Ein Design Thinking-Phasenmodell
FĂŒr die Darstellung im vorliegenden Buch gehe ich von einem Phasenmodell aus, wie es in Deutschland beispielsweise vom Hasso Plattner-Institut und einer Vielzahl dort ausgebildeter Trainer und Fachleute eingesetzt wird.
Das Modell basiert auf einem klar strukturierten Konzept. Die sechs Phasen des Modells werden zunÀchst in den Problemraum und den Lösungsraum unterteilt. Beide RÀume umfassen jeweils drei Phasen. WÀhrend es im Problemraum darum geht, das Problem oder die Fragestellung zu evaluieren und zu verstehen, geht es im Lösungsraum darum, Lösungen zu entwickeln. Daneben wird in beiden RÀumen von einer divergierenden Herangehensweise ausgegangen, in der mehr Informationen und Erkenntnisse gewonnen werden sollen, und von einem konvergierenden Teil, in dem die gewonnenen Informationen und Erkenntnisse wiederum gesichtet, bewertet und konkretisiert werden.
Innerhalb der verschiedenen Phasen können je nach Problemstellung und Teamzusammensetzung unterschiedlichste Methoden eingesetzt werden. Es gibt BĂŒcher, welche hunderte von Methoden und AnsĂ€tzen anbieten. Diese mĂŒssen selbstredend nicht alle eingesetzt werden und viele davon haben auch erfahrene Design Thinker noch niemals genutzt. TatsĂ€chlich geht es bei Design Thinking auch nicht so sehr um Methoden und Theorien, sondern mehr darum, âes zu tunâ und den gewonnenen Ergebnissen gegenĂŒber auch eine gesunde KritikfĂ€higkeit zu bewahren, sie zu hinterfragen und â wenn der Erkenntnisgewinn nicht ausreichend ist â andere Methoden und Herangehensweisen zu verfolgen. Ziel ist dabei immer die Realisierung von Nutzen fĂŒr den Kunden und der kann, genauso wie der Weg dahin, sehr unterschiedlich aussehen.
GrundsĂ€tzlich muss man dabei beachten: Die Methode und der Prozess sind quasi die Basis, die Umsetzung im Alltag. Diese basiert aber wiederum auf einer Haltung, welche mit den Prinzipien von Design Thinking harmoniert und sich durch eine bestimmte Art der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Kunden Ă€uĂert. Ohne eine entsprechende Haltung ist Design Thinking, wie jede agile Methode und jedes agile Framework, nicht schlagkrĂ€ftig, sondern bestenfalls eine Sammlung neuer Methoden und Techniken, deren Nutzen aber erheblich eingeschrĂ€nkt ist.
Dahinter steht eine bestimmte Kultur, welche in der Organisation gelebt wird. Hier ist nicht von irgendwelchen Marketingaussagen nach auĂen die Rede, mit der Kunden begeistert werden sollen, sondern es geht um die gelebte Grundlage fĂŒr AktivitĂ€ten, ĂuĂerungen und Zusammenarbeit in der Organisation selbst und in der Organisation mit ihren verschiedenen Stakeholdern. Wir werden diesen Themenkreis in spĂ€teren Abschnitten eingehender besprechen.
Lassen Sie uns im Folgenden einen Design Thinking-Prozess beispielhaft anhand einer konkreten Design Thinking-Challenge durchspielen. Die dabei eingesetzten Methoden stellen selbstredend nur eine Auswahl aus vielen ebenso einsetzbaren Möglichkeiten dar. Wir nehmen dazu folgendes Beispiel (der aktuellen Situation bei der Erstellung des Buches geschuldet):
Re-Design einer Zusammenarbeit in Teams in einer Situation, wo Teile des Teams oft lĂ€ngerfristig nicht am selben Standort prĂ€sent sind, sondern beispielsweise im Homeoffice arbeiten oder ihren Arbeitsort in anderen Niederlassungen oder gar LĂ€ndern haben (âVerteilte Teamsâ).
Verstehen
Im Schritt âVerstehenâ soll eine gemeinsame Vorstellung darĂŒber entwickelt werden, welches Problem / welche Herausforderung es zu lösen gilt. Dabei geht es darum, die verschiedenen Problemdimensionen zu verstehen, die Annahmen der Beteiligten bewusst zu machen und zu teilen und im Team die Motivation zu schaffen, eine gute Lösung fĂŒr das benannte Problem zu finden.
Oft haben Teammitglieder damit Schwierigkeiten, sich wirklich auf das Problem zu konzentrieren und nicht sogleich in die Lösungsfindung zu gehen. Dabei gehen oft wichtige Aspekte verloren. Zwar kann man annehmen, dass die Teammitglieder eine grobe Vorstellung vom Problem haben, aber sind wirklich alle wichtigen Punkte allen Beteiligten bekannt? Entspricht die Vorstellung des Teams vom Problem auch jener des Kunden? Sind sich alle Beteiligten auch bewusst, was fĂŒr den Kunden Teil des Problems ist und was nicht? Viel zu oft werden, ohne ein klares Bild, nur Lösungen fĂŒr Teilaspekte gefunden oder fĂŒr den Kunden wichtige Aspekte gar nicht angesprochen. LösungsansĂ€tze basieren dann nur auf den eigenen Erfahrungen und Gesichtspunkten und sind womöglich fĂŒr den Kunden nicht, oder nur in beschrĂ€nktem MaĂe, von Nutzen.
Jedes Design Thinking-Projekt beginnt mit einer Design Challenge. Wie bereits erwÀhnt werden wir unsere weiteren Betrachtungen basierend auf einer konkreten Challenge angehen. Diese lautet wie folgt:
Re-Design einer Zusammenarbeit in Teams in einer Situation, wo Teile des Teams oft lĂ€ngerfristig nicht am selben Standort prĂ€sent sind, sondern beispielsweise im Homeoffice arbeiten oder ihren Arbeitsort in anderen Niederlassungen oder gar LĂ€ndern haben (âVerteilte Teamsâ).
Ein sinnvoller erster Schritt besteht darin, im Team gemeinsam festzuhalten, welche Aussagen/Informationen der Challenge es genauer zu betrachten gilt. Dabei ist es wichtig, dass wir mit einem interdisziplinÀren Team mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Kenntnissen arbeiten, um damit Synergien aus allen möglichen Blickrichtungen einzubeziehen und die Fragestellung möglichst ganzheitlich zu betrachten.
Ein gutes Werkzeug, welches oft zu Beginn einer Challenge eingesetzt wird, nennt sich âSemantische Analyseâ. Es stammt aus dem Bereich der Linguistik. Dabei tragen die verschiedenen Mitglieder ihre Assoziationen zu den verschiedenen Bestandteilen der Aussage zusammen. In dieser Phase wollen wir eine möglichst groĂe Breite der verschiedenen Gesichtspunkte zusammentragen, um damit auch nicht auf den ersten Blick offensichtliche Gesichtspunkte und Aspekte zu finden und festzuhalten.
Basierend auf unserem Beispiel könnte es zum Beispiel zielfĂŒhrend sein, Begriffe wie âZusammenarbeit in Teamsâ, âHomeofficeâ, âZusammenarbeit mit anderen Niederlassungen/Standortenâ, âlĂ€nderĂŒbergreifende Zusammenarbeitâ genauer zu beleuchten. Dies kann beispielsweise gemacht werden, indem die Teammitglieder ihre Assoziationen zu den verschiedenen Begriffen auf einzelne Moderationskarten oder Haftnotizen schreiben oder ggf. auch skizzieren; diese werden anschlieĂend zu den verschiedenen Begriffen und Aussagen gruppiert.
So könnten beispielsweise zum Begriff âHomeofficeâ Aussagen wie âStörung durch Mitbewohnerâ, âKein Stau auf dem Arbeitswegâ, âVereinsamungâ, âNicht auf dem Laufenden seinâ, âArbeitszeitkontrolleâ, âLife-/Work-Balanceâ etc. aufgezeichnet werden.
Haben wir dann einen gemeinsamen Ăberblick ĂŒber die verschiedenen Aspekte und Gesichtspunkte erarbeitet, kann es je nach Fragestellung sinnvoll sein, die von der Challenge betroffenen Personen / Nutzer / Stakeholder und ihre BedĂŒrfnisse genauer zu betrachten. Ein dafĂŒr sehr gut geeignetes Werkzeug stellt eine Design-Charrette (Charrette, frz. = âWagenâ) dar. Dabei wird mit drei Spalten gearbeitet. Die erste wird mit âNutzer, Person oder Stakeholderâ bezeichnet, in der zweiten werden die angenommenen BedĂŒrfnisse der EintrĂ€ge in der ersten Spalte festgehalten und in der dritten die Themen, welche es weiter zu untersuchen gilt (beispielsweise in Form eines Interviews).
Bei der Festlegung der Nutzer in der ersten Spalte ist es eine gute Idee, sich auch von âextremen Nutzernâ inspirieren zu lassen, also womöglich Nutzern, welche ein ganz besonderes BedĂŒrfnis oder eine ganz besondere Anforderung mit der Challenge verbinden. Das könnten zum Beispiel Menschen sein, welche basierend auf gesundheitlichen Problemen gar nicht in der Lage sind, tĂ€glich zur Arbeit zu fahren, oder alleinerziehende Mitarbeiter, welche kleine Kinder haben und vielleicht nur einen sehr beschrĂ€nkten Raum haben, um sich zurĂŒckzuziehen. Eine weitere Nutzergruppe kann Personen umfassen, die nicht nur im BĂŒro nicht prĂ€sent sind, sondern womöglich durch ihre berufliche TĂ€tigkeit an anderen Orten sind, wo beispielsweise die Anbindung an Telefon und Internet nicht permanent in ausreichendem MaĂe sichergestellt ist. Eine weitere mögliche Nutzergruppe könnte in Kollegen bestehen, die auf einem anderen Erdteil arbeiten und zu den ĂŒblichen Arbeitszeiten des âHauptteamsâ womöglich Nacht haben.
Sind wir der Meinung, dass wir eine Vielzahl relevanter Nutzer identifiziert haben (wir können bei Bedarf auch spĂ€ter noch ergĂ€nzen), dann gehen wir zur mittleren Spalte. Hier suchen wir fĂŒr jeden Nutzer in der ersten Spalte dessen BedĂŒrfnisse. Um das ganze persönlicher zu gestalten, können wir die BedĂŒrfnisse in Form ...