1. Kapitel
Ist die Welt so, wie wir sie wahrnehmen?
âEin verbreiteter Irrtum ist, zu denken, dass eine Wirklichkeit
die Wirklichkeit sei.
Man muss immer vorbereitet sein, eine Wirklichkeit
fĂŒr eine gröĂere aufzugeben."
(Mutter Meera). 1
âWir können nicht sicher sein, dass die Welt so ist, wie wir sie wahrnehmen.â
Ich saĂ in einem Seminar ĂŒber Philosophie und dies war ein Lieblingssatz unseres Referenten. Eines Tages hielt ich dagegen: âWir können sicher sein, dass die Welt nicht so ist, wie wir sie wahrnehmen.â Und in einem Anfall von Ăbermut fĂŒgte ich hinzu: âDas kann man sogar wissenschaftlich beweisen!â
Er stutzte und meinte dann skeptisch: âUnd wie wollen Sie das beweisen?â
Jetzt lag der Schwarze Peter bei mir. Ich hatte mir zwar schon viele Gedanken darĂŒber gemacht, war aber noch nie mit so einer kritischen Zuhörerschaft konfrontiert gewesen. Einen Moment dachte ich: âHĂ€ttest du den Mund doch nicht so voll genommen!â Dann kam mir der rettende Gedanke. Auf dem Tisch lag ein rotes Tischtuch. Ich deutete darauf: âSagen Sie mir bitte, was hier an dieser Stelle fĂŒr eine Farbe ist!â Er war etwas irritiert, ĂŒberlegte und sagte dann vorsichtig: âIch sehe dort Rot!â
âIch meine, was an der Stelle, auf die ich deute, fĂŒr eine Farbe ist, nicht was Sie wahrnehmen.â
Darauf wusste er zunÀchst keine Antwort und es entspann sich eine Diskussion mit den anderen Kursteilnehmern.
Es ist wirklich ganz einfach, so dass ich mich immer wieder wundere, dass es noch nicht allgemein im Bewusstsein der Menschen angekommen ist.
ZunÀchst fallen aus einer Lichtquelle, entweder von der Sonne oder einer Lampe, Lichtstrahlen verschiedener Schwingungen auf die Tischdecke. Bestimmte Strahlen werden von der OberflÀche dieser Decke reflektiert, andere absorbiert.
Gelangen die reflektierten Lichtstrahlen in unser Auge werden sie von den Farbrezeptoren erfasst, die deren Schwingung entsprechen und als Information ĂŒber die Nervenbahnen ins Gehirn weitergeleitet. Erst dort werden sie in Farbe umgesetzt.
So sieht beispielsweise eine Biene, deren Farbrezeptoren nur die ultravioletten Strahlen wahrnehmen, die Welt in ganz anderen Farben. Das Rot wĂ€re fĂŒr sie vielleicht ein Violett. Ein Hund hat keine Rezeptoren fĂŒr Rot, so dass fĂŒr ihn die Tischdecke vielleicht grĂŒnlich aussieht.
Alle Farbe und natĂŒrlich auch das Bild unserer Umwelt existiert daher nur in unserem Gehirn, besser gesagt, wie wir spĂ€ter noch sehen werden, in unserem Bewusstsein.
Abbildung 1: Lichtschwingungen werden durch die OberflÀche des
Tisches reflektiert und im Gehirn in Farbe umgesetzt
Jedes Lebewesen kann nur einen geringen Teil der Strahlung, die uns umgibt, durch das Auge erfassen. Insofern sehen wir nicht nur nicht, wie unsere Welt objektiv aussieht; wir können auch den gröĂten Teil des uns umgebenden Lichtes, oder der Strahlung, ĂŒberhaupt nicht wahrnehmen.
Schauen Sie sich jetzt einmal um, wo Sie sich gerade befinden und ĂŒberlegen Sie, wie diese Welt auĂerhalb Ihres Gehirns oder Bewusstseins aussieht. Ich wette, Sie können es mir nicht sagen. Ich Ihnen ĂŒbrigens auch nicht.
Diese Sache können wir natĂŒrlich weiterspinnen. Nehmen wir den Schall. Das, was wir als GerĂ€usch wahrnehmen, sind Luftschwingungen, die von einer bestimmten Quelle ausgehen, z. B. einem Knallkörper oder den StimmbĂ€ndern im Kehlkopf eines Mitmenschen. Diese werden von unserem Ohr aufgenommen und als Information an das Gehirn weitergeleitet. Erst dort werden sie in Schall umgesetzt. Unsere Umwelt ist daher zwar voller Luftschwingungen, jedoch völlig lautlos.
So Ă€hnlich ist es auch mit Geruch. Hier handelt es sich um GeruchsmolekĂŒle, die in unsere Nase gelangen. Dort werden sie von den Riechzellen in der Schleimhaut absorbiert. Die Reize werden an das Gehirn weitergeleitet. Erst dort wird ein Geruchsempfinden hergestellt.
Solange es keine Augen, Ohren und Nasen gibt, die mit einem Gehirn verbunden sind, kann es keine Wahrnehmung unserer Welt geben. Sie wĂ€re völlig farb- und gerĂ€uschlos, und wĂŒrde auch nach nichts riechen.
Dies sind nur drei Beispiele. Ebenso verhĂ€lt es sich mit Geschmack und GefĂŒhl.
Nachdem ich dies so erlĂ€utert hatte, schlug einer der Teilnehmer des Seminars mit seiner Hand auf den Tisch und rief: âAber dieser Tisch ist doch tatsĂ€chlich hier. Er ist fest, ich kann ihn anfassen. Das können Sie mir nicht ausreden!â
Leider musste ich ihm auch diese Illusion nehmen. Ich erwiderte: âSie tĂ€uschen sich! Sie können den Tisch gar nicht anfassen.â
âWie kommen Sie darauf? Ich habe doch meine Hand auf ihm und fĂŒhle ihn!â
âWenn es die gegenseitige elektromagnetische AbstoĂung der Elektronen nicht gĂ€be, könnten Sie mit Ihrer Hand ohne Probleme durch den Tisch hindurchfahren. Die Atome sind in sich so leer und so weit voneinander entfernt, dass kaum ein Atomteilchen mit dem anderen kollidieren wĂŒrde. Nur die gegenseitige AbstoĂung der Elektronen hĂ€lt Ihre Hand zurĂŒck. Dies macht es fĂŒr Sie auch unmöglich, den Tisch ĂŒberhaupt anzufassen. Ihre Hand wird schon vorher â natĂŒrlich in einer winzigen Entfernung â elektromagnetisch zurĂŒckgestoĂen.â
Deutlich wird dies, wenn wir zwei Magnete mit dem jeweils gleichen Pol â Plus auf Plus und Minus auf Minus â zusammendrĂŒcken möchten. Wenn die Magnete stark sind, ist dies nur mit sehr viel MĂŒhe möglich. Hier wie dort stoĂen sich die Elektronen gegenseitig ab.
Abb. 2: Das Bild zeigt die (vermeintliche) BerĂŒhrung des Tisches
und wie es wĂ€re, wenn es keine elektromagnetische AbstoĂung
gÀbe.
Zu erwĂ€hnen ist hier noch, dass bereits Demokrit, der griechische Philosoph, der etwa von 460 â 370 v. Chr. lebte, postulierte:
âNur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es sĂŒĂ oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.â 2
Wieso hat diese fast 2500 Jahre alte Erkenntnis, die zweifellos in die richtige Richtung geht, bis heute keinen Eingang in das Denken der westlichen Welt gefunden?
ZurĂŒck zu den Atomen! Das GröĂenverhĂ€ltnis in einem Atom kann man verdeutlichen, indem man sich den Atomkern in der GröĂe eines Stecknadelkopfes vorstellt. Diesen lassen wir in der Mitte eines FuĂballstadions schweben. Die Elektronen sind in diesem Modell so winzig, dass sie nur im Mikroskop sichtbar wĂ€ren. Sie wĂŒrden den Kern in einer Entfernung umkreisen, die dem Rand des Stadions entsprĂ€che.
Wir sehen, der atomare Aufbau unserer Welt ist zum allergröĂten Teil Leere. Selbst der Atomkern hat nichts Festes an sich. Er besteht aus noch kleineren Teilen, den sogenannten Quarks, und ist sogar je nach momentanem Zustand manchmal Schwingung und manchmal Teilchen. Im Kapitel ĂŒber Quantenphysik werde ich dies nĂ€her erlĂ€utern. Ebenso verhĂ€lt es sich mit den Elektronen.
Abbildung 3: GröĂenverhĂ€ltnis des Atoms
Ein Atom ist zu etwa 99,999999999999 % leerer Raum. Wenn wir alle Elementarteilchen der Erde ohne Zwischenraum aneinanderfĂŒgen wĂŒrden, wĂŒrde sie etwa auf die GröĂe eines Freiballons schrumpfen, wobei dessen Gewicht dem der gesamten Erde entsprĂ€che. Wenn wir diesen wieder auf die GröĂe der Erde aufblasen, erhalten wir eine Vorstellung davon, wie leer Materie wirklich ist.
Wie mĂŒssen wir uns nun unsere Umwelt vorstellen? Wie ist unsere Welt tatsĂ€chlich beschaffen?
Vor Jahren bekam ich auf einer lÀngeren Autofahrt zufÀllig ein Hörspiel im Autoradio mit, das uns einer Antwort auf diese Fragen beispielhaft nÀher bringen kann.
Es handelte von einer Gruppe Wissenschaftler in einem diktatorischen Staat, die an der Entwicklung einer neuen Waffe arbeiteten. Ihnen wurde gesagt, sie wĂŒrden auf eine Unterwasserstation gebracht, damit sie dort ungestört ihrer Arbeit nachgehen könnten. Hierdurch sollte auch Spionage durch andere Staaten unterbunden werden.
Auf der Tauchfahrt zu dieser Unterwasserstation kam es zu einer technischen Panne, infolge derer sie vorĂŒbergehend das Bewusstsein verloren, wie ihnen spĂ€ter gesagt wurde. Sie kamen dann in dieser Station wieder zu sich und setzten ihre Arbeit fort. Mit der AuĂenwelt waren sie durch Telefon und einen Bildschirm verbunden. HierĂŒber ging vor allem die Kommunikation mit dem Leiter der Entwicklungsabteilung.
Im Laufe der Zeit beobachteten sie immer wieder, zwar kleine, aber unerklĂ€rliche Ereignisse, die nicht mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ĂŒbereinstimmten. Z. B. war die OberflĂ€che einer Seifenblase, die sie erzeugten, nur einfach grau, anstatt in verschiedenen Farben zu schillern, wie es aus physikalischen GrĂŒnden zwingend erforderlich wĂ€re.
Aus diesen Ereignissen schlossen sie, dass sie tatsÀchlich nicht mehr leiblich existierten, sondern auf der Fahrt zu der angeblichen Unterwasserstation getötet worden waren. Ihre Gehirne waren dann mit einem Supercomputer vernetzt worden.
Dieser Computer war mit allen VorgĂ€ngen, die in einer solch abgeschlossenen Umgebung möglich waren, programmiert und vermittelte diese ihrem Gehirn, indem er auf ihre Gedanken reagierte. Er vermittelte ihnen alle GefĂŒhle des Körpers und zeigte ihnen die im Computer einprogrammierte Umgebung, je nachdem, wie sie sich â gedanklich â bewegten.
Die Umgebung einer âUnterwasserstationâ war gewĂ€hlt worden, weil diese als abgeschlossene Welt einfacher zu programmieren war als die weit umfangreichere Umwelt auf der ErdoberflĂ€che.
Des Weiteren konnte die Zeit im Computer verĂ€ndert werden. Die Geschwindigkeit der LebensvorgĂ€nge wurde auf das dreiĂigfache gegenĂŒber dem normalen Leben erhöht, so dass die Forschungen um ein vielfaches schneller vorangingen. FĂŒr die Wissenschaftler war dies jedoch nicht spĂŒrbar. FĂŒr sie lief die Zeit ganz normal.
Nachdem sie erkannt hatten, dass sie getĂ€uscht worden waren, konnten sie ĂŒber die Verbindung zur AuĂenwelt eine Revolution im Lande auslösen, die eine neue demokratische Regierung an die Macht brachte. Diese garantierte ihnen, dass sie auch nach Ende ihrer Forschungsarbeiten nicht abgeschaltet werden wĂŒrden und âweiterlebenâ durften.
Wie schon gesagt, war dieses Hörspiel eine reine Fiktion.
Ein weiteres Beispiel ist der Film: âWelt am Drahtâ von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1973, dem der 1964 erschienene Science-Fiction-Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye als Vorlage diente. Darin wird nicht nur die Umgebung des Menschen bzw. des Gehirns simuliert wie in dem Hörspiel. Hier wird am âInstitut fĂŒr Kybernetik und Zukunftsforschungâ mittels eines Supercomputers eine ganze Kleinstadt virtuell erzeugt. Die Menschen darin fĂŒhren ein Leben wie wir und besitzen ein Bewusstsein. Sie wissen jedoch nicht, dass sie nur simuliert sind. Nur eine Kontaktperson, Einstein genannt, hat davon Kenntnis.
Da die Simulationseinheiten jederzeit abgeschaltet werden können, versucht Einstein in die âwirklicheâ Welt zu gelangen, um diesem Schicksal zu entgehen. Der Direktor des Institutes, Fred Stiller, verhindert dies jedoch und schickt Einstein wieder in die Simulation zurĂŒck.
Im Verlaufe des Films bekommt Stiller psychische Probleme durch unerklĂ€rliche Ă€uĂerliche Einwirkungen auf sein Gehirn, die ihn zeitweise dem Wahnsinn nahe bringen.
Als dann noch unerklĂ€rliche Ereignisse geschehen â plötzlich verschwindet die StraĂe vor seinem Auto, ein Mitarbeiter kommt ums Leben und niemand, auĂer Stiller, kann sich anschlieĂend an ihn erinnern â, keimt in ihm der Verdacht auf, dass auch er nur Teil einer simulierten Welt ist.
Nachdem er dies realisiert hat, werden mehrere AnschlĂ€ge auf sein Leben ausgefĂŒhrt, denen er nur mit knapper Not entgehen kann. Er erkennt, dass er von der âHöheren Weltâ, die seine Welt simuliert, abgeschaltet werden soll. Seine Arbeitskollegen, denen er seine Vermutungen mitteilt, halten ihn fĂŒr geistesgestört. In der Folge werden Intrigen gegen ihn gesponnen und er wird von der Polizei gesucht. Es stellt sich jedoc...