dass er zum ersten Mal oben alleine schläft, fragte sie nur:
„Warum oben alleine?“
Mir fiel keine Begründung ein. Nur Argumente, welche dagegensprachen. Wenn er im Erdgeschoss schläft, kann ich besser hören, wenn er wach wird. Ich könnte dennoch weiter die Küche aufräumen, dazu kam ich selten genug in den ersten Monaten, und ich bräuchte nicht immer lauschen, ob sich oben etwas tut. Babys sind angewiesen auf die Nähe von Mama oder anderen vertrauten Menschen. Ohne Bezugsperson sind sie in existenzieller Gefahr.
Ab diesem Zeitpunkt versuchte ich tatsächlich intensiver meine Beweggründe zu hinterfragen.
Als Max dann einige Monate älter war stellte ich auch ganz klar fest, dass es gar keine Gründe gab, warum Max in seinem Zimmer schlafen sollte. Sein höhenverstellbares Gitterbett war an mein Bett fixiert, das Gitter zu meinem Bett rausgenommen, er schlief nachts recht gut. Er wurde zwar mehrmals wach in der Nacht, doch beim Stillen schliefen wir beide recht schnell wieder ein. Statt also jede Nacht aufzustehen, um ins benachbarte Zimmer zu gehen, war ein Familienbett in einem Zimmer viel besser. Kurzum, das Baby- und Kleinkindzimmer benutzten wir dann nur noch für die Kleidung und für den Wickeltisch. Eine der vielen unnötigen Anschaffungen.
Max wollte stets alles alleine machen. Wenn er dann etwas geschafft hatte, freute er sich, wenn ich das dann wieder fürihn machte. Max kann sich seine Brote selbst schmieren und belegen. Aber er genießt, wenn ich sie ihm mache. Er kann sich selbst die Socken anziehen, aber er genießt es auch heute noch, wenn ich dies mache. Es ist ein Zeichen der Liebe für ihn. Er kann sich selbst Wasser einschenken, aber wenn ich dies mache, freut er sich dennoch darüber.
Vielleicht ist es das Gleiche, wenn mein Mann mir einen Kaffee bringt oder für mich kocht. Diese Dinge kann ich selbstverständlich auch selbst machen, aber ich genieße diese kleinen liebevollen Gesten im Alltag sehr und vermisse sie, wenn mein Mann es mal eine Zeitlang versäumt.
Mir ist wichtig, in der Familie gemeinsam zu schauen, dass es uns gut geht. Dabei helfen uns oft nicht starre Regeln, denn auch wir als Familie sind in Bewegung. Wir Erwachsenen haben grundsätzlich die Macht, ohne Max Entscheidungen fällen zu können. Doch wäre dies dann das Recht des Stärkeren. Und dies ist nicht das System, das wir Max mit auf den Weg geben möchten.
So gehen wir ins Gespräch. Wenn mir etwas sehr wichtig ist, dann sage ich dies auch deutlich. Und dieses Recht steht auch meinem Sohn und meinem Mann zu. So gibt es auch in unserem Alltag einige Regeln. Allerdings nicht so viele, wie ich früher mal erwartet hätte.
2. ÜBERRASCHEND HOMESCHOOLER
Ein Sommertag im August. Erster Schultag meines Sohnes. Nachdem Max tatsächlich schon früh feststellte, dass er gar keine Lust habe, eine Schule zu besuchen, freute er sich wenige Wochen vorher doch noch auf den Start. Seine selbst gebastelte Schultüte fand er klasse, seinen Tornister ebenso. Er hatte sich einen Schulrucksack mit auswechselbaren Dinosauriern ausgesucht.
An diesem Morgen des ersten Schultages hatten wir noch nicht geglaubt, dass Max bereits in wenigen Wochen ein Homeschooler sein würde. Warum sollte er? Er freute sich, Neues zu erfahren, er liebte es, neues Wissen
zu entdecken, er freute sich auf den Austausch in der Schule. Einige Kinder kannte er bereits und er kam mit anderen Kindern meist sehr leicht ins Gespräch.
Doch bereits nach dem ersten Tag stellte Max fest, dass er sich in der Schule nicht wohl fühlte. Wir versuchten ihn aufzumuntern, es sei für alle Beteiligten eine neue Situation. Da müssten sich viele erst einfinden – sowohl seine Mitschüler und Mitschülerinnen als auch seine junge Lehrerin. Doch es wurde nicht besser.
Max war stets neugierig, er hinterfragte viel, es ist schön, mit ihm zusammen Museen unsicher zu machen. Dies veränderte sich mit dem Tag der Einschulung rasant. Nach wenigen Tagen lief er nur noch mit hängenden Schultern herum. Ein Lachen war selten zu sehen. Der kommunikative und spielfreudige Junge musste den ganzen Tag still sein, nur sitzen und für ihn unsinnige Wiederholungen durchführen. Der Ton war schroff in der Schule.
Ein paar Mitschüler ärgerten die anderen mit Worten und Taten. Aber auch von den Erwachsenen wurde viel mit Druck und lauten Ansprachen gearbeitet. Die Kommunikation war unfreundlich, ermahnend, bestrafend. Meist war er nicht betroffen, doch er fühlte mit den anderen Schülern mit. Betroffen war er, wenn er Arbeitsblätter ausfüllen sollte, 300 Mal die 3 oder die 4 schreiben zum Beispiel. Diese stumpfen Wiederholungen waren für ihn tatsächlich eine Qual. Er verweigerte diese, er schrieb die Zahlen 5 oder auch 10 Mal auf das Blatt, dann reichte es ihm. Er hatte bewiesen, dass er die Zahlen schreiben konnte. Dies müsse reichen. Er wollte doch rechnen, nicht wiederholen.
Jeden Tag wurde seine Abneigung, seine Unzufriedenheit größer. Einhergehend wurde auch sein Bedürfnis nach Nähe und Rückhalt von mir oder meinem Mann täglich größer. Er wollte nicht mehr zur Schule gehen.
Unser Versuch, durch Gespräche in der Schule Veränderungen herbeizuführen, scheiterte. Auch der Hinweis, dass Max lieber Rechenaufgaben bearbeiten möchte anstelle der hundertfachen Wiederholung einzelner Ziffern, stieß auf taube Ohren. Alle Kinder hätten das Gleiche zu machen. Es ginge auch darum, dass Kinder den in der Schule erforderlichen Gehorsam erlernten. Dies befremdete uns. Ja, es ist wichtig, dass gemeinsame Regeln aufgestellt werden. Überall, wo Menschen zusammenkommen, bedarf es gemeinsamer Regeln.
Doch müssen die Regeln Sinn ergeben. Wenn stumpfe Zahlenwiederholungen für Max eine Qual sind, er jedoch mi...
Table of contents
- Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- 1. WAS wir von unserem Sohn gelernt haben
- 2.Überraschend Homeschooler
- 3. Erste Schritte
- 4. Angekommen
- 5. Individueller Bildungsplan – Sich an den Stärken orientieren
- 6. Lernen und Verstehen – Wenn das Lernen schwierig Ist
- 7. Den individuellen Bildungsplan erstellen
- 8. Den individuellen Bildungsplan erstellen – Weitere Fächer
- 9. Individuelle Lehrpläne für alle!
- 10. Wie könnte eine Schule sein
- 11. Schulabschlüsse und weitere Fragen
- Impressum