1 Zur ökumenischen Ausrichtung der Confessio Augustana
Ziel der Confessio Augustana (CA) als Urkunde des Glaubens und Bekenntnisschrift war es, die aus Sicht der reformatorischen Stände nötige Reform der Kirche zu verteidigen und zugleich die Einheit der Kirche zu wahren. Gerade in der Verbindung dieser beiden Ziele ist sie ein ökumenisches Dokument. Die Einheit der abendländischen Kirche war lange vor der Reformation im 16. Jahrhundert gefährdet durch den „großen vorreformatorischen Reformstau“1, der im Mittelalter sukzessive angewachsen war. Die inzwischen evangelisch-katholisch geteilte Einsicht, dass die Kirche ecclesia semper reformanda2 sei und ständiger Erneuerung3 bedürftig, wird zwar in der CA noch nicht als ekklesiologische Bestimmung auf den Begriff gebracht. Doch die Überzeugung, dass die Bewahrung der Einheit der Kirche immer wieder Reform und Erneuerung verlangt und dass diese Reformen so zu gestalten sind, dass sie der Einheit dienen und diese zu wahren helfen, ist bestimmend für Melanchthons Komposition der CA als Bekenntnisschrift und für ihre ausführliche Verteidigung gegenüber den Kritikern in der Apologie der Confessio Augustana.
Für das Verständnis der ökumenischen Ausrichtung ist zunächst die komplexe Entstehungsgeschichte der CA bedeutsam. Die Entwicklung des Textes basiert auf den sog. Torgauer Artikeln, in denen deutlich ist, dass für die Wittenberger Reformatoren zunächst die Verteidigung der kursächsischen Kirchenreform im Zentrum stand. Auch noch auf der Reise der sächsischen Delegation zum Augsburger Reichstag standen „praktisch-rechtliche Fragen des Kultus und der Ordnung im Zentrum der theologischen Reflexionen“4. Dabei dürfte selbst in den ersten Tagen nach der Ankunft der Reichstagsteilnehmer in Augsburg am 2. Mai 1530 noch „in der sächsischen Delegation der Eindruck beherrschend gewesen sein, der Kurfürst könne sich darauf beschränken, die im Zuge der Visitationen durchgeführten praktischen Kirchenreformen als evangeliumsgemäß zu rechtfertigen.“5 Am 4. Mai allerdings erschienen die 404 Artikel von Johannes Eck. In diesen präsentierte Eck Martin Luther in gezielter Zusammenstellung mit Ulrich Zwingli, den Taufgesinnten und Schwarmgeistern als ketzerische Einheit „mit dem Ziel, der Reformation einen prinzipiellen Lehrgegensatz zur altgläubig-katholischen Tradition zu attestieren.“6
Die Bedeutung der 404 Artikel für die Entwicklung der Argumentationsstrategie in der CA kann nicht unterschätzt werden. Ihre Publikation führte dazu, dass sich Melanchthon und die sächsische Delegation nicht darauf beschränken konnten aufzuweisen, dass und in welchem Sinne die kursächsischen Reformen dem Evangelium gemäß waren. Die massiven Vorwürfe von Eck erforderten vielmehr nun, die Verteidigungsschrift für die praktischen Kirchenreformen in einem Glaubensbekenntnis zu fundieren, welches die Rechtgläubigkeit der Anhänger der Reformen und die Katholizität ihrer Lehre bekundet und zugleich die klare Abgrenzung gegenüber solchen Auffassungen markiert, die von der Wittenberger Reformation nicht als katholisch angesehen wurden. Um den Kaiser bereits im Vorfeld des Reichstages von der Katholizität der Wittenberger Reformanliegen zu überzeugen, hatte der sächsische Kurfürst Johann „auf Initiative der Grafen von Nassau und Neuenahr […] den kursächsischen Marschall und Rat Hans von Dolzig als Geheimgesandten nach Innsbruck geschickt“7, der dem Kaiser die bis dahin weitgehend geheim gehaltenen Schwabacher Artikel übergab. Die Mission erbrachte jedoch nicht den erhofften Erfolg. Der Kaiser reagierte auf die Offerte mit einer Zurückhaltung, „die einer Verwerfung gleichkam“8. Ob es an der sozusagen auf den letzten Drücker angefertigten schlechten lateinischen Übersetzung lag oder an dem Einfluss der päpstlichen Legaten oder an beidem, ist nicht auszumachen.
Wie Gunther Wenz im Rekurs auf die gescheiterte Dolzig-Mission festhält, hätte es möglicherweise gar nicht des Antriebes durch Ecks Zusammenstellung der 404 Ketzereien bedurft, um Melanchthon zu der Komposition der CA in ihren zwei Teilen zu bewegen. Die ablehnende Haltung des Kaisers gegenüber den Schwabacher Artikeln mag auch für sich genommen schon Grund genug gewesen sein, um die CA nicht auf eine reine Verteidigung der Reformen abzustellen, sondern als Bekenntnis des Glaubens in Gestalt einer Bekenntnisschrift zu konzipieren. Ende Mai 1530 hatte Melanchthon bereits eine Textfassung (in der Quellenkritik als Na signiert) produziert,9 in der Schwabacher und Torgauer Artikel zusammengeführt sind und die Zweiteiligkeit der CA entwickelt ist. In Melanchthons Weiterarbeit an dieser Version lassen sich zwei Motive erkennen, die für das Verständnis der CA und ihre „ökumenische“ Ausrichtung von grundlegender Bedeutung sind. Zum einen hat Melanchthon die Artikel über die bürgerlichen und kirchlichen Ordnungen, die in den Schwabacher Artikeln noch als Interimsordnung und anhangsweise behandelt wurden, nunmehr in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang des ersten Teils der CA eingebunden. Damit werden sie in ihrer Bedeutung für das rechte Verständnis der reformatorischen Position und für die Kircheneinheit aufgewertet. Zum Zweiten hat Melanchthon in Na und in CA „die Kirche als Stätte der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung unmittelbar hinter die Rechtfertigung gerückt und der Sakramentenlehre vorgeordnet.“10 Auch diese kompositorische Entscheidung hat ökumenische Tragweite. Denn auf diese Weise wird die Einheit der Kirche, an der die CA festhält und der sie dienen will, klar herausgestellt, bevor die Frage der Sakramente erörtert wird, in denen bezüglich der Zahl und insbesondere dem Verständnis der Buße Differenzen bestehen.
Die Entwicklungsgeschichte der Textkomposition und die endgültige Gestaltung der CA in zwei Teilen dokumentiert mithin, dass die Konzeption der CA von den beiden Anliegen, die evangelischen Reformen zu verteidigen und zugleich die Einheit der Kirche zu wahren, geleitet ist. Im ersten Teil der CA werden das katholische Verständnis des christlichen Glaubens und die Grundlagen für christliches Leben und die Ordnung der Kirche in einer streng am Konsens orientierten Weise entfaltet. Die Aussagen der einzelnen Artikel werden jeweils begründet im Rekurs auf die Schrift und das Zeugnis der Alten Kirche. Diese Prinzipien der theologischen Erkenntnis und Urteilsbildung werden zwar nicht in einem eigenen kriteriologischen Artikel erklärt. Erst in der Einleitung zur Konkordienformel findet sich die Aussage, dass alleinige Regel und Richtschnur für den Glauben und die Lehre die Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments seien.11 Gleichwohl ist aber deutlich, dass die Schrift als Erkenntnisgrund des Glaubens und der Lehre und als Maßstab für die Rechtgläubigkeit angesehen und dass darüber hinaus die Lehre der Alten Kirche als adäquate Auslegung der Schrift und der Glaubensregel verstanden wird. Ein wesentliches Ziel der Reformen, welche Melanchthon in der CA verteidigt, wird in der Rückkehr zur Praxis der Alten Kirche gesehen. Die kontroversen Themen wie vor allem die Rechtfertigungslehre, das Verständnis der Sakramente, insbesondere der Buße/Beichte und des Abendmahls, sowie das Verständnis der Kirche werden so formuliert, dass – nach Einschätzung von Melanchthon – eine Zustimmung von altgläubiger Seite hätte erwartet werden können.
Das in Entstehungsgeschichte und Inhalt erkennbare ökumenische Profil der CA wurde im modernen ökumenischen Dialog insbesondere in der Stellungnahme zum 450-jährigen Jubiläum der CA 1980 Alle unter einem Christus von der internationalen römisch-katholischen/evangelisch-lutherischen Kommission für die Einheit gewürdigt. Ausdrücklich wird im Vergleich mit anderen Dokumenten aus der Zeit betont, die CA spiegele „wie kein anderes in Inhalt und Struktur den ökumenischen Willen und die katholische Intention der Reformation“12. Es sei „die erklärte Absicht des Augsburgischen Bekenntnisses, den Glauben der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zu bezeugen.“13 Es gehe „nicht um Sonderlehren oder gar um Gründung einer neuen Kirche (CA 7,1), sondern um Reinerhaltung und Erneuerung des christlichen Glaubens – in Einklang mit der Alten Kirche, ‚auch der römischen Kirche‘ und in Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift.“14 Dabei sei es zugleich „von großem ökumenischen Gewicht, daß dieser ökumenische Wille und diese katholische Intention in einem Bekenntnisdokument zum Ausdruck kommen, das auch heute noch – unter und zusammen mit der Heiligen Schrift – Lehrgrundlage der lutherischen Kirchen ist und für sie Verbindlichkeit besitzt“.15 Diese Aussagen zeugen davon, dass sich die Kommission in ihrem Dialog über die CA gemeinsam von deren ök...